Immer mehr Großunternehmen haben erkannt, dass die digitale Transformation bei den Führungskräften beginnen muss, und arbeiten darum entsprechende Trainingsprogramme aus. Siemens zum Beispiel schickt seine Führungskräfte in Workshops, in denen sie sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, wie der digitale Wandel Führung verändert. Bei Volkswagen bauen Manager Autos aus Legosteinen zusammen, um anhand von Simulationen ein gemeinsames Verständnis für die digitale Transformation zu bekommen.
Die Commerzbank entwickelte ein dreimonatiges Programm, in dem Manager in Workshops, Selbstlernmodulen, Treffen mit Startups aus der Fintech-Szene und Coachings digitale Führungskompetenzen erwerben sollen. "Mit der Digital Leadership Challenge werden die Führungskräfte sensibilisiert und angeregt, mit der Veränderung bei sich selbst zu beginnen", sagt Kirsten Weisbender, Leiterin Cultural Change bei der Commerzbank. Allerdings sei es schon herausfordernd gewesen, die Teilnehmer von den zeitaufwendigen Workshops und Online-Lerneinheiten zu überzeugen.
Vier Kernkompetenzen eines Digital Leaders
Dass digitale Führungskompetenzen nicht mal eben nebenbei erworben werden können, liegt an der Vielfalt der Aufgaben. Barbara Liebermeister analysierte mit ihrem Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ) in einer Metastudie 30 Studien zur digitalen Führung, die zwischen 2012 und 2016 publiziert wurden.
Auf die Frage, welche Kompetenzen relevant für Führungskräfte im digitalen Zeitalter sind, kommt Liebermeister zu folgender Antwort: "Kommunikationsfähigkeit und Menschenorientierung sind vor Medienkompetenz und Vernetzungsfähigkeit die wichtigsten Kompetenzen, die ein Digital Leader neben dem fundierten Fachwissen braucht. Diese Eigenschaften lassen sich nicht von heute auf morgen oder gar in einem Seminar aneignen, aber schließlich braucht man ja auch für einen MBA länger als nur einen Tag."
Schon die Kommunikationsfähigkeit kann sich als unerwarteter Knackpunkt herausstellen. Selbst wenn die Führungskraft die Klaviatur der Kommunikation über digitale Medien von der E-Mail über Chat-Tools bis hin zum Social Web beherrscht, heißt das nicht, dass sie gut kommuniziert. Es geht nicht nur um das Wie, sondern auch um das Was. Mitarbeiter erwarten eine offene und transparente Informationspolitik in ihrem Unternehmen, sie wollen Bescheid wissen, mitreden und wertgeschätzt werden. Feedback sollte selbstverständlich sein: Anerkennung, wenn ein Projekt gut gelaufen ist, aber auch fachliche Kritik und Verbesserungsvorschläge, wenn es nicht rund läuft.
Information und Feedback sind mit digitaler Kommunikation nicht zielführend, im Gegenteil, sagt Führungsexpertin Liebermeister: "Eine Faustregel ist, nur so viel digital zu kommunizieren wie nötig. Sobald man erste Signale wahrnimmt, die auf ein Missverständnis oder schlechte Stimmung hindeuten - das können ungewohnt kurze Antworten oder längere Reaktionszeiten sein -, sollte die Führungskraft auf den Mitarbeiter zugehen. "Ein klärendes Gespräch ist wichtig, aber oft genügt es nicht. Darum empfehle ich, die persönlichen Touchpoints zu erhöhen. Man muss dem Mitarbeiter in persönlichen Begegnungen beweisen, was man im Gespräch gesagt hat."
Feedback geben wird zur Kernaufgabe
Aber was hat das mit der Digitalisierung zu tun? Galten diese Regeln für Mitarbeiterführung nicht schon immer? Tatsächlich sei der Kanon der Führungskompetenzen nicht neu oder grundsätzlich anders als bisher, stellt die Akademie für Führungskräfte in Überlingen fest. "Aber die Kompetenzen erhalten eine neue Prägung und Gewichtung: Feedback geben und nehmen wird zu einer Kernaufgabe", meint Senior-Produktmanagerin Christin Latk. "Das kann und will gelernt sein.
In der Kommunikation müssen die Führungskräfte lösungsorientierte Fragen stellen können und gezielt Reflexion anleiten. Vor allem aber müssen sie selbstwirksam sein und die Gelassenheit mitbringen, sich auch in stürmischen Zeiten nicht aus dem Konzept bringen zu lassen. Das verlangt Haltung." So müssen etwa die Führungskräfte im Seminar "Souverän führen in komplexen Zeiten" die Grenzen zwischen komplizierten und komplexen Sachverhalten identifizieren und üben, sich durch Vernetzung und Visualisierungstechniken einen Überblick zu verschaffen, um souverän zu entscheiden.
Vernetzungsfähigkeit gehört auch für Barbara Liebermeister zu den vier wichtigsten Kompetenzen eines Digital Leaders: "Führungskräfte müssen heute über Unternehmens- und Ländergrenzen hinaus denken und wissen, was in ihrer Branche in anderen Ländern läuft - gerade in einer vernetzten und globalisierten Welt." Schließlich sollte die Führungskraft in Zeiten der Unsicherheit "Halt- und Ankerpunkt für die Mitarbeiter" sein.
Ein großes Thema ist auch die Menschenorientierung, die im neuen Führungsverständnis nicht fehlen darf. "Konnte früher ein Vorgesetzter wertschätzend und auf Augenhöhe führen, war das ein Nice-to-have. Heute ist es vor allem im Hinblick auf die Erwartungen der Digital Natives ein Must-have", sagt Liebermeister.
Damit spielt sie auf das veränderte Werteverständnis der jungen Generation an, die sich mit guten Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten nicht mehr so einfach locken lässt. Stattdessen erwarten die Jüngeren heute Erfüllung im Job und einen möglichst empathischen Chef. Im Grunde genommen sollte dieser ein Best Friend sein. Gelingt es ihm, das Team emotional zu gewinnen, erhält er die gewünschte Höchstleistung.
Emotionale Intelligenz spielte in der Führungskräfteauswahl bisher kaum eine Rolle, so Liebermeister. Aber es gebe Bestrebungen, Empathie zu trainieren. Im ersten Schritt sollten dazu die Führungskräfte reflektieren, wahrnehmen, dass etwas nicht stimmt, sich überlegen, ob ihr eigenes Verhalten dazu geführt hat und wie sie einer solchen Situation das nächste Mal anders begegnen können.
Das Frankfurter Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ) hat einen Leadership-Index for Digital Transformation entwickelt, anhand dessen Führungskräfte einschätzen können, ob sie für das digitale Zeitalter bereit sind. Hier einige Aussagen zum Zustimmen oder Ablehnen:
Vertrauen ist eine wichtige Basis für wirksame Führung, aber Kontrolle muss oberstes Gebot bleiben.
Ich wechsle gern mal meine Perspektive, um mich besser in andere hineinversetzen zu können.
Wer immer nur über digitale Kanäle auf seine Mitarbeiter zugeht, wird keine echte Bindung zu ihnen aufbauen können.
In unserem Team variiert die Entscheidungsfindung je nach Situation (zum Beispiel Consent statt Konsens).
Vor jeder wichtigen Entscheidung überlege ich genau, ob und wie ich mein Team aktiv einbeziehen kann.