"Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) sind Treiber für Wachstum und Innovation. Gerade in der aktuellen wirtschaftlichen Krise und einem zunehmenden globalen Wettbewerb sind sie daher von ganz besonderer Bedeutung für den Standort Deutschland." Mit diesem Bekenntnis beginnt die auf dem vierten IT-Gipfel in Stuttgart verabschiedete Stuttgarter Erklärung.
Mehr als 600 Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft haben am Dienstag in der baden-württembergischen Landshauptstadt darüber diskutiert, wie die künftige IKT-Strategie zur digitalen Zukunft Deutschlands aussehen soll.
Auch Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP), der gemeinsam mit dem Branchenverband Bitkom zum Gipfel nach Stuttgart geladen hatte, betonte auf der Veranstaltung, die Bedeutung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT). Sie könnten dazu beitragen, "den zentralen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts besser zu begegnen." Das gelte zum Beispiel für die Bereiche Klimaschutz und Energieeffizienz, Mobilität, Gesundheit und Sicherheit sowie den demografischen Wandel.
"Ganz oben auf der Agenda steht für mich der zügige Ausbau der Breitbandnetze, damit ein schnelles Internet bald für alle Menschen in Deutschland verfügbar ist." Laut dem Breitbandatlas des Bundeswirtschaftsministeriums war Breitband mit einem Mbit/s Mitte 2009 bereits für 96,5 Prozent der Haushalte verfügbar.
Bundesregierung hofft auf die Kraft des Marktes
Um die Ziele ihrer Breitbandstrategie zu erreichen, setzt die Bundesregierung nach eigenen Worten "weiterhin vorrangig auf die Kräfte des Marktes". Dabei gehe es darum, so der Wirtschaftsminister, "die Breitbandstrategie weiter zu entwickeln und noch stärker auf Wettbewerb und Investitionen auszurichten." Dazu werde die Bundesregierung rasch das neue EU-Recht in nationales Recht umsetzen und kleine und mittlere Unternehmen stärken, so der Minister weiter.
Auch in anderen Bereichen setzt die schwarz-gelbe Bundesregierung auf das Potenzial der deutschen Hightech-Industrie. "Wir werden uns im Rahmen der neuen IKT-Strategie dem Thema Intelligente Netze widmen, um für Deutschland eine internationale Vorreiterrolle beispielsweise bei Verkehrstelematik, Gesundheitsversorgung, E-Energy, E-Learning und E-Government sicherzustellen", heißt es in der Stuttgarter Erklärung. "Wir werden die Integration der IKT in einer branchenübergreifenden Zusammenarbeit für nachhaltiges Wirtschaftswachstum voran treiben". Allein bei umweltschonenden IT-Lösungen könne Deutschland bis 2020 ein Umsatzpotenzial von etwa 82 Milliarden Euro erschließen.
Eine umfassende Strategie ist diese Absichtserklärung des IT-Gipfels aber noch nicht. "Die Bundesregierung hat beschlossen", heißt es dazu in einer Pressemitteilung des Wirtschaftsministeriums, "diese bis zum Sommer nächsten Jahres zu erarbeiten".
Auf dem Weg dahin gibt es eine ganze Reihe weiterer Projekte, beispielsweise das "Leuchtturmprojekt" Theseus, das "wesentliche Grundlagen für den Aufbau des Internet der Dienste" legen soll. Beim Internet der Dienstegeht es um innovative Wachstumsfelder für die Verknüpfung von intelligenten Objekten, die entscheidende Impulse für mehr Effizienz und Qualität in Anwendungsfeldern wie Service Robotik, Maschinen- und Automobilbau, Logistik und vernetztes Heim auslösen sollen.
Ebenfalls zu den "Leuchtturmprojekten" gehört das von der Bundesregierung in Stuttgart gestartete Vorhaben IT2Green. Das Projekt ist als Technologiewettbewerb angelegt, der runde 60 Millionen Euro mobilisieren soll. In Anwendungsszenarien für Mittelstand, Verwaltung und Wohnen sollen systemoptimierende Projekte für den energie- und umwelteffizienten IKT-Einsatz entwickelt und erprobt werden, etwa durch zeitzonenübergreifendes Lastmanagement von Rechenzentren, Nutzung von Cloud-Computing und Thin Clients.
"Jetzt muss es darum gehen, den Prozess durch kommunikative Maßnahmen und konkrete Selbstverpflichtungen von Unternehmen in Deutschland auch in Industrie und Dienstleistungen in die Anwendung zu bringen", heißt es zum Thema Umweltschutz in der Stuttgarter Erklärung. "Im CIOcolloquium aktive Unternehmen streben die Einführung einer Selbstverpflichtung bei der Beschaffung von energieeffizienter IT bis zur CeBIT 2010 an." Das CIOcolloquium ist ein unabhängiges Netzwerk von IT-Managern deutscher Großkonzerne und versteht sich als Gegenpol zu IT-Anbietern.
"Leuchtturmpolitik reicht nicht mehr", kommentiert die Deutsche Umwelthilfe die Versprechungen von Bundesregierung und Hightech-Branche. Zwar sei es eine gute Botschaft der Stuttgarter Erklärung, "dass erkennbar klimapolitisches Problembewusstsein" in die Debatte eingezogen sei. "Doch neben der Beschwörung von Energieeffizienz und Klimaschutz soll ITK in einer digital vernetzten Welt auch die alten Industrien und die Wirtschaft insgesamt zu immer neuen, natürlich ‚nachhaltigen’ Wachstumsschüben treiben", kritisiert die Umwelthilfe.
Es sei aber auch nach dem vierten IT-Gipfel noch nicht entschieden, so Rainer Baake, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, "ob die Errungenschaften der modernen Kommunikation einmal als Auslöser für den Durchbruch im Klimaschutz gefeiert werden oder ganz im Gegenteil als Teil des Problems in die Geschichte eingehen."
Gipfel der Unverbindlichkeiten
Auch andere Kommentatoren sehen die Ergebnisse des IT-Gipfels mit Skepsis: "Gipfel der Unverbindlichkeiten", berichtet etwa die Deutsche Welle. "Durchwachsende Bilanz", meint auch Welt online und verweist auf das Schneckentempo, mit dem trotz vollmundiger Versprechungen in der Vergangenheit viele IT-Projekte angegangen worden seien. "Tatsächlich sind die Ergebnisse der bisherigen Gipfel dürftig", kritisiert tagesschau.de. "Der ganze Gipfel ist doch eine einzige Farce", zitiert die Online-Ausgabe der Tagesschau den Internet-Experten und Blogger Markus Beckedahl. Bei den bisherigen Gipfeln sei noch nie etwas herausgekommen, das Ganze erinnere doch sehr an einen Marketing-Gag.
Möglicherweise seien die Ziele zu groß, räumt Innenminister Thomas de Maiziere auf der Veranstaltung ein: "In der IT-Branche ist es Mode geworden, das Blaue vom Himmel zu versprechen", kritisierte der Minister. Um konkrete Ziele zu verwirklichen, müsse daher präziser vorgegangen werden.
Deutschland international nur im Mittelfeld
Der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT)-Standort Deutschland liegt trotz schwieriger Wirtschaftslage im Vergleich der Top 15 IKT-Nationen aktuell im Mittelfeld. Das ist das zentrale Ergebnis des ersten "Monitoring-Report Deutschland Digital", der anlässlich des nationalen IT-Gipfels der Bundesregierung in Stuttgart vorgestellt wurde.
"Der Monitoring-Report attestiert dem deutschen IKT-Standort im Vergleich zu den weltweit führenden IKT-Regionen eine gute, aber nur durchschnittliche Leistungsfähigkeit im Vergleich mit den Besten", so Bernd Pfaffenbach, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. "Er zeigt aber auch, dass wir am IKT-Standort Deutschland gute Voraussetzungen geschaffen haben, damit sich die IKT-Wirtschaft zukunftsweisende Wachstumsfelder erschließt, um zügig an die Spitze zu gelangen".
Im Vergleich zu den anderen weltweit führenden 14 IKT-Nationen Europas, Asiens und den USA belegt der IKT-Standort Deutschland 2008 gemeinsam mit Norwegen Rang sieben. Dabei erzielt Deutschland 67 Prozent der bestmöglichen Performance von 100 Punkten und ist damit 14 Prozentpunkte vom Weltmarktführer USA entfernt.
Mit Blick auf die infrastrukturellen Voraussetzungen positioniert sich Deutschland auf Rang acht der Top 15 IKT-Nationen. Die Verbesserung um einen Rangplatz gegenüber dem Vorjahr kommt vor allem durch die zunehmende Versorgung der Bevölkerung mit Breitbandanschlüssen zustande. Hier stieg die deutsche Performance um elf Indexpunkte auf einen Wert von 77.
Die durchschnittliche Performance bei den analysierten Telekommunikationsdiensten (Breitband, Mobilfunk, Internet-Zugang) und der Hardware (Computer, SSL-Server) lag in Deutschland bei 79 Prozent der bestmöglichen Performance. Ein Wert, mit dem Deutschland im infrastrukturellen Bereich neun Prozentpunkte über dem weltweiten Durchschnitt liegt.
Trotz dieser eher durchschnittlichen Werte im Vergleich mit anderen Industrienationen setzt die Bundesregierung einen guten Teil ihrer Jobhoffnungen auf die Hightech-Industrie: Als Jobmotor könne die Branche drohende Arbeitsplatzverluste anderer Branchen mehr als ausgleichen, sagte etwa Wirtschaftsminister Rainer Brüderle auf dem IT-Gipfel. "Wir brauchen gerade jetzt den Erfolg der Branche, um erfolgreich zu sein", beschwörte der FDP-Politiker.