Interview mit Thomas Lipinski

"Bei BI hat man nur einen Schuss"

29.06.2009 von Werner Kurzlechner
In der "Zukunftswerkstatt Informationstechnologie" suchen CIOs nach innovativen Lösungen und Ansätzen - auch im Bereich Business Intelligence. Ein Gespräch mit Veranstalter Thomas Lipinski, Geschäftsführer der Hamburger Unternehmensberatung Alternus GmbH, über Anwendungen für die Generation der "digital natives", antiquierte Zahlenmonster und den Analysebedarf der Gesundheitsbranche.
Thomas Lipinski Geschäftsführer der Hamburger Unternehmensberatung Alternus GmbH


Sie vergleichen CIOs in der aktuellen Situation mit Akrobaten, die einen Spagat fertig bringen müssen: die Innovationskraft trotz gekürzter Budgets steigern. Was heißt denn mitten in der Krise überhaupt, innovativ zu sein.

Thomas Lipinski: Innovation ist die Voraussetzung, um überleben zu können. Die Einsparungen durch Konzepte und Lösungen wie Virtualisierung, Software-as-a-Service (SaaS), Open Source und neue Lizenzmodelle verschaffen Unternehmen finanzielle Freiräume. Denn sie helfen, den Anteil der IT-Betriebskosten von rund 80 Prozent des Gesamtbudgets zu senken. Somit bleibt mehr Geld übrig, um weiterhin in Innovation und neue Projekte zu investieren. Dazu gehört auch, die Expertise des qualifizierten Personals zu erhalten. Ein Weiteres forciert die derzeitige Krise: den Wandel vom CEO zum Chief Process Officer (CPO). Der Druck macht dies erforderlich, um Einsparungspotenziale zu heben. Die IT ist für diese Veränderung sehr gut aufgestellt, weil sie methodisch am besten ausgebildet ist.

Die Zukunftswerkstatt IT will dazu beitragen, die IT benutzerfreundlicher und damit "menschlicher" zu machen. Wie menschlich sind denn BI-Anwendungen aus Ihrer Sicht mittlerweile?

Thomas Lipinski: Unter menschlicher verstehe ich konkret ergonomischere Systeme, die sich intuitiv bedienen lassen und einen direkten Nutzen für den Geschäftsprozess bringen. Daran arbeiten viele Hersteller seit Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten. Mit mäßigem Erfolg. Doch nun scheint ein Wendepunkt in Sicht: Anwender, insbesondere jüngere Mitarbeiter - die so genannten "digital natives" - sind erfahrener in der Benutzung von IT geworden. Dieses Know-how fließt in Software ein, was insbesondere bei BI-Systemen zu spüren ist. Aus den Tabellen, Zahlen-Kolonnen und Dashboards der bisher vorherrschenden BI-Anwendungen werden grafische Interfaces, deren Aussagen auf den ersten Blick verständlich sind. Dazu sind beispielsweise Techniken integriert werden, die wir aus dem Web 2.0 kennen.

Was bringt das konkret?

Thomas Lipinski: Benutzer erhalten damit analytische Informationen, die sich aus Informationen aus dem Web sowie internen Datenquellen zusammensetzen. Das Wichtigste dabei: Die Darstellungen sind sofort interpretierbar, stehen in unmittelbaren Kontext zur Arbeit des Anwenders und helfen ihm, rasch Entscheidungen zu treffen und zu handeln. Es findet also eine Zangenbewegung statt: Der Mensch passt sich der Software an und die Software dem Menschen. Das konvergiert jetzt so langsam.

Eine von drei Arbeitsgruppen der Zukunftswerkstatt erörtert BI als Basis für eine "nachhaltige Gestaltung" von Unternehmen. Welche Rolle spielt BI im Unternehmen der Zukunft? Und wie kann BI dabei helfen, Innovationen zu kreieren?

Thomas Lipinski: In der Vergangenheit waren Kennzahlen in Reports reine Zahlenmonster, die selten im Kontext der Geschäftsprozesse standen. BI war zu vergleichen mit "Auto fahren mit Hilfe des Rückspiegels". Analysen waren immer rückwärtsgewandt auf Basis von historischem Zahlenmaterial. Das ändert sich jetzt: BI wird in die Geschäftsprozesse integriert. Das Schlagwort dafür ist Business Performance Management (BPM). Dessen Ziel ist es, mit Hilfe der Kennzahlen Unternehmensabläufe auch im Sinne eines metrisch getriebenen Managements kontinuierlich zu überwachen, zu kontrollieren und zu steuern. Dadurch entstehen Frühwarnsysteme im Sinne von Risikomanagement. Die Idee ist, Probleme so rechtzeitig zu erkennen, dass entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden und das Problem erst gar nicht erst auftritt. BI wird somit ein fester Bestandteil der Unternehmenssteuerung.

BI gibt es mittlerweile seit Jahrzehnten, über die grundsätzlichen Aspekte des Themas dürfte in den meisten Unternehmen längst nachgedacht worden sein. Welche Fragen der Teilnehmer erwarten Sie dennoch?

Thomas Lipinski: Wir beobachten, dass der Druck auf eine Entwicklung zum prozessorientierten BI wächst. Prozess Intelligenz ist ein deutlicher Trend. Das ist relativ neu. BI und Prozesse werden jetzt verbunden. BI wird taktisch-strategisch und operativ. Die Frage wird sein: Wie setzt man das um? Das kann nur schrittweise erfolgen. Weitere Aspekte, die entscheidend sind für den Erfolg von BI und damit immer einen hohen Stellenwert und Klärungsbedarf haben, sind Fragen nach dem Nutzen, der Usability und der Datenqualität. Kurz: Eine BI-Anwendung muss sich rechnen und das tut sie nur, wenn sie genutzt wird, sonst ist sie ein Millionengrab. Darüber hinaus sollte allen Beteiligten klar sein, dass BI nur funktioniert, wenn die Datenbasis solide, valide und damit glaubhaft ist. Ein Vorstand hat mir mal gesagt: "Bei einem BI-Projekt hast Du nur einen Schuss. Wenn Murks rauskommt, ist das Vertrauen in die Kennzahlen verspielt - für Jahre."

Brisant scheint oftmals die Frage der Verantwortlichkeiten zwischen IT und den Fachabteilungen zu sein. Wo sollte denn die Zuständigkeit für Datenhoheit und Datenqualität aus Ihrer Sicht liegen?

Thomas Lipinski: IT kann nur die Daten bereitstellen, die vorher an anderer Stelle eingegeben wurden. Die Verantwortung liegt bei den Benutzern, also dem Fachbereich. Doch drückt der sich gerne, weil es Arbeit bedeutet, weil er sich mit Datenqualität keine Meriten verdienen kann und weil die Gefahr groß ist, dass etwas schief laufen kann. Manchmal ist es bequemer, einen Sündenbock in der IT zu identifizieren. Die Datenqualität kann nur der beantworten, der die Verantwortung trägt. Das ist in diesem Fall eindeutig der Fachbereich. Die IT kann aber sehr wohl unterstützend zur Seite stehen - quasi als Sparringspartner, der den Sinn der einen oder anderen Auswertung kritisch hinterfragt.

Ihr Beratungshaus Alternus ist unter anderem auf die Gesundheitsbranche spezialisiert. Wie ist denn um den BI-Einsatz in der Gesundheitsbranche bestellt? Beobachten Sie dabei signifikante Fortschritte?

Thomas Lipinski: Die Anzahl der Projekte mit BI-Beteiligung ist in den letzten Jahren quantitativ und qualitativ gestiegen. Der Analysebedarf entwickelt sich rasant. Einerseits liegt das an den in der jüngsten Vergangenheit beauftragten Unternehmensratings, andererseits an der Gesundheitsreform. Insgesamt steigt der Informationsbedarf beispielsweise durch neue Versorgungsformen, den Morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi RSA) und Compliance. Es gibt Vieles auszuwerten, zum Beispiel die Verschreibungen von Arzneimitteln, Diagnosen sowie Patienten- und Krankenhausdaten. Wenn auch noch viel zu tun ist, schlecht steht die Branche in Sachen BI nicht da: So war der Bundesverband der Betriebskrankenkassen (BKK Bundesverband) der Gewinner des renommierten Best Practice Awards 2007 für die beste deutschsprachige Data-Warehouse- und Business-Intelligence-Lösung.