Städte und Gemeinden

Beim Einkaufen zerfällt Deutschland in zwei Welten

04.02.2016
Die Bundesbürger tragen deutlich mehr Geld in die Geschäfte als noch vor Jahren. Doch vielerorts sind zum Einkaufen immer längere Wege nötig - oder viele Mausklicks.
Nicht immer ist die Auswahl an Geschäften und Produkten so groß wie in der Nähe großer Städte. Kleine Gemeinden können da nicht mithalten.
Foto: Diego Cervo - shutterstock.com

Möbel gehen gerade besonders gut: Neue Küchen, Sofas und Betten. Viele Deutsche richten sich neu ein. Denn die hohe Beschäftigung füllt die Portemonnaies, doch das Sparen wird von der Bank kaum belohnt. "Man gönnt sich etwas", freut man sich beim Handelsverband Deutschland, der zufrieden das stärkste Wachstum seit 20 Jahren bilanziert. 482 Milliarden Euro trugen die Kunden in die Geschäfte, ein Plus 3,1 Prozent, und die Zahl dürfte weiter steigen. Allein im Weihnachtsgeschäft kamen 87 Milliarden Euro in die Kassen.

Bei einem solchen Kaufrausch gerät fast aus dem Blick, dass die Einkaufslandschaft den größten Umbruch seit Jahrzehnten durchmacht. Sie zerfällt in zwei Welten: In gut gelegenen Einkaufsstraßen der Städte brummt der Handel, in Dörfern und Kleinstädten dagegen machen Läden dicht. Eine Lösung für die Kunden auf dem Land ist schwierig.

"Das ist eine der größten Herausforderungen, die wir in den nächsten Jahren haben werden", sagt Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands. Auf der einen Seite: Boomende Großstädte wie etwa Berlin, wo jährlich Zehntausende zuziehen. Auf der anderen Seite: die Gemeinden, aus denen Menschen fortziehen und sich Handel immer weniger rechnet. Auch Ortsteile größere Städte sind betroffen. "Das sehen wir auch mit Sorge", sagt Genth.

Trotz wachsenden Internetgeschäfts wächst die Handelsfläche in Deutschland, die Investitionen erreichen nach Branchenzahlen Rekordwerte. Für neue Filialen sehen sich die Händler aber vor allem in den Innenstädten um, ergab eine Befragung des EHI Retail Institute. Besonders die großen Handelsketten für Lebensmittel, Drogerie, Gesundheit und Kleidung sowie Baumärkte expandieren.

Laut GfK sind in die Verkaufsflächen in den Kernlagen der 82 Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern in vier Jahren um etwa sieben Prozent gestiegen. Die Menschen ziehen in die Städte, und der Handel zieht mit.

Großstädter bekommen fast alle Sortimente vor der eigenen Haustür und machen seltener Einkaufstrips in andere Städte, wie das Institut für Handelsforschung Köln ermittelte. Wer in der Kleinstadt wohnt, muss sich dagegen häufiger auf den Weg machen. Bundesweit wird jedes zehnte Geschäft schließen, wie der Handelsverband erwartet.

Das Problem beschäftigt Städte, Regierungen und Branche seit Jahren. Stoppen konnte sie den Trend nicht. Vieles wurde schon erwogen und probiert: Multifunktionsläden mit Post, Café und Versammlungsraum, von Vereinen organisierte Bürgerläden, Lieferdienste, rollende Supermärkte. Auch kleinflächigere Filialen der großen Handelsketten werden immer wieder gefordert.

"Da gibt es kein Patentrezept", sagt Genth. Er fordert Entlastungen bei der Gewerbesteuer und Lockerungen im Baurecht, um Märkte in Wohngebieten halten zu können. "Jeder will dort mal einkaufen, aber keiner will nachts um fünf den Lkw dort vor der Tür haben." Der Handel will im Frühjahr eine Initiative Innenstadt mit dem Deutschen Städtetag starten und dort seine Forderungen unterbringen.

Stärker als der stationäre Handel ist mit 11 Prozent im vergangenen Jahr abermals der Online-Handel gewachsen. Fast jeden zehnten Euro geben die Bundesbürger beim Einkaufen inzwischen im Netz aus. Eine Lösung für vom stationären Handel verlassene Dörfer? Einen Teil der Lücke könne das Internet schließen, heißt es beim Handelsverband. Dafür müsse der Lebensmittelhandel online aber noch wachsen. Einstweilen helfen vielleicht mobile Supermärkte. Sie erlebten einen "stillen Boom". (dpa/rs)