Obwohl Lars Gronewald erst 36 ist, kann er bereits auf eine abenteuerliche Karriere zurückblicken: Er ist seit sieben Jahren berufstätig - und war in dieser Zeit bei sechs Arbeitgebern unter Vertrag. Nach einem Aufbaustudium fand der Elektrotechniker 1995 seine erste Anstellung: Für eine kleine Software-Firma entwickelte Gronewald damals eine Tourenplanungslösung. Das Projekt war zeitlich befristet, nach eineinhalb Jahren musste er wieder gehen. Doch 1997 war es leicht, IT-Jobs zu finden. Bei seinem neuen Arbeitgeber, einem mittelgroßen Dienstleister, sollte eine Abteilung für Web-basierte Unternehmenslösungen entstehen; das hatte man ihm zumindest bei der Einstellung so erklärt. Die Wirklichkeit sah anders aus. "Ich habe vier Monate lang HTML-Seiten programmiert und darüber hinaus absolut nichts dazugelernt", erinnert sich Gronewald. Sein Urteil: "Die Entscheidungen wurden von Leuten getroffen, die keine Ahnung hatten."
Projekte ohne Perspektive
Mit dem nächsten Job hatte er auch nicht viel mehr Glück: Ein großer Verband wollte mit ihm den Aufbruch ins Internet-Zeitalter schaffen. "Nach einem halben Jahr war meine erste Entwicklung fertig; alle fanden es super. Und dann sagte der Chef, in zwei bis drei Jahren werde man wohl so weit sein, diese Lösung einzuführen." Gronewald kündigte und heuerte beim outgesourcten IT-Dienstleister eines großen Konzerns an. Er landete bei einem Projekt, "das schon fünf Jahre lief und bei dem kein Ende in Sicht war. Zu lernen gab es da gar nichts." Nach drei Monaten reichte es ihm; er wurde Berater bei einem Systemhaus. Der Job gefiel ihm immerhin so gut, dass er zwei Jahre blieb. Dann zog ihn das Geld von Aachen nach München zu jenem Software-Unternehmen, für das er jetzt seit zweieinhalb Jahren arbeitet.
Jobhopper Gronewald ist kein Einzelfall: Wie eine nicht repräsentative Umfrage des Personalberaters Rarecompany ergab, beklagt mehr als die Hälfte der deutschen IT-Worker schon nach etwa einem Monat ein deutliches Missverhältnis zwischen dem vereinbarten Tätigkeits- und Verantwortungsbereich und dem tatsächlichen Arbeitsalltag. Das führe bei über einem Drittel der Befragten schon im ersten Vierteljahr zu gründlicher Enttäuschung.
Wer nach den Ursachen fragt, bekommt häufig dieselben Antworten. "Techniker beklagen generell, dass ihre Leistung zu wenig anerkannt wird", so Sven Kolthof, Partner und Mitgründer von Rarecompany. Konkret: Die Entwickler sind zwar selten die Helden, wenn es Erfolge zu feiern gibt. Dafür werden sie im umgekehrten Fall in die Zange genommen. "Da heißt es dann gern: Das funktioniert alles nicht. Was habt ihr denn für einen Mist zusammengeschraubt?", so Roger von Obricht, der als SAP-Berater schon oft diese Erfahrung gemacht hat. "Bei Problemen wird statt einer Lösung häufig erst mal ein Schuldiger gesucht." Als Ursache beklagt von Obricht ebenso wie Gronewald vor allem die Ignoranz technisch unbedarfter Chefs. Dieter Pfaff, CIO der RAG Aktiengesellschaft, sieht die Zusammenhänge anders: "Technischer Sachverstand hilft, ist aber nicht die Lösung. Das Entscheidende bleibt, einerseits den Technikern die Erwartung des Kunden an die Lösung zu vermitteln und andererseits bei der Frage der Erfüllbarkeit dieser Erwartungen genau auf die Techniker zu hören." Um beides zu erreichen, sei es allerdings der falsche Weg, Technikexperten um jeden Preis in Managementpositionen zu hieven. Am besten wäre es, findet auch Gronewald, wenn mehr ausgebildete Business-Manager zugleich technisch versiert wären. Seine Beobachtung: "Wo die Chefs technisch fit sind, da läuft der Laden."
Eine zweite, noch häufiger angeführte Quelle der Unzufriedenheit unter IT-Profis ist die generelle Führungsschwäche ihrer Bosse. Die wiesen nämlich nicht selten Defizite im zwischenmenschlichen Bereich auf, wie Rarecompany-Chef Kolthof meint. Vieles laufe hinter dem Rücken derjenigen ab, die es betrifft: "Wenn ich jemanden in die Entscheidung einbinde, mache ich ihn vom Angestellten zum Gefährten, und die Umsetzung von Beschlüssen wird für alle leichter. Doch es fehlt an der Fähigkeit zu offener Kommunikation."
Chefs ohne Führungserfahrung
Was den Chefs heute vorgeworfen wird, hätte noch vor ein, zwei Jahren auch den Mitarbeitern passieren können. Nach Überzeugung von Rika Oshiro von der Personalberatungsfirma Wrightson Deutschland sind nämlich während der IT-Boomjahre viel zu viele Anfänger mit zu wenig Erfahrung zu schnell die Karriereleiter hinaufgeklettert. "Es gibt Kandidaten, die sind vom Telefonverkäufer über den Vertriebsleiter zum Geschäftsführer befördert worden - und das in zwei Jahren. Viele von denen haben heute natürlich Probleme damit, ein Unternehmen zu führen."
Andere Frustquellen entspringen nicht dem zurückliegenden Boom, sondern der aktuellen Krise: "Da verspricht man den Leuten den Aufbau einer IT-Abteilung unter ihrer Führung", so Rarecompany-Mann Kolthof, "und kurz danach schickt man sie jeden Tag zum Kunden, weil Umsatz her muss." Diesen Druck spürt auch Gronewald in seinem Software-Job: "Die Vertriebsleute verkaufen um jeden Preis, auch wenn die Projekte planerisch oft Schrott sind. Wir müssen das dann technisch umsetzen und kriegen natürlich den Druck ab. Neulich haben die ein Projekt mit einem festen Satz von 2200 Stunden verkauft. Völlig unrealistisch: Es wird 4000 Mannstunden dauern, das wissen wir jetzt schon. Am Ende werden wir es aber sein, die sich dafür rechtfertigen müssen."
"Wer vom Vertrieb den maßgeschneiderten Kunden fordert, der wird überhaupt keine Kunden bekommen. Allerdings tritt in Zeiten des Umsatzrückgangs die Frage, ob man sich einen Kunden leisten kann, oft gefährlich in den Hintergrund", warnt RAG-Mann Pfaff.
Wer diese Frage vernachlässigt, für den fallen meist noch massenhaft Überstunden an. Wenn ein Festpreisprojekt mit einer viel zu geringen Anzahl von Tagen kalkuliert wird, müssen diese Tage eben 16 Stunden dauern, um mit dem Auftrag im Soll zu bleiben.