Dieser Beitrag entstand in der ersten Aprilwoche, also mitten in der Corona-Krise, in der selbstgewählten Isolation. Schon seit mehr als zwei Wochen haben meine Frau und ich unser komplettes Privat- und Berufsleben umgestellt: Wir haben keinen physischen Kontakt mehr zu unseren Kindern, zu unseren Eltern, zu unseren Freunden oder zu unseren Mitarbeitenden. Die Kommunikation läuft online. Alles ist anders, nichts ist mehr so wie es war.
Die Dozierenden der Universität St. Gallen wurden durch eine Weisung des Rektors aufgefordert, die Mitarbeitenden soweit wie möglich ins Home-Office zu schicken und den Unterricht vollständig digital durchzuführen. Die Umstellung der Lehre auf digitalen Unterricht hat erstaunlich gut geklappt. Druck auf die Dozierenden durch das Rektorat und Angst der Studierenden, die Credits im Frühjahrssemester nicht zu erreichen, hat dazu geführt, dass innerhalb kürzester Zeit online unterrichtet wird.
Natürlich war nicht alles so, wie man sich dies in einer idealen digitalen Welt vorstellen würde. Trotzdem, nur eine Lehrveranstaltung im Masterprogramm Business Innovation musste abgesagt werden. Soweit bis heute bekannt, sind unsere Studierenden zufrieden und dankbar, dass wir die Lehrveranstaltungen überhaupt anbieten. Wenn man mir im Januar 2020 eine Wette angeboten hätte, dass es im April an der Universität St. Gallen nur noch digitale Lehrveranstaltungen geben wird, ich wäre die Wette nie eingegangen.
Unter Druck sind viele Menschen bereit, ihr Verhalten radikal zu verändern und jede Möglichkeit zu ergreifen, die hilft, eine Krise zu bewältigen. Genau dies ist bei uns passiert. Niemand hat nach der Ankündigung unseres Rektors gefragt, ob digitaler Unterricht sinnvoll sei, ob es die Studierenden wirklich wollen, ob es bewährte didaktische Konzepte gibt, ob es datenschutzrechtliche Bedenken gibt oder ob man persönlich vorbereitet sei. Wir haben es einfach gemacht.
Wie vom Rektor angeordnet, habe ich auch meine Mitarbeitenden ins Home-Office geschickt. Die Assistierenden hatten das von sich aus schon gemacht, noch bevor Human Resources "grünes Licht" gab; sie haben einfach weitergearbeitet. Spannend ist, dass schon nach wenigen Tagen ein Bedürfnis nach digitaler Nähe formuliert wurde. Wir treffen uns jetzt jeden Morgen zum "Digitalen Znüni" (digitale Kaffeepause). An manchen Tagen plaudern wir über Gott und die Welt, an anderen Tagen hält ein Assistierender einen Vortrag.
An einem Morgen haben wir uns auch einen Vortrag über einen Prototypen für Robot Process Automation angehört und diskutiert. Der digitale Znüni erfreut sich bis jetzt grösster Beliebtheit. Es wäre uns vor der Krise nie gelungen, dass wir uns jeden Morgen alle treffen. Die Teammitglieder waren auf Reisen, hatten sehr wichtige Dokumente fertigzustellen oder an anderen Sitzungen teilzunehmen. Auch Fakultätstreffen mit mehr als 40 Professorinnen und Professoren haben wir schon digital abgehalten und sogar einige schwierige Personalgeschäfte diskutiert und verabschiedet.
Als zentrales Tool verwenden wir Zoom, für mich die Killer-App des Jahres 2020. Bildungsinstitutionen haben zu Beginn der Krise von Zoom ein Education-Abo angeboten bekommen. Mehrfach war ich mehr als sieben Stunden an einem Tag ununterbrochen in Zoom-Meetings. Daneben setzen wir in meinen Forschungsteam Skype for Business ein. Microsoft Teams kommt derzeit praktisch nicht zum Zuge. Schwächen in der Infrastruktur werden jetzt gnadenlos sichtbar. Kolleginnen und Kollegen, die keine gute Internetverbindung haben, schlechte Kameras oder unzureichende Mikrofone, kommen schnell unter Druck. Zudem sind die Kolleginnen und Kollegen im Vorteil, die schon selber digital unterrichtet oder Mitarbeitende haben, die ihnen helfen können.
Digitalisiertes Privatleben
Auch das Privatleben verändert sich in der Krise. Vorausschicken will ich, dass meine Frau und ich drei erwachsende Kinder haben, drei Elternteile, die alle älter als 80 Jahre sind, und einen kleinen Freundeskreis, mit dem wir sehr eng verbunden sind.
Digitale Kommunikation mit den Kindern ist kein Problem, sei es über Telefon, WhatsApp, Zoom oder Skype. Spannend ist, dass sich die Kommunikationsfrequenz stark erhöht hat. Wir sind fast täglich mit unseren Kindern in Kontakt. Manchmal geht es nur um Belanglosigkeiten. Wir sind, zumindest aus meiner Beobachtung, enger verbunden. Mit unseren Eltern sind wir auch stärker in Kontakt, hauptsächlich über das Mobiltelefon. Sehr schwierig ist die Kommunikation mit meinem 96-jährigen Vater, der in einem Pflegeheim ist, das für alle Besucher geschlossen wurde.
Ein Effekt der grösseren Nähe stellt sich auch mit unseren engen Freunden ein. Inzwischen haben wir mehrere sogenannte "Zoom-Dinner" veranstaltet. Wir haben eine Zoom-Konferenz eingerichtet, den Laptop auf den Tisch gestellt, und dezentral gekocht, gegessen und getrunken. Allerdings wurden die Zoom-Dinner gut vorbereitet. Wir haben uns im Vorfeld über den Wein und die Anzahl der Gänge verständigt. Nach kurzer Eingewöhnungszeit hat sich - trotz der räumlichen Distanz - die gewohnte Vertrautheit eingestellt. Wir haben laut gelacht, über nicht Anwesende gespottet und uns über sehr vertrauliche Themen ausgetauscht. Eines der Zoom-Dinner ging fast vier Stunden. Auch dies hätte ich nie geglaubt: dass die Generation 55+ ohne grosse Schwierigkeit digitalen sozialen Umgang pflegt.
Allerdings gibt es auch heikle Erfahrungen. Meine Frau und ich haben spontan angeboten, dass wir in unserem Wohnblock helfen, wenn irgendjemand Hilfe nötig hat. Schon kurz nach unserem Angebot meldete sich eine Nachbarin die Computerproblemen bei der Einrichtung ihres Home-Office-Arbeitsplatzes hatte. Am Ende konnten wir nicht helfen. Das war für uns eine ziemlich deprimierende Erfahrung. Warum? Es stellte ich heraus, dass der Arbeitgeber die Dame mit einem Laptop ins Home-Office verabschiedet hat, der völlig untauglich war.
Was wird bleiben nach der Krise?
Seit mehr als 40 Jahren beschäftige ich mich mit dem Einsatz von Informatik in Unternehmen, öffentlichen Verwaltungen und privaten Umgebungen. Eine zentrale Erkenntnis aus dieser langen Zeit lautet: "Man kann die Zeit nicht zurückdrehen. Was die Menschen, egal ob freiwillig oder im Berufsleben, gelernt haben, vergessen sie nicht mehr". Als die CD erfunden wurde, verschwand die Vinylplatte und als MP3 kam, verschwand die CD. Als der PC und Software für Textverarbeitung kam, verschwand die Schreibmaschine. Die Liste der Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen. Ähnlich wird es auch nach der Corona-Krise sein.
Ohne dass dies jemand vorhersagen konnte, ist im Frühjahr 2020 ein grosser Digitalisierungsschritt erfolgt. Millionen Menschen verwenden Videokonferenzen und haben ihre beruflichen und privaten Prozesse angepasst. Viele mussten auf Reisen verzichten und genießen dies. Viele müssen nicht mehr pendeln und genießen dies. Viele Menschen haben erkannt, wie wichtig eine gut ausgebaute digitale Infrastruktur im privaten Bereich ist. Ich bin davon überzeugt, dass es in den nächsten Jahren viele Journalisten und Wissenschaftler geben wird, die sich mit den Auswirkungen der Corona-Krise beschäftigen werden. Dies ist für mich bloße Geschichtsschreibung. Der größte Schritt ist bereits erfolgt: Wir alle haben unser Verhalten geändert.
Was bedeutet das alles für den CIO?
Die CIOs, deren Unternehmen den Sprung in die neue digitale Welt in der Corona-Krise einigermaßen gut geschafft haben, sind erstmal in einer guten Position. Sie haben bewiesen, dass sie auch in schwierigen Zeiten Teil der Lösung und nicht Teil des Problems sind. Die CIOs und ihre Bereiche kämpfen in der vordersten Reihe, wenn es darum geht, die neuen Arbeitsformen umzusetzen.
Der CIO kann diese gute Position nutzen, um auf die Notwendigkeit der Digitalisierung und einer digitalen Infrastruktur hinzuweisen und konkret Tools wie Microsoft Teams oder Zoom flächendeckend einzuführen. Ich erwarte, dass weitere Tools im Sinne von Killer-Apps in den nächsten Monaten auftauchen werden.
Dies gute Position ist aber nicht auf Dauer garantiert. Denn in den Unternehmen und auch in der IT sind massive Kostensenkungsprogramme zu erwarten. Wir haben dies nach dem Zusammenbruch des E-Business-Hypes zu Beginn des Jahrtausends gesehen und auch nach der Finanzkrise. Der CIO sollte sich so schnell wie möglich auf dieses wahrscheinliche Szenario vorbereiten und klar kommunizieren, was sinnvolles Sparen bedeutet, ohne Innovation abzuklemmen.
Corona -wie geht es weiter?
Ehrlicherweise kann ich diese Frage nicht beantworten. An der Universität St. Gallen besitzen wir keine Kristallkugel, die uns einen Blick in die Zukunft erlauben würde. Ich bin aber gerne bereit, mit IT-Verantwortlichen in einen Dialog über deren Erfahrungen zu treten und bei einer Neuausrichtung der IT für die Zeit nach der Krise zu helfen. Für mich ist klar: Vieles wird sich verändern und die Unternehmen, die sich gute vorbereiten, haben eine Chance, auch in Zukunft erfolgreich zu sein.