Führungsrolle

Chef als Fürst in seinem Reich hat ausgedient

21.01.2020 von Ingrid Weidner
Mit der Digitalisierung verändert sich auch die Rolle der Führungskräfte. Wie, wissen allerdings nur die wenigsten.

"Mit der Digitalisierung zeichnet sich ein grundlegender Wandel ab. Unternehmen sind gerade dabei, sich neu zu erfinden?, beobachtet Tobias Kämpf, Wissenschaftler am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) in München. Während viele über neue Geschäftsmodelle nachdenken und mit innovativen Formen der Zusammenarbeit experimentieren, fehle oft ein Konzept für die Rolle von Führungskräften. "Das alte Leitbild des Chefs als Fürst in seinem Reich hat ausgedient", ist Kämpf überzeugt.

Analyst prophezeit viele Firmenpleiten

Doch was kommt dann? Das Tempo, mit dem technische Innovationen und Startups traditionelle Branchen und deren Geschäftsmodelle durcheinander wirbeln, lässt Unternehmen wenig Zeit. "Es wird viele Firmen zerreißen", glaubt Dan Bieler von Forrester Research im Hinblick auf die Digitalisierung. Der Analyst wagt die Prognose, dass die Hälfte der Unternehmen einen Transformationsprozess mit offenem Ergebnis durchlaufen, sprich nicht überleben. Mit Industrie 4.0, Big Data und technologischen Innovationen veränderten sich auch die Art und Weise, wie Menschen in Organisationen zusammenarbeiten.

Die Digitalisierung schreitet unaufhaltsam voran - und lässt so vielen Unternehmen wenig Zeit sich entsprechend zu wappnen.
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Das Forschungsprojekt "Wissensarbeit im Unternehmen der Zukunft nachhaltig gestalten", kurz "Wing", widmet sich auch der Frage nach dem Selbstverständnis von Arbeitskräften und Managern. Gefördert wird Wing vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Kooperationspartner ist unter anderem die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Wie sieht also die Organisation der Zukunft aus?

Bringen Transparenz und kollaborative Plattformen automatisch mehr Demokratie und Mitbestimmung ins Unternehmen oder ermöglichen sie vielmehr die absolute Kontrolle und führen zum digitalen Fließband? Noch scheint alles möglich. "Noch haben wir keine Blaupause für die neue Rolle von Führungskräften, doch bis zum Projektende wollen wir gemeinsam mit unseren Praxispartnern aus den Unternehmen Lösungen für zukunftsfähige Führungskonzepte erarbeiten", sagt Kämpf.

Manager sitzen zwischen allen Stühlen

Alte Gewissheiten verschwinden. Während sich die Arbeitswelt in den vergangenen Jahren rasant verändert hat, sitzen heute viele Manager zwischen allen Stühlen. Introvertierte Experten und durchsetzungsstarke Alpha-Tiere gelten gleichermaßen als verstaubt.

Ein moderner Manager kümmert sich um seine Mitarbeiter, begleitet den Wandel, motiviert sein Team zu Höchstleistungen und sorgt dafür, dass sich alle wohlfühlen. "Ist die Führungskraft noch Chef oder Diener eines selbständigen Teams?", bringt Kämpf das Dilemma des unteren und mittleren Managements auf den Punkt. Zahlengetrieben und Druck von oben, selbstbewusste und fordernde Mitarbeiter von unten, schränken den Gestaltungsspielraum ein.

Näher am Mitarbeiter sein, jedes Teammitglied coachen, gleichzeitig für ein 20- oder 30-köpfiges globales Team verantwortlich sein und die strategische Linie vorgeben, das funktioniert kaum reibungslos. Die steigenden Ansprüche spüren die mittleren Manager in ihrer Sandwich-Position. "Manche drohen an den Ansprüchen von oben und unten zu zerbrechen", fürchtet Kämpf und sieht deshalb Führungskräfte als Burn-out-Risikogruppe.

Manager und Führungskräfte müssen sich verändern, denn die Digitalisierung verlangt andere Kompetenzen als nur die eines dirigierenden Chefs.
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Chefs managen Beziehungen und Netzwerke

Auch Personalberater und Buchautor Ulf Andresen stellt Veränderungen in der Arbeit der Führungskräfte fest: "Heute sind Manager häufiger unterwegs, ihre Teams arbeiten an verschiedenen Standorten weltweit. Auch die Verteilung der Aufgaben ist komplizierter: Musste ein Chef früher nur nebenan ins Büro seiner Mitarbeiter gehen und sich mit ihnen absprechen, sitzen diese heute oft weit verstreut", weiß Andresen.

Technische Möglichkeiten wie Videokonferenzen oder Plattformen zum Austausch erleichtern das virtuelle Arbeiten. "In der Vergangenheit steckten Führungskräfte noch im Tagesgeschäft tief drin, das ist heute nicht mehr möglich", so der Hamburger Personalexperte. Ihre Aufgabe sei es, Beziehungen und Netzwerke zu managen.

Selbst-Marketing wird wichtiger

Doch was bedeutet die Digitalisierung für Manager? Wie verändert sich deren Selbstverständnis? "Selbst-Marketing wird wichtiger. Jeder sollte bereit sein, sein Wissen zu teilen und keine Angst vor diesem Schritt haben", meint Karin Sondermann von Avanade. Die Managerin mit dem etwas sperrigen Jobtitel "Intelligent Business (IIoT) und Hybrid Cloud Scenarios" zählt selbst zu den mobilen IT-Arbeitskräften. Sie verbringt viel Zeit bei Kunden, zieht sich ins Home-Office zurück, um konzentriert zu arbeiten und geht ins Büro, um sich mit Kollegen auszutauschen.

"Mitarbeiter müssen permanent Neues Lernen und sich schnell neuen Situationen anpassen", fordert sie. Die erfahrene Managerin weiß allerdings auch, dass heute jeder eine Strategie für den eigenen Karriereweg braucht. "Das Selbstmarketing nimmt viel Zeit in Anspruch", räumt die Managerin ein und fügt hinzu: "Ich gebe mein Wissen dosiert weiter."

Doch wer heute Macht und Einfluss hat, fürchtet solche Tendenzen. Andere sorgen sich einfach um ihren Job. Deshalb ist es für ISF-Mann Kämpf wichtig, dass alle Beschäftigte an den Veränderungen im Unternehmen beteiligt werden und sich nicht ausgeschlossen fühlen. Doch die grenzenlose Offenheit, das Teilen von Wissen und Erfahrungen kennt auch Verlierer. Viele Digital Natives verfügen über ein überbordendes Selbstbewusstsein, auch wenn sich das nicht immer mit ihren Fähigkeiten deckt. Manche verstünden es gut, sich das Wissen anderer anzueignen, ist zu hören. Wie Unternehmen mit all diesen Herausforderungen künftig umgehen werden, entscheidet auch, wie die Arbeitswelt der Zukunft aussieht.

Ganz andere Entscheidungsgrundlage als früher

Der neue Manager weiß, dass Innovationen vor allem im Team entstehen und dass er sich um die Balance von Stabilität und Veränderung kümmern muss, meint Margret Klein-Magar, Stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrats der SAP SE, Vorsitzende des Sprecherausschusses der Leitenden Angestellten der SAP SE und Vice President, Head of SAP Alumni Relations

Margret Klein-Magar, SAP, konstatiert, dass die Beziehungspflege wichtiger wird und Mitarbeiter Sicherheit brauchen.
Foto: SAP

Wie verändert sich mit der Digitalisierung die Rolle einer Führungskraft bei SAP?

Margret Klein-Magar: Ich habe vier Merkmale identifiziert. Dank neuester Technologien können Führungskräfte Milliarden von Datensätzen in Bruchteilen von Sekunden auswerten und somit ihre Entscheidungen fundiert und zeitnah treffen. Führungskräfte beziehen zunehmend die Experten in ihrem Team, in Unternehmensnetzwerken und auch außerhalb des Unternehmens mit ein, denn heute entstehen Innovationen im Austausch.

Das Beziehungs-Management wird zunehmend wichtiger: Eine Führungskraft bindet die Mitarbeiter in Entscheidungen ein und lässt ihnen viel Freiraum in ihrer Arbeit. Außerdem zählt zu den Aufgaben, die Sinnhaftigkeit der Arbeit aufzuzeigen und die Leistungen jedes Einzelnen wertzuschätzen. Ein vierter Aspekt ist die Balance von Stabilität und Veränderung im Auge zu behalten, denn Mitarbeiter brauchen Sicherheit.

Das klingt nach einem Vollzeitjob. Arbeiten SAP-Manager noch inhaltlich oder coachen sie hauptsächlich ihre Teams?

Margret Klein-Magar: Unsere Führungskräfte verfügen über ein gutes Fachwissen und kümmern sich um strategische Fragen. Reines Beziehungs-Management ist meines Erachtens nicht sinnvoll.

Experten fürchten, dass die Anforderungen an Manager zu hoch sind und sie an ihre Belastungsgrenzen stoßen. Wie schützt SAP seine Mitarbeiter davor?

Margret Klein-Magar: SAP hatte noch nie eine Zeiterfassung, jeder ist frei in seiner Arbeitszeitgestaltung. Wenn ich abends um acht Uhr an einer Telefonkonferenz teilnehme, nehme ich mir am Nachmittag Zeit zum Motorradfahren. Wir nennen das Work-Life-Integration.

Wie man das Team in die Digitalisierung mitnimmt
Achillesferse der Digitalisierung
In dem Papier "Being digital: Embrace the future of work and your people will embrace it with you" bezeichnet Accenture die Belegschaft eines Unternehmens als "Achillesferse" der Digitalisierung. Das Papier basiert auf Angaben von rund 700 Entscheidern weltweit sowie circa 2.500 Angestellten.
Befürchtungen der Mitarbeiter
Eine Mehrheit von 70 Prozent der Angestellten befürchtet den Verlust von Teamgeist, wenn die Kollegen per Fernzugriff arbeiten und nicht mehr ins Büro kommen. Etwa jeder Achte (zwölf Prozent) erwartet, seine Job-Aussichten werde sich durch die Digitalisierung negativ entwickeln.
Vorteile der Digitalisierung
Gleichzeitig erwarten die Angestellten aber auch Vorteile in den Punkten Innovationsfähigkeit ihres Unternehmens (71 Prozent), Agilität (69 Prozent) und Produktivität (68 Prozent). Insbesondere jüngere Befragte mit überdurchschnittlich hoher Qualifikation sehen die Vorteile der Digitalisierung – "wenig überraschend", wie Accenture schreibt.
Katalog digitaler Skills
Accenture rät Entscheidern, einen Katalog mit den benötigten digital Skills samt dem jeweiligen Kompetenzniveau zu erstellen.
Keine Nebensache
Entscheider dürfen das Thema Mitarbeiter nicht als Nebenschauplatz behandeln, so der Appell von Accenture. Sie brauchen eine "Test and learn"-Mentalität.