Derzeit arbeiten hierzulande 858.000 Beschäftigte in der ITK. Der Branchenverband Bitkom geht von 30.000 offenen Stellen aus, die Hersteller-, Dienstleistungs- und Anwenderfirmen besetzen wollen. "Der IT-Arbeitsmarkt ist erstaunlich robust", urteilt Stephan Pfisterer, Bereichsleiter Bildungspolitik und Arbeitsmarkt beim Bitkom. Die europäische Schuldenkrise habe sich bislang nicht auf das Einstellungsverhalten ausgewirkt, auch wenn die Unsicherheit im Markt groß sei. "Wir rechnen heuer mit einer verhalten positiven Entwicklung der Beschäftigtenzahlen", so Pfisterers Prognose.
Wenn Nokia Siemens Networks Massenentlassungen vornehme, belaste das in erster Linie den Bereich TK-Infrastruktur. Dort gehe die Zahl der Beschäftigten schon seit Jahren zurück. Nach Einschätzung Pfisterers wird es für Spezialisten mit diesem Know-how schwieriger, eine Anschlussbeschäftigung zu finden. Das gelte erst recht, wenn viele Personen am gleichen Standort suchten.
"Der Arbeitsmarkt für Software- und Servicespezialisten ist davon kaum belastet. Er ist der wichtigste Wachstumstreiber", sagt Pfisterer. Themen wie Social Media und Cloud sorgten für Bewegung. Auch wenn Cloud Computing in vielen Unternehmen technisch noch nicht umgesetzt werde, seien Systemarchitekten, IT- und Prozessberater aufgerufen, die ersten strategischen Fragen zu beantworten. Wie müssen sich die Arbeitsprozesse ändern, damit man die Vorteile der Cloud nutzen kann? Welche Anwendungen lassen sich gefahrlos in die Wolke schieben?
Parallel gewinnt das Thema IT-Sicherheit weiter an Bedeutung. Alle Unternehmen, die große Datenmengen verwalten müssen, brauchen IT-Sicherheitsexperten - egal ob es sich um eine Bank, einen TK-Anbieter oder eine Online-Spielefirma handelt. Auch Behörden suchen Sicherheitsprofis.
Natürlich sind auch Projekt-Manager weiter gefragt. Guido Happe, Vorstandsvorsitzender der Personalberatung Steinbach & Partner in München, sieht vor allem für Key Account Manager mit tiefem Branchenwissen und guten Kundenkontakten Chancen. "Besonders gefragt", so Happe, "sind Manager von Großprojekten, die über eine Projekt-Management-Ausbildung und fundiertes Methodenwissen verfügen. Zudem bauen Anwender viele Inhouse-Consulting-Stellen auf. Dafür suchen sie Kandidaten, die über IT-, Branchen- und Prozesswissen verfügen und dieses in andere Bereiche übertragen können."
Wie groß die Jobauswahl für IT-Profis ist, hängt von der Qualifikation und dem Gehaltswunsch ab. Zu viel bezahlen will seit dem Platzen der Dotcom-Blase niemand mehr. "Ein Jobwechsel ist heute nicht automatisch mit einem Gehaltssprung verbunden. Vor der Wirtschaftskrise waren Aufschläge von bis zu 20 Prozent möglich", sagt Headhunter Happe. Die Krise habe hier bremsend gewirkt. Unfreiwillig Suchende müssten sich darauf einstellen, dass ein Neustart mit einer "Neuorientierung des Gehalts" verbunden ist, was für einst überdurchschnittlich bezahlte IT-Profis große Abstriche bedeutet.
Ob man zu teuer für den Markt ist, ist eine Frage des Alters und des vorherigen Arbeitgebers. Wer ein langes oder gar sein ganzes bisheriges Berufsleben in Konzernen verbracht hat, kann als Jobsuchender schnell zum Problemfall werden: Sein Gehalt übersteigt das Marktübliche deutlich, manchmal ist auch sein Wissen nicht aktuell. Ein Linux-Administrator, der bei einem großen IT-Dienstleister 75.000 Euro im Jahr verdiente, ist derzeit nur schwer vermittelbar, wenn es Spezialisten mit vergleichbaren Qualifikationen für 40.000 Euro zu haben gibt.
Große Gehaltssprünge sind vorbei
"Zu teure Kandidaten schlagen wir unseren Kunden gar nicht erst vor", sagt darum auch Dagmar Schimansky-Geier, die sich mit ihrer Personalberatung 1a Zukunft auf die Suche nach SAP-Experten konzentriert. Zwar sei der Markt für erfahrene SAP-Professionals schon seit Jahren eng; nach SAP-Retail-Spezialisten, Application Managern oder SAP-Entwicklern, die mit Kunden kommunizieren und Prozesse verstehen, müsse man lange suchen. "Dennoch sind die Zeiten der großen Verdienstsprünge vorbei, da die Kandidaten in die bestehenden Gehaltsstrukturen des Unternehmens passen müssen", sagt Schimansky-Geier.
Mehr Gehalt ist für viele Bewerber aber immer noch der wichtigste Wechselgrund. Das bestätigt Lars-Rüdiger Fink, Geschäftsführer der Personalberatung Next Level in Köln: "Das zweite Argument für den Entwickler ist die spannende Aufgabe, die ihm hilft, sich und sein Profil weiterzuentwickeln." Denn gerade für Softwareentwickler sei es entscheidend, sich zu spezialisieren. Wer nur breite Java-Kenntnisse ohne Branchenwissen, etwa im Banken- oder Energiesektor, habe, laufe eher Gefahr, seinen Job zu verlieren. Er ist austauschbar und tut sich schwer, eine neue Stelle zu finden. Dazu Fink: "Begehrt sind dagegen Entwickler mit Scrum-Erfahrung oder Programmierer, die sich über Entwurfsmuster Gedanken machen und darüber, wie sie eine Software konzipieren sollen."
Für Web-Entwickler ist derzeit Berlin eine ganz heiße Szene. Startups, zum Teil mit einer üppigen Finanzierung ausgestattet, suchen händeringend Personal, aber auch andere Firmen bauen Entwicklungssparten auf. "Wer Ruby on Rails oder PHP und die darauf basierenden Shopsysteme Oxid oder Magento beherrscht, hat in Berlin ebenso gute Aussichten wie Datenbankentwickler mit MySQL-Know-how", sagt Fink.
Mühsame Suche nach IT-Profis
Den Wettbewerb um Web-Entwickler in Berlin spürt auch die KfW-Bank, die dort einen Entwicklungsstandort aufbaut. Die Förderbank hat ihre IT-Strategie neu ausgerichtet. Sie befindet sich mitten in einer mehrjährigen Modernisierungsphase, in der die IT als Dienstleister aufgestellt wird. "Unsere Mitarbeiter hatten vorher generalistische Funktionen. In Zukunft werden sie in spezialisierten Rollen wie Softwaredesigner, Softwarearchitekten oder Anforderungs-Manager arbeiten", berichtet der Abteilungsleiter Personal Karl-Heinz Bornscheuer. "Nicht alle wollten sich auf diese Veränderung einlassen. Auch deswegen haben wir einen erhöhten Personalbedarf in der IT." Im Lauf des Jahres will die Bank weitere 130 IT-Mitarbeiter einstellen, die im Zuge der Modernisierung oder für Großprojekte gebraucht werden. Zudem sollen Festangestellte bestimmte Kernfunktionen übernehmen, die bislang Freiberufler ausübten.
Die Suche nach qualifizierten Kandidaten wird mühsam, wenn diese technisches und tiefes bankspezifisches Wissen vereinen müssen. "In ganz Europa gibt es nur ein paar Dutzend Experten für das Handelssystem Summit. Hier müssen wir die Stecknadel im Heuhaufen finden, was in der Regel nur über Headhunter gelingt", so Bornscheuer. Ansonsten ist Bankwissen bei der KfW nicht für alle IT-Positionen Voraussetzung. IT-Teamleiter Frank Cremer sagt: "Für einen Anforderungs-Manager, der immer im Kontakt mit dem Kunden, also der Fachabteilung, steht, sind Bankkenntnisse wichtiger als etwa für Anwendungsentwickler, die in erster Linie unsere Entwicklungsstandards beherrschen müssen."
Die Münchner Internet-Agentur Conrad Caine, die auf 110 Mitarbeiter gewachsen ist, zog aus der mühsamen Suche nach Web-Entwicklern Konsequenzen und gründete vor sechs Jahren einen Entwicklungsstandort in Brasilien. Dazu General Manager Christoph Bauhofer: "Hierzulande sind freiberufliche Mobile- und Flash-Programmierer gut gebucht. Für sie ist eine Festanstellung keine Alternative. Wir brauchen das Entwicklungs-Know-how aber in der Firma, um in der Produktion schneller zu werden."
Trotz des Ausweichens nach Brasilien hat sich für Conrad Caine der Recruiting-Aufwand erhöht. Anders als Konzerne, sind kleinere Firmen nicht schon allein aufgrund ihrer Größe oder der Bekanntheit ihrer Produkte eine Arbeitgebermarke. Zudem sind die Ansprüche an Berater im Digital Business mit dem Wissen der Kunden gestiegen. "Eine Stelle in Beratung oder Konzeption zu besetzen dauert heute zwischen sechs und acht Monaten", sagt Bauhofer. "Darum suchen wir kontinuierlich. Wenn der Rücklauf auf Stellenanzeigen nicht unseren Anforderungen entspricht, müssen wir über Personalberater gehen oder Events nutzen, um auf Kandidaten zuzugehen und uns anzunähern." Das Umwerben hat auch für Bauhofer eine Grenze: "Wir vermeiden es, Bewerber einzustellen, die Gehalts-Pingpong spielen und alle zwei Jahre die Stelle wechseln."
Softwarearchitekten sind rar
Auf Qualifizierung setzt auch die auf Business Intelligence (BI) spezialisierte Beratung pmOne in München. Vorstand Rolf Hoellger feilt mit diversen Instrumenten - von der Mitarbeiter-werben-Mitarbeiter-Prämie über Vorlesungen an Hochschulen bis zur Gewinnbeteiligung für Beschäftigte - an der Attraktivität als Arbeitgeber. Denn: "Neue Mitarbeiter zu finden ist schwierig, sie zu halten ist noch schwieriger." Die Beratung, erst 2007 gegründet, beschäftigt heute 135 Menschen und will weiter wachsen.
Die benötigten Kandidaten können aber nicht immer über eine Stellenausschreibung gefunden werden. "Etliche Positionen besetzen wir auch über Personalberater. Das ist teuer, aber bei IT-Führungspositionen kommen wir nicht daran vorbei. Hier müssen die Bewerber aktiviert werden. Softwarearchitekten im Bereich Data Warehouse gibt es ganz wenige auf dem Markt." PmOne unterstützt Mitarbeiter finanziell, die sich fortbilden, einen MBA machen oder promovieren. Das birgt natürlich auch die Gefahr, für die Konkurrenz auszubilden. Darüber sorgt sich Hoellger aber nicht, denn die Vergangenheit habe gezeigt: Wenn jemand geht, dann weil er den Beraterberuf mit den zugehörigen Reisen ganz aufgeben will.
"Der IT-Arbeitsmarkt ist sehr hart geworden"
Winfried Holz ist CEO des IT-Dienstleisters Atos. Er würde gern mehr Mitarbeiter einstellen, als er bekommen kann.
Nach der Integration von SIS gehört Atos mit 10.000 Mitarbeitern zu den größten IT-Dienstleistern in Deutschland. Wie hat sich das auf Ihr Recruiting ausgewirkt?
Holz: Die Integration von SIS haben wir zum 1. Januar 2012 abgeschlossen. Arbeitsplätze haben wir nur in der Verwaltung abgebaut. In den vergangenen sieben Monaten haben wir 270 neue Mitarbeiter eingestellt, aus meiner Sicht viel zu wenige. Wir könnten mehr Umsatz machen, wenn wir mehr Stellen besetzen könnten. Derzeit suchen wir über 700 neue Mitarbeiter.
Sie spüren also bereits den oft beklagten Fachkräftemangel?
Holz: Der IT-Arbeitsmarkt ist sehr hart, bei Jobprofilen wie SAP-Beratern oder Softwareentwicklern ist er zum Bewerbermarkt geworden. Diese Profile suchen nicht nur wir, sondern derzeit auch fast alle anderen Marktteilnehmer.
Mit welchen Maßnahmen versuchen Sie, neue Mitarbeiter zu gewinnen?
Holz: Wir setzen auf eine Recruiting-Kampagne mit der Online-Jobbörse Stepstone, zahlen Mitarbeitern eine Prämie, wenn sie neue Mitarbeiter anwerben, arbeiten mit Personalberatern zusammen und bilden 70 Nachwuchskräfte in dualen Studiengängen aus. Wir wollen auch unsere Aktivitäten an Hochschulen verstärken, was sich aber erst mittelfristig auf das Arbeitgeberimage oder die Zahl der Bewerber auswirken kann.
Was ist das stärkste Argument aus Mitarbeitersicht, das für einen guten Arbeitgeber spricht?
Holz: Der Erfolg. Mitarbeiter wollen interessante Projekte und Entwicklungsmöglichkeiten haben. Da wir ein junges Unternehmen sind, gibt es noch viele Gestaltungschancen. Ein Beispiel sind etwa die Olympischen Sommerspiele in London, für deren IT und Netzwerkstruktur Atos zuständig ist.
Was ist der häufigste Grund, warum sich Bewerber gegen Atos entscheiden?
Holz: Diese Frage haben wir so noch gar nicht erhoben. Einige Kandidaten haben wir verloren, weil sie atemberaubende Gehaltsforderungen hatten. Aber mit großen Gehaltssteigerungen sind wir zurückhaltend. Wir richten uns bei der Bezahlung nach den Industrie-Benchmarks. Gehalt ist aber nur ein Faktor für die Mitarbeiterbindung.
Schwierige Jobsuche
Die Computerwoche-Redaktion hat sich mit einem IT-Berater unterhalten, der nach 20-jähriger Festanstellung einen neuen Job suchte. Eigentlich, so dachte er, ist der Arbeitsmarkt günstig, sein Profil schien gefragt. Umso überraschter war er, wie viel Geduld er aufbringen musste. Abgesehen von automatischen Eingangsbestätigungen zeigte seine digitale Bewerbungsoffensive kaum Erfolge.
Viele Unternehmen meldeten sich erst nach Monaten. Schlecht abgestimmte Telefoninterviews mit Gesprächspartnern ohne Entscheidungsbefugnis fanden statt, bevor es dann doch zu Vorstellungsgesprächen kam. Nur dank seines intakten persönlichen Netzwerks fand der IT-Berater, der schon mit dem Gedanken der Freiberuflichkeit gespielt hatte, wieder einen Job. Heute ist er sicher, dass bei den Recruiting-Prozessen auch großer IT-Firmen vieles im Argen liegt. (Computerwoche)