Living Services sind heute Realität. Das sind Services, mit denen die Menschen mithilfe einer Reihe von Apps ihre Familie, ihre Mobilität, ihre Einkäufe, ihre Gesundheit und Fitness sowie ihre Finanzen organisieren. All dies ist weltumspannend erst in den vergangenen acht Jahren entstanden.
Aber wie weit wird diese Entwicklung reichen? Bleibt sie auf das Management der privaten Bedürfnisse beschränkt, oder werden "Working Services" gleichermaßen in die Berufswelt einziehen? Aus Sicht eines Mitarbeiters definiert sich das Arbeitsverhältnis als Tauschgeschäft: Für die Bereitstellung der eigenen Arbeitskraft erhält er ein vertraglich definiertes Bündel von Leistungen, das unter anderem Einkommen, Sozial- und Rentenversicherung, Weiterbildung und hoffentlich interessante Tätigkeiten umfasst.
Es ist jedoch absolut denkbar, dass künftig eine Reihe von neuen "Working Services" entsteht, mit denen Mitarbeiter jeden einzelnen Bestandteil des Arbeitsverhältnisses für sich optimieren. In der Konsequenz könnte das bedeuten, dass die Beschäftigungsverhältnisse, wie wir sie heute kennen, möglicherweise aufgelöst werden.
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Wissen Sie, wie viele Mitarbeiter Ihres Unternehmens auf Xing oder LinkedIn angemeldet sind? Wenn nicht, die Zahl können Sie über die Suchfunktion der Portale schnell ermitteln. Wer für große Konzerne tätig ist, wird auf zigtausende oder gar sechstellige Trefferzahlen stoßen. Xing und LinkedIn sind heute Portale, die ihren Mitarbeitern zur Selbstdarstellung, als Jobbörse, zur Vernetzung und zunehmend auch zur Weiterbildung dienen. Wer dort aktiv ist, tauscht sich mit Kollegen und Freunden über das eigene Unternehmen aus oder informiert sich über andere Firmen.
Die Portale selbst organisieren sehr detaillierte Abstimmungen über die Attraktivität der Firmen als Arbeitgeber bis hin zur kleinsten Zweigstelle. Jeder wird zudem zum Repräsentanten seines jetzigen und seiner früheren Arbeitgeber, mit positiven und negativen Kommentaren. Die Frage, ob das den Firmen gefällt, stellt sich nicht. Die Mitarbeiter nutzen solche Portale, um sich außerhalb der Firmengrenzen zu organisieren. Warum auch nicht?
Aber wer vorausschaut, wird sich schnell bewusst, dass es nicht nur um Xing und LinkedIn geht. In den kommenden Jahren werden immer mehr unternehmensübergreifende Plattformen mit Business-Apps entstehen, über die Mitarbeiter sich außerhalb der Firmengrenzen organisieren werden und mit deren Hilfe die Mitarbeiter auch ihren Arbeitsalltag gestalten, ihre Karriereplanung durchführen, ihre Weiterbildung machen und vieles mehr.
Aufgaben und Verpflichtungen, die traditionell innerhalb der Firmengrenzen organisiert waren und einen wichtigen Teil des Arbeitsverhältnisses ausmachen, können künftig über unternehmensübergreifende Plattformen sozialisiert werden. Unternehmen verlieren damit möglicherweise die Kontrolle über die Organisation ihrer Mitarbeiter. An der unternehmenseigenen IT laufen diese "Business Apps" komplett vorbei.
Um diesen Trend einordnen zu können, bietet sich ein Sprung ins Privatleben der Arbeitnehmer an. Denn dort trainieren sie den Gebrauch von Services, mit denen der private Alltag organisiert wird.
Living Services aus dem Silicon Valley
Wer etwas für seine Allgemeinbildung tun möchte, kann überall und immer Google und Wikipedia zurate ziehen. Ob wir uns ausreichend bewegen, misst eine App auf unserem Smartphone, und dort ist auch die Liste für den nächsten Einkauf abgespeichert. Mit unserem Freundeskreis tauschen wir uns über einen der zahlreichen Messaging-Dienste aus, und über Dating-Portale finden viele auch einen neuen Lebenspartner.
Viele der Apps, die sich eine Vormachtstellung auf unseren Handys erobert haben, kommen aus dem Silicon Valley. Was wir heute erleben, wird sich künftig noch verstärken. In einigen Jahren werden fast alle unsere persönlichen Lebensbereiche von einzelnen Living Services organisiert werden.
Wir werden die smarten Funktionen unseres Zuhauses über unser Handy regeln. Unsere Freizeit wird mithilfe von Apps verplant. Elektronisch sorgen wir für unsere Mobilität und unsere Gesundheit. Die Organisation der Finanzen ist ohne digitale Hilfe ohnehin bald kaum noch denkbar.
Für viele Unternehmen sind solche Living Services das Mittel der Wahl zur digitalen Kundenbindung und als Marketing- und Verkaufsplattform ihrer Produkte von höchster Bedeutung. Für Einzelhändler, Markenartikelhersteller oder Dienstleister gilt: Wer die höchste Markenpräsenz in diesen Living Services erobert, führt den Wettbewerb an.
Die deutsche Industrie denkt in Prozessen und Produkten
Deutschland - aus Sicht der Business-App-Anbieter gesehen - schaut bei dieser Entwicklung weitgehend zu. Zu den deutschen Leitindustrien gehören die Automobilproduktion, der Maschinen- und Anlagenbau, die Chemie oder die Logistikbranche. Engineering und Produktion sind klar im Fokus.
Den Endverbraucher digital zu packen ist eher eine Spezialität der Amerikaner. Das heißt aber keineswegs, dass die Digitalisierung in der deutschen Wirtschaft mit einer geringeren Wertschätzung betrieben wird. Die Chancen sind auch in der deutschen Industrie erkannt worden. Industrie 4.0 und Smart Services sind in aller Munde. Allerdings: Die hiesigen Top-Konzerne denken aus der Fertigung kommend. Für sie geht es um die Digitalisierung der Produkte und des Fertigungsprozesses.
Die Amerikaner hingegen haben ganz neue digitale Kundenerlebnisse im Fokus - oft werden dadurch auch die Produkteigenschaften neu definiert; während unsere Ingenieure etwa die digitale Steuerung des Fahrzeugs optimieren, denkt das Silicon Valley darüber nach, welche Kundenerlebnisse im autonom fahrenden Auto möglich sind. Ist der Fahrer doch nicht mehr mit dem Fahren selbst beschäftigt und kann während der Beförderung (digital) konsumieren.
Neue digitale Ecosysteme für Mitarbeiter
Bis die Autos allerdings ganz autonom durch die Straßen sausen, wird es noch etwas dauern. Näherliegend ist die digitale Vernetzung der Mitarbeiter - ob Wartungstechniker oder Chirurg am Operationstisch. Die Anzahl der Devices, die direkt am Körper getragen werden und den gewohnten Arbeitsablauf nun digital unterstützen, explodiert derzeit regelrecht. Der digital vernetzte "Smart Worker" verspricht eine höhere Produktivität, und dem digital vernetzten Patienten wird ein besseres Leben mit seiner Krankheit ermöglicht. Allerdings nur dann, wenn die Informationen, Anweisungen und Insights individuell auf den "Einzelnen" zugeschnitten sind.
Das Silicon Valley ist wach geworden. Die Bausteine der großen Internetplattformen eignen sich hervorragend, um neue Anwendungsgruppen zu erschließen. Und die Personalisierung von Services auf die Bedürfnisse jedes Einzelnen ist eine Kernkompetenz des Valleys.
Der zunehmenden Vernetzung werden die Mitarbeiter selbst kaum Widerstand entgegensetzen, solange der persönliche Nutzen im Arbeitsalltag evident ist. Der jahrelange tägliche Gebrauch von privaten Living Services hat die Menschen trainiert; die eigenen Aufgaben können mit den richtigen Apps an jedem Platz und zu jeder Zeit besser erledigt werden.
Bereits heute nutzen viele Mitarbeiter private Apps während der Arbeit für die Arbeit. Gerade Messenger-Systeme gewinnen immer mehr an Bedeutung als wichtige Kontaktschnittstelle zum Kunden - außerhalb der eigenen Firmen-IT und außerhalb der Firmen-IT des Kunden.
Sind die Plattformen für unternehmensübergreifende Business-Apps erstmals implementiert, wird das Ecosystem der App-Anbieter eine Innovation nach der anderen in unterschiedlichsten Gebieten anbieten. Es wird Apps geben für die eigene Weiterbildung, Apps, um den nächsten Arbeitsschritt anzuzeigen, Algorithmen, um die die eigenen Wegstrecken bei Lieferfahrten zu optimieren, Apps, die für die eigene Arbeitssicherheit sorgen, und Apps für das Monitoring der eigenen Gesundheit im Arbeitsumfeld sind nur einige wenige der möglichen Anwendungen.
Alles was den Mitarbeiter bei der Erledigung der Aufgaben unterstützt, wird Akzeptanz finden. Convenience und Nutzen sind die Türöffner für den Einzug von personalisierten "Working Services" in die Unternehmenswelt.
Möglich gemacht wird das durch Apps und Anwendungen, die auf Plattformen außerhalb der Firmengrenzen laufen und nicht der Kontrolle der Firmen unterliegen. Und dies hat aus Sicht der Mitarbeiter noch einen weiteren Vorteil: Die gesammelten Daten können nicht zur Performance-Kontrolle und zur Leistungsbeurteilung durch die Firmen herangezogen werden.
Die Internetunternehmen, die diese Working Services erfolgreich bereitstellen und zu Marktführern in ihrem jeweiligen Segment entwickeln, haben beste Aussichten, zu mächtigen Konzernen heranzuwachsen. In ihnen sammelt sich eine ungeheure Wissensbasis an. Ihr Datenbestand wird Wissen über Firmen und über Mitarbeiter in den Firmen beinhalten, das möglicherweise den Firmen selbst so nicht zur Verfügung steht.
Working Services ändern traditionelle Beschäftigungsverhältnisse
Wenn auf diesen Plattformen Services angeboten werden, mit denen der Mitarbeiter eine bessere Arbeit findet oder für die gleiche Arbeit ein bessere Bezahlung erhält, wenn der Mitarbeiter seinen Marktwerkt durch berufliches Training erhöhten kann, das er über solche Plattformen bezieht, wenn der Mitarbeiter auf solchen Plattformen bessere Leistungspartner für Sozial- und Rentenversicherung als seinen eigenen Arbeitgeber findet oder seine Work-Life-Balance deutlich besser ausgestalten kann, dann wird das dazu führen, dass das Servicebündel der traditionellen Arbeitsverhältnisse aufgeschnürt wird.
Dem Mitarbeiter könnte es möglich gemacht werden, seine Leistung "as a Service" am Markt anzubieten und über andere Leistungspartner die soziale und Einkommensabsicherung einer Beschäftigung zu erhalten. In der Folge würden sich die traditionellen Beschäftigungsverhältnisse wandeln oder sogar auflösen. Sicherlich nicht für alle - aber gerade die jüngeren und flexibleren Mitarbeiter und hoch qualifizierten Experten könnten sich dadurch optimieren.
Was können Unternehmen tun?
Es ist kaum anzunehmen, dass jedes Unternehmen aus eigener Kraft das volle Portfolio der künftigen Workings Serivces selbst bereitstellen kann, um die Business-Apps innerhalb der eigenen Konzerngrenzen zu behalten. Vielmehr wird es firmenübergreifend genutzte Plattformen und Services geben.
Wir sind erst am Anfang dieser Entwicklung. Die Unternehmen können sich darauf vorbereiten, indem sie für viele der möglichen Anwendungsfälle selbst Marktplätze einrichten - auf eigenen Plattformen oder auf Plattformen von Drittanbietern. Für die Weiterbildung gibt es schon solche Konzepte. Für die Besetzung von Stellen sind interne und externe Marktplätze durchaus denkbar.
Für das Unternehmen und den CIO ergibt sich damit eine sehr herausfordernde Aufgabenstellung. Anwendungen, die zum Teil für die Steuerung und Durchführung betrieblicher Prozesse genutzt werden, aber nicht unter der Kontrolle des Unternehmens betrieben werden, sind eine heikle Sache. Aber vielleicht muss man viele der traditionellen Konzepte infrage stellen. Warum können nicht auch IT-Services direkt durch den Mitarbeiter "as a Service" bezogen und direkt durch den Mitarbeiter auf den eigenen Bedarf konfiguriert werden, ohne dass dafür seitens des Unternehmens Plattformen und Anwendungen installiert werden?
In der Konsequenz würde sich auch die Rolle des CIOs ändern. Der Titel Chief Ecosystem Officer käme dazu. Das Ecosystem der "as a Service" Mitarbeiter eingeschlossen. (rs)
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