Grün, wo man hinschaut: Wiesen und Weinberge. Gärten und ein Schlosspark. Der 27.000-Seelenort Winnenden, rund 20 Kilometer von Stuttgart entfernt, ist Matthias Mehrtens Wirkungsstätte. Aus dem glitzernden Düsseldorf, wo aufgestylte Models über die Kö stöckeln, zog es den Wirtschaftsinformatiker in die schwäbische Provinz. Anfang 2012 wechselte der damalige CIO der Stadtwerke Düsseldorf zu Kärcher. Der mittelständische Familienbetrieb bietet Reinigungssysteme, -produkte und Dienstleistungen für Privatkunden, Gewerbe und Industrie an. Mehrtens verantwortet jetzt die weltweite IT bei Kärcher.
Die berühmten ersten 100 Tage sind also schon einige Zeit vorbei. Diese kurze Frist hält Ulrike Rheinberger, Führungskräfte-Coach aus Berlin, allerdings für einen Mythos. Die Zeit reiche gerade für einen ersten Eindruck. Um sich einzuarbeiten, braucht man ein bis zwei Jahre, sagt Rheinberger. Demnach ist bei Mehrtens nun der Punkt für ein Zwischenfazit gekommen. Wie fällt es aus? „Sehr gut“, sagt Mehrtens wie aus der Spritzpistole geschossen. „Ich habe mich gut eingelebt."
Mittelständler und Weltmarktführer
Der Begriff Familienbetrieb soll nicht täuschen: Kärcher sieht sich in seiner Branche als Weltmarktführer und beschäftigt rund um den Globus mehr als 10.000 Mitarbeiter. Um diese Position zu wahren, muss die Firma Innovationen auf den Markt bringen. Zugleich ist Kärcher nach wie vor ein traditionsreiches Familienunternehmen, das sich um seine Leute kümmert. „Diese Mischung finde ich sehr spannend“, sagt Mehrtens.
Über seinen alten Arbeitgeber will der CIO kein negatives Wort verlieren. Zwischen den Zeilen schwingt mit, dass er die kurzen Entscheidungswege und das Zupackende des mittelständischen Betriebes, für den er jetzt arbeitet, schätzt. Das IT-Geschäft sei „völlig anders“, erklärt er offen. „Insgesamt läuft es bei einem Mittelständler von der Anforderung bis zur Umsetzung aus meiner Sicht schneller“, resümiert Mehrtens. In den ersten 100 Tagen hat er sich mit seinem neuen Team zusammengesetzt und intensiv mit Kärchers langfristig angelegter Zehn-Jahres-Strategie beschäftigt. „Ich hatte von Anfang an viel Gestaltungsspielraum und konnte im wahrsten Sinne des Wortes etwas unternehmen“, erzählt er.
Auch aus Unternehmenssicht war die Entscheidung für einen neuen CIO von außen klug, sagt Rheinberger. Wer Veränderungen bewältigt, gewinnt Kompetenz per se. Die Fähigkeit, Dinge anders zu betrachten, die Offenheit für Neues, die Außenperspektive auf bestehende Strukturen – gerade weil Kärcher Innovationen braucht, sind solche Stärken bei einer Führungskraft gefragt.
Das Unternehmen hat die gesamte IT neu ausgerichtet, die Umsetzung ist derzeit in vollem Gange. Mehrtens arbeitet im Moment beispielsweise an der Gestaltung und der Einführung von Web-Anwendungen für die Händler, und zwar weltweit. Außerdem sitzt er an Web-Shops für Kärchers Endkunden und am Customer-Relationship-Management-System (CRM).
Interkulturelle Kompetenz der anderen Art
Nicht geändert hat sich Mehrtens Engagement an der Niederrhein Hochschule in Mönchengladbach. Seit 2005 unterrichtet der CIO dort, 2010 wurde er offiziell zum Honorar-Professor ernannt. Mit einer Parallel-Existenz im Elfenbeinturm hat das nichts zu tun: Mehrtens nutzte diese Arbeit immer als Chance zum Anwerben von Nachwuchs. Seine Studierenden konnten bei den Düsseldorfer Stadtwerken Praktika machen oder Abschlussarbeiten schreiben. Und so berichtet er auch über seine neue Firma: „Kärcher und die Hochschule Niederrhein sind inzwischen IT-Kooperationspartner und haben den Know-how-Transfer zur Förderung von Forschung und Entwicklung begonnen.“ Mehrtens lässt auch seine neuen Erfahrung bei einem global tätigen Unternehmen einfließen: Interkulturelle Kompetenz steht jetzt mit auf dem Lehrplan.
Interkulturelle Kompetenz der anderen Art brauchte der Wirtschaftsinformatiker in Sachen Wohnort. „Ich vermisse die Karnevalszeit“, sagt der Ex-Düsseldorfer offen. Um gleich anzufügen, dafür habe er es nun nicht mehr so weit zum Skifahren. Eine gesunde Einstellung, findet Rheinberger. „Man muss gut für sich selbst sorgen“, sagt sie. Ihr Rat: Bei Veränderungen jeder Art nicht die Sensibilität für das Menschliche vergessen.
Mehrtens hat sich denn auch mit dem Schwäbischen angefreundet. „Der Kehrwoche bin ich mittlerweile mächtig“, versichert er. Und schmunzelt: „Bei Kärcher gibt es ja zum Glück die passenden technischen Lösungen."