CIO des Jahres 2022 – Mittelstand – Platz 1

Christoph Grewe-Franze globalisiert die Mercer-IT

13.10.2022 von Jens Dose
Weg von lokalen Silos, hin zu einer globalen und zukunftssicheren Organisation: Seit zwei Jahren transformiert CIO Christoph Grewe-Franze die IT von Mercer.
Ein CIO müsse die Strategie und Richtung vorgeben, Mitarbeitende Fehler machen lassen und die richtige Balance zwischen Strategie und Hands-on-Umsetzung finden – davon ist Mercer-CIO Christoph Grewe-Franze überzeugt.
Foto: Mercer International

"Mein Schlüsselerlebnis hatte ich im Rahmen meiner Einarbeitung in unserem Werk im kanadischen Peace River nach vier Wochen im Juli 2019," berichtet Christoph Grewe-Franze, Chief Information Officer von Mercer International. "Dateien von lokalen Sharepoint-Servern zu laden, dauerte viel zu lange, was für eine Zeitverschwendung! Zudem basierte ein Teil des Reportings noch auf Excel", so der Manager. Um das zu ändern, riefen er und sein Team das IT-Großprojekt "Mercer Connected" ins Leben.

Lokal organisierte IT bringt Nachteile

Mercer ist ein nordamerikanisches Unternehmen im Bereich Forstprodukte. Das Geschäft gliedert sich in die zwei Segmente Zellstoff und Holz mit insgesamt vier Produktsparten. Der Konzern umfasst zehn Unternehmen in vier Ländern auf ebenso vielen Kontinenten. Dabei sind die Unternehmen lokal und autark organisiert.

Ebenso war die IT lokal aufgestellt. "Es gab kein IT-Headquarter, keinen CIO, alle Ressourcen waren in den Werken angesiedelt," erinnert sich Grewe-Franze. Vor diesem Hintergrund sollte er die Voraussetzungen für Wachstum, Sicherheit, Innovation, Kostenoptimierung sowie Synergien schaffen. Über all dem stand die Aufgabenstellung, Antworten auf die Frage zu finden: "Was müssen wir heute tun, damit unser Geschäftsmodell ewig funktioniert?" Wichtig für Mercer sind zudem Themen wie nachhaltige Forst­wirtschaft, Reduktion des CO2-Fuß­abdrucks, bessere Rohstoffnutzung sowie eine weitere Reduzierung der Umweltbelastung.

Cloud first, zentral und virtuell

Von Juli bis September 2019 analysierte das Team um Grewe-Franze gemeinsam mit den lokalen IT-Managern die aktuelle Lage. Im Oktober verabschiedeten alle Gremien inklusive des Aufsichtsrates die ­künftige IT-Strategie, die nach Auswertung des Status quo erarbeitet wurde. Daraus entstand ein Vier-Punkte-Plan:

Das gesamte Programm erhielt den Namen "Mercer Connected" und wurde in mehrere Teilprojekte und organisatorische Veränderungen untergliedert.

Für das Cybersecurity-Programm hat das Team um Grewe-Franze ein einheitliches, über die Cloud verwaltetes Security Framework mit Managed Services im 24/7-Betrieb aufgebaut. Das Projekt lief von September 2019 bis März 2022.

Bevor Grewe-Franze bei Mercer International antrat, gab es kein IT-Headquarter und keinen CIO. Alle Ressourcen waren in den einzelnen Werken angesiedelt. Im Bild: Der Peace River in Kanada.
Foto: mercerint.com

Kernstück des Frameworks ist ein nach ISO 27001 zertifiziertes Security Operations Center (SOC), ergänzt durch eine cloudbasierte Secure-Access-Service-Edge-Technologie. Darüber hinaus implementierte die Mercer-IT ein Security-Awareness-Programm samt Schulungen und Trainings. Strategische Partnerschaften mit Secu­rity- und Cloud-Anbietern runden die Maßnahmen ab.

Alles in die Google-Cloud

Mit Beginn der Corona-Lockdowns im März 2020 führte Mercer weltweit Google Workplace ein. Dazu gehören etwa Dienste für Mail, Chat und der Cloud-Speicher Drive sowie Videokonferenzen, Google Groups und Mobile Device Management. Für Home-Office-User galt die Devise "Bring your own Device (BYOD)". Lokale Daten migrierte die IT bis Dezember 2021 schrittweise auf die neue Plattform, während die Belegschaft eine neue Kollaborationskultur einübte: von einer mailbasierten hin zu einer dokumentenzentrierten Arbeitsweise.

Auch für Reporting, Analytics und Predictive Main­tenance im Kontext von Smart Factory setzt das Unternehmen auf die Dienste der Kalifornier. Auf der Google Cloud Platform (GCP) wurde ein BigQuery-Data-Ware­house samt Connected Sheets entwickelt, um Informa­tionen aus allen Tabellen und Systemen zu verarbeiten. Daten aus SAP-Systemen wurden extrahiert. In Pilot­projekten erstellte das Team Dashboards und Reports mittels Google Data Studio für den kompletten Rohstoff­einkauf und den Zellstoffvertrieb.

Alle Firmenergebnisse sind nun in einem zentralen System konsolidiert. Geplant ist ein globales Reporting- und Analyse-Framework in Zusammenarbeit mit GCP. "Das ist die Voraussetzung für die Abschaffung des bisherigen Excel-basierten CFO-Dashboards," erklärt der CIO. Seit Mai 2022 läuft dafür die Analysephase.

Lokale Applikationen, wie etwa die "Health&Safety"-App für Werksarbeiter am Standort Kanada, portierte die IT ebenfalls auf die Cloud-Plattform. So werden bisher vier lokale Applikationen für Betriebssicherheit durch eine globale Lösung ersetzt. Monats- und Quartalsreports sind passé, da die Informationen stets online verfügbar sind. Zudem haben die Mitarbeitenden von jedem Ort und zu jeder Zeit Zugriff auf die Anwendung.

Globale Steuerung der Werksanlagen

Auch in den Fabriken setzt Mercer auf Globalisierung. Bisher betreibt das Unternehmen drei verschiedene Systeme mit unterschiedlichen Automatisierungsgraden. So nutzt die kanadische Dependance eine Lösung mit 25.000 Messpunkten, während in Deutschland das Dreifache an Informationen verarbeitet wird. Statt ein neues System in Kanada einzuführen, entschied sich Mercer, dort die deutsche Lösung einzusetzen.

Seit Januar 2022 läuft die Implementierung, im August folgte der Go-live auf der ersten Anlage. Der weitere Rollout ist für die nächsten fünf bis sechs Jahre geplant. "Das ist die Voraussetzung für einen globalen virtuellen Kontrollraum, mit dem Ziel, selbststeuernde, autonom arbeitende smarte Fabriken zu schaffen," erläutert der CIO. Dabei nutze man Machine Learning und künstliche Intelligenz. Dies sei die wichtigste strategische Entscheidung für die nächsten rund zwanzig Jahre gewesen.

Mercer International ist Anbieter von Forstprodukten wie Holz und Zellstoff.
Foto: mercerint.com

Weil ohne die passende Unternehmenskultur die beste Strategie scheitert, kümmerte sich Grewe-Franze mit seinem Team auch intensiv um das Changemanagement bei Mercer. Lokal organisierte Silos wollte er aufbrechen und zu einem globalen kollaborativen Ganzen formen. Dazu wurde eine weltweite Key-User-Organisation für alle Prozesse gegründet, die als Inkubator und Talentpool dient. Für alle Geschäftsprozesse gibt es nun lokale und globale Business-Prozess-Verantwortliche.

Eingebettet sind diese Maßnahmen auch in interkulturellen Trainings. Kanadier und Deutsche haben laut dem CIO unterschiedliche Denk- und Handlungsweisen. Das galt es aufzulösen. Die Maßnahmen kommen bei der Belegschaft offenbar gut an. Laut Grewe-Franze liegt die Mitarbeiterfluktuation praktisch bei null.

1. Platz beim CIO des Jahres 2022

Mit diesem Projekt schaffte es Grewe-Franze ganz nach vorn im IT-Wettbewerb CIO des Jahres von CIO-Magazin und COMPUTERWOCHE: Er kam auf Platz eins in der Kategorie Mittelstand. Die Jury sagt: "Hier zeigt sich, dass durch gut durchdachte Lösungen und die Zusammenführung von Teams nicht nur Strukturen sicherer und effizienter werden. IT- und Digitalisierungsvorhaben schaffen auch Möglichkeiten für nachhaltiges Wirtschaften."

Die wichtigsten CIOs der deutschen Energiebranche
Damian Bunyan
Damian Bunyan ist seit Januar 2016 CIO der E.ON-Abspaltung Uniper in Düsseldorf. In dem Unternehmen werden die E.ON-Bereiche konventionelle Stromerzeugung, Energiehandel und Exploration & Produktion gebündelt. Von 2006 bis 2013 war Bunyan Mitglied der Geschäftsführung des E.on Business Services.
Sebastian Weber
Seit 1. Juli verantwortet Sebastian Weber als CTO bei Eon den IT-Betrieb. Er soll auch die digitalen Plattformen des Konzerns ausbauen. Zudem hat er gemeinsam mit Christopher d'Arcy in einer Doppelspitze die Geschäftsführung der IT-Tochter Eon Digital Technology GmbH übernommen. Beide berichten direkt an Digitalvorständin Victoria Ossadnik.
Martin Hölz
Ab 1. April 2020 wird Martin Hölz CIO der Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) mit Sitz in Karlsruhe. Er löst Frank Krickel ab, der seit Juni 2017 die Position des Leiter der Funktionaleinheit Informationstechnologie (C-TI) innehatte und das Unternehmen auf eigenen Wunsch verlässt.
Philip Lübcke
Philip Lübcke ist seit September 2019 Geschäftsbereichsleiter IT der TEAG Thüringer Energie. Er berichtet an den Vorstand Personal und IT Wolfgang Rampf. Zuvor war Lübcke sechseinhalb Jahre lang CIO der Frankfurter Mainova AG. Insgesamt brint er 15 Jahre Erfahrung aus der Energiebranche mit.
Jan-Wilm Buschkamp
Jan-Wilm Buschkamp ist seit August 2019 Bereichsleiter IT der Mainova AG. Seitdem hat das Team um den CIO mit „hybrIT2023“ ein IT-Transformationsprogramm erarbeitet, um den Frankfurter Energieversorger zukunftsfähig zu machen. Ziel des Programms ist es unter anderem, mehr Wert zu generieren, das Unternehmen lean und agil aufzustellen sowie Prozesse end-to-end zu gestalten.
Oliver Herzog
Zum 1. September 2023 übernimmt Oliver Herzog den CIO-Posten bei der Thüga. Seine Vorgängerin Annette Suckert scheidet altersbedingt aus dem Unternehmen aus.
Thorsten Steiling
Thorsten Steiling ist seit Februar 2019 CIO Oerlikon Group & Managing Director Oerlikon IT Solutions AG. Er berichtet an Boris von Bieberstein, Head of Group Business Services. Zuvor war Steiling von September 2017 bis Januar 2019 CIO/Head of Corporate IT beim Automobilzulieferer Veritas AG in Gelnhausen.
Marcus Schaper
Marcus Schaper ist CIO bei der neuen RWE-Tochter Innogy. Er kommt von der Mutter RWE. Er war zuvor Head of IT bei der RWE Supply & Trading. Schaper hat an der WWU Münster Wirtschaftsinformatik studiert und war seit dem Jahr 2000 bei McKinsey. Zu RWE kam er im April 2010. Bis zum Börsengang der neuen RWE-Tochter fungierte Schaper als CIO für beide Konzernteile, seitdem ist er CIO der neuen Tochtergesellschaft. Übergreifende IT-Aufgaben in der RWE AG werden derzeit von Winfried Bröring wahrgenommen.
Jan Leitermann
Seit Juni 2017 ist Jan Leitermann Group CIO beim österreichischen Öl- und Erdgaskonzern OMV in Wien. Leitermann war zuvor Managing Director und Board Member beim Beratungsunternehmen Accenture AG Schweiz.
Jürgen Skirde
Jürgen Skirde ist CIO der RAG. Gleichzeitig hat er die operativ ausgerichtete Funktion des IT-Leiters inne. Im Konzern arbeitet der Diplom-Ingenieur schon seit 1985 - zunächst zehn Jahre auf Bergwerken, seither im IT-Management. Unter anderem leitete er SAP-Einführungsprojekte, von 2004 bis 2011 war er für die Infrastruktur verantwortlich.
Jan-Hendrik Semkat
Seit November 2017 ist Jan-Hendrik Semkat neuer Bereichsleiter Innovations- & IT-Management bei Natgas. Der gebürtige Oldenburger war mehrere Jahre in den Bereichen Softwareentwicklung, Projektmanagement und Beratung in der Energiewirtschaft tätig. Zuletzt war er Geschäftsführer der SIV Utility Services.
Jörg Ochs
Jörg Ochs (51) hat am 2. September die Leitung der Informationstechnologie der Stadtwerke München (SWM) übernommen. Er berichtet an den technischen Geschäftsführer der SWM Helge-Uve Braun. Ochs ist bereits seit 2017 Geschäftsführer der SWM Infrastruktur GmbH, der SWM Infrastruktur Region GmbH und der RegioNetzMünchen GmbH. Insgesamt ist er bei der SWM seit 2003 beschäftigt, unter anderem als Senior-Manager IT-Security, Leiter IT-Security und Datacenter/Infrastruktur und als Leiter Telekommunikation bei der SWM Services GmbH.
Michael Seiferth
Im Oktober 2021 hat Michael Seiferth die Geschäftsführung der N-Ergie IT übernommen. Vorgänger Klaus Vogl hat das Unternehmen verlassen.
Sebastian Träger
Seit April 2024 leitet Sebastian Träger die IT des Energieversorgers Enercity. Er soll unter anderem das ERP-System modernisieren.