Morgens um sieben - das Frühstück steht noch nicht mal auf dem Tisch - liegen die Nerven der Anwohner bereits blank: Draußen wird ein Bagger vom Tieflader gewuchtet, was in der Regel Tage voller Stress, Schmutz und Straßensperren bedeutet. Leitungsarbeiten: Man kennt das und rechnet mit dem Schlimmsten.
Doch manchmal kommt es anders: Außer ein paar Quadratmetern frischen Asphalts ist von der Baustelle nichts mehr zu sehen, als die Familienernährer nach Hause kommen. Schlimmeres hat der kombinierte Einsatz von Satelliten- und mobiler Datentechnik verhindert. Geografische Informationssysteme auf dem PDA oder Laptop können Anwohnern den Stress und Leitungsnetzbetreibern hohe Ausgaben ersparen. Die volkswirtschaftliche Perspektive ist ebenfalls hochinteressant: In Deuschland liegen 3,8 Millionen Kilometer Fernwärme- und Gasleitungen, Wasser- und Abwasserrohre sowie Kommunikationskabel unter der Erde.
Rund 11000 davon besitzt Ruhrgas. Das Essener Unternehmen, das zum Energiekonzern Eon gehört, liefert über sein Fernnetz Erdgas an regionale Endversorger und Industriekunden; Marktanteil in Deutschland: gut 60 Prozent. Im System halten 26 Verdichterstationen den Gasdruck konstant; zwölf Untertagespeicher mit einem Gesamtvolumen von rund fünf Milliarden Kubikmetern gleichen saisonale Verbrauchsschwankungen aus. 612 Milliarden Kilowattstunden Energie steckten in der Gasmenge, die 2002 durch das Netz strömte.
Nicht nur für Ruhrgas gilt: Sämtliche Systemelemente von Gasleitungen sind kritisch für die Versorgung - und für die Sicherheit. Unfälle haben meist verheerende Folgen - wie Mitte August 2002 in Kamen, als nach einer Gasexplosion ein Mensch starb und die ICE-Strecke von Köln nach Berlin stundenlang gesperrt werden musste; ein Bagger hatte eine Versorgungsleitung der Stadtwerke angekratzt. In deren Leitungen liegt lediglich ein Druck von 5 Bar an; das Ferngassystem von Ruhrgas muss dagegen bis zu 80 Bar aushalten. Mehrere hundert Servicetechniker sorgen hier für Wartung und Instandhaltung. Die Kollateralschäden, die sie dabei anrichten, sind deutlich geringer geworden, berichtet Peter Loef, Leiter von Ascos, dem Positioning-Services-Bereich von Ruhrgas.
Servicetechniker greifen auf ERP-Daten zu
250 Techniker verfügen seit Anfang dieses Jahres über mobile Endgeräte, mit denen sie Baulöcher genau einmessen wie auch jederzeit Daten über anstehende und abgeschlossene Arbeiten mit dem zentralen ERP-System austauschen können. Die Basisdaten des geografischen Informationssystems - bestehend aus Luftbildern, Grundkarten und Straßenkarten - liefern kommerzielle Geo-Content-Provider. Um diese Informationen für die Disposition und die Arbeit der Servicetechniker nutzbar zu machen, müssen sie mit Karten des Ruhrgas-Leitungsnetzes überlagert werden. Hinzu kommen Sachdaten über das unterirdisch verbaute Material, sein Alter und seinen Wartungszustand. "80 Prozent der Daten von Leitungsnetzbetreibern haben geografischen Bezug", sagt Loef.
Mobile Geo- und Sachdaten
"Je genauer die Messungen sind, desto besser und billiger fallen die Wartungsarbeiten aus", erklärt Loef. Die Integration von Satelliten- und Mobiltechnik schone aus diesem Grund nicht nur die Nerven von Anwohnern, sondern rechne sich zudem für die Leitungsbetreiber, versichert er. Beispiel: Die Prozessumstellung für das Einmessen neuer Kabelmuffen an elektrischen Verbrauchern habe sich nach 18 Monaten amortisiert. Statt die Lage der Reparaturstellen durch Vermessungsbüros ermitteln zu lassen (Kosten: bis zu 500 Euro pro Bauloch), erledigten die Ruhrgas-Techniker das mit ihren geofähigen Laptops oder PDAs nun in zehn Minuten - "inklusive Rüstzeiten", betont Loef. "Die Datenqualität ist zudem deutlich höher, und die Baugruben werden kleiner, weil die Techniker bis auf zwei Zentimeter genau messen können." Darüber hinaus würden während der Grabungen keine Messpflöcke mehr verschoben. "Und Straßensperren dauern jetzt nur noch ein paar Stunden statt Tage oder Wochen", hebt Loef hervor. 20 der 250 Mobilsysteme böten Zwei-Zentimeter-Genauigkeit.
Um mit dieser beinahe chirurgischen Exaktheit unter das Pflaster vorstoßen zu können, sind die Arbeiter auf das Beste angewiesen, was Ascos zu bieten hat. "Unser Primärprodukt sind Korrekturdaten zu den Positionierungsdaten der Satellitensysteme", erläutert Loef. Was das US-amerikanische Global Positioning System (GPS) und der russische Dienst Glonass (Globales Navigationssatelliten-system) liefern, wird um die Positionen von hunderten Referenzstationen ergänzt, deren geografische Positionen sehr exakt vermessen wurden. Sie werden teils von Ascos, teils von den Vermessungsämtern der Bundesländer betrieben, die Rohdaten täglich beim Bundesamt für Kartografie und Geodäsie ausgewertet. Diese "differenzielle" Ergänzung der GPS- und Glonass-Daten erlaubt bundesweit eine Vermessungsgenauigkeit von 50 Zentimetern.
Noch genauer geht es momentan in Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Thüringen, Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und im Saarland: Hier lassen sich Messungen mit bis zu zwei Zentimeter Genauigkeit realisieren. Ende des Jahres soll der "Präzise Echtzeitdienst" bundesweit angeboten werden, verspricht Loef.
Er geht davon aus, dass geografische Informationen immer wichtiger werden, nicht nur für Ver- und Entsorger. Im Straßen-, Bahn-, Schienen- und Wasserwegebereich kämen Bauer und Betreiber künftig kaum noch ohne kontrollierbare geografische Bezüge aus. Doch damit nicht genug. "Die EU verlangt neuerdings Geo-Informationssysteme für die Forstflächenvermessung", sagt Loef. "Der Förster tauscht die Flinte mit dem GPS-Rucksack." Auch im Wald dürfte es also künftig leiser werden.
Geo-Informationen: Hintergrund und Anbieter