511 Tage sagt der Arbeitstagerechner im Internet. Soviel Tage noch bis zu meiner Pensionierung am Tage dieses Vortrags auf den Hamburger IT-Strategietagen. Da schaut man schon mal zurück auf sein Arbeitsleben und fragt sich, ob man das im nächsten Leben wieder so tun möchte.
Hätte man nicht vielleicht doch lieber, statt eine harte Wissenschaft zu studieren, um dann schließlich bei der niederen Kaste der internen Dienstleister, Kostenverursacher und Strategie-Verhinderer im Keller des Unternehmens zu landen, sich das Leben etwas leichter machen sollen? Vielleicht gleich die richtige Wahl treffen mit dem Studium und keine Wissenschaft, sondern eine Berufsausbildung zum Juristen oder Kaufmann wählen?
Dann hätte mir möglicherweise auch der Weg offen gestanden zu den Positionen in der Sonne, wo die Welt gestaltet wird, das wirkliche Leben pulsiert, unbelastet von den Niederungen technischer Gestaltungsmöglichkeiten? Und wenn was schief geht, ist man nie schuld, sondern immer IT?
Es hat mir ja manches in meinem Beruf durchaus Spaß gemacht, aber ich habe doch immer wieder mit einer Reihe von Themen gekämpft, die mir das Leben so verleidet haben, dass ich nun auch froh bin, diesen Job bald hinter mir zu lassen. Da ich aus vielen Gesprächen, Workshops, Konferenzen mit Kollegen weiß, dass dies alles keine Probleme meines konkreten Umfelds, meiner Branche, gar meiner Firma sind, sondern ziemlich generisch und flächenendeckend für alle Branchen, alle Unternehmensgrößen , alle Unternehmensformen gilt, erlaube ich mir, dies hier einmal zu dokumentieren.
Die Reihenfolge bedeutet keine Priorisierung und bei vielen Themen haben wir es durchaus selbst als CIO Community in der Hand, die Umstände zu verbessern, aber ich erlaube mir auch, einige grundsätzliche Schwächen außerhalb unserer direkten Zuständigkeit anzusprechen.
1. Der CIO begibt sich auf Augenhöhe und lernt den aufrechten Gang
In den meisten Unternehmen, die ich kennengelernt habe, ist die IT der komplexeste Unternehmensbereich: Er erbt die fachliche und prozessuale Komplexität aller Fachbereiche, hat darüber hinaus die übergreifende Integrationsverantwortung und muss dies mit den weiteren Problemschichten der IT wie technische Architektur, projektmäßige Umsetzung und operative Bereitstellung zusammenbringen.
Darüber hinaus ist die IT ja zunehmend wie die Debatte um Digitalisierung aktuell zeigt, nicht einfacher Umsetzer von Geschäftsstrategie, ja nicht einmal reiner Ermöglicher (Enabler) von Geschäftsstrategien, sondern die IT ist vielfach der Bestimmer, was denn an Geschäftsstrategie überhaupt sinnvoll und darstellbar ist.
Es gibt also keinen Grund, sich immer in die Dienerposition zu begeben (IT Strategie folgt der Geschäftsstrategie). Oft ist die typische Geschäftsstrategie ja sowieso so vage formuliert, dass man nichts daraus ableiten kann: Wir machen viel Umsatz, verdienen viel Geld und unsere Kunden lieben uns! Wir müssen klar den Anspruch formulieren, bei der Strategieformulierung dabei zu sein, alles andere macht keinen Sinn. Und noch mehr müssen wir lernen Nein zu sagen zu unsinnigen Forderungen der Fachbereiche.
Immer wieder lassen wir uns Termine diktieren, die unmöglich sind (nur Y2K haben wir nicht verschoben), lassen Anforderungen zu, die Standardprodukte zu Eigenentwicklungen machen usw. Wenn der Produktionschef eines Automobilwerks den Entwicklern klar machen kann, dass nach Beginn der Freeze-Zone bei Anlauf einer neuen Modellreihe wirklich absolut kein neues Feature mehr in das Modell reinkommt, warum können wir das nicht?
Wir weinen hier immer rum, dass man uns ja nicht zuhört, diskutieren auf Tagungen unsere Rolle und unser Selbstverständnis und ob wir nicht in den Vorstand gehörten. Dabei wird sicher auch durch die Beförderung in den Vorstand ein dienernder Ja-Sager nicht zum selbstbewussten Vertreter von IT Realitäten und Notwendigkeiten. Kurz und gut, Kollegen: Steht auf von der Couch und lernt Nein sagen!
2. Es gibt Unternehmensberatungen, die beraten (können)
Unternehmensberatung ist eine Waldbrandwissenschaft: Wie die Indios im Urwald brennt man erst ein Stück Wald ab, nutzt die Düngung durch die Asche für eine mehrjährige Ernte und nimmt sich dann den nächsten Wald vor. Wenn dann auf dem ersten Stück Land wieder Wald gewachsen ist, kehrt man dorthin zurück.
So sucht man also erst einmal nach Synergien, Kosten-Effizienz, schlanken Organisationen - und zentralisiert alles. Wenn dann alle Unternehmen auf Best Practise getrimmt sind, geht es munter zum nächsten Waldstück. Nun gilt es nahe am Kunden zu sein, flexibel, der Marktdynamik gewachsen - und es wird eifrig dezentralisiert. Und dann holt man die alten Folien wieder raus und beginnt von vorn.
Selbst wenn der große Guru Tom Peters einige Jahre nach Erscheinen seines Bestsellers "In search of excellence" eine Titelseite von Business Week erntet "Ooops", denn ein großer Teil seiner ach so exzellenten Firmen waren in heftigen Turbulenzen, anderen ging es zumindest nicht besonders gut, dann lässt es niemanden an dieser Branche zweifeln. Und selbst wenn er dann 2001 in einem Interview gesteht, die Daten gefälscht zu haben, betrachtet er das als "small beer", eine Petitesse.
Die Verbände dieser Unternehmen entwickeln sogar Verhaltenskodices. Meist kreisen sie um die vier Begriffe Unabhängigkeit, Objektivität, Vertraulichkeit und Kompetenz. Schon über die ersten drei ließen sich muntere Geschichten erzählen, aber Kompetenz? Haben Sie in so einem Beratungsprojekt je Menschen getroffen, die irgendeine Ahnung von dem hatten, was Sie tun? Die bevor sie zu Ihnen kamen, mal etwas Substanzielles selber geführt, konzipiert, organisiert oder umgesetzt haben? Die außer PowerPoint, Selbstdarstellung und politisches Networking noch weitere Kernkompetenzen hatten?
Ich bin durchaus nicht beratungsresistent, aber mein Berater sollte schon mindestens so viel von der Materie verstehen wie ich. Aber ich erwarte von den Beratungsunternehmen selbst und noch mehr von denen, die diese Unternehmen nutzen, auch eine gewisse Veränderungsbereitschaft. So wie es jetzt läuft wird beliebig viel Motivation, Energie und Wert vernichtet.
Auf den Punkt bringt es der mathematische Hauptsatz für Berater-Pricing. Geht nur auf Englisch, aber sind ja auch meistens Consultants:
Aus der Mittelstufenphysik wissen wir: Power = Work /Time (Leistung ist Arbeit pro Zeiteinheit). Nun weiß jeder Manager: Knowledge = Power und Time = Money. Eingesetzt ergibt dies: Knowledge = Work / Money. Und durch einfaches Ummultiplizieren erhält man den Fundamentalsatz: Money = Power / Knowledge!
Und das bedeutet für das Berater-Pricing: Wenn das Wissen gegen Null geht, geht der Beratersatz gegen Unendlich!
3. Manager im Business befassen sich selbstverständlich und nachhaltig mit IT, ihren Potentialen, Grenzen und Problemen
Man liest ja nun überall, dass IT wohl irgendwie für das Geschäft, die Kundenbindung, die Produkte, für die Unternehmenssteuerung, eigentlich für alles im Business wichtig ist. Dann sollte man doch erwarten dürfen, dass wirklich jeder Manager sich regelmäßig mit IT befasst, versucht zu verstehen, was geht und was nicht - und warum. Bemüht sich die Komplexitätstreiber und die Interdependenzen zu begreifen, diskutiert regelmäßig mit den Fachleuten etc.?
So wie sicher jeder im Automobilmanagement die Bedingungen der Produktion verstehen lernt? Ein Autodesigner muss wissen, was produzierbar ist. Ein Markenchef muss verstehen, wie er Markenbildung betreibt, aber trotzdem über alle Marken den gleichen modularen Querbaukasten nutzt.
Bisher habe ich ein solches nachhaltiges Bemühen noch nie wahrgenommen. Eher bin ich über die Einstellung gestolpert, dass man doch zu Hause sein Musik- und Video-Streaming installiert hat und sich deshalb sehr wohl im IT Infrastrukturmanagement auskennt.
Oder passiert nun doch etwas? Topmanager eines Medienhauses pilgern seit einiger Zeit nach Silicon Valley. Mancher geht als gegelter Anzugträger hin und kommt digitalisiert mit Bart, Jeans und Leinenhemd zurück, komplett digitalisiert. Auch wenn man die Informationen durchaus in den Produkten des gleichen Hauses im letzten Jahrzehnt hätte lesen können.
Aber wenn es hilft, ist es ja gut, aber sehen diese Menschen auch, dass es Aspekte der IT in ihren Unternehmen und geschäftlichen Umfeldern gibt, die sie in Kalifornien wohl nicht gesehen haben. Und vor allem, dass ein Ausflug nicht reicht, dass sie sich kontinuierlich damit befassen müssen!? Ich würde es mir für die nächste Generation CIOs so wünschen.
4. Gesetzgeber und IT finden zueinander
Die IT setzt alles daran, das Konzept des Ortes außer Kraft zu setzen, während die Gesetzgebung weltweit beharrlich am Ort als Gültigkeitsbereich ihrer Regelungen festhält. Das führt zu kaum mehr auflösbaren Widersprüchen und zu stetig wachsenden Aufwänden in den IT Organisationen, die weder den internen noch den externen Kunden irgendeinen Nutzen spenden. Und in regulierten Branchen kommen dann noch die jeweiligen Regulierungsbehörden dazu, die von Menschen der gleichen juristischen Schule dominiert werden wie die Gesetzgeber.
Ein ganz wichtiger Antriebsfaktor für viele dieser Regelungen ist so eine Art Urglaube, dass Daten sicherer sind, wenn sie in meinem Land liegen und nur von Menschen meines Landes, am besten sogar meines Unternehmens, bearbeitet werden.
Dabei widerspricht jede praktische Erfahrung diesem Glauben. Es sind nicht die Offshore-Dienstleister aus fremden Ländern, die die Daten klauen. Weder Snowden, noch der Mitarbeiter aus dem Postverteilzentrum des BND (Bundesnachrichten-dienst), der alle BND Mitarbeiternamen an die CIA geliefert hat, fielen in diese Kategorie. Und auch die Menschen, die die Steuersünder CDs verkauft haben, waren wahrscheinlich interne Mitarbeiter der Schweizer Banken. Und den größten finanziellen Schaden haben Banken durch einzelne Mitarbeiter wie Leeson oder Kerviel im Asset-Management oder durch große Teile des Top-Managements wie bei Lehmann erleiden müssen.
Ich kann alle Ängste um Datenschutz und ähnliche Themen sehr wohl verstehen und unterstütze grundsätzlich alle diese Vorhaben. Aber so wie wir jetzt vorgehen, ist es eher ein untauglicher Versuch mit untauglichen Mitteln, der das Leben als CIO zunehmend unerträglich macht. Man ist andauernd mit oft noch untereinander im Widerspruch stehenden Anforderungen konfrontiert, die erheblichen Aufwand produzieren, die aber am Ende des Tages keiner bezahlen möchte.
5. Wir lernen, rechtzeitig zu handeln
Die gesamte IT-Industrie vermittelt ja schon seit langem den Eindruck der explosionsartigen Innovation, die immer wieder in enorm kurzer Zeit die gesamte Welt durcheinander rüttelt und verändert. Diese regelmäßigen Erdbeben, die unsere Welt erschüttern, kommen dabei quasi unvorhersagbar und völlig überraschend.
Aber sollte man einer Industrie trauen, die sogar den Jahrzweitausendwechsel für ein sehr überraschend eingetretenes Ereignis hielt? Nein, lieber nicht! Denn in den meisten Fällen kommen die Veränderungen gar nicht so überraschend, wenn man die Landschaft einigermaßen aufmerksam beobachtet.
Nehmen Sie als ein Beispiel das Thema Cloud Computing. Konzeptionell ist es 1995 bei IBM unter dem Namen Network Computing erfunden worden. Man brauchte damals nach der Beinahepleite von 1992 eine neue Story. So erklärte man nach dem Mainframe auch das Paradigma Client-Server (in dem IBM so jämmerlich versagt hatte) für tot und verkündete den Paradigmenwechsel - macht die IT immer wieder gerne - zu Network Computing.
In der Zwischenzeit hat sich der Name vielfach geändert. Application Service Provisioning, Utility Computing, Business on Demand und nun heißt es eben Cloud Computing. Aber im Grunde ist das Konzept zwanzig Jahre alt und es war als Technologietrend immer sichtbar. Wieso sollte man überrascht sein, dass es endlich auch wirklich einsetzbar ist?
Ebenfalls Mitte der 90er hat eines der Teams an unserem IBM Forschungszentrum in Heidelberg eine Software entwickelt, die es erlaubte, Banken-ATMs um Multimediafunktionalität zu erweitern, über ISDN zu vernetzen inklusive einer on-demand Videokonferenzfunktionalität zu einem Beratungszentrum. Es war schon damals klar, dass die Filialdichte in Deutschland auf Dauer nicht haltbar war und man personalärmere Strukturen brauchte.
Zwanzig Jahre später kommt es mit Macht, aber viele Unternehmen hätten sich schon viel früher mit großer Gelassenheit vorbereiten können. Als nächstes wird wahrscheinlich die Versicherungsindustrie überrascht davon, dass Versicherungsvertrieb nicht mehr so stattfindet wie die letzten Jahrzehnte?
Manchmal kommen mir diese Manager vor wie der Mann, der aus dem 60sten Stock eines Hochhauses springt und beim Passieren des 30sten Stocks meint: "Ich weiß nicht, was die Leute haben, es ist doch alles nicht so schlimm!" Wir wissen meistens, dass der Wandel kommt, aber oft kennen wir den Zeitprunkt des Eintreffens nicht ganz präzise. Und so hoffen wir alle, dass der Kelch wenigstens an uns vorbei geht. Bis wir in Pension sind oder einen anderen Job haben, wird das Legacy schon halten, wird unser Geschäftsmodell noch funktionieren.
Was soll ich mir da durch voreilige Investitionen den Bonus verderben! Es ist wie in der Politik, wo die Effekte des demographischen Wandels auf Jahrzehnte vorher genau auszurechnen sind, aber jeder weiß, dass man die jetzige Legislaturperiode noch überleben wird.
Kurz und gut: Wir haben fast immer viel Zeit, wenn wir nur rechtzeitig handeln würden. Bei den CIOs kommt noch ein weiteres berufstypisches Verhaltensmuster hinzu: Wir neigen dazu, uns in dem zweidimensionalen Raum aus Dringlichkeit und Wichtigkeit immer mit den dringenden Themen zu beschäftigen und lassen die wichtigen, aber nicht dringenden Themen in unserer Agenda hinten runter fallen. Beobachten Sie sich einmal selbst im Alltag. Hier können Sie selbst aktiv durch Veränderung des eigenen Verhaltens etwas bewegen!
6. Wir lernen aus der Geschichte
Als die ersten Abteilungsrechner von Digital (DEC) aufkamen, haben die Fachabteilungen Hurra geschrien, da sie sich jetzt von der Knechtschaft der zentralen IT befreien konnten und kauften sich das Zeug an der zentralen IT vorbei. Irgendwann wuchs es ihnen über den Kopf und es sollte wieder in die zentrale IT übernommen werden. Dann kamen die PCs, dann die auf Excel und Access basierte und durch den Enduser betriebene Anwendungsentwicklung, jetzt die unkontrollierte Nutzung von Cloud-Services an jedem Einkauf und der zentralen IT vorbei. Jedes Mal wieder das gleiche Theater!
Oder Einführungsprojekte von Standardsoftware. In allen Unternehmen liegen reichhaltige Erfahrungen vor, was das Abweichen vom Standard kostet, dass man sich, seine Organisation, seine Prozesse dem Standard anpassen muss, um zu einer kostengünstigen und wartbaren Lösung zu kommen. Aber trotzdem entarten diese Projekte immer wieder zu monströsen Eigenentwicklungsprojekten, die den Standard bis zur Unkenntlichkeit entstellen.
Selbst bei der Technologieentwicklung vergessen wir immer wieder mal gerne die Lektionen der Vergangenheit. Wenn wir uns den heutigen Stand der Virtualisierungskonzepte anschauen, dann haben wir gut dreißig Jahre nach Einführung des PC diesem endlich wieder die altbekannten und doch eben wichtigen Managementkonzepte aus den guten alten Mainframezeiten übergestülpt. Was man jetzt endlich wieder zur Verfügung stellt, war die explizite Grundlage des Betriebssystems VM (Virtual Machine, von IBM in den 80ern)!
Die Reihe der Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen und man fragt sich: Muss das sein? Vielleicht muss ja jedes Kind sich irgendwann mal am Herd die Finger verbrennen, aber wir sind ja noch viel schlimmer. Wir verbrennen uns nicht nur die Finger, obwohl wir als Erwachsene eigentlich in der Lage sein müssten aus den Erfahrungen anderer zu lernen, sondern wir verbrennen uns immer wieder die Hände am gleichen Herd. Ein weiser IBM Kollege hat es vor langer Zeit auf den Punkt gebracht: "And with amused resignation they ever repeat, what they know will fail!" Diese Wiederholung der immer gleichen Fehler macht auf Dauer müde und zynisch, weil es im Grunde so unnötig ist.
Vielleicht hängt es aber auch mit dem Hype zusammen, der gerade bei IT um den Generationenwechsel gemacht wird. Wenn man postuliert, dass das Leben in der Welt der Millennium Kids, der Generationen X,Y,Z (bald dann alpha, beta,, ..?) so vollkommen anders, setzt dann vielleicht eine Art Blockade ein, die es nicht mehr zulässt, Erfahrungen aus der Vergangenheit in die Zukunft zu transportieren.
Als alter Sack und einem langen Berufsleben in diesem Geschäft kann ich Ihnen versichern, dass sich an den grundlegenden Mustern des Versagens in unheimlich vielen Projekten, Softwareprojekten, IT Managementproblemen nicht sehr viel geändert hat. Die Leute fahren immer wieder auf die gleiche Weise gegen die gleichen Bäume und wenn möglich, schalten Sie vorher noch ESP und Airbag aus und schnallen den Gurt ab!
7. IT Unternehmen lernen selber mit IT Innovation umzugehen
Mit IT umgehen lernen, bedeutet immer auch mit Innovation umgehen lernen. Die IT wird auf absehbare Zeit ein wesentlicher Treiber der Veränderung von Arbeitswelt und Geschäftswelt sein. Daraus leiten die IT Unternehmen den Anspruch ab, andere Industrien im Umgang mit Innovation beraten zu wollen.
Tatsache ist aber, dass gerade die IT Industrie sehr schlecht im Verdauen von Innovationssprüngen ist. Siemens hat die Telekommunikation quasi erfunden und sich vollständig von dem Geschäft verabschiedet, IBM hat den Mainframe erfunden, aber danach keine wesentliche Technologie mehr geprägt, Digital hat den Abteilungsrechner erfunden und ist ebenso vom Markt verschwunden wie Nixdorf, Compaq und Nokia.
Und auch die aktuell noch dominierenden Anführer haben große Probleme, in neue Felder hineinzukommen, wie man an dem schier endlosen Weg von Microsoft in die mobile Welt oder an SAPs Weg in den Mittelstand (oder einfache Benutzerschnittstelle oder moderne Entwicklungsumgebung oder Enterprise OSA) sieht. Und auch bei der nächsten Generation von IT Unternehmen gibt es schon erste Wackelkandidaten.
Zugegeben, die IT Branche hat es vielleicht noch etwas schwerer als der Rest, denn man kämpft nicht nur mit den normalen Steuerungskonflikten, wie sie Christensen in dem Buch "Innovator's Dilemma" beschrieben hat. Oft wurden sie ja von einem charismatischen und sturen Gründer aufgebaut, dessen Charisma und Sturheit sie genauso in den Abgrund führen. Aber grundsätzlich klaffen hier Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinander, dass der Branche ein wenig mehr Bescheidenheit in der Selbstdarstellung gut anstehen würde.
8. Software Engineering wird eine professionelle Ingenieurswissenschaft
Wenn irgendwo ein Hochhaus oder eine große Brücke gebaut wird, dann ist es selbstverständlich, dass die Statik von einem staatlich ausgebildeten und zertifizierten Experten abgenommen wird. Entwirft und baut ein Architekt ein Gebäude, dann darf hinterher nicht jeder daran beliebig rumbasteln und das Anfangskonzept verschandeln. Und wenn der Architekt des Münchener Olympiastadiums von dem Umbauentwurf nicht überzeugt werden kann, dann baut man eben die Allianz-Arena.
Und auch Versicherungen dürfen nicht von jedem daher gelaufenen Mathematiker, Statistiker oder BWLer konzipiert werden. Dazu bedarf es einer besonderen Aktuarsausbildung und der Chef-Aktuar muss eine besonders herausgehobene Stellung im Unternehmen haben, damit seine Expertenmeinung nicht durch die Hierarchie unterdrückt werden kann.
Die IT ist da anders, demokratischer. Wir lassen jeden ran, an alles. Für die Eröffnung einer Kneipe muss man wahrscheinlich mehr Kenntnisse nachweisen als für die Gründung einer Softwarefirma. Wenn es denn Zertifizierungen gibt, dann sind es Herstellerzertifizierungen. Der Statiker wird also von einer ihm geneigten Betonfirma als Statiker zertifiziert? Dafür haben wir dann auch gegenüber unseren Kunden keinerlei Rechte. Viele schimpfen sich zwar Architekt, aber keiner unserer Architekten hat eine nur annähernde Macht über sein Design wie der richtige Architekt. Wenn wir einen Sportwagen designen und der Kunde einen Abschleppkran daran gebaut haben will, dann machen wir das.
Ich verstehe nicht, dass wir als Community diesen Zustand so klaglos akzeptieren. Noch weniger kann ich verstehen, dass die Gesellschaft dies akzeptiert. Die von uns gebauten Infrastrukturen sind nicht ohne Grund als hochkritisch eingestuft. Es wird intensiv das Risiko diskutiert, dass diese Strukturen durch Hacker zerstört werden können. Aber vielleicht fällt das Werk ja auch in sich zusammen, weil es von Laien gebaut wurde? Ein Kugelfisch-Sushi lässt man sich doch auch nur von Spezialisten zubereiten.
Die zweite in der Überschrift enthaltene Forderung ist auf den ersten Blick vielleicht etwas philosophisch und ich will sie nur noch kurz streifen. Die Informatik hatte bei ihrer Begründung zwei Ursprünge: Mathematik und Elektrotechnik. Beide Wissenschaften haben ganz unterschiedliche Herangehensweisen. In der Mathematik glaubt man eigentlich immer daran, dass es die richtige Lösung gibt, während ein Ingenieur Murphy's Law als Grundvoraussetzung seiner Arbeit hinnimmt.
Ein Mathematiker versucht ein System zu bauen, dass ausfallsicher ist. Ein Ingenieur baut ein System, dass sicher - in einen sicheren Zustand, nicht mit Sicherheit - ausfällt. Dies resultiert in zwei völlig unterschiedlichen Herangehensweisen, wobei ich, selber Mathematiker, die des Ingenieurs bevorzuge. Im Hinblick auf die Ausbildungskurse an unseren Hochschulen wäre es schon wichtig, sich einmal grundsätzlich auf die Denkschule, in der ausgebildet wird, zu verständigen.
9. Echte Diversity hält im Management Einzug
Eine Gruppe Top-Manager macht während eines Workshops eine Übung zum Team-Building. Sie sollen die Höhe des Fahnenmastes vor dem Seminargebäude bestimmen. Sie schleppen eifrig Tische und Stühle nach draußen und bauen einen immer wackliger werdenden Turm, aber es reicht nicht bis zur Spitze des Mastes. Da kommt ein Ingenieur um die Ecke und fragt, was sie da machen.
Er hört es sich an, lässt sich Werkzeug geben und schraubt am Boden die Befestigungsschrauben des Mastes los, legt ihn flach, misst ihn am Boden liegend, teilt das Ergebnis (13,20m) mit und verschwindet. Die Manager schauen sich an und einer meint: "Deshalb nehmen wir die nicht in Vorstand! Wir wollten die Höhe wissen und er sagt uns wie breit der Mast ist!"
Wie reden heute so viel über Diversity in den Führungsgremien, aber immer über äußerliche Diversity, also Geschlechter, Nationalität, Alter etc. Dabei ist es doch viel wichtiger, Menschen mit unterschiedlichen Denkstrukturen und Erfahrungswerten in den Gremien zu haben. Wenn diese Diversity vorhanden wäre, dann brauchte man auch nicht immer darüber philosophieren, ob denn der CIO im Vorstand sein müsste, weil auf jeden Fall jemand da ist, der Verständnis für die Denke des CIO hat. Dies stellen die anderen Kriterien keineswegs sicher, so haben wir in der IT Branche genug Topmanagerinnen erlebt, die keineswegs eine neue Denke in ihre Unternehmen hereingebracht haben.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich bin sehr dafür, dass die Chancengleichheit verstärkt wird, aber für die Organisationen ist es nicht so wichtig, ob verschiedene Geschlechter, Nationen etc. in der Führungsebene vertreten sind, sondern ob verschiedene Denkstrukturen vertreten sind
10. Wir verwenden mehr Zeit auf Denken, weniger auf Kommunikation
Ein Mann betritt das Arztzimmer. Ihm ist ein dicker grüner Frosch an der Stirn festgewachsen. Fragt der Arzt: "Wie ist das denn entstanden?" Sagt der Frosch: "Es fing alles mit einer Warze am rechten Fuß an!"
Das scheint mir ein gutes Bild für die Entwicklung, die unsere ganzen modernen Kommunikationssysteme von Mail über Smartphone zu iPhone, sowie Facebook, Twitter, Blogs und WhatsApp genommen haben. Wir sind nicht mehr die Nutzer dieser Technologien und Systeme, sondern sie sind der Zweck, dem wir unsere Daumen zur Verfügung zu stellen haben.
Da aber über alle Jahre hinweg der Zeitraum eines Tages konstant geblieben ist, müssen wir all diese Zeit, die wir nun diesen Instrumenten widmen irgendwo anders einsparen. Nach meiner Beobachtung sind die Effizienzgewinne keineswegs so hoch, wie die die eingesetzte Zeit, und ich fürchte, die meisten Manager sparen die Zeit für die Bedienung dieser Technologien beim Nachdenken ein.
Dies widerspricht fundamental meinem beruflichen Selbstverständnis. Ich rede mir immer noch ein, dass meine gesamte Ausbildung nur ein Training meiner biologischen CPU war. Und das genau die Verwendung dieser biologischen CPU zum Wohle meines Arbeitgebers und seiner Kunden der Gegenstand meines Arbeitsvertrages ist. Und ich glaube, dass viele der vorher beschriebenen Probleme nicht oder wenigstens nicht so stark existieren würden, wenn die verschiedenen Stakeholder in unserem Geschäft, aber besonders die CIOs selbst, häufiger mal nachdenken würden.
Wenn Sie also etwas konkret verändern wollen, setzen Sie sich Montag an Ihren Kalender und tragen Sie sich mal einen wöchentlichen Termin von einer Stunde ein.
Betreff: Nachdenken. Machen Sie die Tür zu und schalten Sie alle Kommunikation zur Außenwelt ab, legen Sie die Füße auf den Tisch. Es ist zuerst ein bisschen unangenehm, weil man sich nicht von eventueller Leere und dem Nichtvorhandensein von Ideen ablenken kann. Auch muss man erst die Angst überwinden, was man jetzt alles versäumen könnte, aber das wird schon. Nur Mut, Sie schaffen das!
Zum Schluss: Werden sich die Wünsche erfüllen? Wird der CIO Beruf zum Traumjob der Zukunft? Sicher nicht. Aber ein bisschen besser könnten Sie alle ihn machen. Geben Sie nicht auf, es lohnt sich.
Rainer Janßen ist CIO der Munich RE