Absolut kontrovers

CIOs müssen keine Ahnung von IT haben

19.11.2009 von Thomas Pelkmann
Man wird ja mal fragen dürfen: Ist es denkbar, dass ein CIO ohne technische Expertise in seinem Job erfolgreich ist? Wer hier ein klares Nein erwartet, täuscht sich.

Das Berufsbild des CIOs wandelt sich, darüber sind sich alle Experten einig: Reine Techniker sind immer weniger gefragt, wenn es darum geht, den Beitrag der IT zum Unternehmenserfolg zu erhöhen. Stattdessen rücken strategische Fähigkeiten in den Vordergrund, Wissen über Prozesse und Strukturen und über die Menschen, die mit IT täglich arbeiten sollen.

Aber man muss den Wandel ja nicht gleich so radikal demonstrieren, wie es jüngst die Deutsche Bundesbank getan hat, als sie ihr Vorstandsmitglied Thilo Sarrazin zum CIO degradierte.

Der Volkswirt Sarrazin war schon vieles in seinem Leben, unter anderem Referent im Bundesfinanzministerium, Leiter der Konzernrevision der Deutschen Bahn und Finanzsenator in Berlin. Seit April dieses Jahres sitzt er nun im Vorstand der Bundesbank. Fünf Monate später fristet Sarrazin das kärgliche Dasein eines CIOs, weil er sich in einem Interview provokant über die angeblich mangelnde Integrationsfähigkeit von Ausländern geäußert hatte. Welch’ eine Strafe!

Interessant ist aber ein weiterer Aspekt dieser Personalie: Thilo Sarrazin fiel in seiner abwechslungsreichen Karriere bisher überhaupt noch nicht durch besondere IT-Kenntnisse auf. Ob sich der Bundesbank-Vorstand etwas dabei gedacht hat, den ausgewiesenen Nicht-IT-Fachmann zum IT-Leiter zu machen, ist leider nicht überliefert.

Aber geht das überhaupt, ein CIO ohne IT-Kenntnisse? Die spontane Antwort würde wahrscheinlich lauten: "Nein, natürlich nicht!"

Das hält Chris Curran, Kolumnist unserer Schwesterpublikation cio.com und CTO beim US-amerikanischen Beratungsunternehmen Diamond Management & Technology Consultants, nicht davon ab, genau diese Frage zu stellen: Kann ein CIO ohne IT-Erfahrung erfolgreich sein?

Curran beruft sich in diesem Zusammenhang unter anderem auf den neuen Chef der britischen Serious Organised Crime Agency, in etwa vergleichbar mit dem FBI in den USA. Sir Ian Andrews hatte sich in einem Interview so geäußert: "Ich glaube nicht, dass es für den Chef einer großen Organisation nötig ist, strategische Erfahrung auf einem speziellen Gebiet zu haben. Was man braucht, sind Erfolge in der Führung von Teams und Mitarbeitern".

Ohne IT-Wissen fehlt der rechte Blick auf die Dinge

So ketzerisch die Frage Currans sein mag; der Autor selbst schreckt schnell vor seiner provokanten Formulierung zurück und relativiert die Frage ein paar Zeilen weiter: Kann ein CIO wirklich erfolgreich seine Organisation für den Gebrauch von IT anleiten und gleichzeitig dafür sorgen, dass die IT diese Aufgaben erledigt?

Er kann nicht, beantwortet Curran die Frage selber. So bringe ein IT-Leiter ohne IT-Erfahrung zwar beispielsweise in der Frage der strategischen Informationstechnologie Sichtweisen aus dem Business, den Markt- und den Bedürfnissen von Kunden und Partnern mit. Wie man diese Aspekte aber mit moderner Technologie bewältigen kann - dieses Wissen fehlt ihm.

Ähnlich sieht es beim Thema Business Alignment aus: Der Nicht-IT’ler kennt die Ziele, Motivationen und Messmethoden. Was er nicht weiß ist, wie man die Bedürfnisse des Business’ mit Technik verbindet.

Ein drittes Beispiel: Der CIO ohne IT-Erfahrung nimmt im operativen Geschäft und im Management die Perspektive eines Endusers ein. Der technisch erfahrene IT-Leiter kennt sich dagegen mit dem Management von Partnern und Komponenten aus und hat daher einen entgegen gesetzten Blick auf die Dinge.

Der CIO ist der einzige mit Blick auf die IT

So argumentiert Curran schließlich doch für den technisch versierten CIO: In der Geschäftsleitung eines Unternehmens ist die Business-Perspektive durch alle anderen repräsentiert, und der CIO ist der einzige, der die IT-Sicht einbringen kann. Fehlt dem CIO diese Fähigkeit, bleibt eine unverzichtbare Sicht auf die Dinge außen vor.

Allerdings, so Curran, sei die Liste der Fertigkeiten eines CIOs damit nicht abgehakt. Der Wandel des CIOs vom Tekkie zum Business Enabler verlange vielmehr eine breite Palette von Fähigkeiten: Führungsstärke, praktische Erfahrungen mit Technik, Führungserfahrung in großen Change- und IT-Infrastruktur-Projekten, aber auch Erfahrungen in Nicht-IT-Funktionen. Dazu kommen weiche Faktoren wie ein gesundes Denkvermögen mit Lösungsorientierung sowie die Empathie für die Auswirkungen seiner Arbeit auf die Firmenfinanzen.

Die Leserschaft von Chris Curran atmet deutlich hörbar auf: Klar, Business-Fokus ist wichtig, aber ohne IT geht auf gar keinen Fall, so auch der Tenor der Antworten auf die am Ende doch wenig provokante Frage. Einer der Mit-Blogger namens Peter Kretzman fragt sich gar, wer denn überhaupt das Gegenteil behaupten würde.

Er erhält die Antwort prompt: Zwar seien erfolgreiche CIOs ohne IT-Background selten, aber es gebe sie, heißt es. Zumal die Anforderungen an die Expertise auch von der Unternehmensgröße abhänge: In großen Firmen, so weisen Kommentatoren zu Recht hin, gebe es sehr arbeitsteilige IT-Organisationen. Dort sei es durchaus denkbar, einen Leiter ohne IT-Kenntnisse zu haben, wenn in seinem Team die Expertise dennoch vorhanden ist.

Auch versierte CIO können scheitern

Und schließlich wird auch die Umkehrfrage gestellt: Wie viele CIOs sind trotz technischer Expertise erfolglos?, fragt Kathleen Velasquez und verweist auf die Prioritätenliste von Chris Curran: Zuallererst sei die Fähigkeit zu führen gefragt, weswegen die Frage nach den technischen Fertigkeiten in den Hintergrund trete. Anders gesagt: Wer nicht führen kann, dem nützt auch sein IT-Wissen nichts. Wer dagegen ein guter Teamleader ist, der sei in der Lage, sich mit einer fähigen Mannschaft zu umgeben, die ihn bei allen technischen Fragen kompetent unterstützen kann.