An Prominenz mangelt es in diesem Jahr sicher nicht: Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) wird zusammen mit der nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) den IT-Gipfel eröffnen. Heinrich Hiesinger, Vorstandsvorsitzenden der Thyssen Krupp AG, spricht als Gastgeber und erster Vertreter der Wirtschaft.
Es folgt das erste Forum mit Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP), René Obermann, Vorstand der Deutschen Telekom, Jim Hagemann Snabe, Vorstand von SAP, und anderen illustren Namen. Den ganzen Tag über geben sich Minister und CEOs die Mikros in die Hand.
Außerdem schaut zum Abschlussplenum wieder Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vorbei. Das freut die Veranstalter und die vielen Abgesandten der Herstellerfirmen, und das freut den Paten im Hintergrund, den Bitkom.
Der 7. Nationale IT-Gipfel steht dieses Jahr unter dem Motto"digitalisieren_vernetzen_gründen". Aufbruch ist angesagt. Stetig nimmt das Getöse um die Veranstaltung zu. 2006 fand in Potsdam der Erste dieser Gipfel statt. Es folgten Hannover, Darmstadt, Stuttgart, Dresden und München. Im vergangenen Jahr plagten sich die Beamten des Wirtschaftsministeriums schon mit der Sorge, das Buffet werde langsam zu teuer. Zu viele Gäste. Zu viele Politiker, die sich gerne mal mit Vertretern einer erfolgreichen Branche blicken lassen.
Allerdings: Viele CIOs aus Anwenderunternehmen werden auch in diesem Jahr in Essen nicht dabei sein, wie eine Umfrage des CIO-Magazins ergab. Elisabeth Hoeflich, CIO der Continental AG, will das allerdings ändern: "Im nächsten Jahr will ich frühzeitig schauen, dass wir als Anwenderunternehmen dort vertreten sind. Denn es gibt viele Themen, bei denen wir bei der Konzentration der IT-Anbieter unter die Räder kommen, wenn wir untereinander nicht vernünftig kooperieren. Wir sollten in gebotenem Rahmen etwa über Lizenzmodelle von großen Firmen sprechen - oder wie wir zu offeneren Systemen mit klaren Schnittstellen kommen."
Auch bei den Themen Security, Talents, ausländische Arbeitnehmer, Cloud-Lösungen und der Frage, welche Daten man verfügbar machen muss, spiele die Politik in die IT kräftig mit hinein. Hoeflich: "Das sind Themen, die auch für uns wichtig sind. Unsere Gesellschaft ist heute sehr abhängig von der IT. Das dürfen wir nicht den Anbietern allein überlassen."
Lobbyisten nur für die Hersteller
Sönke Vetsch, CIO der Börse Stuttgart, fährt ebenfalls in diesem Jahr nicht zum Gipfel. "Ich bin in Essen nicht dabei, das hat aber terminliche Gründe." Ihn interessiert es aber, wie sich die neu vereinte Schlagkraft des Anwendervereins Voice beim IT-Gipfeltreffen bemerkbar machen wird. "Ich bin gespannt, wie dort die Meinung zu Voice ist. Die IT-Hersteller sind ja mit vielen Lobbyisten schon lange in Brüssel vertreten, wir CIOs auf der Nutzerseite aber nur mit ganz schmaler Brust. Ich bin froh, wenn das ein Gleichgewicht bekommt und Frau Merkel und Herr Rösler das dann auch entsprechend wahrnehmen."
Als Vorstand und Geschäftsführer sei ihm wichtig, wie die Politik Informatik und das Börsengeschäft sieht. "Ich bin sehr gespannt, ob die IT letztlich den Stellenwert bekommt, den sie verdient", sagt Vetsch. Mit der Informatik sei das so eine Sache. "Jeder, der eine Waschmaschine oder ein Auto bedienen kann, hat mit Informatik zu tun. Aber keiner weiß genau, was dahinter abläuft. Zu viel Unwissenheit führt aber zu Fehlentscheidungen, ob in der Politik oder im Vorstand." Dabei sei die Börse ein Highend-IT-Business. "Wir verarbeiten in zwölf Stunden Handel mehr Daten, als die größte Suchmaschine in 24 Stunden Suchanfragen hat", so Vetsch.
Oliver Bussmann, CIO bei SAP, glaubt, dass die Branche auf einem guten Weg ist, sich besser einzubringen. Drei Funktionen hat die IT laut Bussmann: eine funktionale Verantwortung, die Systeme zu betreiben und ein Portfolio zu liefern, das Unternehmen dabei unterstützt, Geschäfte zu machen und dabei strategisch-innovativ zu sein. "Wo sich die IT direkt in den Lifecycle inkludiert, ist die IT nicht nur Enabler, sondern wird zum strategischen Partner und zum Treiber von Innovation, um neue Wachstumsfelder zu erschließen." Bei den Autoherstellern etwa werde die IT durch die Digitalisierung zu einem Bestandteil des Produktes. "Vielen Politikern ist gar nicht bewusst, welche Rolle die IT eigentlich spielen kann. Solange das aber nicht nach draußen transparent wird, schlummern die Potenziale der IT - auch was die Arbeitsplätze angeht."
Liegt das Schlummer-Dasein an der selbst gewählten "Enabler-Rolle"? Carsten Kestermann, Head of Public Affairs bei der Software AG, findet, dass eine reine Enabling-Sicht für die IT zu wenig ist. Ihre Bedeutung gehe weit darüber hinaus. "IT ist nicht nur wichtig, weil die Branche andere Industriezweige produktiver macht, sondern auch weil sie am Standort Deutschland entsprechend Wertschöpfung generiert. Die makroökonomischen Zahlen der Branche sind beeindruckend." Es falle aber nun einmal vielen Menschen in Deutschland schwer, die Bedeutung der IT-Industrie angemessen einzuschätzen. Die Branche sei allerdings auch selber schuld daran. Man habe sich zu lange in der Rolle des Enablers sehr wohlgefühlt. "Die Branche ist in Deutschland sehr ingenieursgetrieben, die Vermarktung geht uns ein wenig ab", sagt er.
Enabler-Funktion hilft der IT nicht
Das geringe Selbstbewusstsein der Branche bestätigt Professorin Irene Bertschek vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Bei einem Workshop im Berliner Wirtschaftsministerium sei ihr im Vorfeld des Gipfels aufgefallen: "Nicht alle sehen die Enabler-Funktion der IT positiv. Einige haben dort gesagt: Wir wollen nicht nur Enabler sein. Wir sind doch selber wer und nicht nur der Dienstleister für andere."
Die Ökonomin wundert sich: "Aus ökonomischer Perspektive erhöht die Enabler-Funktion den Wert einer Branche, Enabling ist also immer etwas Positives. Und die IKT ist eine wichtige Branche für die Gesamtwirtschaft".
Thomas Endres, Vorsitzender des Präsidiums des neuen Verbands der IT-Anwender "Voice", ist sich sicher, dass das Selbstbewusstsein der IT durch die Gipfel steigt. Endres nimmt - wie schon in den Vorjahren - am Gipfelprozess teil. "Der IT-Gipfel bietet ein tolles Forum, er ist ein Format, bei dem sich die Politik um die IT kümmert, bei dem die IT-Anbieter mit der Politik reden können und die IT-Anwender mit dabei sind", sagt er. In den Arbeitsgruppen rund um den Gipfel würden Dinge tatsächlich besprochen und geklärt, das sei sehr hilfreich.
"Der Gipfel steht in der Historie, dass die IT-anbietende Industrie und deren Themen stark vertreten sind. Wenn er auch als Standort-IT-Gipfel betrachtet wird, wird die Anwenderseite in Zukunft noch stärker gefragt sein", gibt sich Endres hoffnungsvoll. "Denn neben IT made in Germany hat auch IT applied in Germany eine große Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Deutschland."