Autobauer müssen zu Techunternehmen werden – das ist den Verantwortlichen von BMW, Mercedes, VW und Co. schon seit längerem klar. Spätestens die Erfolge des Konkurrenten Tesla haben die alteingesessenen Fahrzeugbauer spüren lassen, dass es um mehr geht als röhrende Sechszylinder und Spaltmaße. Nicht nur der E-Antrieb, sondern auch ganz neue Aspekte wie der Aufbau von Plattform-Ökosystemen sowie digitale datenbasierte Services stellen die seit Jahrzehnten fest mit der Autobranche verschweißten Paradigmen infrage.
Während der Umbau in Richtung Elektromobilität längst angelaufen ist, tun sich die Autobauer an anderer Stelle deutlich schwerer. Die Digitalisierung greift tief in eingeschliffene Strukturen ein. Hier geht es neben mehr Effizienz in Produktion und Lieferketten auch um die Kundenschnittstelle und ganz neue Services und Geschäftsmodelle.
Bei Volkswagen weiß man ein Lied davon zu singen. Seit Jahren basteln die Wolfsburger an ihrer Digitalstrategie. Immer wieder wurden ambitionierte Ziele verkündet. Rückschläge blieben nicht aus. 2020 hatte VW angekündigt, ein eigenes Betriebssystem (VW.OS) für seine Fahrzeugflotte entwickeln zu wollen. 60 Prozent der Software wollte der Konzern selbst programmieren. Software werde das Herz-Kreislauf-System eines Autos sein, propagierte der damalige VW-Chef Herbert Diess. Für die Wolfsburger ging es vor allem darum, die Kontrolle über die Wertschöpfung durch Daten zu behalten und innovative Entwicklungen zu beschleunigen.
Doch daraus wurde erst einmal nichts. Im Sommer 2020 verpatzte VW hat seinen Softwarestart gründlich. Personelle Querelen und Machtspielchen zwischen den verschiedenen Marken im Konzern würgten den Motor der "Car.Software.Org" schon nach wenigen Wochen wieder ab. Mit Cariad etablierte der Konzern eine neue Softwaretochter, die die Entwicklungsaktivitäten in die Spur setzen sollte. Diess kündigte Milliardeninvestitionen und Akquisitionen an. Neben dem VW-eigenen Betriebssystem sollte Cariad auch an Fahrassistenzsystemen und Software für das autonome Fahren arbeiten.
Kontrollwahn kostete Diess den Job
An seinem Credo, alle Entwicklungen unter eigener Kontrolle zu behalten, hielt Diess fest. Im vergangenen Jahr überlegte der Manager sogar, das Design von Chips selbst in die Hand zu nehmen. Cariad müsse eigene Fähigkeiten bei der Entwicklung von Prozessoren aufbauen, sagte der Manager im April 2021. Schließlich hätten Firmen wie Apple und Tesla viel eigenes Know-how bei Halbleitern. Um die optimale Digitalleistung aus einem Auto herauszuholen, müssten Software und Hardware aus einem Guss sein.
Doch die Rechnung ging nicht auf. Immer wieder sorgten neue Nachrichten über Verspätungen und höhere Kosten für Unruhen im Konzern. Im Mai dieses Jahres berichtete das "Manager Magazin" mit Bezug auf McKinsey, dass die Probleme in der Entwicklung VW in den kommenden Jahren Milliarden Euro kosten könnten, weil bestimmte Modelle wegen fehlender Software nicht rechtzeitig fertig würden. Auch die Kosten der hauseigenen Softwareproduktion würden regelrecht explodieren, hieß es in dem Bericht der Managementberatung.
Der Druck auf Diess wurde immer größer. Der Umbau vom Automobil- zum Tech- und Softwarekonzern, den der Vorstandsvorsitzende zur Chefsache erklärt hatte, geriet stark in die Kritik und sorgte für Diskussionen auch im Aufsichtsgremium. Der Konzernchef bat um Geduld. Der Aufbau des Softwaregeschäfts brauche mehr Zeit als zunächst geplant. "Es ist nicht nur die Software selbst. Es ist auch die gesamte Software-Architektur als Schlüsselbaustein für vieles andere darum herum", sagte er Anfang Juni dieses Jahres.
Cariad müsse sich zusätzlich mit vielen Themen befassen, wie etwa die Integration von Steuergeräten sowie die Anbindung an die Cloud. Dazu kämen bald die Kommunikation zwischen den Autos und mit der Verkehrsinfrastruktur, wolle man beim autonomen Fahren vorankommen. Das sei die schwierigste Aufgabe. "Wir versuchen, um das Auto herum diese Funktionen zu verstehen und mit abzubilden."
Doch zuletzt wurde der Druck zu groß. Anfang September 2022 musste Diess gehen und Oliver Blume, bis dahin Vorstandsvorsitzender der Porsche AG, wurde zum neuen Konzernchef von Volkswagen ernannt. Die Probleme in der Softwaresparte, die Diess bis zum Schluss nicht in den Griff bekam, dürften mit ausschlaggebend für sein Aus in Wolfsburg gewesen sein. Blume kassierte dann sofort zu Beginn die ambitionierten Pläne seines Vorgängers. Das Ziel, 60 Prozent des Codes für das eigene Betriebssystem VW.OS selbst zu entwickeln, werde verfehlt, räumte der Manager laut einem Bericht des "Handelsblatt" ein.
Neuer VW-Chef offen für Kooperationen
Blume revidierte auch gleich den Plan, alles in eigener Regie entwickeln zu wollen. Neben einer bereits laufenden Kooperation mit Bosch für die Entwicklung von Fahrassistenzsystemen will VW in Sachen Softwareentwicklung künftig enger mit der Continental-Tochter Elektrobit zusammenarbeiten. Continental soll die Programmierung von Middleware übernehmen, um die verschiedenen Hard- und Softwarekomponenten im Auto miteinander zu verbinden und so für einen reibungslosen Datenaustausch zu sorgen.
Mitte Oktober gab es Berichte, wonach Cariad zudem mit dem chinesischen Unternehmen Horizon Robotics zusammenarbeiten werde, einem Spezialisten für KI und autonomes Fahren. Zwei Milliarden Euro will VW dem Manager Magazin zufolge in den Aufbau eines Gemeinschaftsunternehmens stecken. Die Chinesen sind ebenso Partner von Continental. Die Hannoveraner hatten im vergangenen Jahr die Gründung eines Joint Ventures mit Horizon Robotics bekanntgegeben. Branchenbeobachter gehen davon aus, dass sich Cariad und damit Volkswagen künftig stärker für Partnerschaften und die Zuarbeit von Dritten öffnet.
Auch an anderer Stelle wird diese Öffnung sichtbarer. Neben Bosch und Qualcomm holten die Wolfsburger kürzlich ST Microelectronics (STM) ins Boot, um eine offene Flanke bei der Hardware zu schließen. Der Halbleiterhersteller soll gemeinsam mit Cariad Chips und System-on-Chip(SoC)-Module für die Elektronik künftiger Fahrzeuggenerationen entwickeln. Ziel der Kooperation sind aufeinander abgestimmte Soft- und Hardware für Konnektivität, Energiemanagement und Over-the-Air-Updates, hieß es in einer Mitteilung von Cariad. Herstellen soll die Chips der taiwanische Auftragsfertiger TSMC.
"Das SoC, das wir entwerfen, wird optimal auf unsere Software abgestimmt sein", erklärte Cariad-CEO Dirk Hilgenberg. "Der Einsatz einer einzigen optimierten Architektur in allen Volkswagen-Steuergeräten wird uns einen enormen Schub für die effiziente Entwicklung unserer Softwareplattform geben." Alle Steuergeräte – vom Mikrocontroller bis zum SoC – sollen in Zukunft auf einer gemeinsamen Basissoftware laufen.
Fehlertoleranz ist ausgereizt
Trotz der bisherigen Probleme scheint VW-Chef Blume Cariad und dessen CEO Hilgenberg die Stange zu halten. Auf einem Tech-Summit der VW-Tochter am 19. Oktober 2022 sagte er: "Cariad ist für mich von großer Bedeutung! Sie haben meine volle Unterstützung." Gleichzeitig machte der neue starke Mann in Wolfsburg allerdings auch klar, dass er weitere Verzögerungen und Fehler nicht dulden werde. "Jetzt müssen wir liefern. Bei der Entwicklung von Software dreht sich alles um Geschwindigkeit." Blume ließ durchblicken, dass sich organisatorisch einiges ändern könnte. "Schnelligkeit kommt mit klaren Zuständigkeiten, klaren Schnittstellen zu den Marken und klaren Verantwortlichkeiten. Wir haben jetzt eine gute Gelegenheit, Cariad auf unserem Weg nach vorne neu zu gestalten."
Wie das genau aussehen wird, ist noch nicht klar. VW überarbeitet wohl wieder einmal seine Softwarestrategie. Mitte Dezember 2022 kündigte Blume für Cariad an, die Kernkompetenzen schärfen, die Integration der Software in die Produkte der Marken überarbeiten und sich für die Kooperation mit Partnern öffnen zu wollen. Man könne nicht alles selbst machen, so der VW-Chef. Wenn es gute Lösungen am Markt gebe, dann müsse man dies nicht noch ein mal selbst entwickeln. Grundsätzlich sollen die Bereiche Software und Plattformen in Bezug auf die inhaltlichen Profile, Technik, Timing und Produktzugehörigkeit neu geordnet werden.
VW baut Automotive Cloud
Die Cloud dürfte dabei gesetzt sein. Funktionen für die kommende Fahrzeugplattform sollen über die Volkswagen Automotive Cloud (VW.AC) angeboten werden. Im September 2022 haben die Wolfsburger ihre Pläne dafür konkretisiert. Bis 2025 soll die VW.AC stehen. Dann sollen via Cloud Apps, Funktionen und Updates über die angeschlossenen Fahrzeuge verteilt werden.
Kunden sollen so ihre Fahrzeuge über den gesamten Lebenszyklus hinweg an ihre individuellen Anforderungen und Wünsche anpassen können. Das reicht von Einstellungen für die Klimaanlage über Remote-Start-Funktionen und Zugangs-Security bis hin zu Karaoke-Apps. Bis dato mussten solche Features separat für die verschiedenen Fahrzeugplattformen entwickelt und angepasst werden. Auf Basis der Cloud-Plattform und entsprechend darauf abgestimmter Soft- und Hardware im Auto könnten solche Features in Zukunft schneller und effizienter entwickelt und ausgerollt werden, so die Hoffnung der VW-Verantwortlichen.
In Sachen VW.AC arbeitet der deutsche Autobauer mit Microsoft und dessen Azure-Cloud zusammen – und das bereits seit 2018. VWs Cloud-Team sitzt in Redmond, in der Nähe von Seattle, nur wenige Kilometer entfernt vom Hauptquartier von Microsoft im US-Bundesstaat Washington. Im Februar 2021 hatten beide Partner beispielsweise angekündigt, eine cloudbasierte Automated Driving Platform (ADP) aufzubauen, die Microsoft Azure Cloud- und Datendienste nutzt. Mit der ADP auf Basis von Azure will VW Fahrerassistenzsysteme und automatisierte Fahrfunktionen im Pkw für alle Marken des Volkswagen Konzerns effizienter entwickeln, hieß es damals. Man arbeite im Rahmen einer strategischen Partnerschaft gemeinsam an der Volkswagen Automotive Cloud, die künftig alle digitalen Dienste und Mobilitätsangebote von Volkswagen umfassen werde.
Mit AWS zur Volkswagen Industrial Cloud
Doch im Rahmen der Digitalisierung sind bei VW auch andere Cloud-Hyperscaler mit an Bord. Mit Amazon Web Services (AWS) haben die Niedersachsen im Frühjahr 2019 eine globale, auf mehrere Jahre angelegte Partnerschaft vereinbart, um die "Volkswagen Industrial Cloud" auf Basis der Amazon-Infrastruktur aus der Taufe zu heben. In dieser digitalen Produktionsplattform sollen künftig die Daten aller Maschinen, Anlagen und Systeme aus sämtlichen Fabriken des Konzerns zusammenlaufen. Ziel sei es, Abläufe und Prozesse in der Fertigung zu vereinheitlichen und zu optimieren, um so die Produktivität in den Werken zu steigern. Ex-VW-Chef Diess gab damals die Devise aus, dass die eigenen Anlagen bis 2025 um ein Drittel produktiver arbeiten müssten.
Alle Standorte via Cloud vernetzen
Konkret setzt VW dafür in den Bereichen Internet of Things (IoT), Machine Learning und Computing Services auf Amazon-Technologien, die speziell für das Produktionsumfeld entwickelt wurden und für die Anforderungen der Automobilindustrie verfeinert werden. Als Architekturbasis dient VWs Digital Production Platform (DPP), an die künftig alle Standorte im Konzern wie auch weitere Unternehmen andocken sollen. Diese Plattform soll den system- und werksübergreifenden Datenaustausch vereinheitlichen und vereinfachen. Dazu zählen eine effizientere Steuerung des Materialflusses, die frühzeitige Erkennung und Korrektur von Lieferengpässen und Prozessstörungen sowie eine optimierte Fahrweise von Maschinen und Anlagen in jeder Fabrik.
Darüber hinaus erhofft man sich bei VW, neue Technologien und Innovationen schneller und standortübergreifend bereitstellen zu können. Mithilfe intelligenter Robotik und Analytics würden werksübergreifend Prozesse verglichen und verbessert. Zudem ließen sich neue Anwendungen, zum Beispiel in der IT-Sicherheit für Anlagen, über die cloudbasierte Plattform direkt auf alle weltweiten Standorte skalieren. Die Volkswagen-Verantwortlichen planten 2019 sogar noch weiter. Die Industrial Cloud werde als offene Plattform angelegt. Langfristig gehe es auch um die Integration der globalen Lieferkette des Konzerns mit über 30.000 Standorten und mehr als 1.500 Zulieferern und Partnerunternehmen. Denkbar sei zudem, dass die Cloud-Plattform grundsätzlich auch für andere Automobilhersteller geöffnet werden könnte, hieß es vor drei Jahren. So entstünde ein stetig wachsendes, weltweites industrielles Ökosystem.
BMW macht sein eigenes Ding
Doch die anderen Automobilhersteller lehnen eine allzu enge Zusammenarbeit ab. Erst kürzlich hat BMW verkündet, gemeinsam mit Amazon Web Services eine Art Auto-Cloud bauen zu wollen. Ziel sei die Entwicklung einer cloudbasierten Softwarelösung, die die Verteilung und Verwaltung von Daten aus Millionen vernetzten Fahrzeugen vereinfachen soll, heißt es in einer Mitteilung. Die gemeinsam entwickelte Lösung sammele Fahrzeugsignale und Flottendaten, verarbeite diese und leite sie sicher innerhalb der Cloud weiter.
Auf Seiten der BMW Group erhalten Entwickler von Fahrzeuganwendungen, Fuhrparkmanager sowie Data Scientists per Selfservice Zugriff auf den Datenpool, der laufend um Realtime-Fahrzeugdaten erweitert wird. Darüber hinaus sollen sich auch neue Datenquellen einfach hinzufügen lassen. Diese Daten lassen sich dann mit AWS-Services bearbeiten. Dazu zählen beispielsweise Werkzeuge für Analytics, Business Intelligence, maschinelles Lernen, außerdem Datenbanken und Storage-Tools. Damit sollen BMW-Ingenieure in die Lage versetzt werden, neue Fahrzeugfunktionen und -anwendungen zu entwickeln.
Menge an Fahrzeugdaten explodiert
Es sei sichergestellt, dass Kundendaten in Übereinstimmung mit den Datenschutzgesetzen und unter Berücksichtigung der Kundenpräferenzen verarbeitet würden, versichern die BMW-Verantwortlichen. Der Zugriff auf die Daten lasse sich gemäß zuvor definierten Governance-Richtlinien konfigurieren. Außerdem würden Qualität und Zustand der Streaming-Quellen laufend überwacht.
"Wir haben heute 20 Millionen vernetzte Fahrzeuge auf der Straße", sagt Nicolai Krämer, Vice President Vehicle Connectivity Platforms bei der BMW Group. Mit der Einführung der nächsten Fahrzeuggeneration werde, die von AWS betriebene Offboard-Cloud-Plattform etwa das dreifache Volumen an Fahrzeugdaten im Vergleich zur aktuellen Generation von BMW-Modellen verarbeiten. Krämers Ziel ist es, Lösungen zu schaffen, die es BMW ermöglichen, neue datengesteuerte Funktionen zu entwickeln und diese den Kunden weltweit schnell zur Verfügung zu stellen.
Doch die Ambitionen der BMW- und AWS- Verantwortlichen reichen noch weiter. Die gemeinsam entwickelten Lösungen sollen Teil der Branchen-Cloud AWS for Automotive werden. Dieses Angebot soll später auch anderen Automobilherstellern zur Verfügung stehen. Die Auto-Cloud werde Technologien bereitstellen, die OEMs benötigen, um die nächste Generation von softwarezentrierten Plattformen zu entwickeln, verspricht der Cloud-Anbieter. Mithilfe der Software könnten sie Fahrzeug-Datenquellen einfach integrieren, die Entwicklung von Fahrzeug- und Flottenanwendungen beschleunigen und das Lifecycle-Management verbessern. BMW werde der erste Automobilhersteller sein, der die Software als Grundlage seiner cloudbasierten Fahrzeug-Datenplattform nutzt.
Auch Stellantis setzt auf AWS
Der französische Autobauer Stellantis hat Anfang 2022 ebenfalls eine weitreichende Zusammenarbeit mit AWS verkündet. Mehrere Abkommen betreffen unterschiedlichste Bereiche und sind über viele Jahre hinweg angelegt. Beispielsweise wollen beide Konzerne bei der Entwicklung von Softwarelösungen für die neue digitale Plattform von Stellantis zusammenarbeiten. AWS soll der bevorzugte Cloud-Anbieter für die künftigen Fahrzeugplattformen des Autobauers werden.
Stellantis war 2019 aus der Fusion der Automobilhersteller Fiat Chrysler Automobiles (FCA) und Groupe PSA hervorgegangen. Zu dem Konzern gehören namhafte Marken wie Alfa Romeo, Chrysler, Fiat, Lancia, Peugeot und Opel. Seit Januar 2021 firmiert Stellantis offiziell am Markt. Firmensitz ist Hoofddorp, südwestlich von Amsterdam in den Niederlanden. Weltweit beschäftigt der Autobauer über 400.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Anfang Dezember 2021 hatte Stellantis-CEO Carlos Tavares eine umfassende Modernisierungsstrategie für das kommende Jahrzehnt ausgerufen. Im Zentrum stehen dabei die Elektrifizierung der Fahrzeugflotte sowie die Entwicklung von softwarebasierten Produkten und Services. Bis 2025 will der Autokonzern 30 Milliarden Euro in seine Transformation investieren. "Unsere Elektrifizierungs- und Softwarestrategien werden den Wandel zu einem nachhaltigen Mobility-Techunternehmen unterstützen", sagte Tavares und kündigte neue KI-gestützte Technologieplattformen an, die ab 2024 auf sämtlichen Fahrzeugplattformen zum Einsatz kommen sollen.
Virtual Engineering Workbench in AWS
Gemeinsam mit AWS will Stellantis an der nächsten Generation von cloudfähiger Infrastruktur für Fahrzeugplattformen arbeiten. Die Pläne sehen vor, die derzeitige Fahrzeugdaten-Pipeline über alle Marken und Regionen hinweg in ein cloudbasiertes Datennetz von AWS zu migrieren und dabei das Echtzeit-Daten-Streaming des Cloud-Anbieters zu nutzen. Mithilfe von Datenanalysen und Machine Learning sollen die Ingenieure in die Lage versetzt werden, schneller digitale Produkte entwickeln zu können. Diese werden beispielsweise für eine stärkere Personalisierung oder eine präzisere vorausschauende Wartung der Fahrzeuge benötigt.
Die Partner wollen darüber hinaus eine cloudbasierte Produktentwicklungsumgebung mit dem Namen "Virtual Engineering Workbench" bauen. Diese soll den Ingenieuren automatisierte Arbeitsabläufe für das Management von Softwareentwicklung und -tests, Hochleistungssimulationen, Training von Modellen für maschinelles Lernen sowie die Erfassung und Analyse von Daten bieten.
Mercedes-Benz vertraut Microsoft
Auch Mercedes-Benz will die Effizienz in seiner Produktion hochschrauben, setzt dabei aber auf Microsofts Azure-Cloud. Der Stuttgarter Autobauer hat sein digitales Produktionsökosystem MO 360 zur "MO360 Data Platform" weiterentwickelt und will jetzt seine weltweit rund 30 Pkw-Werke mit der Microsoft Cloud vernetzen. So soll eine einheitliche Datenplattform auf Basis von Microsoft Azure entstehen. Diese Daten sollen künftig übergreifend verfügbar sein. Damit soll es keine Datensilos mehr geben und Daten sollen auch nicht in unterschiedlichen Clouds liegen.
Jörg Burzer, im Vorstand der Mercedes-Benz Group AG verantwortlich für Produktion und Supply-Chain-Management, verspricht sich von der Partnerschaft mit Microsoft, "dass unser globales Produktionsnetzwerk in Zeiten geopolitischer und makroökonomischer Herausforderungen intelligenter, nachhaltiger und resilienter wird." So könne man die Produktion künftig datengestützt auf Basis von errechneten Wahrscheinlichkeiten steuern – etwa, wenn es um die Frage gehe, wie wahrscheinlich es sei, dass ein Bauteil aufgrund von Lockdowns etc. nicht zur Verfügung stehe.
Gleichzeitig finde eine Demokratisierung der Daten statt. "Zum ersten Mal stellen wir über Microsoft Azure die Daten nicht nur dem Management zu Verfügung, sondern eigentlich jeder Kollegin und jedem Kollegen – auch denen, die am Band arbeiten", so Burzer. Dazu können die Produktionsteams von jedem Gerät aus auf ein Self-Service-Portal mit Power-BI-Dashboards zugreifen. Auf diese Weise könnten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Produktion eventuelle Probleme beispielsweise in der Supply Chain selbst angehen und lösen, da sie künftig die benötigten Informationen hätten.
Allerdings fährt auch Mercedes-Benz bei der Digitalisierung seiner Produktion mehrgleisig. So halte man an der strategischen Partnerschaft mit Siemens fest, erklärte CIO Jan Brecht. "Siemens ist für die Produktionsanlagen unglaublich wichtig und übernimmt im Internet of Things (IoT) die Rolle des Datenlieferanten aus den Anlagen, während Microsoft zunächst die Datenplattform ist, auf die wir unsere Daten dann ziehen", verdeutlicht der CIO. Auch in Sachen Digital Twins hält Brecht an Siemens fest, ist aber davon überzeugt, dass man aufgrund von deren Komplexität auf weitere Partner und Datenquellen zurückgreifen werde. Dies gelte vor allem mit Blick drauf, dass man einen durchgängigen digitalen Zwilling wolle, von der Entwicklung über die Produktion bis hinein in den Aftersales.
Der Feind in meinem Cockpit
Für die Autobauer geht es längst nicht mehr nur darum, ihre Blechkisten an den Kunden zu bringen. Vielmehr wollen sie über den gesamten Lebenszyklus der Fahrzeuge Geschäfte mit zusätzlichen Services und Abo-Diensten machen. Wie das funktionieren könnte, hat zuletzt BMW vorgemacht. Die Münchner offerieren im Connected-Drive-Store zuschaltbare Funktionen wie zum Beispiel eine Lenkradheizung für zehn Euro im Monat oder eine Sitzheizung für eine Gebühr von monatlich 17 Euro.
Schaltzentrale für diese Geschäfte sind die Infotainment-Systeme im Cockpit. Die technische Kontrolle darüber ist heiß umkämpft. Neben den Autobauern wollen sich hier auch Techanbieter einnisten. Apple bietet mit Carplay ein System an, das das gesamte User-Interface im Auto okkupiert. Aggressiv wirbt der Konzern um Partner, denn an dieser Kundenschnittstelle winken lukrative Geschäfte.
Deshalb denken die Autobauer auch nicht daran, die Kontrolle über ihre Cockpits aufzugeben. Man wolle zwar weiter auch die Smartphonewelt in die Fahrzeuge einbinden, heißt es bei Mercedes, aber keinesfalls das komplette Infotainment aus der Hand geben. "Nur zu unseren Konditionen", hatte Magnus Östberg, Softwarechef von Mercedes, im Sommer 2022 dem Handelsblatt gesagt. Es gehe schließlich um die Datenhoheit. Die Schwaben bauen wie Volkswagen an einem eigenen Betriebssystem, dem "MB.OS", das alles im Auto steuern soll. "Nur so können wir lernen zu verstehen, welche Features unsere Kunden mögen und welche nicht", erklärte Östberg.
Autonomes Fahren lässt auf sich warten
Autonomes Fahren könnte eines dieser Features sein, für die sich Käufer neuer Automobile begeistern könnten. Doch für den Megatrend autonom fahrender Autos war 2022 kein gutes Jahr. Es gab herbe Rückschläge: Volkswagen und Ford wickelten ihr mit vielen Milliarden Dollar aufgepumptes Automotive-Startup Argo AI wieder ab. Das 2016 gegründete und im amerikanischen Pittsburgh beheimatete Joint Venture hatte sich auf die Entwicklung von Systemen für autonomes Fahren spezialisiert. Nun wollen die beiden Autobauer, die jeweils 40 Prozent an Argo halten, getrennte Wege gehen.
Offenbar fehlt das Vertrauen, Argo AI könne in absehbarer Zeit praxistaugliche Systeme für autonom fahrende Autos entwickeln. Als Ford 2017 in Argo AI und autonome Fahrzeuge investierte, sei man davon ausgegangen, bis 2021 die ADAS-Technologie der Stufe 4 auf breiter Front auf den Markt bringen zu können, heißt es in einer Mitteilung. "Aber die Dinge haben sich geändert", sagte Ford-CEO Jim Farley. Nun werde Ford nur noch Anwendungen auf Level 2+ und Level 3 entwickeln. "Wir sind weiter optimistisch, was die Zukunft von L4-ADAS angeht, aber rentable, vollständig autonome Fahrzeuge in großem Maßstab sind noch weit entfernt, und wir werden diese Technologie nicht unbedingt selbst entwickeln müssen", erklärte Farley.
Wie Volkswagen beim autonomen Fahren weitermachen will, steht noch nicht fest. An ihren Zielen halten die Wolfsburger indes fest. 2025 sollen Kunden im Rahmen des Projekts MOIA den autonom fahrenden "Elektro-Bulli" ID. Buzz in Hamburg buchen können. Dafür soll ein neuer Partner an Bord kommen, der in Kürze bekannt gegeben werden soll. Branchenkenner handeln die Intel-Tochter Mobileye als Favoriten dafür.
Doch es geht nicht wirklich gut voran. Teile der mehr als 2.000 Köpfe zählenden Belegschaft von Argo AI sollten eigentlich bei Ford beziehungsweise VW einen neuen Job bekommen. Dabei scheint der US-Autbauer erfolgreicher als sein deutscher Konkurrent. Mitte Dezember berichtete das Handelsblatt, das viele ehemalige Argo-AI-Mitarbeiter den Wolfsburgern den Rücken kehrten. Der Grund: Wenig spannende Aufgaben und keine Zukunftsperspektive. "Wer gute Angebote bekommt geht", zietiert das Blatt einen Mitarbeiter.