Noch immer stehen viele IT-Chefs dem Einsatz von Web 2.0-Anwendungen in ihrem Unternehmen kritisch gegenüber. Die Branche scheint gespalten: Derzeit zeigten sich ebenso viele CIOs zufrieden damit, wie in ihrem Betrieb mit den interaktiven Technologien gearbeitet wird, wie es IT-Manager gebe, die davon bisher enttäuscht sind, berichtet das Beratungsunternehmen McKinsey. Die Marktbeobachter stützen sich auf die Erfahrungen von 50 Firmen, die Web 2.0 einsetzen und über die letzten zwei Jahre von McKinsey begleitet wurden.
Eines der größten Hindernisse für den Einsatz von Web 2.0 liegt den Aussagen der befragten Führungskräfte zufolge im Unwissen vieler, wie sie die Nutzung von Blogs, Wikis oder sozialen Netzwerken bei den Mitarbeitern anschieben sollen. Denn, so betonen die Berater, die neuen Web-Werkzeuge entsprechen zwar stark einem Bottom-Up-Prinzip. Dennoch müsse ihr Gebrauch von oben angekurbelt und gefördert werden.
1. Der Bottom-Up-Ansatz braucht Hilfe von oben
Anders als bei früheren technischen Neuerungen ist bei Web 2.0 eine starke Beteiligung der Nutzer notwendig. Als in den 1990er Jahren CRM- und ERP-Systeme Einzug hielten, sei dies einfach auf Anweisung von oben geschehen. Das habe in dem Fall ausgereicht, erklärt McKinsey. Die Mitarbeiter müssen diese Programme ohnehin anwenden, um Kundenbestellungen zu bearbeiten oder Zahlungen in Auftrag zu geben. Große Auswirkungen auf das organisatorische Gefüge von Firmen habe das nicht gehabt.
Anders Web 2.0: Weil die Anwendungen interaktiv sind, fordern sie die Nutzer, selbst Inhalte zu erstellen oder Einträge von Kollegen zu bearbeiten. Eben aus diesem Grund denken offenbar viele Manager, Web 2.0 werde zum Selbstläufer, wenn sie es nur einführten.
Dieser Denke widersprechen die Berater von McKinsey: Damit die Beteiligung der Mitarbeiter erfolgreich sei, seien oft Führungskräfte als Vorbilder gefragt. Als Beispiel nennen sie den Technik-Hersteller Lockheed Martin. Dort ging der CIO in Sachen Web 2.0 Missionieren. Er pries gegenüber den anderen Vorständen die Vorteile der Anwendungen an und richtete seinen eigenen Blog ein.
Außerdem setzte er sich Ziele für die Verbreitung der interaktiven Programme im Unternehmen und für die Zahl der Beiträge. Die Folge war eine große Akzeptanz im ganzen Unternehmen.
2. Die Anwender nicht bevormunden
Die Web 2.0-Nutzung voranzutreiben darf nicht so weit führen, dass der Chef seinen Mitarbeitern vorschreibt, wie sie welche Anwendung einzusetzen haben. Manchmal gehen Web 2.0-Projekte andere Wege als anfangs gedacht. Bei früheren Einführungen sei es vergleichsweise einfach gewesen zu messen, wie eine neue Software die Arbeit effizienter und effektiver macht. Untersuchungen von McKinsey zu Web 2.0 zeigten jedoch, dass gerade bei Anwendungen, deren Erfolg von der Mitarbeiterbeteiligung abhängt, die Erwartungen der Führung oft nicht eintreffen.
Deshalb sollten CIOs genau beobachten, welche interaktiven Tools angenommen werden und deren Einsatz dann ausweiten - auch wenn das Projekt einen ganz anderen Weg nimmt als geplant. McKinsey berichtet von einem namentlich nicht genannten Technologie-Hersteller, der mit einer Kollaborations-Anwendung erreichen wollte, dass neue Mitarbeiter schneller eingearbeitet werden. Stattdessen fing die Belegschaft an, über das Tool Einstellungs-Tipps auszutauschen und über geeignete Kandidaten für freie Stellen zu diskutieren. Die Berater raten: Selbst wenn das nicht der Absicht der Firmenleitung entspricht, bleibe ihr nichts anderes übrig als diese Art der Nutzung zu unterstützen.
3. Web 2.0 in den Workflow einbetten
Oft werden Web 2.0-Anwendungen losgelöst von den sonstigen Arbeitsschritten in Firmen betrachtet - womöglich, weil sie noch so neu sind. Deshalb werde die Beteiligung daran von vielen anfangs nur als weitere lästige Pflicht im ohnehin stressigen Arbeitsalltag wahrgenommen.
Deshalb sollte ihr Einsatz in die täglichen Abläufe der Angestellten eingepasst werden. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass etwa ein Wiki nach Abflauen der Anfangs-Begeisterung kaum noch mit neuen Einträgen gefüllt werde. Als positives Gegenbeispiel führt McKinsey Google an. Dem Unternehmen sei es gelungen, Blogs und Wikis zu den wichtigsten Werkzeugen zu machen, über die die Ingenieure ihre Arbeitsfortschritte mitteilen. Das Management nutze die Daten, um Überblick über Abläufe zu bekommen und einzelnen Projekten nach Bedarf mehr oder weniger Mitarbeiter zuzuordnen.
4. Arcelor Mittal vergibt Preise
Als probates Mittel, um Mitarbeiter zu mehr Engagement zu bewegen, setzen Führungskräfte in der Regel auf Bonuszahlungen oder persönliche Beurteilungen. Auf Web 2.0 übertragen könnte das heißen: Wer nicht ausreichend bloggt, bekommt schlechte Kritiken von Kollegen und Vorgesetzten. Doch diese Herangehensweise ist McKinsey zufolge bei Interaktions-Anwendungen zum Scheitern verurteilt. In einem Unternehmen, das das versucht habe, hätten die Mitarbeiter immer genau so viele Wiki-Einträge geschrieben, wie ihnen vorgegeben wurde. Die Qualität der Einträge war allerdings schlecht.
Erfolg versprechender sei es, zum Beispiel das Bedürfnis der Mitarbeiter anzusprechen, wahrgenommen zu werden. Das tat der Stahlriese Arcelor Mittal. Bei großen Firmenveranstaltungen wurden vor versammelter Mannschaft Preise für besonders gute Beiträge vergeben. Die Folge: Die Mitarbeiter reichten viel mehr brauchbare Verbesserungsvorschläge ein als zu der Zeit, da die Preise noch in kleinerem Rahmen vergeben wurden.
5. Die richtigen Teilnehmer fördern
Wer ein ERP-System neu einführt, kann sich fast sicher sein, dass die Mitarbeiter, die die Anwendung brauchen, auch damit arbeiten werden. Bei Web 2.0 ist die Annahme weniger leicht vorhersehbar. So scheiterte ein Pharma-Hersteller bei dem Versuch, Anregungen von den Besuchern seiner Firmen-Webseite zu sammeln. Den meisten fehlte das Wissen, um sinnvolle Beiträge abzugeben.
Anders verfuhr Procter & Gamble. Als Wikis und Blogs eingeführt wurden, machten die Verantwortlichen zunächst Mitarbeiter aus, die sie als besonders technik-affin und als Meinungsführer erkannten. Mit Erfolg. Die Kollegen folgten den Mitarbeitern, auf deren Meinung sie ohnehin viel geben, auch bei der Nutzung von Web 2.0.
6. Das richtige Maß an Kontrolle bei Web 2.0
Das richtige Maß an Freiheit für die neuen Kommunikationsmittel zu finden ist nicht einfach. McKinsey berichtet von Firmen, die in ihrem Versuch, sich den Kollaborations-Werkzeugen möglichst weit anzupassen, sämtliche Kontrollen unterließen. Sie verzichteten sogar darauf, unangemessene Einträge zu löschen.
Dieser Weg ist nach Ansicht der Berater nicht zu empfehlen. Jedes Unternehmen, das auf Web 2.0 setzen will, sollte seine Rechtsabteilung bei der Planung ebenso einschalten wie das Personalbüro und die Zuständigen für IT-Sicherheit. Ratsam sei es zum Beispiel, anonyme Einträge in Foren nicht zu ermöglichen und Schaltflächen einzubauen, mit denen die Nutzer einen Eintrag als unbrauchbar kennzeichnen und vorübergehend unzugänglich machen können, bis er von einer Aufsicht überprüft wurde. Auf jeden Fall sollte die gesamte Kommunikation nachverfolgbar sein - ähnlich wie beim Mail-Verkehr.