Zurzeit stehen sie sich direkt gegenüber, die Software-Rivalen SAP und Oracle. Vor dem nordkalifornischen Bundesbezirksgericht geht es – wie immer bei den beiden – um jede Menge Geld. In dem Industriespionage-Prozess klagt Oracle auf Schadensersatz gegen SAP. Deren 2005 übernommene und längst abgewickelte Dienstleistungstochter Tomorrow Now klaute Oracle-Daten, was SAP auch nicht mehr bestreitet. Die Richter in Oakland haben allem Anschein nach lediglich die Höhe der Entschädigung zu bestimmen: Oracle will 2 Milliarden US-Dollar haben, SAP deutlich weniger zahlen.
Der juristische Showdown zwischen den prominentesten Firmen der Branche zieht die IT-Welt magisch in seinen Bann. Aber unabhängig vom Ausgang des Prozesses ist für Anwender vor allem die Frage relevant, wie die beiden Firmen derzeit im Vergleich aufgestellt sind. Thomas Wailgum gibt für unsere amerikanische Schwesterpublikation CIO.com eine Antwort.
Denn auch die jüngst publizierten Bilanzen der beiden Konzerne liefern jede Menge Futter für ein direktes Duell. Wailgum merkt dazu aber vorab an, dass sich die Finanzjahre der beiden kalendarisch leider nicht decken. Denn Oracle berichtet als US-Unternehmen nach den Generally Accepted Accounting Principles (GAAP), während sich das SAP-Reporting nach den International Financial Reporting Standards (IFRS) richtet. Wailgum greift deshalb bei Oracle auf die Zahlen für das erste Quartal 2011 zurück, bei SAP auf die Daten über das dritte Quartal 2010.
Endlich Anpfiff also. Oracle meldet einen Umsatz von 7,5 Milliarden US-Dollar und 48 Prozent Wachstum, SAP lediglich 4,1 Milliarden und ein Plus von 20 Prozent. Frühe Führung für Oracle somit. Auch beim Nettoüberschuss punktet Oracle mit 1,4 Milliarden Dollar (+20 Prozent) gegenüber 694 Millionen (+12 Prozent) auf SAP-Seite. 2:0 für Oracle.
Die Walldorfer weisen zwar mit 24 Prozent gegenüber Oracles 26 Prozent noch die geringere Umsatzrendite auf, aber der Trend spricht für SAP. Nur 1 Prozentpunkt Verlust gegenüber 8 Prozentpunkten bei Oracle. Die Software-Umsätze legten bei beiden um ein Viertel zu, aber damit behalten die US-Amerikaner einen Vorsprung: 1,3 Milliarden Dollar gegenüber 903 Millionen. Dafür holte SAP beim Service- und Support-Umsatz auf: Ein Zuwachs um 20 Prozent auf 3,2 Milliarden Dollar gegenüber 11 Prozent auf 3,5 Milliarden bei Oracle. Bisher somit 3:2 für Oracle. Weil Oracle aber die Analysten-Erwartungen übererfüllte und SAP hier zurückblieb, folgt das 4:2 auf dem Fuße.
Oracle beeindruckt mit Cash Flow
Nach hartem, ergebnisorientiertem Auftakt Zeit, auch auf Stil und Figur zu achten. Wailgum vergibt die besseren B-Noten ins Badener Land. Zunächst für die Positionierung auf der Bilanzversammlung. Oracle-CEO Larry Ellison bestritt dort, dass es ein Hardware- und ein Software-Geschäft gebe. "Wir müssen Systeme verkaufen", so Ellison. Wailgum überzeugte da schon mehr die von SAP-Co-CEO Bill McDermott ausgegebene Losung: "Anders als andere arbeiten wir eng mit unseren Partnern zusammen. Wir entfremden sie nicht."
Selbstbewusst und bei sich ist nach Ansicht des Beobachters der, der sich bei internen Bilanzdiskussionen nicht ständig über den Gegner definiert. SAP-Vorstände erwähnten Oracle viermal, umgekehrt geschah das 20 mal. Und wie definieren die Rivalen "Offenheit"? "Unsere Kunden merken, dass es viel besser ist, offene und integrierte Lösungen von uns zu kaufen als diskrete Komponenten von einem halben Dutzend einzelner Anbieter", argumentierte Oracle-Manager Safra Catz. Zum Vergleich SAP-Mann McDermott: "Unsere Strategie geht auf, weil Firmen Schnelligkeit und Ungebundenheit wollen. Und ein Unternehmen als Partner, das ein offenes Ökosystem hat – eines, das Kunden nicht in den Keller sperrt, sondern ihnen Wahlmöglichkeiten eröffnet." Spektakuläre Wende in diesem Spiel. SAP geht mit 5:4 in Führung.
Aber Oracle gelingt der postwende Ausgleich, weil es mit einer beeindruckenden Zahl aufwarten kann. Ein über zwölf Monate gerechneter operativer Cashflow von 8,8 Milliarden Dollar übertrifft die 3,3 Milliarden Dollar deutlich, mit denen SAP in neun Monaten aufwarten konnte.
Der Rechtsstreit zwischen den Kontrahenten ist zwar noch nicht entschieden. Aber die Außenwirkung kalkuliert Wailgum schon einmal mit ein. Er vermutet, dass Larry Ellison wieder einmal Sun Tzus altchinesischen Klassiker "Die Kunst des Krieges" neben dem Bett liegen hat. Jedenfalls setze sich Oracle mit einer unangenehmen Attitüde moralischer Überlegenheit darüber hinweg, dass SAP längst die weiße Flagge gehisst habe. Unabhängig vom Urteil in Kalifornien also Treffer für SAP.
Die Walldorfer versemmeln aber leichtfertig die Gelegenheit zum Davonziehen. Und zwar mit einer nach Ansicht Wailgums unausgegorenen neuen Marketing-Kampagne. "Run smarter", lautet der neue Slogan. Einfallslos nach dem Geschmack des Experten. Treffender findet er Oracle’s "Software. Hardware. Complete." Unentschieden, 6:6.
Apotheker-Abgang kostet SAP Punkte
Und ein schneller Konter durch Oracle, die im Bereich Personalien nach Meinung Wailgums besser wegkommen. Mark Hurd von Hewlett-Packard (HP) wurde neuer Co-President, Vorgänger Charles Phillips wird CEO bei Infor. Demgegenüber SAP: Angelika Dammann rückte in den Vorstand, Ex-CEO Leo Apotheker führt jetzt HP.
Ausgleich kurz vor Schluss aber durch SAP, weil die Gerüchteküche glaubhafter abgekühlt wird. Bei Oracle geht es dort wild durcheinander: Kauf von Informatica? Nein. Salesforce.com? VMware? Wahrscheinlich nicht. Am Ende EMC? Offenbar doch nicht. Auf der anderen Seite wilde Spekulation über Fusionen im Trio SAP, IBM und HP. McDermott erwiderte lässig, dass SAP seit fast 40 Jahren im Fokus von Gerüchten stehe: "Wir sind ein unabhängiges Unternehmen." Applaus dafür von Juror Thomas Wailgum.
Und ein Endergebnis von 7:7. Wobei in diesem Duell ja schon vorher anzunehmen war, dass es eine Verlängerung geben würde.