Für viele CIOs ist es seit Jahren normal, verteilte Teams zu führen. Schon lange vor der Pandemie standen sie vor der Herausforderung, Menschen an verschiedenen, oft international verteilten Standorten zusammenzubringen. Die Tools und Strategien dafür sind bekannt und implementiert - und doch tun sich auch IT'ler immer noch schwer mit dem, was die Analysten von Forrester als "chaotische Arbeitsorganisation" bezeichnen.
Wie andere Führungskräfte auch neigen die IT-Chefs dazu, bei Hybrid Work ausschließlich an die zu verknüpfenden Standorte zu denken. Dabei geht es eigentlich darum, die Zusammenarbeit selbst zu verbessern und die Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Hier eine Übersicht über häufige Fehler, die Führungskräfte und CIOs im Zusammenhang mit hybriden Belegschaften machen.
1. Keine Return-to Office-Strategie
Viele Beschäftigte haben während der Pandemiejahre den Spaß an Videokonferenzen verloren. Schuld an der Zoom-Fatigue ist auch die mangelhafte Schulung vieler Manager, die sich während der Krise nie wirklich damit beschäftigt haben, wie Mitarbeitende und Teams über die Distanz zusammenarbeiten und geführt werden können. Das zumindest glaubt Rebecca Wettemann, Analystin bei Valoir Research. Fänden alle Interaktionen nur noch auf dem Bildschirm statt, führe das zu Ermüdungserscheinungen, manchmal auch zum Ausbrennen der Beschäftigten.
Insofern hätten sich viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durchaus darauf gefreut, in die Büros zurückkehren und den persönlichen Austausch wieder aufnehmen zu können. Doch am Ende seien sie dabei oft enttäuscht worden. Etliche Betriebe hätten sich nur unzureichend oder gar nicht auf die Rückkehrer vorbereitet. Die Planung sei oft schlecht gewesen: Wenn Knowledge Worker ins Büro kommen und niemand da ist, den sie sehen wollen oder müssen, führt das zu Frustration.
Laut Wettemann ist es wichtig, "Anwesenheiten genau vorherzusagen und zu monitoren, damit sich Kollegen und Teams treffen können." Die Zeitplanung müsse datenbasiert erfolgen und so gesteuert werden, dass Hybrid Work auch Unternehmensziele wie Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion unterstütze. Einen Ansatz zu verfolgen, der für alle Arbeitsbereiche das gleiche Prozedere vorsehe, sei ein Fehler. Besser sei es, eine auf die jeweiligen Szenarien ausgerichtete Strategie für die Zusammenarbeit zu verfolgen.
Ähnlich sieht es Kim Huffman, CIO der globalen Reisekostenmanagement-Plattform TripActions: "Die Dinge werden chaotisch, wenn man keine Struktur für die Rückkehr an den Arbeitsplatz hat." Für die Führungskräfte im Unternehmen sei das Fehlen eines formalen Konstrukts für die Rückkehr ins Büro eine "Lektion" gewesen, von der sie gelernt hätten. Seitdem "haben wir uns ein bisschen besser organisiert".
2. Keine Antenne für Befindlichkeiten
Bei TripActions drehte sich laut Huffman viel um die Frage: Sind die Mitarbeitenden im Büro produktiver als die Remote Worker oder umgekehrt? Am Ende hätten viele Rückkehrer selbst das Gefühl gehabt, nicht mehr so produktiv zu sein wie daheim. Auf der anderen Seite hätten manche Teamleiter das gleiche Gefühl bei Beschäftigten gehabt, die weiter im Home-Office arbeiteten.
Laut Huffman gibt es in vielen Betrieben unterschiedliche Meinungen darüber, ob Beschäftigte im Büro oder zu Hause produktiver sind. "Bei Tech-Firmen in der Bay Area ist das besonders umstritten. Es wird interessant sein, die Entwicklung in den nächsten zwei Quartalen zu beobachten." Nach der Rückkehr einiger Mitarbeitenden in die Büros hält sich demnach in vielen Betrieben der Eindruck, diese Kolleginnen und Kollegen seien engagierter als diejenigen, die daheim geblieben sind. Ihrer Ansicht nach müssen Führungskräfte, auch in der IT, solche Spannungen erkennen und ausräumen - um die Vertrauenskultur im Unternehmens nicht zu beschädigen.
Die Analysten von Gartner kennen das Problem und raten zu einer "Kultur der Verbundenheit". Diese setze nicht zwangsläufig die Anwesenheit im Büro voraus, wohl aber tägliche Interaktionen während der Arbeit. Laut Gartner sind 58 Prozent der IT-Beschäftigten überzeugt, dass sinnstiftende Beziehungen auf täglichen Begegnungen beruhen, die aber durchaus digital erfolgen könnten. Nur 21 Prozent glauben demnach, dass die gemeinsame Anwesenheit im Büro Bedingung für gute Zusammenarbeit ist.
3. Hybride Meetings schlecht managen
Unternehmen müssen ein Gleichgewicht finden, wenn sie anwesende und remote zugeschaltete Kollegen in einem Meeting zusammenbringen. So stellt beispielsweise Jamie Smith, CIO der Universität von Phoenix in Arizona fest, dass hybride Meetings die Kluft zwischen physisch Anwesenden und entfernt Teilnehmenden vertiefen. "Wir haben festgestellt, dass sich Remote-Mitarbeiter weniger wertgeschätzt fühlen, weil sie nicht mit den anderen hier bei uns an einem Tisch saßen", sagt Smith.
In der Universität haben sich viele Führungskräfte deshalb daran gewöhnt, zusätzlich zum hybriden noch ein zweites, ausschließlich digitales Meeting anzuschließen, damit alle das Gefühl haben, gleichberechtigt zu sein. Laut Smith wurde auch die Tool-Auswahl angepasst: Neben Werkzeugen wie Zoom, Slack oder Microsoft Teams kommen Whiteboard-Technologien wie die von Miro zum Einsatz. Sie sollen allen das Gefühl vermitteln, im selben Raum zusammenzuarbeiten. Das IT-Team ist außerdem auf der Suche nach Tools, die es den Beschäftigten an den verschiedenen Standorten ermöglichen, auch asynchron gut zusammenarbeiten. Die Zusammenarbeit über unterschiedliche Zeitzonen hinweg sei weiter herausfordernd.
4. Faktor Innovation übersehen
Im Zusammenhang mit Hybrid Work nur über die Employee Experience nachzudenken, greift zu kurz. Eine schlechte Organisation und Planung der Zusammenarbeit kann auch die Innovationsfortschritte ins Stocken bringen. Bess Healy, CIO des Finanzdienstleisters Synchrony, hat die Erfahrung gemacht, dass "in hybriden Teams erbrachte Innovationen ein höheres Maß an Moderation erfordern".
So hätten sich ganztägige Innovations-Workshops oder Hackathons, die früher in gemeinsam genutzten Räumen vor Ort stattfanden, in einem langen virtuellen Meeting für alle Beteiligten sehr anstrengend angefühlt. "Also haben wir sie auf mehrere Tage aufgeteilt", sagt Healy. "Um kameradschaftliche Ereignisse während eines Hackathons, etwa das gemeinsame Essen zu jeder Tages- und Nachtzeit, abzubilden, haben wir versucht, das mit Essensgutschriften auszugleichen - ganz egal wo die Teammitglieder sind."
Alle Führungskräfte legten auch mehr Wert auf "geplanten Spaß", indem sie zu Spielen einlüden und "Denkpausen in Ideation-Events" veranlassten. "Nach drei Jahren können wir festhalten, dass diese Veränderungen mehr Menschen in unsere Innovationsteams gebracht haben als je zuvor." Etliche neue Ideen in Bereichen wie Metaverse, Payment oder Customer Experience seien die Folge, sagt Healy.
5. Kein Gehirnschmalz in die Büroausstattung stecken
Mitarbeitende brauchen Anreize, um in die Büros zurückzukehren. Dazu sollten Unternehmen mehr tun, als klassische Büroräume mit aneinandergereihten Schreibtischen oder Rückzugskabinen bereitzustellen. "In einem neuen Büro, das wir gerade eingerichtet haben, bemühen wir uns eher darum, attraktive Begegnungsräume zu schaffen", sagt Huffman. "Sie sollen Platz für Gespräche und Gruppen-Meetings bieten." Wollen Führungskräfte ihre Mitarbeitenden zurückholen, sollten sie sich genau überlegen, wie die Büroaufteilung und -ausstattung aussehen sollte, so der dringende Rat der CIO von TripActions.
6. Experimentieren, nein Danke!
Smith von der Universität in Phoenix war zunächst kein Freund von Remote Work. Er fürchtete, dass Innovationen und kreative Zusammenarbeit zu kurz kommen würden. "Als alles auf Remote Work umgestellt wurde, widersprach das zutiefst meinen Überzeugungen." Inzwischen hat der CIO aber festgestellt, dass die IT-Mitarbeitenden auch remote gut und produktiv zusammenarbeiten. Sie seien auch in der Lage, "komplexe neue Produkte herauszubringen." Ein weiterer Vorteil sei, dass die Universität einen besseren Zugang zu technischen Talenten aus den verschiedensten Regionen bekommen habe.
Als es losging mit Hybrid Work habe er in mehreren Gesprächen den Eindruck gewonnen, "dass die Leute am entfernten Ende den Kürzeren zogen". Sie hätten das Gefühl gehabt, nicht gehört zu werden, erinnert sich Smith. Der CIO nahm das wörtlich und stellte einen Tontechniker ein, der die Konferenztechnik der Universität komplett modernisierte. Dabei wurden auch Virtual-Reality-Headsets der Oculus-Reihe von Meta von einigen Teams in ihren täglichen Standup-Meetings getestet. Sie wollten herausfinden, ob sie ihre Arbeit verbessern könnten.
Die Experimente verliefen keineswegs durchweg positiv. Sie sollen aber dennoch im neuen Jahr fortgesetzt werden. "Die Kosten sind überschaubar", so der CIO. Er wolle herausfinden, ob es sich nur um Spielzeuge handele oder um etwas, das die Remote-Work-Erfahrung grundlegend verbessern könne.
7. Moderne Bürotechnik links liegen lassen
Sich über die Gestaltung der Büros und eine Strategie für die Rückkehr Gedanken zu machen, ist schon mal gut. Ebenso wichtig ist es aber, dass IT-Verantwortliche in Technologien investieren, die optimale hybride Arbeitserfahrungen ermöglichen. Bei Shure, einem Spezialisten für Audioelektronik, haben die Führungskräfte mit den Beschäftigten über hybride Arbeitsformen diskutiert und anschließend einen Plan namens "WorkPlace Now" entwickelt.
Laut Robin Hamerlinck Lane, Senior Vice President und CIO, steht es den Mitarbeitenden frei, das für sie passende Arbeitsmodell selbst zu wählen. Das Unternehmen stelle ihnen die jeweils geeigneten Tools zur Verfügung, die sie für sich anpassen könnten. "Wir haben zum Beispiel in unseren weltweiten Büros flexible Arbeitsplätze eingeführt, damit Hybrid-Mitarbeiter immer einen Platz zum Arbeiten finden, wenn sie in die Büros kommen. Mit der iOffice-App können sie ihre Arbeitsplätze im Voraus oder spontan bei ihrer Ankunft reservieren", sagt Hamerlinck Lane.
Die IT-Abteilung von Shure hält zudem ein Ticketsystem bereit, mit dem Remote Worker ein Toolkit anfordern können, das ihnen hilft, von überall effektiv zu arbeiten und mit anderen in Verbindung zu stehen. Im neuen Jahr soll auch in den Konferenzräumen Microsoft Teams eingeführt werden, um Kameraansichten zu ermöglichen, die die Meeting-Erfahrungen zwischen externen und internen Mitarbeitern angleichen", sagt die CIO.
Außerdem wolle ihr Team sich im Zusammenhang mit digitaler Zusammenarbeit verstärkt mit IT-Sicherheitsthemen und dem langfristigen Telekommunikationsbedarf beschäftigen. "Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind auf mobile beziehungsweise IP-basierte Telefonie umgestiegen. Jetzt werden wir uns damit befassen, was wir künftig mit unseren traditionellen Tischtelefonen anstellen wollen."
8. Verzicht auf Low-Code-Erfahrungen
Shure gehört zu den Unternehmen, die sich 2023 verstärkt mit Citizen Development auf der Basis von Low-Code/No-Code-Plattformen befassen wollen. Eine andere Initiative sieht den Aufbau einer Plattform bei Amazon Web Services (AWS) vor, damit die Entwickler optimale Bedingungen vorfinden, wenn es gilt, vorhandene Software in die Cloud zu migrieren und IoT-Projekte umzusetzen. Außerdem arbeitet das IT-Team daran, Daten und Endbenutzer-Tools bereitzustellen, damit die User bestmöglich unterstützt werden.
Lesley Salmon, Global-CIO von Kellogg's, kann dem viel abgewinnen: "Citizen Development wird zur Normalität, zumal die Nachfrage nach Apps und das Bedürfnis effizienter zu arbeiten weiter steigen werden." In ihrem Konzern wird das Arbeiten mit Microsofts Low-Code Power Platform in diesem Jahr zu einem vorrangigen Thema. "Wir werden unsere Organisation in die Lage versetzen und ermutigen, ihre eigenen Apps zu entwickeln, indem wir einen Community-Ansatz zum Lernen und Unterstützen aufbauen", sagt die IT-Chefin. (hv)