Berliner Charité

CIO Martin Peuker hebt den Datenschatz

17.08.2020 von Wolfgang Herrmann
Mit der Health Data Platform verbessert Charité-CIO Martin Peuker die Patientenversorgung und unterstützt die medizinische Forschung. Die Corona-Pandemie sieht er als Beschleuniger für den digitalen Wandel im Gesundheitswesen.
Martin Peuker, CIO der Berliner Charité: "Von Gaia-X könnte der gesamte Health-Sektor profitieren."
Foto: Charité

Die Digitalisierung, insbesondere im Gesundheitswesen, ist jetzt wirklich auch in Deutschland angekommen, sagt Martin Peuker, CIO der Berliner Charité. Das betreffe nicht nur den Durchdringungsgrad, sondern auch die Art und Weise, wie Projekte umgesetzt würden: "Man kann daher schon sagen, dass die Corona-Krise aus IT-Sicht eine extrem spannende Zeit mit einer nie dagewesenen Agilität war. Sie hat den kulturellen Wandel in der Charité positiv beeinflusst und beschleunigt."

Dabei war die Charité, die zu 100 Prozent dem Land Berlin gehört, wie kaum ein anderes Großunternehmen von der Krise betroffen. Mit mehr als 3.000 Betten ist sie nicht nur eine der größten europäischen Universitätskliniken, sondern auch eine bedeutende Lehr- und Forschungsstätte mit gut 8.000 Studierenden und 290 Professoren. Zu ihnen gehört auch der inzwischen bundesweit bekannte Virologe Christian Drosten, auf dessen Rat sich auch die Politik verlässt. Mit rund 15.500 Beschäftigten erwirtschaftete das Unternehmen 2019 Einnahmen von zwei Milliarden Euro.

Wie viele andere Kliniken mussten auch die Berliner schnell auf den Ausbruch des Coronavirus reagieren. Binnen zwei Wochen wurden beispielsweise fünf Covid-19-Stationen eingerichtet; rund 8.000 Medizin-Studenten nahmen nur noch an virtuellen Lehrveranstaltungen teil. Auch das Thema Home Office blieb dem CIO nicht erspart. In der Hochphase der Krise arbeiteten mehr als 4.500 Beschäftigte von zuhause, blickt Peuker zurück, "und zwar sieben Tage die Woche." Die Hilfs­bereitschaft, auch von Seiten der IT-Anbieter, sei enorm gewesen. So hätten sich verschiedene Technologie­unternehmer persönlich dafür eingesetzt, dass die Charité Produkte, die während der Pandemie dringend benötigt wurden, schneller als üblich geliefert bekam.

Digitale Krankenhausversorgung

Jenseits der coronabedingten Maßnahmen beschäftigen den CIO vor allem zwei große Vorhaben: die Digitalisierung der Krankenhausversorgung und das Projekt "Health Data Platform". Zwar sei die Charité in Sachen Qualität und Prozesseffizienz gut aufgestellt und könne als eine von wenigen Kliniken in Deutschland eine Zertifizierung nach der Qualitätsmanagement-Norm ISO 9001 vorweisen. Doch auch in den Berliner Kliniken laufen Prozesse noch längst nicht durchgängig papierlos, erläutert der studierte Wirtschaftsingenieur. Um den Fortschritt zu messen, greift er auf Reifegradmodelle für den Medizinbereich aus dem angelsächsischen Raum zurück.

Die Skala reicht von 0 (Prozesse laufen ohne IT-Unterstützung) bis 7. Den höchsten Reifegrad erreichen Organisationen, wenn sie nicht nur Prozesse im Krankenhausbetrieb vollständig digitalisiert haben, sondern auch neue Technologien wie Machine Learning oder Text Mining einsetzen, um etwa Erkenntnisse aus erhobenen Daten zu gewinnen und diese mit Informationen aus externen Datenbanken anzureichern. Peuker: "Am Ende geht es darum, Ärzten und Pflegekräften während des Dokumentationsprozesses eine bessere Entscheidungsunterstützung zu geben."

Die Top-CIOs der Gesundheitsbranche
Holger Witzemann, AOK Systems
Holger Witzemann ist seit Mai 2016 Geschäftsführer der AOK Systems. Der Diplom-Ingenieur für Technische Informatik war vorher Geschäftsführer im Bitmarck-Konzern in Essen, einem IT-Anbieter für Betriebs-, Innungs- und Ersatzkassen sowie die DAK-Gesundheit und weitere Ersatzkassen. Witzemann verantwortet nun die Softwareentwicklung für die gesamte AOK-Gemeinschaft, die BARMER, die BKK Mobil Oil, die VIACTIV Krankenasse und die Hanseatische Krankenkasse.
Stefan Henkel, Siemens Healthineers
Stefan Henkel ist CIO von Siemens Healthineers. Stefan Henkel absolvierte sein Studium in Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bamberg, wo er ebenfalls seine Promotion abschloss. Nach Stationen als Lehrbeauftragter und selbstständiger IT-Berater, startete er im Jahr 1996 seine berufliche Laufbahn bei Siemens Management Consulting in München. Bereits 1997 übernahm er die Leitung der Supply Chain Beratung im Bereich Corporate Procurement and Logistics. Nach weiteren leitenden Positionen in verschiedenen Abteilungen wechselte er 2006 in den Bereich Customer Services der Healthcare-Sparte. Dort verantwortete er weltweit "Product Support" und den "Siemens Remote Service". Nachdem er ein unternehmensweites Transformationsprojekt erfolgreich leitete, übernahm Stefan Henkel 2011 die Position des Leiters für Customer Relationship Management Operations. Daraufhin übernahm er die Verantwortung als Leiter der IT und seit 2018 besetzt Stefan Henkel die Position des CIO von Siemens Healthineers.
Hans-Ulrich Prokosch, Uniklinikum Erlangen
Hans-Ulrich Prokosch ist CIO am Uniklinikum Erlangen und Inhaber des Lehrstuhls für Medizinische Informatik an der Universität Erlangen-Nürnberg. Bis 2003 war er Professor für Medizinische Informatik an der Universität Münster. Prokosch hat Mathematik studiert, dann einen Doktor in Humanbiologie gemacht und sich anschließend im Fach Medizinische Informatik habilitiert.
Markus Balser, Rhön Klinikum AG
Markus Balser ist seit Februar 2018 Konzernbereichsleiter IT/Konzern-EDV an der Rhön-Klinikum AG. Zuvor war er seit 2008 bei der Accenture GmbH als Managing Director im Bereich Technology Strategy verantwortlich für Enterprise Architecture & Application Strategy im deutschsprachigen Raum.
Andreas Strausfeld, Bitmarck Holding
Im Juli 2014 ist Andreas Strausfeld zum Geschäftsführer der Bitmarck Holding GmbH aufgestiegen. Damit steht er dem IT-Dienstleister für Krankenkassen vor. Andreas Strausfeld ist seit 2008 als Geschäftsführer bei der Bitmarck Holding GmbH und seit 2010 bei der Bitmarck Vertriebs- und Projekt GmbH aktiv. In gleicher Funktion war er in Personalunion auch von 2012 bis 2013 bei der Bitmarck Software GmbH tätig. 2018 wurde sein Vertrag bei Bitmarck vorzeitig um vier Jahre bis 2024 verlängert.
Stefan Domsch, Synlab
Im Juli 2024 wechselte Stefan Domsch die Branche und stieg als IT-Chef bei Synlab ein. Bisher war er Group CIO vom TÜV Süd.
Ingo Elfering, Fresenius
Seit Juli 2020 besetzt Ingo Elfering den neu geschaffenen CIO-Posten bei der Fresenius Gruppe. Der gelernte Wirtschaftsinformatiker soll die globalen IT-Aktivitäten des Konzerns koordinieren und weiterentwickeln. Zudem übernimmt er die Leitung der IT-Dienstleistungs-Tochter Fresenius Netcare, die mittlerweile in Fresenius Digital Technology umbenannt wurde. Elfering berichtet an den Finanzvorstand.
Jens Schulze, Universitätsklinikum Frankfurt am Main
Jens Schulze ist seit September 2019 CIO und Leiter des Dezernats für Informations- und Kommunikationstechnologie (DICT) im Universitätsklinikum Frankfurt. Sein Vorgänger Martin Overath ist jetzt Geschäftsleiter Medizinischer Arbeitsplatz beim Softwarehersteller Knowledgepark. In seiner Rolle verantwortet Schultz alle Bereiche der administrativen und klinischen IT inklusive der Telekommunikation. Er berichtet an den kaufmännischen Direktor als Mitglied des Vorstands. Für seine Leistungen als CIO der Uniklinik Leverkusen (2013-2019) wurde Jens Schulze beim CIO des Jahres 2019 in der Kategorie Public Sektor ausgezeichnet.
Michael Kraus, Universitätsklinikum Freiburg
Michael Kraus ist seit August 2014 für die IT am Universitätsklinikum Freiburg verantwortlich. Bereits seit 2009 war er stellvertretender Leiter des Klinikrechenzentrums. Nach seinem Physik-Studium und einer Promotion im Bereich der Systembiologie war Kraus wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Medizinischen Fakultät der Universität Freiburg. 1996 wechselte er als IT-Leiter in die Universitätsverwaltung und verantwortete dort ab 1999 als Dezernatsleiter neben der IT für das Campus Management die Bereiche Controlling, Organisation und Neue Medien.
Rudolf Dück, UKSH
IT-Chef am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) ist seit Januar 2019 Rudolf Dück. Er übernahm die Leitung der Stabsstelle Informationstechnologie. Zugleich ist er Geschäftsführer der UKSH Gesellschaft für IT Services mbH (ITSG) sowie der Gesellschaft für Informationstechnologie (GfIT). Davor war Dück als Leiter des Bielefelder IT-Servicezentrums (BITS) an der Universität Bielefeld tätig.
Manfred Criegee-Rieck, Klinikum Nürnberg
Manfred Criegee-Rieck leitet seit Juni 2017 die IT des Klinikums Nürnberg. Der neue IT-Leiter ist Nachfolger des langjährigen CIOs Helmut Schlegel. Er kommt von den Franziskanerbrüdern vom Heiligen Kreuz, wo er Gesamtleiter IT war.
Heiko Reinhard, Ottobock
Heiko Reinhard ist seit Mai 2018 neuer CIO beim Duderstädter Medizintechnik-Hersteller Ottobock. Er war bislang als CEO des IT-Dienstleisters Sycor, der IT-Tochter von Ottobock, in Amerika und als IT Director North America für Ottobock tätig.
Patrick Wenz, Universitätsmedizin Mainz
Patrick Wenz leitet die IT der Universitätsmedizin Mainz bis Ende 2023 im Interim.
Jan Vitt, Universitätsmedizin Mainz
Ab Januar 2024 soll Jan Vitt die IT der Universitätsmedizin Mainz leiten.
Aude Vik, Techniker Krankenkasse
Seit Anfang 2024 ist Aude Vik Geschäftsbereichsleiterin Informationstechnologie bei der Techniker Krankenkasse.
Gunther Nolte, Vivantes-Klinik
Gunther Nolte ist schon seit 2001 IT- und TK-Direktor beim Gesundheitsnetzwerk Vivantes. Der Diplom-Informatiker arbeitete nach seinem Studium zunächst als Softwareentwickler in einem Systemhaus. Zwischen 1986 und 2001 war er unter anderem als Projektleiter für den Aufbau eines Tumorregisters am onkologischen Schwerpunkt Klinikum Kassel verantwortlich.
Dirk Herzberger, Helios Kliniken
Seit 1998 leitet Dirk Herzberger die IT der Klinikkette Helios, die seit 2005 zu Fresenius gehört. Mit seiner Abteilung "Zentraler Dienst IT" stellt er dem gesamten Unternehmen die PC-gestützte Infrastruktur zur Verfügung - das reicht von medizinischen Dokumentationssystemen über die IT für Abrechnungen bis zu Telemedizin-Lösungen. Diplom-Ingenieur Herzberger war zuvor sechs Jahre Leiter EDV der Asklepios Neurologischen Klinik Bad Salzhausen und ab 1993 am Aufbau der Zentrale Dienste EDV der Asklepios Gruppe beteiligt. Zwischen 1988 und 1992 arbeitete Herzberger als Entwicklungsingenieur in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung sowie in der Abteilung Technische EDV der Firma Weiss Umwelttechnik.
Franz-Helmut Gerhards, DAK
Franz-Helmut Gerhards ist seit Oktober 2016 CDO und Mitglied der Geschäftsleitung der DAK-Gesundheit in Hamburg. Er ist für die unternehmensweite digitale Transformation der Krankenkasse verantwortlich. Dazu gehört neben der strategischen Ausrichtung der DAK den Aufbau eines digitalen Ökosystems sowie die digitale Transformation aller relevanten Kundenprozesse mit dem Fokus auf die Kundenorientierung. Zudem verantwortet Gerhards den mit der Digitalisierung verbundenen kulturellen Wandel und leitet die Digitale Fabrik, die als interner Inkubator die digitale Transformation der Kasse operativ gestaltet.
Henning Schneider, Asklepios Konzern
Henning Schneider hat im Oktober 2016 die Leitung des Konzernbereichs IT im Asklepios Konzern übernommen. Er folgt auf Martin Stein, der das Unternehmen verlassen hat, um als Kaufmännischer Geschäftsführer des Gemeinschaftsklinikums Mittelrhein tätig zu sein. Schneider wechselte vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) zu Asklepios. Am UKE leitete er seit 2012 als CIO den Geschäftsbereich Informationstechnologie. Bereits seit 2008 trug er dort Verantwortung für die medizinischen IT-Systeme und die Umsetzung der elektronischen Patientenakte.
Martin Peuker, Charité
Martin Peuker ist CIO der Berliner Charité. Große Hoffnungen setzt Peuker in die europäische Cloud-Initiative Gaia-X, die allmählich Formen annimmt: "Von Gaia-X könnte der gesamte Health-Sektor profitieren", ist er überzeugt. Die Charité unterstütze die Initiative schon jetzt aktiv. Bisher kommen Cloud-Ressourcen ausschließlich im Verwaltungsbereich der Charité zum Einsatz.
Kurt Kruber, Klinikum der Universität München
Seit Dezember 2012 verantwortet Kurt Kruber am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität Medizintechnik und Informationstechnik. Beide Ressorts sollen unter der Führung des 49-Jährigen näher zusammenrücken, wie sich auch an der Agenda des IT-Chefs zeigt: Eines seiner Projekte ist das Zusammenführen der Mitarbeiter aus diesen Bereichen.
Bernd Christoph Meisheit, Sana Kliniken
Bernd Christoph Meisheit ist seit August 2009 Geschäftsführer bei der IT-Tochter der Sana Kliniken. Meisheit stieß damals zu Gerald Götz, der die Sana IT Services bereits zwölf Jahre lang leitete, und formte mit ihm eine Doppelspitze. Seit Götz Sana im Herbst 2010 verlassen hat, leitet Meisheit die IT des Klinikbetreibers allein. Meisheit war zuvor IT-Verantwortlicher des Klinikverbandes St. Antonius und Geschäftsführer der Gesellschaft für Information und Technologie im Gesundheitswesen in Wuppertal. In den Jahren 2000 bis 2008 war er CIO der MTG Malteser Trägergesellschaft und Mitglied des Kooperationsrates der Deutsche Malteser GmbH. In dieser Funktion wurde er 2007 von unserer Schwesterpublikation Computerwoche für ein Rechenzentrumsprojekt zum Anwender des Jahres in der Kategorie IT-Performance gekürt. Von 1992 bis 1997 war er Leiter der Abteilung IT und Organisation und ab 1998 stellvertretender Leiter der Hauptabteilung Finanzen, Unternehmensrechnung und Informationssysteme der Flughafen Köln/Bonn GmbH. Meisheit hat in Köln die Fächer Nachrichtentechnik und Informationsverarbeitung studiert.
Die Unternehmens- und IT-Fakten der Charité.
Foto: cio.de

Die Charité habe sich schon vor einigen Jahren bewerten lassen und dabei den Wert 5,2 erreicht, so Peuker: "Das ist nicht schlecht, lässt aber noch Luft nach oben." Immerhin habe die Bundesregierung mittlerweile wegweisende Initiativen gestartet, darunter das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG), das es Ärzten beispielsweise erlaubt, Apps zu verschreiben oder Videosprechstunden einfacher zu nutzen. Auch die elektronische Patientenakte werde 2021 kommen und der Digitalisierung einen Schub verleihen.

Die digitale Krankenhausversorgung gehört für Peuker zum Pflichtprogramm. Als Kür sieht er dagegen die Health Data Platform, ein Großprojekt, das die Charité schon seit mehreren Jahren verfolgt. Die Anstöße kamen aus dem Wissenschaftsbereich, berichtet der CIO. "Es geht um einen besseren Zugang zu qualitativ hochwertigen Daten, aber auch darum, die Forschung voranzubringen und Drittmittel einzuwerben."

Dabei verfolge man zwei Stoßrichtungen: "Zum einen wollen wir Daten, die am Krankenhausbett erhoben werden, möglichst schnell mit Daten aus der Grundlagenforschung, besonders in der Genom-Analyse, verknüpfen, um daraus einen Mehrwert für die Patienten zu gewinnen." Zum anderen gehe es darum, Daten aus der Behandlung über pseudonymisierte oder anonymisierte Algorithmen der Grundlagenforschung zur Verfügung zu stellen.

Daten trainieren Algorithmen

Mit den Daten trainierten Charité-Experten zum Beispiel einen Algorithmus für die Vorhersage von akutem Nierenversagen. Peuker: "Wir haben damit bereits einige Patienten schneller in den Fokus klinischer Spezialisten gebracht." Die behandelnden Ärzte konnten in der Folge etwa schneller eine Dialyse einleiten, um Komplikationen zu verhindern.

Für solche Szenarien sei es notwendig, Daten strukturiert und nach internationalen Standards abzulegen, so der IT-Chef. "Für das Machine Learning brauchen wir insgesamt viel mehr Daten, nicht nur lokal, sondern auch über Landesgrenzen hinweg. Die Region Berlin-Brandenburg reicht nicht." Ebenso wichtig sind aus seiner Sicht bundesweit einheitliche Strukturen im Datenschutz, die klar regeln, welche Daten wie verwendet werden dürfen und wem sie gehören. Zwar gebe es auf diesem Gebiet viele Fortschritte. "Aber Deutschland ist noch zu behäbig, vor allem wenn es um länderüber­greifende Regelungen geht."

Geholfen hat beispielsweise die Medizininformatik-Initiative, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 150 Millionen Euro gefördert wird. Sie verfolgt das Ziel, Daten aus der Krankenversorgung und der Forschung mit Hilfe von IT-Lösungen zu vernetzen, um die medizinische Forschung und die Patientenversorgung zu verbessern. An fast allen deutschen Universitäten wurden dazu Datenintegrationszentren eingerichtet. Auch die Charité betreibt ein solches Zentrum, das Peuker als Teil der Health Data Platform sieht. Nicht die Rohdaten an sich, sondern Ergebnisse in Form von Kerndatensätzen würden zwischen den Hochschulen ausgetauscht, erläutert er.

Datenanalyse gegen Covid-19

Ein aktuelles Anwendungsbeispiel kommt aus dem Infektionsschutz. Die Forscher verwenden beispielsweise erhobene Daten, um die Ausbreitung multiresistenter Keime frühzeitig zu erkennen und schneller reagieren zu können. Das Hygiene-Institut der Charité habe dabei eine Vorreiterrolle, betont Peuker. Im Januar 2020 wurde die Medizininformatik-Initiative um virologische Daten bezüglich Covid-19 erweitert.

"Die Health Data Platform ist kein Produkt, dass man kaufen kann", beschreibt der CIO die technischen Grundlagen. Konzeptionell besteht sie aus mehreren Ebenen. Ganz oben liegt ein "prozessualer Layer", in den Schichten darunter arbeiten drei zentrale Systeme: ein Data Lake, ein Plain Data Repository zur Zusammenführung aller Daten im Behandlungskontext sowie ein Scientific Data Repository für Forschungsdaten.

Die Charité-IT nutzt dabei unter anderem Hadoop-Techniken und In-Memory-Datenbanken von SAP. Wie komplex die Handhabung der Daten ist, veranschaulicht der IT-Chef an einem Beispiel: "Während ein PKW in der Regel mit 25.000 bis 30.000 Teilen auskommt, kennt die Medizin heute um die 800.000 unterschiedliche Datentypen." Dabei seien Daten aus dem Bereich "Genomics" noch nicht berücksichtigt.

Hybride IT bringt Vorteile

Aus Sicht des Data Managements unterscheidet Peukers Team zwischen einer klinischen und einer wissenschaftlichen Domäne. Im klinischen Bereich liegen in erster Linie Patientendaten, die Ärzte und Pflegekräfte zur Behandlung benötigen. In der Wissenschaftsdomäne geht es insbesondere um forschungsrelevante Daten, die nicht Teil der routinemäßigen Krankenversorgung sind.

"Datenschutz ist hier ein Riesenthema", sagt Peuker mit Blick auf die vielen personenbezogenen und besonders sensiblen Patientendaten. Kein Wunder also, dass die Charité derzeit alle IT-Systeme für die Health Data Platform on-Premises betreibt. Mittelfristig aber strebt der CIO hybride IT-Szenarien an und will beispielsweise im Bereich der Infrastruktur mehr auf Cloud-Ressourcen setzen: "Infrastruktur und auch viele Security-Technologien können andere besser." Eine stärkere Cloud-Nutzung würde es der Charité ermöglichen, sich mehr auf inhaltliche Themen wie Data Analytics und künstliche Intelligenz (KI) zu konzentrieren.

Hoffen auf Gaia-X

Große Hoffnungen setzt Peuker dabei in die europäische Cloud-Initiative Gaia-X, die allmählich Formen annimmt: "Von Gaia-X könnte der gesamte Health-Sektor profitieren", ist er überzeugt. Die Charité unterstütze die Initiative schon jetzt aktiv. Bisher kommen Cloud-Ressourcen ausschließlich im Verwaltungsbereich der Charité zum Einsatz.

Dafür gibt es eine spezielle Verfahrensanweisung. So dürfen beispielsweise über Office 365 keine Patientendaten verarbeitet werden. Peuker will in Sachen Cloud Computing jedenfalls "nicht lockerlassen", auch weil die Usability von Tools wie Office 365 oder Teams deutlich über die Möglichkeiten klassischer Krankenhausinformationssysteme (KIS) hinausgehe.

Eine Entlastung von klassischen IT-Aufgaben könnte der Charité mehr Freiräume für Innovationen eröffnen, hofft der CIO. Zu den Leuchtturmprojekten im Klinikbereich gehört beispielsweise "ERIC". Das Kürzel steht für Enhanced Recovery after Intensive Care. Mit mannshohen mobilen Robotern unterstützen Charité-Experten dabei telemedizinisch andere Krankenhäuser mit weniger intensivmedizinischen Ressourcen bei der Betreuung von Intensivpatienten.

Die Roboter sind unter anderem mit Sensorik wie Highend-Kameras ausgestattet und begleiten Ärzte und Pflegekräfte vor Ort bei der Visite. Dabei werden sie von speziell ausgebildeten Intensivmedizinern der Charité ferngesteuert, die ihr Wissen einbringen und beispielsweise Behandlungsempfehlungen geben können. Für die Entwicklung und Produktion der telemedizinischen Systeme kooperiert die Charité mit mehreren europäischen und US-amerikanischen Partnern.

Auch mit dem Thema Blockchain beschäftigen sich die Berliner schon länger. Im Projekt eBTM entwickelten der Charité-Mediziner Christian Sigler und die auf Cybersicherheit spezialisierte McKinsey-Beraterin Irina Hardt ein Blockchain-basiertes System für elektronische Betäubungsmittelrezepte. Alle Transaktionen werden dabei über ein verteiltes Register (Distributed Ledger) abgewickelt und sind nachvollziehbar und unveränderbar gespeichert. Im Ideenwettbewerb "Zukunftswerkstatt Blockchain im Gesundheitswesen" des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) gewann das Projekt den ersten Preis.

Chief Medical Information Officer

Eine Innovation anderer Art betrifft die IT-Organisa­tion selbst. Seit Juni dieses Jahres gibt es in der Charité einen Chief Medical Information Officer (CMIO). Er soll die Anforderungen von Ärzten und Pflegekräften für die IT übersetzen. "Hier gab es immer eine große Lücke", sagt Peuker. "Man braucht dafür medizinisches Know-how mit klinischer Expertise, muss aber gleichzeitig sehr IT-affin sein und informationstechnologische Kompetenz mitbringen." Der Medizininformatiker Felix Balzer bringe dafür mit seiner Erfahrung als Facharzt für Anästhesiologie die richtigen Voraussetzun­gen mit. Balzer ist am Berliner Einstein Center Digi­tal Future Professor für E-Health and Shared Decision Allocation.

Im Prinzip agiert der CMIO ähnlich wie der Business Relationship Manager (BRM) in anderen Branchen, der als Bindeglied zwischen IT und Fachabteilungen wirkt. Organisatorisch ist er in der IT aufgehängt und berichtet direkt an den CIO. In vielen US-amerikanischen Kliniken ist die CMIO-Position bereits etabliert.

Change Management in der IT

Peukers Umbaupläne gehen noch weiter. Anfang 2020 setzte er einen Change Manager ein, der einen neuen Change-Bereich aufbauen soll. "Wir müssen uns auf einen permanenten Wandel in der IT einstellen", erklärt er die Hintergründe. "Schnelligkeit und die Fähigkeit, immer wieder neu zu justieren, sind dabei entscheidend." Vor allem in Digitalisierungsvorhaben wolle man weg vom klassischen Wasserfallmodell mit mehrjährigen Projektlaufzeiten.

Dazu setze die Charité verstärkt auf übergreifende Teams und agile Methoden mit Sprints, Dailys und Kanban-Boards. Die Erfahrungen aus der Coronakrise helfen im Change-Prozess, resümiert der CIO: "Vielleicht braucht man einen gemeinsamen Feind, um auf einigen Feldern einfach schneller voranzukommen."