Der schulische Werdegang von Jens Giehl (30) ist fast bilderbuchhaft. Als Hauptschüler schaffte er es über die Berufsfachschule und höhere Berufsfachschule bis zum Fachabitur. Dann kam der Bruch: die Exmatrikulation aus seinem Studium der Wirtschaftsinformatik. "Ich war jung, daheim ausgezogen und ließ mich leicht vom Lernen ablenken, beispielsweise durch einen gut bezahlten IT-Nebenjob." Giehl blieb der Informatik treu und absolvierte eine Ausbildung zum Fachinformatiker.
Nach dem Abschluss wechselte er zu einem Softwareunternehmen im Rhein-Main-Gebiet, wo er als Softwareentwickler arbeitete, und schrieb sich kurz darauf an der Hochschule Darmstadt für den berufsbegleitenden Bachelor-Studiengang Informatik ein. "Bei mir hat es etwas später Klick gemacht, bis ich endlich wusste: Um am Arbeitsmarkt bestehen zu können, muss man etwas tun." Vom Wintersemester 2011/12 an studierte er an einem oder zwei Abenden in der Woche sowie samstags.
Firma unterstützt Lernwillige
Vom Studium verspricht sich Giehl bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und ein höheres Gehalt. Seine Bachelor-Arbeit hat er abgegeben und auch schon mit einem berufsbegleitenden Master-Studium in Informatik, ebenfalls an der Hochschule Darmstadt, angefangen. "Jetzt im Master-Studium ist das Niveau gestiegen und damit auch die zeitliche Belastung fürs Lernen." Mit seinem Arbeitgeber hatte er seine Studieninteressen abgesprochen und die Zusage bekommen, an den Vorlesungstagen rechtzeitig Feierabend machen zu können. Das Unternehmen unterstützt Giehl auch finanziell: Es übernimmt die Hälfte der Studienkosten. "Dafür habe ich mich verpflichtet, in den ersten beiden Jahren nach dem Studienabschluss nicht zu kündigen."
Seit Sommersemester 2007 bietet die Hochschule Darmstadt einen berufsbegleitenden Studiengang in Informatik an. Damals noch mit dem Diplomabschluss, inzwischen als Bachelor- und Master-Studiengänge. Die Ausbildung richtet sich nach den Richtlinien der Partnerhochschule, des Conservatoire National des Arts et Métiers in Paris. Das ist eine Universität ausschließlich für Berufstätige mit der Besonderheit, dass Berufsausbildung und Berufserfahrung anerkannt werden. "Das verkürzt die Studiendauer, die bei berufsbegleitenden Studiengängen typischerweise höher ist als die von Vollzeitstudenten", berichtet Inge Schestag. Sie ist Informatikprofessorin an der Hochschule Darmstadt und Studiengangskoordinatorin der beiden berufsbegleitenden Informatikstudiengänge. Giehl brauchte für seinen Bachelor-Abschluss vier Semester.
Neue Berufsperspektiven
Ulrike Vater (31) hat gleich nach dem Abitur eine Ausbildung als Fachinformatikerin angefangen. Schon im zweiten Ausbildungsjahr begann sie begleitend mit dem Besuch der Hochschule Darmstadt. "Mein Ausbildungsleiter war mit den Inhalten, die an der Berufsschule vermittelt wurden, nicht zufrieden und hat mich zur Weiterbildung an die Hochschule geschickt", berichtet Vater. Alle Kurse werden dort zunächst als Weiterbildung gebucht. Die Teilnehmer sammeln für jeden Kurs Punkte und können sich auch später für ein Studium entscheiden. Vater belegte verschiedene Kurse, wechselte nach der Ausbildung den Arbeitgeber und blieb der Hochschule treu. Vor zwei Jahren machte sie ihren Bachelor in Informatik. Zurzeit sitzt sie an ihrer Master-Arbeit.
Seit zwölf Jahren lernt Vater an der Hochschule Darmstadt: "Ich habe das Studium entzerrt. Ein Stress-Studium mit mehreren Vorlesungen pro Woche war für mich nicht möglich." Zwischendurch hat sie auch ein Jahr ausgesetzt. Im Mai 2014 wird sie ihre Ausbildung abgeschlossen haben: "Der Studienabschluss eröffnet mir viele Chancen, die ich vorher nicht hatte." Unterstützung von ihren Arbeitgebern erhielt Vater auf unterschiedliche Art und Weise: teilweise finanziell, häufig in Form flexibler Arbeitszeit und Freizeit für Vorlesungen und Prüfungen.
Knapp über 100 Studenten haben ihr berufsbegleitendes Informatikstudium in Darmstadt abgeschlossen. Drei Viertel der Absolventen haben einen Bachelor-, ein Viertel einen Master-Abschluss. "Von denjenigen, die von Anfang an vorhaben, zu studieren, schafft es fast jeder", sagt Professorin Schestag.
Die Erfolgsquote liegt bei über 90 Prozent und damit über der von Vollzeitstudenten. "Die berufsbegleitenden Studenten wissen ganz genau, was sie wollen. Sie informieren sich gründlich, opfern ihre Freizeit und zahlen für ihre akademische Weiterbildung", kommentiert Schestag.
Zuerst abhängig, dann selbständig
Frank Pauxberger (39) erntet bereits die Früchte seines berufsbegleitenden Informatikstudiums in Darmstadt - mit dem er sich auch persönlich rehabilitiert hat. Nach dem Abitur machte er eine Lehre zum Bankkaufmann, schrieb sich danach für ein Studium in Betriebswirtschaftslehre ein. Das brach er nach zwei Semestern ab: "Das rein Kaufmännische war einfach nichts für mich." Aber die Informatik. Die hatte er sich zunächst selbst beigebracht. Und weil die IT-Branche im Internet-Rausch um das Jahr 2000 herum mangels ausgebildeter Fachleute viele Quereinsteiger einstellte, fand auch Pauxberger einen Job. Acht Jahre lang arbeitete er als System- und Netzadministrator in mittelständischen IT- und TK-Betrieben.
Von 2002 bis 2010 studierte er mit Bachelor- und Master-Abschluss. Dann wechselte er in ein weltweit tätiges IT-Unternehmen als Berater, im März 2013 machte er sich selbständig als Unternehmensberater für IT-Strategie und Technologie. Seit etwa eineinhalb Jahren ist Pauxberger bei der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main Systemintegrator und Projekt-Manager - zunächst als Angestellter seines damaligen Arbeitgebers, jetzt in Eigenregie.
"Erst der Stellenwechsel als Master-Informatiker hat mein Einkommen erhöht. Meinem vorherigen Arbeitgeber brachte der Abschluss keinen Mehrwert." Seinen Einsatz während der Studienzeit beschreibt er als "immens". Urlaub, Freizeit hatte er gestrichen. "Das war eine aufopferungsvolle Zeit für mich und alle mir nahestehenden Personen." Selbständig hat er sich gemacht, um seine Ideen zu verwirklichen und in dem Wissen, gut qualifiziert zu sein.
"Leute mit Berufserfahrung sind uns wichtig"
Informatikprofessorin Inge Schestag von der Hochschule Darmstadt erläutert, was ein berufsbegleitendes Informatikstudium* kosten kann und welche Voraussetzungen Bewerber mitbringen müssen.
Welche Kriterien müssen die Studenten für eine Zulassung zum Studium erfüllen?
Inge Schestag: Keine! Das war auch der Grund, warum wir die Kooperation mit der französischen Hochschule eingegangen sind. Seit 2008 ist auch in Deutschland ein Studium ohne Abitur möglich, Leute mit Berufsausbildung und -erfahrung sind für uns eine wichtige Zielgruppe. Alle Kurse werden zunächst als Weiterbildung gebucht. Die Teilnehmer sammeln Credits und können sich zu jedem beliebigen Zeitpunkt ihrer Weiterbildung für ein Studium entscheiden.
Was kostet das Bachelor-, was das Master-Studium?
Inge Schestag: Für ihr Bachelor-Studium zahlen Absolventen auf Basis der aktuell gültigen Gebühren rund 9500 Euro, für den Master-Abschluss kommen noch rund 5000 dazu.
Und wie lange dauert ein Studium in beiden Fällen?
Inge Schestag: Zwei Drittel unserer Studenten haben eine Ausbildung in einem IT-Beruf und damit eine verkürzte Studiendauer: Sie können ihr Bachelor-Studium in vier Semestern schaffen. Manche brauchen eines länger, weil sie in Mathematik Nachholbedarf haben. Die Mathematik wird in der Fachinformatiker-Ausbildung leider stiefmütterlich behandelt. Wer keinen Ausbildungsberuf hat, braucht drei Jahre länger. Der finanzielle und zeitliche Aufwand ist in diesen Fällen deutlich höher. Für den Master-Abschluss benötigen die Studenten fünf bis sechs Semester. Die Hälfte davon ist eine berufsintegrierte Master-Arbeit, die im Unternehmen erstellt wird.
*Die Hochschule Darmstadt bietet berufsbegleitende Informatikstudiengänge mit Bachelor- und Master-Abschluss in Kooperation mit einer französischen Hochschule. Beide Studien beginnen als Fortbildung und können mit einem akademischen Titel enden. Eine abgeschlossene IT-Berufsausbildung verkürzt die Studiendauer. Inge Schestag, Professorin für Informatik, koordiniert die berufsbegleitenden Studiengänge.