"Ich arbeite nun mal gern"

August-Wilhelm Scheer wird 75

27.07.2016 von Christiane Pütter
CIOs stehen vor der Chance ihres Lebens. Nun müssen sie auch liefern, appelliert Professor Scheer. Von deutschen Unternehmen wünscht er sich mehr Ausgründungen. Eine Bestandsaufnahme zum 75. Geburtstag des Unternehmers, Wissenschaftlers und Jazz-Musikers.
  • Für CIOs und IT-Branche gibt es heute so viele Chancen wie selten zuvor
  • Unternehmen sollten Startups nicht nur mit Geld, sondern auch mit Netzwerken und Wissen fördern
  • Als er 1984 IDS Scheer Spin-off gründete, feindeten ihn Professoren-Kollegen an
  • Mit verschiedenen Jazz-Combos spielt Scheer bis zu 40 Konzerte pro Jahr
August-Wilhelm Scheer ist Hochschulprofessor, Unternehmer und Musiker. Am 27. Juli wird er 75 Jahre alt.
Foto: Scheer GmbH

"Dass so viele tiefgreifende Veränderungen zur gleichen Zeit entstehen, habe ich noch nie erlebt." So charakterisiert August-Wilhelm Scheer die jetzige IT-Welt. Am 27. Juli wird der Professor und Unternehmer 75 Jahre alt. In seiner Bestandsaufnahme schwingen weder Resignation mit noch Müdigkeit. Ganz im Gegenteil: "CIOs stehen vor der Chance ihres Lebens", sagt Scheer.

Zeit der Tiefstapelei ist für CIOs vorbei

Welche Produkte oder Dienste wird ein Unternehmen in drei Jahren anbieten, wo entsteht neue Konkurrenz? In Zeiten der Digitalisierung kann nur der CIO solche Fragen beantworten. "Das ist es doch, was wir uns immer gewünscht haben", kommentiert Scheer, "die wachsende strategische Bedeutung der IT ruft den CIO in den Vorstand." Jahrelang hätten IT-Entscheider tief gestapelt. Nun müssten sie liefern.

Das können sie auch, ist der 75-Jährige überzeugt. Voraussetzung ist der enge Schulterschluss von IT und Fachabteilungen. Der CIO muss seine Rolle als Vermittler begreifen und zweisprachig agieren.

Scheers Rat: Ruhe bewahren

Scheers Rat an IT-Entscheider ist handfest: Ruhe bewahren. Kein Berater, kein Experte wird CIOs sagen können, welche Trends dauerhaft wirken und welche verpuffen. "Wo es hingeht, weiß keiner, da muss man sich schon selbst Gedanken machen", schmunzelt er. Der 75-Jährige selbst findet die Balance zwischen Aufmerksamkeit und Ruhe durch Sport - Radfahren, Laufen - und natürlich Musik.

Der Bariton-Saxofonist spielt mit verschiedenen Jazz-Combos rund 40 Konzerte pro Jahr. Mit seiner 2001 gegründeten Stiftung für Wissenschaft und Kunst finanziert er eine Professur an der Musikhochschule für Saar. Teamplayer sein und als Solist eigene Akzente setzen, konzentriert arbeiten und spontan improvisieren - das seien Qualitäten, die CIOs vom Jazz lernen können, sagt Scheer.

"Beim Ministerium denunziert"

Mehr Akzente und Unternehmergeist wünscht er sich auch bei Startup-Gründungen. "Ich sehe eine Richtungsänderung zum Besseren", sagt er. 1984, als er IDS Scheer gründete, war das noch anders. Sein Unternehmen entstand als Spin-off des Instituts für Wirtschaftsinformatik der Universität des Saarlandes. Ein Gründer an der Hochschule? "Meine Kollegen haben mich angefeindet", erinnert sich Scheer. "Manche haben mich beim Ministerium denunziert, man solle mir doch mal auf die Finger gucken, ob das alles mit rechten Dingen zugeht." Heute sind Universitäten stolz auf ihre Ausgründungen.

Konzerne sollen Ausgründungen fördern

Ausgründungen wünscht er sich auch von Konzernen wie Siemens oder Bosch. Siemens beschäftigt mehr IT-Entwickler als SAP, vermutet Scheer. Er plädiert dafür, dass diese Entwickler auch für andere Unternehmen tätig werden. "Das ist eine sehr starke Ressource. Wir müssen sehen, dass sie auch auf den Markt kommt." Denn Deutschland schwächelt auf der Angebotsseite, sagt Scheer. Er will nicht, dass die Unternehmen hierzulande bloß als Implementierer ausländischer Technologie agieren. Solche Ausgründungen könnten internationale Strahlkraft entwickeln.

Unternehmen wie Siemens, die vermutlich mehr IT-Entwickler beschäftigen als SAP, sollten ausgründen, fordert Scheer.
Foto: Scheer Group

"SAP hat's ja auch geschafft", sagt Scheer, "die Chancen in dieser Branche gibt es doch nirgendwo sonst." Auch der Blick auf die Startups in Berlin und München sei ermutigend. Geht es um die politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen, zeigt sich der 75-Jährige allerdings weniger optimistisch. Seit zehn Jahren ist er bei jedem IT-Gipfel dabei. "Ich versuche, an die Politik zu adressieren, dass man nicht so kurzfristig denken darf", erklärt er.

Verbote halten neue Geschäftsmodelle nicht auf

Konkret meint er damit die Abwehrhaltung gegenüber Firmen wie AirBnB und Uber. Zwar könnten solche Regelungen die neuen Businessmodelle verhindern und alte schützen - einen Moment lang. "Aber langfristig hilft das doch nichts. Die neuen Geschäftsmodelle kriegt man nicht tot", sagt Scheer. Seine Warnung an den Gesetzgeber: Wer rückwärts kämpft, verhindert, dass die Innovation in Deutschland entsteht.

Der Unternehmer und Wissenschaftler hat sich immer auch politisch engagiert.
Foto: Scheer Group GmbH

Aber auch in dieser Hinsicht setzt ein Umdenken ein, beobachtet der engagierte Unternehmer, dessen Arbeit in der Scheer Group noch immer seinen Alltag prägt. "CIOs fühlen sich immer mehr als Gestalter", erkennt er an. Politikseitig wäre schon etwas gewonnen, wenn das Thema IT bei einem Ministerium läge statt verteilt auf drei. Und wenn es in der EU ein ähnlich homogenes Rechtssystem gäbe wie in den USA.

Silicon Valley fördert mit Netzwerken und Know-how

Stichwort USA: Speziell am Silicon Valley gefällt ihm, dass nicht nur in die Entwicklung von Ideen investiert wird, sondern auch in deren Umsetzung. "Da geben die Unternehmen nicht nur ihr Geld, sondern auch ihre Netzwerke und ihr Know-how", sagt Scheer. "So vererbt sich der Erfolg. Diesen Mechanismus haben die drauf." Eine Mentalität, die er bewundert.

"Aber ich arbeite nun mal gern!"

Seine eigene Mentalität sieht der gebürtige Westfale aus Lübbecke vom protestantischen Arbeitsethos geprägt. Und so wird er auch seinen 75. nicht mit Glanz und Glamour feiern, doch ganz ohne auch nicht: Wegbegleiter und frühere Studenten, darunter der Wirtschaftsinformatiker Helmut Krcmar von der Technischen Universität München, richten ihm am 30. Juli einen Festakt an der Uni Saarbrücken aus. "Manchmal beneide ich meine Bekannten, die sich nur noch auf den Salzburger Festspielen tummeln", gibt Scheer zu. Um gleich anzufügen: "Aber ich arbeite nun mal gern!"

Am 27. Juli wird August-Wilhelm Scheer 75 Jahre alt. Vier Dinge prägen sein Leben:

Wissenschaft

Scheer promovierte 1972 an der Universität Hamburg über "Kosten- und kapazitätsorientierte Ersatzpolitik bei stochastisch ausfallenden Produktionsanlagen". Rund zwei Jahre später habilitierte er sich. Er hat mehrere 1.000 Studierende ausgebildet, darunter führende deutsche Wirtschaftsinformatiker wie Jörg Becker, Helmut Krcmar, Peter Loos und Oliver Thomas.

Wirtschaft

1984 gründete er IDS Scheer, ein Beratungshaus mit Schwerpunkt Geschäftsprozessmanagement und SAP, als Spin-off des Instituts für Wirtschaftsinformatik der Universität des Saarlandes. Das Unternehmen gliederte sich ursprünglich in die Geschäftsbereiche ARIS-Produkte, Beratung und externe Produkte. Das Unternehmen ging im März 2015 in die Scheer GmbH ein.

Politik

Der damalige saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) hätte Scheer 1999 gern als Wirtschaftsminister gesehen. Scheer engagierte sich immer politisch, auch in seiner Zeit als Präsident des Branchenverbands Bitkom von 2007 bis 2011.

Musik

Scheer spielt Bariton-Saxofon und steht mit verschiedenen Jazz-Combos bis zu 40 Mal pro Jahr auf der Bühne. Er jazzt mit internationalen Größen wie Randy Brecker. Die 2001 gegründete August-Wilhelm-Scheer-Stiftung für Wissenschaft und Kunst finanziert eine Professur für Jazz an der Hochschule für Musik Saar.