Erst Smartphones, dann Smart Watches und jetzt auch noch Autos, deren Herzstück Betriebssysteme wie Android oder Apples iOS sind. Ginge es nach Apple und Google, würde diese Vision wohl bald Wirklichkeit. Denn beide Unternehmen haben den Bereich "Connected Car" als neues Geschäftsfeld für sich entdeckt. Auf der Entwicklerkonferenz Google I/O 2014 stellte Google beispielsweise unter dem Namen "Android Auto" Spezifikationen und Schnittstellen vor, welche die Anbindung von Mobilgeräten, Apps und Mobilservices an die Infotainment-Systeme von Fahrzeugen ermöglichen sollen. Ähnliche Konzepte haben Apple mit CarPlay und bereits vor einigen Jahren Microsoft in Zusammenarbeit mit Ford entwickelt.
Doch Smartphones, Tablets und die dazu gehörigen Apps im Auto sind nur ein Teilaspekt der Vernetzung von Fahrzeugen. "Vernetzung ist mehr als nur das Surfen während der Fahrt", sagt Wolf-Henning Scheider, Sprecher des Unternehmensbereichs Kraftfahrzeugtechnik und Geschäftsführer bei der Robert Bosch GmbH. Mithilfe der Vernetzung von Fahrzeugen lassen sich seiner Ansicht nachKomfort, Sicherheit und Effizienz der Mobilität steigern. Schneider sieht drei Felder, auf denen Auto und Internet zusammenkommen:
Das Internet kommt ins Auto, das heißt Fahrer und Passagiere haben Zugang zu Internet-basierten Kommunikationsdiensten wie E-Mail, Web und Navigationsservices,
das Auto kommt ins Internet, übermittelt also Daten an andere Fahrzeuge und die Verkehrsinfrastruktur, und
das Auto wird mit dem Internet der Dinge und Dienste gekoppelt, das heißt, es interagiert mit seiner Umwelt. In diese Kategorie fällt beispielsweise die Anbindung an Car-Sharing-Dienste und Plattformen, über die Fahrer Stromladestationen, diverse Verkehrsmittel und Parkplätze buchen können.
Der erste Anwendungsfall, also Internet im Auto, ist bereits heute Realität. Dies ist auch der Weg, den Google, Apple, Microsoft und Co. beschreiten, indem sie Smartphones und Apps mit den Informationssystemen des Fahrzeugs kombinieren. Die Kommunikation erfolgt in diesem Fall über Mobilfunk, vorzugsweise 3G- und 4G-Verbindungen (LTE, Long-Term Evolution). Zudem lassen sich in Fahrzeuge WLAN-Hotspots integrieren, über die sich die Personen im Fahrzeug einen Internet-Zugang teilen können. Dazu benötigt man allerdings nicht unbedingt einen separaten und kostspieligen WLAN-Access-Point, wie ihn manchen Automobilhersteller anbieten: Viele Smartphones verfügen über eine Tethering-Funktion, die das Mobiltelefon in einen Hotspot verwandelt.
High-Speed-Mobilfunk im Auto integriert
Wie das Internet ins Auto kommt, zeigten unter anderem der Mobilfunk-Service-Provider Vodafone und Audi auf der CeBIT 2014. Ab 2015 sollen in ausgewählte Audi-Modelle Embedded-SIM-Chips integriert werden, welche die Infotainment-Systeme des Fahrzeugs mit dem LTE-Funknetz von Vodafone koppeln. Diese Global SIM ermöglicht es, im Fahrzeug Kommunikationsdienste und Unterhaltungsangebote zu nutzen.
Integrierte Mobilfunksysteme bilden auch die Grundlage für neue Sicherheitsdienste wie eCall. Dieses Notrufsystem für Fahrzeuge wird 2015 in allen Neufahrzeugen Pflicht, die in der EU verkauft werden. Bei eCall messen Crash-Sensoren, ob ein Fahrzeug in einen Unfall verwickelt ist und wie stark das Auto und damit auch dessen Insassen in Mitleidenschaft gezogen wurden. Mithilfe eines integrierten Satellitennavigationssystems wird anschließend der Standort des Fahrzeugs erfasst und via Mobilfunknetz an eine Notrufzentrale weitergegeben. Laut der EU-Kommission soll das System den Preis eines Neuwagens um etwa 100 Euro erhöhen.
Autos sprechen miteinander und mit der Infrastruktur
Das zweite Feld, das Bosch-Chef Schneider, anspricht, Stichwort "Das Auto im Internet", betrifft zwei Anwendungsfälle: die Kommunikation zwischen Fahrzeugen (Car-2-Car oder Vehicle-2-Vehicle, V2V) sowie zwischen Autos und Verkehrsleitsystemen, Sensoren, Ampeln und "intelligenten" Verkehrsschildern (Car-2-Infrastructure, Vehicle-2-Infrastructure, V2I).
Bei der Kommunikation zwischen Fahrzeugen werden beispielsweise folgende Daten erfasst und übermittelt:
die Geschwindigkeit, Position und Fahrtrichtung der einzelnen Fahrzeuge,
Beschleunigungs- und Bremsvorgänge,
Informationen über den Spurwechsel von Fahrzeugen,
Daten der Traktionskontrolle,
Informationen, die Rückschlüsse auf Witterungsbedingungen und Sichtverhältnisse erlauben, etwa ob der Fahrer die Nebelscheinwerfer oder Scheibenwischer aktiviert hat,
welchen Gang der Fahrer eingelegt hat, etwa den Rückwärtsgang, weil er ein- oder ausparkt.
Dagegen stehen beim Datenaustausch zwischen Fahrzeugen und der Verkehrsinfrastruktur wie Ampeln und Verkehrsleitsystemen folgende Informationen im Mittelpunkt:
Ampelphasen (Rot, Gelb, Grün),
die Hinweise von "intelligenten" Verkehrsschildern wie Stopp-Zeichen,
Informationen über Staus oder Unfälle auf bestimmten Strecken,
Daten von Sensoren zu Temperatur, Feuchtigkeit und Sichtweite auf Strecken, inklusive entsprechender Warnungen an die Systeme im Fahrzeug,
Angaben darüber, wo Parkplätze verfügbar sind sowie
frühzeitige Warnungen, wenn sich Krankenwagen oder Feuerwehrfahrzeuge nähern, um für diese schnellstmöglich eine Notfallspur frei zu machen.
Einsatzgebiete: Sicherheit und Verkehrssteuerung
Car-to-X-Systeme sollen in Europa und Nordamerika ab dem kommenden Jahr in Fahrzeugen Einzug halten und es ermöglichen, "Cooperative Intelligent Transport Systems" (C-ITS) aufzubauen. Einige Experten gehen jedoch davon aus, dass mit ein bis zwei Jahren Verzögerung zu rechnen ist. Die Marktforschungsgesellschaft Frost & Sullivan erwartet, dass im Jahr 2030 an die 40 Prozent aller Fahrzeuge in Europa mit C2C-Kommunikationssystemen ausgestattet sind. Speziell in Europa werden nach Angaben der Marktforscher Faktoren wie die Einführung des Notrufsystems eCall ab 2015 und Sicherheitsfunktionen wie die Warnung vor Staus, Unfallstellen und witterungsbedingten Problemen wie Glatteis die Verbreitung solcher Systeme fördern.
Ein weiteres Anwendungsgebiet ist die Verkehrssteuerung. Auf dieses Feld konzentrieren sich vor allem Forscher und Hersteller von Automobiltechnik in Europa. Fahrzeuge können anonymisierte Daten über ihren Standort und die Geschwindigkeit an Verkehrszentralen oder Anbieter von Services weitergeben. Dadurch ist es möglich, die aktuelle Verkehrssituation zu erfassen, und das deutlich schneller und präziser als bislang.
Ansätze in dieser Richtung gibt es bereits, etwa freiwillige Verkehrsmelder von Rundfunksendern oder Dienste von Herstellern von Navigationssystemen, die aktuelle Daten der "Navis" ihrer Kunden verwenden. Der Nachteil: Solche Dienste sind an bestimmte Anbieter gebunden.
Ampeln geben das Tempo vor
Zu den wichtigsten Anwendungen von C2X zählt in Europa die Regulierung des Verkehrsflusses, um Staus zu verhindern. Signal-Phase-and-Timing-Funktionen (SPaT) stellen beispielsweise sicher, dass Ampelphasen auf den aktuellen Verkehrsfluss abgestimmt werden. Dazu tauschen Ampeln mit integrierten Kommunikationsmodulen mit Verkehrsleitzentralen und Fahrzeugen Daten aus. Zudem kann der Fahrer darüber informiert werden, wie schnell er fahren sollte, um nicht in einem Stau zu landen.
Frost & Sullivan zufolge könnten solche Maßnahmen dazu beitragen, die Kosten durch Verkehrsstockungen erheblich zu reduzieren. Allein in Deutschland summierten sich diese Kosten pro Jahr auf etwa 17 Milliarden Euro, etwa in Form von Arbeitszeit, die verlorengeht. Hinzu kämen Schäden durch Unfälle und die erhöhte Umweltbelastung, die sich mithilfe von C2X reduzieren ließen.
Versicherung je nach Fahrstil
Umstritten sind dagegen weitere Anwendungsfelder. Das eine sind personalisierte Services, die insbesondere Unternehmen wie Google und Apple Fahrern anbieten möchten. Solche orts- und situationsbezogenen Services setzen voraus, dass der Nutzer Daten an den Anbieter weitergibt oder deren Übermittlung duldet. Dies wirft Fragen bezüglich des Datenschutzes auf, ähnlich wie in anderen Bereichen wie bei Social Networks oder dem Erfassen und Speichern von Fitness- und Gesundheitsdaten durch Apps von Smart Watches und Smartphones. Letztlich muss jedoch jeder Anwender selbst entscheiden, ob er mit seinen persönlichen Daten für Unterhaltungs- oder Informationsdienste bezahlen möchte, die er im Auto nutzt.
Ebenfalls auf geringe Gegenliebe stößt zumindest bei deutschen Autofahrern der Vorschlag, die Daten von C2X-Systemen für die Einstufung bei der Auto-Versicherung zu nutzen. Solche Modelle berechnen den Versicherungstarif anhand von Faktoren wie Fahrverhalten und Kilometerleistung. Ein rasanter Fahrstil mit häufigen Bremsmanövern führt beim "Pay-as-u-Drive"-Modell zu höheren Tarifen.
An die 69 Prozent der Bundesbürger lehnen nach einer Umfrage des Hightech-Verbandes Bitkom solche Versicherungsmodelle ab, etwa 9 Prozent nutzen bereits ein solches Modell. Hauptkritikpunkte der "Verweigerer" sind jedoch nicht der Datenschutz, sondern die hohe Komplexität des Ansatzes und die Tatsache, dass viele Autobesitzer damit - zumindest derzeit - nur wenig Geld sparen können.
IT-Firmen drängen in den Markt
Dass auch die IT-Industrie Marktsegmente wie Fahrzeugvernetzung und In-Vehicle-Infotainment (IVI) für sich entdeckt hat, ist nicht zu übersehen. Pioniere wie Microsoft und Ford, die bereits vor acht Jahren auf diesem Feld zusammenarbeiten, haben längst Gesellschaft bekommen.
So stellte Intel im Frühjahr 2014 mit Intel In-Vehicle Solutions eine Middleware Plattform vor, die schwerpunktmäßig in Karlsruhe entwickelt wurde. Sie erlaubt es Automobilherstellern, die Entwicklungszeiten von IVI-Systemen (In-Vehicle Infotainment) und damit die Zeitspanne bis zur Marktreife zu verkürzen. Ebenfalls in Karlsruhe entwickelt Intel Plattformen und Systeme für die vernetzte Überwachungselektronik sowie Telematik-Komponenten für Nutzfahrzeuge. Diese werden für Fahrzeughersteller, Spediteure oder Busbetriebe immer wichtiger, um digitale Informationen von und zu Fahrzeugen zu übermitteln.
Automobil 3.0: Freie Fahrt für Raser?
Allerdings bringt die Integration von Internet, C-to-X-Kommunikation und IT-Systemen in Fahrzeugen auch skurrile Resultate mit sich. So will der koreanische Hersteller Hyundai im nächsten Jahr in sein Modell Genesis eine Funktion integrieren, die das Fahrzeug automatisch auf die vorgegebene Höchstgeschwindigkeit herunterbremst, wenn eine Radarfalle in Reichweite ist. Hyundai speist dazu Karten mit den aktuellen Standorten von Blitzern in das Navigationssystem ein und koppelt diese mit dem Notbrems-System. Dieses ist eigentlich dafür gedacht, Auffahrunfälle und Kollisionen mit Fußgängern und Radfahrern zu vermeiden. Ob der koreanische Hersteller tatsächlich seine Anti-Radarfallentechnik in den Genesis integriert, muss sich jedoch noch zeigen. Proteste von Verkehrsschützern und Polizei sind vorprogrammiert.
Umgekehrt gibt es Überlegungen, Fahrzeugdaten, die von den bordeigenen C2C- und C2X-Systemen übermittelt beziehungsweise gespeichert wurden, als Beweismaterial bei Unfällen heranzuziehen. Ähnlich wie der Black Box eines Flugzeugs könnten Polizei und Experten von Versicherungen mithilfe dieser Informationen einen Unfallhergang exakter rekonstruieren. Damit würde so manche Schutzbehauptung eines Unfallverursachers hinfällig. Doch auch gegen solche Bestrebungen regt sich Widerstand, insbesondere bei Datenschutzfachleuten. Sie fürchten, dass dies der Einstieg in die umfassende Überwachung von Autofahrern sein könnte.