Corona krempelt Arbeitswelt um

Das Homeoffice ist der größte Krisengewinner

06.07.2020
Zu den Risiken und Nebenwirkungen von Corona gehört, dass viele Beschäftigte im Homeoffice arbeiten. Das sollte Unternehmen und Führungskräften zum Nachdenken bringen, finden Fachleute.
Die Vorteile von mehr Homeoffice gehen weit über die Arbeit an sich hinaus.
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Die Katze tapst über die Tastatur, die Waschmaschine läuft, auf dem Küchentisch steht der Laptop - Corona hat viele Menschen über Nacht ins Homeoffice geschickt. Die Bürobedarf- und Büromöbelbranche stellt sich längst darauf ein - aber: "Das Umdenken muss aber zuallererst in den Köpfen der Führungskräfte stattfinden", sagt Ard-Jen Spijkervet, Chef des Bürobedarfsspezialisten Leitz. Viele der Beschäftigte selbst sind derweil längst von der Heimarbeit überzeugt - am liebsten hätten die meisten wohl einfach die Möglichkeit, abzuwechseln.

"Zwei von drei Angestellten arbeiten lieber zu Hause als im Büro" - das ist das Ergebnis einer aktuellen Untersuchung der Süddeutschen Krankenversicherung (SDK). "Viele Stressfaktoren fallen weg wie zum Beispiel lärmende Kollegen oder ein anstrengender Arbeitsweg", sagt Oliver Schwab von der SDK. Darüber hinaus geben 57 Prozent der etwa 1.500 Befragten an, zu Hause besser kreativ arbeiten zu können - bei der Arbeit im Büro sagen das nur 18 Prozent, die übrigen machten in Sachen Kreativität keinen Unterschied aus.

Arbeitsplätze zu Hause verbessern

Nur noch zu Hause bleiben wollen hingegen die wenigsten - das ergab eine Forsa-Umfrage, die der Industrieverband Büro und Arbeitswelt (iba) mit Sitz in Wiesbaden im April in Auftrag gegeben hatte. Die Menschen vermissten nicht zuletzt die gute Ausstattung ihrer Arbeitsplätze im Büro, sagt iba-Chef Hendrik Hund. Es müsse noch Einiges getan werden, damit die notdürftig eingerichteten Arbeitsplätze zu Hause zu nutzbaren Büros würden.

Arbeitsrecht im Homeoffice
Rechte und Pflichten im Home-Office
Auch im Home-Office gilt das Arbeitsrecht. Welche Rechte und Pflichten Arbeitnehmer und Arbeitgeber haben, erklärt Claudia Knuth, Fachanwältin für Arbeitsrecht im Hamburger Büro der Kanzlei Lutz Abel.
Der Arbeitgeber entscheidet
Der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf einen mobilen oder häuslichen Arbeitsplatz. Letztlich entscheidet der Arbeitgeber, dem die Gestaltungsfreiheit der betrieblichen Organisation zusteht.
Rechtslage beachten
Wer Ausdrucke, Dateien oder weitergeleitete E-Mails mit nach Hause nimmt, riskiert arbeitsrechtliche Sanktionen, je nach Sensibilität der Informationen sogar bis hin zur Kündigung. Mitarbeiter sollten sich daher vorher mit dem Arbeitgeber genau abstimmen, ob und welche Firmenunterlagen sie mit nach Hause nehmen dürfen.
Voraussetzungen prüfen
Grundsätzlich muss die Tätigkeit des Mitarbeiters dafür überhaupt geeignet sein. Betriebliche Termine, Kundentermine und Besprechungen sollten Vorrang haben. Wenn die Mobilarbeit ohne Störung in die betrieblichen Abläufe eingefügt werden kann, sollte außerdem die gleiche Effizienz der Arbeitsleistung wie bei Präsenzarbeit sichergestellt werden.
Arbeitszeiterfassung klären
Anstatt zum Arbeitsbeginn und -ende ein- und auszustempeln, sollte im Home-Office notiert werden, wie lange der Arbeitnehmer am Tag in der Woche gearbeitet hat. Voraussetzung dafür ist eine vertrauens- und ergebnisorientierte Arbeitskultur, da die Zeiterfassung schwerer kontrolliert werden kann. Das Arbeitszeitgesetz gilt auch außerhalb des Büros: Die Höchstarbeitszeit pro Tag (maximal zehn Stunden), die Ruhezeiten (mindestens elf Stunden) sowie das Sonn- und Feiertagsverbot müssen eingehalten werden.
Datenschutz sicherstellen
Der Arbeitgeber muss die nötigen Schutzvorkehrungen treffen. Zum Beispiel kann über die Nutzung von VPN-Verbindungen ein sicherer Datentransfer garantiert werden. Wichtig ist, dass nur vom Arbeitgeber freigegebene Software und Dateien verwendet werden. Der Mitarbeiter muss sicherstellen, dass außer ihm niemand, auch keine Familienangehörigen, Zugang zu den verwendeten mobilen Endgeräten erhält. Außerdem dürfen Passwörter nicht an Dritte weitergegeben werden oder fahrlässig leicht zugänglich aufbewahrt werden.
Mitspracherechte des Betriebsrats
Der Betriebsrat hat bei der Entscheidung für oder gegen mobiles Arbeiten kein Mitspracherecht. Bei manchen Änderungen allerdings schon, zum Beispiel bei Änderung der Arbeitszeiten, der Nutzung von noch nicht mitbestimmten technischen Einrichtungen, der Verhütung von Arbeitsunfällen oder bei Versetzungen. Durch den neu eingeführten Paragrafen 87, Absatz 1, Nummer 14 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) wurden die Mitbestimmungsrechte ergänzt, sodass der Betriebsrart auch in den Planungsprozess einbezogen werden sollte.
Kostenübernahme
Wenn der Arbeitgeber Home-Office gewährt, muss er auch die erforderlichen Kosten übernehmen. Das schließt die Büroausstattung, die technische Ausstattung und die Telekommunikationskosten mit ein. Entweder wird der Arbeitnehmer mit allem Notwendigen ausgestattet oder er nutzt seine eigenen Endgeräte ("Bring your own Devices"). Für welche Variante oder Mischkonstellation man sich auch entscheidet, eine vertragliche Grundlage ist unverzichtbar.

Der Wandel hat jedenfalls dank Corona längst begonnen. "Die starren Strukturen gehören der Vergangenheit an", sagt Carola Burrell, Marketingleiterin des Büromöbelherstellers Interstuhl. Das wirke sich auch auf die Anbieter von Büromöbeln aus. "Wir haben Großkunden, die für ihre Belegschaft Homeoffice-Produkte anbieten. Die Beschäftigten können zum Beispiel den Stuhl mit nach Hause nehmen oder die Möbel innerhalb eines Rahmenvertrags kaufen." Die Hersteller müssten sich jedoch auch auf den neuen Markt einstellen. "Wir werden einen Teil des Sortiments mit anderen Oberflächen und Farben anbieten, weil es zu Hause meist kuscheliger ist als in der cooleren Büro-Atmosphäre."

Leitz bringt schickere Produkte für das Homeoffice

Diesen Trend bestätigt auch Leitz-Chef Spijkervet. "Büroartikel in schwarz und grau passen oft weniger gut zu Hause. Die Produkte sind zum Teil wirklich unattraktiv in einer privaten Umgebung." Leitz bringt jetzt eine neue Serie auf den Markt, die genau auf den Homeoffice-Bereich abzielt - mit besonderer Haptik und Optik, mit ansprechendem Design. Als Beispiel dazu nennt Spijkervet einen Papier-Shredder, der jetzt in weiß verkauft wird und enorm hohe Absatzzahlen verzeichnet. "Bei uns hat Corona für extrem schnelle Innovationsimpulse gesorgt", sagt er.

Stellt sich die Frage, ob der Trend zum Homeoffice auch nach Corona erhalten bleibt. Die Experten sehen hier vor allem das Management in der Verantwortung - es müsse ein Umdenken stattfinden, fordern sie. "Wir arbeiten immer noch als Wurmfortsatz der Industrialisierung - dieses hierarchische Modell ist das Problem", sagt Spijkervet. Arbeitgeber und Betriebsräte seien für die starren Strukturen gleichermaßen verantwortlich. "Die klassische Denke, dass man immer vor Ort sein muss, ist tief verwurzelt - das ist schade, denn ich glaube, die Menschen arbeiten effektiver von zu Hause aus."

Manche Arbeitnehmer sind analog, die anderen völlig digital

"Der Arbeitgeber muss mehr Vertrauen in seine Leute haben und Freiräume ermöglichen", sagt auch Carola Burrell. Ein neuer, kooperativer Führungsstil sei gefragt, eine neue Arbeitskultur. Allerdings müsse auch beides möglich sein - Homeoffice und Büroarbeit - weil die Heimarbeit nicht für jeden taugt. "Es gibt Leute, die sind digital, die haben erstmal kein Problem. Und es gibt solche, die ticken völlig analog oder brauchen mehr persönlichen Kontakt", ist auch Spijkervets Erfahrung.

Das bestätigen die Umfrage-Ergebnisse der SDK: Die Produktivität im Homeoffice wird von jedem zweiten Befragten als Schwachpunkt eingestuft. "Menschen brauchen das Arbeitsumfeld im Büro mit Kollegen und Führungskräften, um sich gut organisieren zu können", bestätigt iba-Chef Hendrik Hund. Zudem bestehe bei dauerhafter Arbeit zu Hause die Gefahr, die Bindung zum Unternehmen zu verlieren - ein weiteres Argument dafür, den Beschäftigten zwei Arbeitsplätze zu ermöglichen.

So gut wie nur Vorteile durch Homeoffice

Denn die Vorteile von mehr Homeoffice gehen weit über die Arbeit an sich hinaus. "Wenn nur die Hälfte der Menschen künftig zuhause arbeiten würde, würde der CO2-Abdruck schon auch entsprechend reduziert", sagt Spijkervet. "Es wäre schön, es gäbe weniger Autos auf der Straße, die Menschen hätten mehr Zeit, anstatt zu pendeln", sagt auch Carola Burrell mit Blick auf die Lebensqualität.

Bis dahin muss am Vertrauen gearbeitet werden. Das einzig negative Ergebnis der SDK-Umfrage ist bedrückend: "Die berufliche Freiheit wird teuer erkauft: Insgesamt 41 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass sich ein regelmäßiges Homeoffice nachteilig auf die Karriere auswirkt", sagt Oliver Schwab. Was hingegen die Doppelbelastung von Beruf und Familie angeht, glauben etwa 80 Prozent der Befragten, sie lasse sich mit der Homeoffice-Möglichkeit viel besser gestalten. (dpa/rs)

CIOs im Home Office
Thomas Zimmerer, Interim Manager CIO/CDO
Für Zimmerer (derzeit für einen Konzern im Nahen Osten tätig) und sein Team ist insbesondere Microsoft Teams aktuell das Tool, das vor allem für Chat, Videokonferenzen, Shared Sessions am PC, Notebook, iPad und iPhone den ganzen Tag im Einsatz ist.
Thomas Zimmerer, Interim Manager CIO/CDO
Sein Tipp für geplante Tages-Workshops: Spaltet man diese in mehrere kleinere Videokonferenzen von 1-2 Stunden auf, ist dies sogar effektiver, da die Teilnehmer nicht so sehr ermüden und man zwischen den Terminen die Ergebnisse bereits einbauen kann.
Thomas Siekmann, VP IT & Digitalization Senvion Deutschland GmbH
Siekmann bietet den Senvion-Mitarbeitern im Homeoffice einen „doppelten“ Zugang zu den Ressourcen: Genutzt werden VPN-Zugänge und - parallel für viele Nutzer - VDIs auf Basis von VMWare.
Thomas Siekmann im Home Office
Er selbst setzt im Home-Office ebenfalls auf redundante Zugänge: Alle Geräte sind neben dem Wifi-Zugang auch LTE-fähig.
Dirk Altgassen, CIO bei der Etex Group
Neben der Office-365-basierten Arbeitsumgebung und diversen IT-Tools unterstützen Altgassen und sein Team das Business auch bei einem neuen „way of working“, wie zum Beispiel dem Aufsetzen „virtueller Kaffeeküchen“, in denen man sich zwischendurch trifft.
Dirk Altgassen im Home Office
Das Lieblings-Gadget des Etex-CIOs im Home Office ist sein „Jabra“.
Christian Ammer, CIO und Head of Digital Transformation bei der Kanzlei Noerr
Für Ammer hat sich im Homeoffice die Arbeit an zwei Rechnern am besten bewährt: Cloud-Tools und Remote-Apps wie Office 365 (vor allem Microsoft Teams), Dokumentenbearbeitung- und -Sharing (via Nextcloud) und den Großteil der Kommunikation (Audio und Video-Konferenzen) kann er über den eigenen Heim-PC durchführen. Über das Firmen-Notebook (per VPN oder mit Virtual Desktop) läuft nur noch ein Teil der Kommunikation via E-Mail/Outlook.
Christian Ammer im Home-Office
Sein Top-Tipp (neben einer 2-Geräte-Strategie): Audio möglichst nur per Freisprechung. Das macht die Dinge schneller, einfacher und unkomplizierter als mit Headsets und Kopfhörern zu hantieren.