Der Kunde möchte nicht genannt werden. Noch befindet er sich mitten in den Verhandlungen für ein neues CRM-System. Eigentlich war die Entscheidung für Siebel bereits gefallen. Vertriebs- und IT-Verantwortliche hatten sich gemeinsam für die Lösung ausgesprochen. Doch dann platzte die Nachricht von der Übernahme durch Oracle in die Gespräche. Nun muss erneut nachgedacht werden. Ob der schon sicher geglaubte Entschluss revidiert wird, ist noch unklar, über den Preis will man auf jeden Fall diskutieren. Ein ordentlicher Nachlass dürfte schon drin sein.
Die Konkurrenz von Siebel darf sich zunächst über die Übernahme durch Oracle freuen. Nicht, dass die Chancen steigen, die Kunden zu einem Wechsel zu bewegen. Dafür waren der Aufwand zu hoch, die Implementierungsschmerzen zu heftig. Doch wer jetzt überlegt, in ein neues System zu investieren, wird die vage Zukunft der Siebel-Produkte in seine Entscheidung mit einbeziehen.
Im Bereich der großen Unternehmen wird vor allem SAP der Nutznießer sein. Für die Walldorfer gilt Siebel nach wie vor als der schärfste Konkurrent. Im Großkundensegment meist sogar als der einzige, der auf Augenhöhe mitbietet. Beide Unternehmen beanspruchen hier für sich den Titel des Marktführers. Wer tatsächlich im CRM-Markt die Nase vorn hat, lässt sich nicht genau sagen. Die Analysten von Gartner oder AMR Research sprechen SAP eindeutig die Vorherrschaft zu – sowohl in Deutschland als auch weltweit. IDC hingegen nimmt, was die globalen Zahlen angeht, Abstand und positioniert SAP auf dem zweiten Rang hinter Siebel. Die IDC-Analysten schätzen den weltweiten Markt auf ein Volumen von knapp neun Milliarden Dollar. Allen voran Siebel mit einem Marktanteil von 10,8 Prozent, gefolgt von Oracle /Peoplesoft mit 6,8 und SAP mit 6,7 Prozent.
Tatsächliche Nutzerzahlen fehlen
Die Krux der Marktforscherei: Es ist nicht leicht, die wahren Nutzerzahlen herauszubekommen. MySAP-CRM-Lizenzen lassen sich beispielsweise nicht von der gesamten Business-Suite trennen, über ihren tatsächlichen Einsatz gibt es keine verlässlichen Zahlen. 2200 Kunden betreiben die Software, so die knappe offizielle Verlautbarung aus Walldorf. Dagegen brüstet sich Siebel mit 4000 Kunden und drei Millionen Anwendern weltweit. Hinzu kommt, dass die Analysten auf das Material angewiesen sind, das ihnen die Hersteller zur Verfügung stellen. „Man gewinnt den Eindruck, dass den Herstellern nicht daran gelegen ist, ein realistisches Bild zu offenbaren,“ wirft Ralf Korb, Research Director der Hewson Group den Konzernen vor. Anhand der installierten ERP-Basis von SAP kann man allerdings von einer hohen Verbreitung der CRM-Lösung ausgehen.
Klar ist, dass sich Oracle mit dem Kauf von Siebels Kundschaft nun an die Spitze des Marktes setzen wird. Ob die Ellison-Company ihre Position allerdings auch festigen kann, darf momentan bezweifelt werden. Bis ein klares CRM-Angebot für Siebel-, aber auch für Peoplesoft-Kunden entwickelt wird, werden mindestens noch zwei Jahre vergehen. Dann nämlich will Oracle sein Projekt „Fusion” präsentieren. Bis dahin dürfte SAP längst mit einem Safe-Passage-Angebot für wechselwillige Anwender reagiert haben.
Dennoch werden die Turbulenzen an der Spitze des CRM-Marktes dessen Entwicklung in Deutschland wohl kaum berühren. Es sind andere Faktoren, die die Kunden umtreiben. Für die Schar der rund 150 Anbieter zeichnen sich bessere Zeiten ab, seit 2004 zieht das Geschäft deutlich an. Ein Plus zwischen fünf und sieben Prozent konnte im vergangenen Jahr erzielt werden, für dieses Jahr gehen die Prognosen von einer ähnlichen Größenordnung aus. Gerade die für den deutschen Markt wichtige mittelständische Klientel zeigt wachsendes Interesse an mehr Automatisierung rund um die Kundenprozesse. „Die Bereiche Lager und Produktion sind ausgereizt“, so Korb. „Letztlich wird es jetzt wettbewerbsentscheidend sein, mit weniger Aufwand den Kunden besser bedienen zu können.“
Anwender haben gelernt
Gute Aussichten für die Anbieter: Erst ein Bruchteil der deutschen Unternehmen – hier variieren die Zahlen zwischen zehn und 20 Prozent – setzt CRM-Software ein. Leichter wird das Geschäft dadurch jedoch nicht. Seit Ende der 90er-Jahre haben sich die Vorzeichen im Markt gedreht. Den hehren Versprechungen der Hersteller begegnen die Kunden mit viel mehr Misstrauen, aber auch mit mehr Erfahrung.
Nicht mehr die Anbieter diktieren nun das Geschehen, sondern die Anwender. Nicht nur die IT entscheidet über den Einsatz von CRM, sondern die Fachabteilung. Sie will einfach zu bedienende Anwendungen, einen Hersteller, der sich mit ihren Problemen auskennt, die Möglichkeit, mehr aus den Daten herauszuholen, und das alles schnell. Entsprechend gelten als die wesentlichen Treiber für Software- und Servicehäuser Benutzerfreundlichkeit, die Abbildung von Branchenprozessen, analytische Funktionen und Integration ins Backend. Besonders für den Mittelstand interessant sind zudem Web-Technologien, also die Möglichkeit, das System zu hosten, sowie Open Source.
Platz für die bislang rund 150 Anbieter wird es auf Dauer sicher nicht geben. Erste Anzeichen einer Konsolidierung zeichnen sich ab. Die norwegische Super Office hat sich das Schweizer Team Brendel einverleibt, SSA Global übernahm Anfang August den CRM-Spezialisten Epiphany. Und der österreichische Anbieter Update hat erst kürzlich ein Angebot für die deutsche Regware GmbH abgegeben.
Manch einen Anbieter könnte auch die Marktmacht von Microsoft in die Enge treiben. Noch arbeiten die Redmonder intern wie extern an einem besseren Auftritt im Bereich Geschäftsanwendungen. Die Company deshalb zu vernachlässigen hält Korb allerdings für einen Fehler. Mit einer breiten Kundenbasis, ihrer Finanzstärke und Marketingmacht und nicht zuletzt ihrem weit verzweigten Partnernetz stehen die Chancen, mittelfristig die Marktführerschaft zu übernehmen, nicht schlecht.
Das große Reinemachen ist dennoch nicht zu erwarten. Viele Player mit anderen Schwerpunkten als CRM mischen mit. Große wie kleine ERP-Anbieter halten sich mit ihrer Integration in die Backend-Systeme über Wasser. BI-Spezialisten wie Cognos überzeugen den Kunden damit, dass sie die Auswertung der gesammelten Daten unterstützen.
Branchenexpertise verkauft sich gut
Ein anderes Pfund, mit dem die Anbieter wuchern können, ist ihre Branchenexpertise. Auch Oracle dürfte bei dem Angebot für Siebel nicht nur auf dessen Kundenzahl geschielt haben. Vor allem die 25 Branchenlösungen, die das Unternehmen im Laufe der Jahre entwickelt hat, sind ein echter Gewinn. Auch für Mittelständler kann Prozess-Know-how die Tür zum Kunden öffnen. Die in Kaiserslautern ansässige CAS GmbH etwa schießt sich auf die Konsumgüterindustrie ein und arbeitet erfolgreich im Mittelstand wie in Konzernen.
„Die Spezialisten werden bleiben“, ist sich Analyst Korb sicher. Denkbar sind seiner Meinung nach auch viel mehr Partnerschaften, etwa zwischen Groß und Klein. Warum sollte SAP sein nicht zeitgemäßes Frontend nicht aufgeben und einem Partner überlassen? „Die Defizite, die der große Softwarehersteller hat, kann der kleinere wettmachen“, meint Korb. Die Entwicklungsarbeit, die dieser bereits investiert hat, müsse nicht ein weiteres Mal geleistet werden. „Das wäre für beide vorteilhaft, und wenn es auch noch zum Wohl des Kunden ist – umso besser.“
Rosige Aussichten für CRM-Hosting
Dass auch eine ganz andere Strategie mindestens ebenso erfolgreich sein kann, macht Salesforce.com vor. Mit ihrem Angebot, die Software zu mieten und in externen Rechenzentren hosten zu lassen, verzeichnen die US-Amerikaner stetig wachsende Einnahmen und arbeiten von Beginn an profitabel. Der Marktanteil liegt weltweit bei rund 50 Prozent, womit die Company geradezu zum Inbegriff des CRM-Hosting geworden ist. Platz zwei belegt Rightnow Technologies mit knapp 14 Prozent. Kaum überraschend, dass auch Siebel seit vergangenem Jahr mit einem On-Demand-Angebot mitmischt. Zwar erzielt dieses Segment mit einem Volumen von rund 300 Millionen Dollar weltweit nur einen Bruchteil des Gesamtmarktes, doch die Marktbeobachter sehen hier noch viel Luft nach oben.
Für Wirbel in diesem Bereich kann allerdings noch ein Unternehmen sorgen, das kaum im Bereich CRM wahrgenommen wird. Der US-amerikanische Spezialist Sage hat aufgerüstet. Mit Accpac hat das Unternehmen eine Technologie von Computer Associates erworben, die in den USA und Großbritannien bereits als CRM-Weblösung vertrieben wird. Der Eintritt in den deutschen Markt ist für nächstes Jahr geplant. Im Gegensatz zu Salesforce.com, die hierzulande nicht so richtig den Fuß in die Tür bekommen, kann sich Sage immerhin auf eine breite Kundenbasis stützen. Korb: „Das kann dem Markt noch mal einen Impuls versetzen“.