FALSCHE BESCHEIDENHEIT ist Zygmunt Mierdorfs Sache nicht. Der CIO der Metro-Group AG benotet sein IT-Alignment mit einer glatten Eins: „Im Handelsbereich ist IT-Alignment eine Grundvoraussetzung fürs Geschäft. Wir sind dabei schon sehr gut, denn wir können unsere Unternehmensziele überhaupt nur mit der IT erreichen.“ Mierdorf ist mit dieser Selbsteinschätzung in großer Gesellschaft. Viele CIOs schätzen ihr Alignment gut ein – die meisten allerdings besser, als es ist. Das ergab eine Umfrage des CIO-Magazins in Zusammenarbeit mit Deloitte Consulting unter 123 IT-Chefs deutscher Unternehmen. 16 Prozent von ihnen halten demnach ihr Alignment für sehr gut, 28 Prozent für gut und immerhin noch gut 40 Prozent für mittelmäßig (siehe Schaubild Seite 27).
Schlechte Selbsteinschätzungen sind selten. Dabei verfügen viele CIOs noch nicht einmal im Ansatz über ein Kennzahlensystem zur Messung des Wertbeitrages, sind Standards bestenfalls definiert, aber nicht umgesetzt. Bei wichtigen Entscheidungen werden sie zu spät oder gar nicht informiert geschweige denn gefragt. „Nach Auswertung der Umfrage sind wir zu dem Schluss gekommen, dass es sich bei den meisten CIOs um Alignment-Anfänger handelt“, sagt Peter Müller, Partner von Deloitte Consulting. Auf der Skala mit fünf Ausprägungen (vom Alignment-Laien bis zum Align-ment-Experten) fielen 35,6 Prozent in die Kategorie „Alignment-Starter“ und 47 Prozent in die Kategorie der „Young-Professionals“, sagt Müller.
Erstaunlichste Erkenntnis: Nicht nur viele CEOs, sondern auch die meisten CIOs verkennen noch immer die Bedeutung, die IT für ihr Unternehmen hat. „IT kann viel mehr und leistet bereits viel mehr, als von den meisten gesehen wird. Viele CIOs geben sich aber leider mit dem einmal Erreichten zufrieden“, so Müller. Nach Auswertung der 44 Fragen unserer Studie ließen sich die wesentlichen Gründe für den Missstand identifizieren. Getestet wurden die sechs für das Alignment wesentlichen Bereiche:
Die meisten der Befragten verfehlten dabei den Sprung vom so genannten „Alignment Starter“ (Level 2) bzw. dem „Young Professional“ (Level 3) zum Alignment- Professional (Level 4). Nur jeweils verschwindende 2,3 Prozent sind Alignment Experten (Level 5) oder Alignment-Laien (Level 1). „Ein Zeichen dafür, dass bei fast jedem zumindest ein Grundverständnis dafür vorhanden ist“, sagt Müller. „Kaum jemand zweifelt an der Notwendigkeit des Instruments, doch viele wissen einfach nicht, wie sie es umsetzen sollen oder wie es sich anfühlt, wenn wirklich alles auf Linie ist.“ So hätten die meisten unzureichende Controlling- Kennzahlen, „und wenn sie sie haben, nutzen sie sie nicht, um die Leistung der IT auch transparent zu machen“, sagt Müller.
Vorteil Vorstandsposten
Zygmunt Mierdorf ist über solche Kritik erhaben. In puncto Alignment genießt er allerdings auch gegenüber vielen Kollegen einen entscheidenden Vorteil: Er sitzt im vierköpfigen Vorstand des Düsseldorfer Handelsriesen. Dort vertritt er neben der IT noch die Bereiche Personal, Immobilien und Logistik. Obwohl der 52-Jährige kein Techniker ist und von der Business- Seite kommt, gilt die IT der Metro als richtungsweisend und in der Branche vorbildlich. Gerade erst ist Mierdorf mit dem „ECR Best Practice Award 2004" (Efficient Consumer Response) ausgezeichnet worden. Die Kölner Zentrale für Coorganisation (CCG), ein Netzwerk der Konsumgüterwirtschaft zur Optimierung unternehmensübergreifender Geschäftsprozesse, hat ihm den Preis in der Kategorie „Unternehmerpersönlichkeit" verliehen.
Doch auch Mierdorfs Einser in Alignment gerät ins Wanken, als er zu einzelnen Fragen der sechs Disziplinen Stellung nimmt. Beispiel: Kennzahlen. Mierdorf hält nichts von zu vielen Prüfziffern: „Wie wollen Sie den Wertbeitrag eines Instruments messen, das im Geschäft unabdingbar gebraucht wird?“ In der Disziplin „Wertbeitrag/ Controlling“ erzielt er somit wie viele andere CIOs keine besonders guten Werte. In fast jedem vierten Unternehmen wird der Wertbeitrag der IT gar nicht gemessen – weder auf Basis von IT-Kennzahlen noch auf Basis von Geschäftskennzahlen. Nur jedes vierte Unternehmen misst auf Basis von IT-KPIs (Key Performance Indicators) mit kontinuierlicher Überprüfung. In fast jedem fünften Unternehmen sind keine Service-Level-Agreements vorhanden. Benchmarking wird größtenteils gar nicht (25 Prozent) oder nur selten und oberflächlich (28 Prozent) durchgeführt.
Selbst-Marketing fehlt
Noch immer fehle es auch an einem gesunden Selbst- Marketing. Nach dem Niedergang der NewEconomy und dem öffentlichkeitswirksamen Requiem „IT doesn’t matter“ wurde der Refrain von der lediglich prozessunterstützenden Rolle der IT so lange nachgesungen, bis es schließlich auch der Letzte glaubte und sich nahezu jeder CIO brav hauptsächlich Konsolidierungs- und Sparmaßnahmen verordnete. „Dabei befinden wir uns in einem Schweinezyklus. Mit der IT geht es wieder bergauf, höchste Zeit, dass die IT ihre Rolle als Impulsgeber und Innovator wieder entdeckt“, appelliert Müller. Noch immer werde der CIO vor allem jedoch als Dienstleister gesehen. Und daran ist vor allem einer schuld: der CIO selbst. Denn er sieht sich selbst genau so. Dabei idealisiert er den Status quo und bewegt sich damit im Spannungsfeld zwischen mangelndem Selbstbewusstein und Selbstüberschätzung.
Die verdrehte Selbstwahrnehmung folgt der schwindenden Bedeutung, die IT in Unternehmen zu haben scheint, oder trägt sogar zum Machtverlust bei: Lediglich jeder dritte CIO (31 Prozent) ist laut Umfrage letzte Entscheidungs- oder Genehmigungsinstanz in IT-Strategie Fragen, 29,5 Prozent setzen zumindest Vorgaben für Geschäftsziele, Direktiven, Standards und Budgets (siehe Schaubild Seite 28). Nur jedes zweite Unternehmen (53 Prozent) bezieht die IT überhaupt aktiv in ihren Planungsprozess mit ein (Schaubild S. 28). Mierdorf ist in diesem Punkt eine Ausnahme. „Die Zentrale gibt vor, die Anforderungen kommen aus den Vertriebsbereichen“, erläutert er. Im Steering Committee unter seiner Leitung sind die IT-Verantwortlichen der Vertriebslinien und Querschnittsgesellschaften vertreten. Schon längst habe sich die IT von der bloßen Support-Funktion zum unverzichtbaren Bestandteil des operativen Geschäfts entwickelt.
Plausibilitäts-Checks der Antworten in der Studie decken gravierende Verhaltensparadoxa auf: So erhalten die Teilnehmer aufgrund ihrer Aussagen in einem Ranking der genannten sechs Kriterien in der Kommunikation die Bestnote, schneiden aber bei den Kriterien „Projektpartnerschaft „und „Personal/Fähigkeiten“ deutlich schlechter ab. „Mal ganz salopp gesprochen könnte man daraus schließen, dass zwar viel geredet wird, aber nichts dabei ‘rüberkommt“, erläutert Lars Schwarze, Berater bei Deloitte im Bereich IT Strategy und Mit-Initiator der Studie. So sei eine „Zusammenarbeitskultur“ zwischen IT und Fachbereichen in den meisten Betrieben zwar vorhanden, die gemeinsame Initiierung eines neuen IT-Projektes aber vergleichsweise selten. Noch schlechter sieht es bei der Innovations- und Veränderungsbereitschaft der Mitarbeiter aus. Nur jeder Dritte bezeichnet sie als hoch, wobei die gleiche Fähigkeit bei den Mitarbeitern der Fachbereiche als noch schlechter eingeschätzt wird als von den eigenen.
Gute Noten im Fach Technik
Der Bereich Technologie liegt im Beurteilungs-Ranking nach der Kommunikation auf Platz zwei. Bei 73,5 Prozent der Befragten werden unternehmensweit Standards definiert – bei 44,7 Prozent werden diese auch umgesetzt. Als Business-Enabler versteht auch Mierdorf es, technische Spielereien von geschäftstreibenden Innovationen zu unterscheiden. „Für so etwas nehmen wir kein Geld in die Hand.“ Das Projekt „Future- Store“ in Rheinberg, „Supermarkt der Zukunft“, mit intelligenten Waagen, Regalen und Selbstbedienungskassen sei zwar ein Experimentierfeld, habe dem Konzern aber auch schon Nutzen gebracht. Seine Vision: „Der Kunde geht aus dem Laden und merkt gar nicht, dass wir schon von seinem Konto abbuchen.“ Im Zweifel stecke er das Geld aber lieber in Ausbau und Optimierung des laufenden Warenwirtschaftssystems. Mierdorf hat die Metro-Tochter MGI dieses System entwickeln lassen. Drei ranghohe Kritiker, die dereinst einer SAP-Retail-Lösung das Wort redeten, sollen das Unternehmen daraufhin verlassen haben.
Im guten Mittelfeld liegen CIOs nach unserer Umfrage auch im Bereich Governance. Knapp 55 Prozent haben eine zentrale Organisationsstruktur mit starker Koordination (31,8 Prozent) oder konsequente Koordination durch dezentrale IT-Einheiten (22,7 Prozent). Mehr als die Hälfte (51,5 Prozent) arbeiten vollständig oder teilweise mit Zero-Base Budgeting, bei dem das Budget sich immer wieder neu nach der Dringlichkeit und Priorisierung der Investitionen und Projekte ausrichtet, und/oder erarbeiten szenarioabhängige Budgets. Alle anderen schreiben ihre Budgets gegebenenfalls mit prozentualen Aufschlägen fort. 63,6 Prozent der ITEinheiten werden als Kostenstelle (35,6 Prozent) oder als Cost Center (28 Prozent) mit vollständiger pauschaler Verrechnung geführt. Immerhin 16,7 Prozent verrechnen ihre Services als Service Center zu Marktpreisen, und 15,1 Prozent sind als Profit oder Investment Center geführt.
Zwar ist die IT in den überwiegenden Fällen „irgendwie“ in die strategische Unternehmensplanung involviert, doch nur in 14,4 Prozent der Fälle ist die IT immer und frühzeitig einbezogen, gut 30 Prozent werden überwiegend und frühzeitig konsultiert. Doch jeder vierte CIO (25,8 Prozent) ist nur unregelmäßig involviert und mehr als jeder fünfte (22 Prozent) sogar nur selten und verspätet.
Gute Noten im Projektmanagement
Gute Noten erhalten die befragten CIOs allerdings bei der Frage nach der Abstimmung der IT-Projekte: Zu 70,5 Prozent werden sie unternehmensweit beziehungsweise auf Fachbereichsebene priorisiert. „Die Deutschen sind im Umgang mit Projekten inzwischen erfahren“, erläutert Schwarze. Schlechter schneiden die CIOs, wie bereits erwähnt, in der Disziplin „Projektpartnerschaft“ ab. So gibt es in knapp der Hälfte der Unternehmen (47 Prozent) lediglich vereinzelt IT-Mitarbeiter, die für ganz spezielle Anwendungen in den Fachbereichen zuständig sind. In mehr als jedem fünften Unternehmen (22 Prozent) gibt es gar keine IT-Mitarbeiter in den Fachbereichen. „Job-Rotation wäre in diesen Fällen eine gute Maßnahme, das Verständnis füreinander zu stärken und es nicht nur beim Reden zu belassen“, rät Müller. Doch viel zu selten werde diese simple Maßnahme eingesetzt. „Häufig werden IT-Projekte gemeinsam aufgesetzt,“ sagt Müller „man beginnt auch oft den strategischen Wertbeitrag zu messen, doch dann vergisst man es wieder. Das Projekt ist dann lediglich eine Aufgabe unter vielen, die es abzuarbeiten gilt.“
Führungsdilemma im Fach Personal
Im Bereich Personal/Fähigkeiten wird das Führungsdilemma offensichtlich (Note mangelhaft): Es fehlt an beiderseitig anerkannten Führungspersönlichkeiten. Nicht eimal 15 Prozent bezeichnen die Führungskultur in ihrem Unternehmen als offen. Drei Fleißsternchen für Mierdorf: „Sehr offen“ sei das Management der Metro. Bei der Führung helfen ihm zwei seiner herausragendsten Eigenschaften: Ausgeglichenheit und gute Laune (Mierdorf über Mierdorf). Der eigenwillige Charme des gebürtigen Frankfurters kommt an.
Erstaunliche Erkenntnis, schwacher Trost: Eine Umfrage von Deloitte zum gleichen Thema in den USA zeigte, dass die Amerikaner entgegen ihrer sonstigen Vorreiterrolle auch nicht viel weiter sind als die Europäer. Müller: „Gerade das Alignment hin zur Fachseite und damit zu geschäftsbeeinflussenden Lösungen ist dort genauso mangelhaft wie in Deutschland.“ Wer glaubt, Großkonzerne seien Mittelständlern beim Thema Alignment überlegen, liegt ziemlich weit daneben: Alignment-Laien und -Anfänger gibt es selbst in Unternehmen mit mehr als 500 Millionen Euro Jahresumsatz. Die Fähigkeit beziehungsweise die Unfähigkeit, seinen Laden auf Linie zu bringen, ist darüber hinaus über alle Branchen hinweg relativ gleichmäßig verteilt. Zwar schneiden Dienstleister sowie das Kredit- und Versicherungsgewerbe besser ab, das könnte aber auch daran liegen, dass die Bedeutung, die IT für das Unternehmen hat, dort generell größer ist. Es wurde nämlich eine auffällige Korrelation zwischen den Unternehmen festgestellt, bei denen IT eine große Rolle spielt oder sogar zum Kerngeschäft gehört. Unter ihnen sind deutlich mehr Alignment- Professionals.
Vor allem aber sollte der CIO seine Rolle im Unternehmen kritisch überdenken.
Müller: „Leider beschäftigt sich der CIO noch immer viel zu sehr mit sich selbst, also mit Rechenzentrumsbetrieb und internen Dienstleistungen.
Dabei vernachlässigt er seine Rolle als Impulsgeber.“