Steve Brazier, CEO der englischen Analystengruppe Canalys, hatte es im Herbst letzten Jahres bereits zu einem kommenden Trend erklärt: Business-Apps, so einfach aus der "Wolke“ herunterzuladen wie die Consumer-Apps von Apple und aus der Android-Welt. Nun geht die IT-Industrie einen konkreten Schritt in diese Richtung, indem der französische Dienstleister Atos zusammen mit EMC und der EMC-Tochter VMware ein Joint Venture mit Namen "Canopy“ aus der Taufe hebt.
Canopy, mehrheitlich im Atos-Besitz und mit den beiden anderen Partnern als kleinere Gesellschafter, soll im April mit den ersten Business-Apps an den Start gehen. Das, was bisher fast nur von Salesforce.com mit seiner CRM-Suite (Customer Relationship Management) erfolgreich praktiziert wird, erhält nun eine breiter aufgestellte Plattform. EMC und VMware liefern die technischen Cloud-Services und die benötigten Virtualisierungsstrukturen, um ein dynamisch anpassungsfähiges Angebot an Business-Software zum "Herunterladen“ aufzubauen.
Mit virtualisierten Servern können "auf Knopfdruck“ Cloud-Applikationen neuen Benützern für eine bestimmte Zeit zugewiesen und auch wieder abgeschaltet oder zurückgefahren werden. Dafür braucht es nicht mehr eine riesige Infrastruktur, die im schlimmsten Fall unausgelastet vor sich hin rostet – virtuelle Maschinen (VMs) plus virtualisierte Speicher und Netzwerk-Switches sorgen für eine anpassungsfähige technische Basis.
EMC-Partnerschaft nicht exklusiv
EMC hatte noch vor zwei Jahren mit dem Gedanken gespielt, selbst in das Geschäft mit Cloud-Services einzusteigen, dann aber wieder Abstand davon genommen. Stattdessen verfolgt man jetzt die Strategie, als reiner Ausrüster für Service Companies aufzutreten. Die Partnerschaft mit Atos sei "nicht exklusiv“, betonte EMC-Boss Joe Tucci denn auch während der öffentlichen Ankündigung von Canopy vor Journalisten und Analysten – weitere Aktivitäten in dieser Richtung stehen offenbar bevor.
Damit tritt die Cloud-Hysterie – ob "Public“, "Private“ oder "Hybrid“ – ein weiteres Stückchen in ihre praktische Umsetzungsphase über. Und das bedeutet vor allem neue Dienstleistungsangebote für Unternehmen, die den einstigen Outsourcing- und Managed-Infrastructure-Ansatz nun in Richtung Automatisierung und On-Demand weitertreiben.
Europäischer App-Store im Aufbau
Canopy will einen europäischen App Store für Business-Anwendungen aufbauen. Ziel ist ein offenes Ecosystem für Standard-Anwendungen, die von unabhängigen Software-Herstellern zur Verfügung gestellt werden. Noch sind die Verhandlungen mit Entwicklern im Gange, wie Atos-CEO Thierry Breton in einem Webcast Mitte Februar mitteilte. Ab April soll es soweit sein, Kunden können dann zum Beispiel E-Mail-Software für Unternehmen, PLM (Product Lifecycle Management), ECM (Engineering Change Management), Analytics, ERP oder CRM einkaufen.
Atos arbeitet bereits in einem Joint Venture namens „Yunano“ mit Ufida zusammen, einem chinesischen Anbieter von Management-Software. Canopy wird neben den Yunano-Produkten auch die SaaS-Apps (Software-as-a-Service) von Ufida in seinen Store aufnehmen. Neben einem Angebot für Platform-as-a-Service (PaaS) denkt man darüber hinaus an die Möglichkeit von Private-Cloud-Dienstleistungen.
100 Consultants und Strategie-Spezialisten
Breton kündigte an, dass Canopy die Arbeit zunächst mit 100 eigenen Consultants und Strategiespezialisten beginnen wird. Eine besondere Stärke sieht er in der Ausrichtung auf die Bedürfnisse von europäischen Unternehmen. Der Cloud-Gedanke stieß bisher auf dem alten Kontinent immer wieder auf Vorbehalte, weil die Anwender hier Bescheid wissen wollen, wo genau ihre Daten gelagert sind. Regelungen der Europäischen Union und einzelner europäischer Staaten sehen strenge Vorschriften für den Export persönlicher Daten vor. Atos will diese Regeln besonders beachten und damit Punkte bei potenziellen Kunden machen.
Besonders gegen die im Zuge der Terrorismusbekämpfung stark erweiterten Kontrollen seitens der USA werden immer wieder Vorbehalte laut. Ein europäisches Cloud-Angebot für Enterprise-Apps verspricht da erhöhte Sicherheit vor Datenmissbrauch. Zumindest auf den ersten Blick.