In den vergangenen Tagen gab es vermehrt Berichte in der Tagespresse über einen Spendenaufruf. So sprach unter anderem eine Anzeige im Münchner Merkur vom 9. Januar 2023 von einer Verstrickung "im Netz der unübersichtlichen Sozial- und Arbeitsgesetzgebung und -rechtsprechung", die zu einem Zahlungsverlangen des Freistaats Bayern in Höhe von 450.000 Euro geführt haben solle, da "mit jungen Mitarbeitern im Rahmen von Werkverträgen" gearbeitet wurde.
Gespendet werden sollte für einen ehemaligen bayerischen Beamten, der in seiner Dienstzeit Aufträge in Form von Werkverträgen vergab. Da sich im Nachhinein herausstellte, dass es sich hierbei um abhängige Beschäftigungsverhältnisse handelte, für die auch Sozialversicherungsabgaben abzuführen gewesen wären, nahm der Freistaat Bayern ihn persönlich auf Nachzahlung mehrerer hunderttausend Euro in Anspruch. Der besorgte Freundeskreis des Kostenschuldners rief nun zu Spenden auf, um dessen wirtschaftlichen Ruin abzuwenden.
Abhängige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit?
Unabhängig von diesem Einzelfall: Rechtlicher Anknüpfungspunkt in derartigen Konstellationen ist stets die Frage, in welcher Form eine Tätigkeit ausgeübt wird. Tätigkeiten als freie Mitarbeit, als Freelancer oder selbstständiger Berater können als selbstständige Tätigkeit ausgeübt werden.
Wer selbstständig ist, kümmert sich selbst um seine Kranken- und Rentenversicherung und um die Versteuerung der erzielten Einkünfte. Wer hingegen abhängig beschäftigt ist, für den übernimmt der Auftraggeber beziehungsweise der Arbeitgeber diese Aufgabe: Das Gehalt wird als Bruttozahlung berechnet, von dem Arbeitgeber und Beschäftigter sodann Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung abführen (§ 28d, e Sozialgesetzbuch IV - SGB IV). Wer abhängig Beschäftigte einsetzt, wird damit zum Arbeitgeber für diese Personen - und ist Kostenschuldner für die Sozialversicherungsbeiträge gegenüber den Sozialversicherungsträgern.
Abgrenzungskriterien: Wann frei, wann abhängig?
Ob eine abhängige oder selbstständige Beschäftigung vorliegt, erfolgt im Rahmen einer Gesamtbetrachtung (§ 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch IV- SGB IV). Der klassische Fall einer abhängigen Beschäftigung ist dabei das Arbeitsverhältnis. Nicht ausschlaggebend ist damit, was die Parteien vereinbart haben. Eine freie Mitarbeit wird nicht damit zur freien Mitarbeit, dass die Vertragspartner ihr Vertragsverhältnis so benannt haben. Maßgeblich ist vielmehr das tatsächliche Bild: Wie wird das Vertragsverhältnis durch die Parteien "gelebt". Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) gibt dazu folgendes vor: "Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an." (§ 611a Abs. 1 S. 6 BGB).
Klare Indizien für eine abhängige Beschäftigung sind dabei unter anderem:
die Eingliederung in den Betrieb,
das Stellen von Betriebsmitteln,
genaue und detaillierte Vorgaben zur Aufgabenerfüllung (=Weisungsgebundenheit) oder
das Tätigwerden für im Wesentlichen nur einen Auftraggeber.
Abgrenzungsmerkmale zur Scheinselbstständigkeit
Weitere Punkte, die für eine abhängige Beschäftigung stehen können, sind:
Tätigwerden in den Betriebsräumen des Auftraggebers;
Zur-Verfügung-Stellen eines Arbeitsplatzes durch den Auftraggeber;
genaue Vorgaben, wo die Tätigkeit zu erbringen ist;
Nutzung eines E-Mail-Accounts mit Auftraggeber-Absenderkennung;
Zuweisung einer internen Telefonnummer;
regelmäßige Teilnahme an internen Besprechungen oder Meetings;
Ausübung vergleichbarer Tätigkeiten des Auftragnehmers durch Arbeitnehmer des Auftraggebers;
Bereitstellen von Betriebsmitteln (zum Beispiel Computer) durch den Auftraggeber;
arbeitsteiliges Zusammenwirken mit Arbeitnehmern des Auftraggebers;
Bestehen eines fachlichen Weisungsrechts, das Einzelheiten der Ausführung der Tätigkeit regelt;
Vorgaben in der Bestimmung der Arbeitszeit;
Pflicht, Urlaub oder Abwesenheiten vorab genehmigen zu lassen;
kein Recht zum Ablehnen von Einzelaufträgen;
Erzielung von 5/6 des Einkommens aus Tätigkeiten nur für einen Auftraggeber.
Können auch nur einige der Kriterien bejaht werden, sollte vor Aufnahme der Tätigkeit eine ausführliche Prüfung erfolgen.
Rechtssicherheit: Statusfeststellungsverfahren
Abschließende Rechtssicherheit kann mit einer so genannten Statusfeststellung erlangt werden. Mit diesem in § 7a Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch IV (SGB IV) geregelten Verfahren erhalten die Beteiligten Rechtssicherheit darüber, ob eine selbstständige oder abhängige Beschäftigung vorliegt. Zuständig für die Durchführung ist die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund), die eine "Grundentscheidung" zum Erwerbsstatus trifft. Auf ihrer Website stellt die DRV Bund dazu die entsprechenden Antragsformulare mit weiteren Erläuterungen zur Verfügung, die zur Antragsstellung genutzt werden können.
Folgen fehlerhafter Einstufung
Eine fehlerhafte Einstufung kann auch strafrechtliche Relevanz aufweisen. Denn die Nichtabführung von geschuldeten Sozialversicherungsbeiträgen durch den Arbeitgeber wird gem. § 266a Strafgesetzbuch (StGB) mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Insoweit ist es nur ein kleiner Trost, dass der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil v. 24.1.2018, Az.: 1 StR 331/17) seit einigen Jahren den Irrtum über die Arbeitgebereigenschaft als vorsatzausschließend ansieht.
Hinzukommt die Nachforderung der nicht entrichteten Sozialversicherungsbeiträge samt Säumniszuschlägen (§ 24 Sozialgesetzbuch IV - SGB IV). Diese Kostenlast kann erdrückend sein, zumal die Sozialversicherungsträger sowohl Arbeitgeber-, als auch Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nachfordern und ein Regress beim Beschäftigten regelmäßig ausscheidet beziehungsweise limitiert ist (§ 28 g S. 3 SGB IV).
Schließlich kommen noch steuerrechtliche Fragen der Rückabwicklung hinzu: Der Arbeitgeber haftet auch für die nicht abgeführte Lohnsteuer; auch eine Rückforderung der gezogenen Vorsteuer beim Arbeitgeber ist denkbar.
Der Schutz des Arbeitsrechts
Neben den straf- und sozialversicherungsrechtlichen Aspekten greift für abhängig Beschäftigte auch regelmäßig der Schutz des Arbeitsrechts. Denn der abhängig Beschäftigte wird als Arbeitnehmer eingestuft, der sich damit unter anderem auf Kündigungsschutz (§§ 1 Abs. 1, 23 Kündigungsschutzgesetz - KSchG) berufen kann, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§ 3 Entgeltfortzahlungsgesetz - EFZG) beanspruchen kann oder Urlaubsansprüche beziehungsweise dessen Abgeltung - sogar der Vorjahre - vom Arbeitgeber verlangen kann (§ 1 Bundesurlaubsgesetz - BUrlG).
"Das merkt doch keiner …" - Entdeckungsrisiko?
"Wo kein Kläger, da kein Richter" oder "Was keiner weiß, macht keinen heiß". Auf derartige Volksweisheiten sollte im Zusammenhang fehlerhafter Einstufungen nicht gesetzt werden. Zum einen sind die Folgen fehlerhafter Einstufungen - wie aufgezeigt - erheblich. Zum anderen können Betriebsprüfungen der Rentenversicherung zum Aufdecken entsprechender Konstellationen führen.
Auch die verschiedenen Sozialversicherungsträger wie die Krankenkassen können bei Einzelfallprüfungen von Versicherten auf den Plan gerufen werden und Prüfungen vornehmen. Schließlich führt der Zoll Ermittlungen und Kontrollen durch, die zur Aufdeckung führen. Auch wenn es Streitigkeiten zwischen freien Mitarbeiter und Auftraggeber gibt, insbesondere wenn der Auftraggeber die Zusammenarbeit beenden möchte und das Vertragsverhältnis kündigt, kommt oftmals eine böse Überraschung: Der gekündigte Auftragnehmer klagt vor dem Arbeitsrecht gegen die Kündigung und macht seine Arbeitnehmerstatus geltend. (bw)