"CIOs müssen in der Wirtschaftskrise den Anwendern knallhart die Kosten herunterfahren" - Forderungen wie diese werden angesichts der aktuellen Sparzwänge der Unternehmen verstärkt erhoben. Sie signalisieren zweierlei:
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Erstens: Die IT muss - wen würde dies verwundern - angesichts schrumpfender Budgets ihre Mittel noch effizienter einsetzen.
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Zweitens: Das Nachdenken setzt leider einen Schritt zu spät ein. Denn die Aussage setzt ja voraus, dass es den Dualismus von IT und Business zwangsläufig überall geben muss.
Genau dies sollte aber hinterfragt werden. Denn viele Unternehmensbereiche, insbesondere im Backend, könnten von vornherein mit einer gemeinsamen Zielsetzung entworfen werden: Indem der CIO die Gesamtverantwortung für den Geschäftsprozess und die ihn unterstützenden IT-Systeme erhält - sich also zum CXO weiterentwickelt. Solch eine Evolution könnte nicht nur den Konflikt entschärfen, sondern auch die Prozesse wesentlich effizienter und kostengünstiger gestalten.
Dualismus schafft Hürden
Heute gibt das Business noch weitgehend die Ziele vor; die IT setzt sie um und rechnet den Aufwand ab. Das ist in den Bereichen, die das Kerngeschäft und die Marktposition des Unternehmens berühren, auch sinnvoll. Bei Standardprozessen jedoch kann diese Trennung erhebliche Friktionen nach sich ziehen. Oft fallen bereits die Ziele auseinander. Dann ist nicht klar, welches Ergebnis angestrebt wird: Sollen die Kosten des IT-Anteils oder des gesamten Geschäftsprozesses reduziert werden? Entsprechend divergieren die Optimierungsstrategien. So entstehen immer wieder Konfliktpotenziale.
Senkt beispielsweise die IT die Service Level, um Kosten zu reduzieren, beschwert sich oft das Business, der Geschäftsprozess werde dadurch im Ergebnis weniger effizient. Oder das Business formuliert Vorgaben, die mit hohem Aufwand in IT-Lösungen umgesetzt werden, im Grunde aber wenig sinnvoll sind. So etwa geschehen bei einem Finanzdienstleister: Dessen IT musste erhebliche Anstrengungen unternehmen, um nach einer Kampagne für bestimmte Kredite im Call-Center eine Flut eingehender Anrufe zu bewältigen. Der Mail-Ansturm wurde aber nur deshalb erzeugt, weil das Marketing im Produktflyer und auf der Homepage wichtige Informationen nicht bereitgestellt hatte.
Gesamtverantwortung bringt Nutzen
Solche Konflikte und Effizienzbrüche lassen sich vermeiden, wenn der CIO von vornherein die Gesamtverantwortung erhält. Geeignet sind alle standardisierbaren Geschäftsprozesse mit einem hohen IT-Anteil, die für die Wettbewerbsposition des Unternehmens nicht sehr relevant sind. Darunter fallen die meisten Vorgänge im Backoffice: beispielsweise in Versicherungsunternehmen die Policen-Verwaltung, der Beitragseinzug und die Schadensabwicklung, in Telekommunikationsunternehmen das Billing etc. Verantwortet der CIO in diesen Bereichen die Zieldefinition, das Prozessdesign, die Umsetzung in IT-Lösungen und das Gesamtergebnis, schafft das klare Nutzeneffekte:
1. Integrierte Zieldefinition. Die IT setzt nicht nur Vorgaben um, sondern legt bereits fest, welchen Nutzen die vorgesehenen Investitionen bringen sollen. Sie definiert und prüft also vorab selbst die Ziele des Prozesses. Auf diese Weise hätten sich in unserem oben genannten Beispiel mit größter Wahrscheinlichkeit überflüssige IT-Aufwände im Call Center vermeiden lassen.
2. Stringente Optimierung. Durch die Gesamtbetrachtung werden IT-Aufwände von vornherein angemessen dimensioniert. Service Level sind nicht das Ergebnis eines Tauziehens zwischen IT und Business, sondern orientieren sich an dem angestrebten Nutzen. Dies verhindert sowohl eine Über- als auch eine Unterdimensionierung. Wenn das Ziel ein effizienterer Gesamtprozess ist, wird der CIO beim IT-System nicht unbedingt sparen, sondern vielleicht sogar zusätzlich investieren.
So hat zum Beispiel eine Bank nach einer Gesamtbetrachtung des Antragsprozesses der Hypothekenvergabe ihre IT-Investitionen in diesem Bereich deutlich erhöht, was aber unter dem Strich einen klaren ROI brachte: Die Angebotserstellung konnte stärker automatisiert, die Prüfung verkürzt und der Aufwand für ausgehende Anrufe - Rückfragen, Zusatzinformationen etc. - signifikant gesenkt werden. So reduzierte die Bank ihre Personalkosten je Neukunde um fast 40 Prozent.
3. Besseres Prozess-Know-how. Die IT hat in der Regel wesentlich intensivere Erfahrungen mit der Anwendung von Prozessmodellen als die Business-Seite. Kommt dieses Know-how nun dem gesamten Geschäftsprozess zugute, kann dies effizientere Abläufe und bessere Ergebnisse nach sich ziehen. Auch wird die Standardisierung dieser Prozesse vorangetrieben.
4. Kompetenz-Synergie. Wenn fachliches und technisches Wissen in den neuen Bereichen "in einem Kopf" zusammengeführt wird, können sich beide Kompetenz-Blöcke wesentlich besser wechselseitig befruchten. Diese Synergien führen zu einer integrierten IT- und Prozess-Optimierung.
5. Zielgerichtete IT-Innovationen. Da der Einsatz der Technologie wesentlich enger mit dem geschäftlichen Ziel verzahnt wird, erhalten auch IT-Innovationen einen anderen Stellenwert. Zum einen werden "technische Spielereien" vermieden und Investitionen nur getätigt, wenn sie direkten Mehrwert bringen. Zum anderen können die IT-Experten dank eines gewachsenen fachlichen Verständnisses ihre detaillierten technischen Kenntnisse wesentlich besser auf die Optimierung des Prozesses anwenden und IT-Lösungen leichter umsetzen.
Für jede Phase den zu erzielenden Sub-Nutzen definieren
6. Durchgängige Ergebnisorientierung. Da der CIO selbst für das Ergebnis des Gesamtprozesses verantwortlich ist, steht dieses durchgängig im Blickpunkt. Es ist sozusagen der Kompass, an denen sich bereits die Ergebnisse der einzelnen Projektphasen ausrichten müssen. Ausgehend vom angestrebten Gesamtnutzen kann der CIO für jede Phase den zu erzielenden Sub-Nutzen definieren; erst wenn dieser erreicht ist, gilt die Etappe als erfolgreich abgeschlossen. Zielabweichungen werden früher erkannt, Korrekturmaßnahmen können früher eingeleitet werden.
7. Konfrontation IT-Business um SLA wird abgebaut. Die Verantwortung in einer Hand eliminiert viele Konfliktpotenziale. Die Gesamtprozesse werden effizienter. Die Optimierung im Standard-Bereich setzt Mittel frei, die Business-Seite wird von Routinen entlastet und kann sich auf geschäftliche Innovation konzentrieren.
Die Evolution des CIO zum CXO schafft somit strategische Vorteile für Business, IT und das Gesamtunternehmen.
Strategie für den Kompetenzzuwachs
Um seine neue Rolle auszufüllen, braucht der heutige CIO allerdings zusätzliche Kompetenzen. Wird also auf der operativen Ebene der Konflikt um SLA mittelfristig entschärft, könnte der grundsätzliche "Machtzuwachs" kurzfristig ein vorgelagertes Konfliktfeld auf der strategischen Ebene schaffen. Als Realisierungsstrategie bieten sich zwei Argumentationsstränge an:
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Der CXO ist ein folgerichtiger Schritt in der Evolution der IT und führt zu einem einen höheren organisatorischen Reifegrad des Gesamtunternehmens (siehe Grafik). Ursprünglich hatte in den meisten Unternehmen jede Abteilung ihre eigene IT, die ihre individuellen Abläufe unterstützte. Die Abkehr von der Sparten-IT und die Etablierung einer unternehmensweiten IT war ein erster wichtiger Schritt zu mehr Synergien, der eng verbunden war mit der Einführung übergreifender Geschäftsprozesse, insbesondere in Querschnittbereichen.
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Nun wird im nächsten Schritt dieser Shared Service-Ansatz konsequent weiterentwickelt: Die Grenzlinie verläuft nicht mehr generell zwischen Business und IT, sondern zwischen Standard und Innovation.
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Gerade in Krisenzeiten bilden die mit der neuen Strategie zu erzielenden Nutzeneffekte ein sehr starkes Argument. Denn auch das Business hat ein großes Interesse an Kostensenkung und einem möglichst effektiven Einsatz der immer knapperen Mittel. Momentan ist also der richtige Zeitpunkt für diese Diskussion.
Skill-Management
Zur Umsetzung seiner neuen Rolle braucht die IT nicht nur zusätzliche Kompetenzen, sondern auch weitere Skills. Nur so kann die angestrebte Gesamtorientierung auch auf der operativen Ebene umgesetzt werden. Nehmen wir als Beispiel ein Versicherungsunternehmen: Hier müsste ein Mitarbeiter des neuen Bereichs etwa
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die Schadensabwicklung betreuen (also branchenspezifisches fachliches Wissen besitzen),
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den entsprechenden Business-Prozess gestalten (also Prozessmodelle anwenden),
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diese Geschäftsprozesse in IT-Prozessen abbilden (also über systemanalytische Fähigkeiten verfügen) und schließlich
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innovative IT-Systeme realisieren, die diese Prozesse optimal unterstützen (also den Stand der Informationstechnologie genau kennen).
Schlagkräftiger aus der Krise hervorgehen
Damit wird ein systematisches Skill-Management notwendig. Empfehlenswert ist es, standardisierte Modelle wie etwa SFIA weiter zu entwickeln. Durch Definition neuer Rollen, denen entsprechende Skills zugeordnet werden, können CIOs die Lücke zwischen heute verfügbaren und künftig benötigten Qualifikationsprofilen exakt ermitteln. Sie könnte beispielsweise personelle Überkapazitäten, die durch aktuelle Produktionsrückgänge entstehen, zur gezielten Qualifizierung ihres neu gestalteten Bereichs nutzen. So könnten Unternehmen aus der gegenwärtigen Krise schlagkräftiger hervorgehen.
Jörg Hild ist Geschäftsführer der Compass Deutschland GmbH.