Die Marktauguren sind sich weitgehend einig: Die Walldorfer haben mit dem Kauf von SuccessFactors einen Schritt in die richtige Richtung getan – vor allem im Hinblick auf ihre Rolle als Anbieter von Cloud-Lösungen: „Mit SuccessFactors hat SAP auf einen Schlag weltweit 3.500 Kunden mit mehr als 15 Millionen Nutzern dazu gewonnen und wird damit zu einem führenden Anbieter im weltweiten Cloud-Markt“, schreiben die Analysten des amerikanischen Marktforschungsunternehmens Saugatuck.
Und das ist auch das erklärte Ziel der Walldorfer: „Die Cloud ist ein wesentlicher Bestandteil für das künftige Wachstum der SAP. Die Zusammenführung von SuccessFactors‘ Team, Fachkompetenz sowie Technologie mit der SAP wird ein echtes Schwergewicht im Cloud-Segment bilden“, sagt Bill McDermott, Vorstandssprecher der SAP.
Nach Einschätzung von Thomas Otter, Research Director beim Marktforscher Gartner, ist ein klares Bekenntnis zur Cloud bei SAP lange überfällig: „Das Cloud-Geschäft macht bei SAP bisher weniger als fünf Prozent des Umsatzes aus“, kommentiert der Gartner-Analyst. So sei Business ByDesign, das SaaS-ERP-System von SAP, viel zu spät auf den Markt gekommen und hätte mit der geringen Kundenbasis von weltweit etwa 700 installierten Systemen bisher kaum nennenswerte Verbreitung gefunden.
SAP kaum über das Experimentierstadium hinausgekommen
Auch die in jüngster Zeit von SAP angebotenen Cloud-Applikationen Sales OnDemand (CRM und Collaboration), CarbonImpact OnDemand (Nachhaltigkeit), Sourcing OnDemand (Beschaffungsprozesse) und Travel OnDemand (Reisekostenabrechnung) seien kaum über das Experimentierstadium hinausgekommen, die Anzahl der Installationen äußerst gering.
Anders als Business ByDesign, das als eigenständige SaaS-Lösung für mittelständische Unternehmen eine On-Premise-Installation für ERP- und CRM ersetzt, liefern die OnDemand-Systeme von SAP gleichsam eine Blaupause für den Einsatz der HCM-Software von SuccesFactors. Denn sie bringen üblicherweise zusätzliche Funktionen, die klassische On-Premise-ERP-Systeme nicht - oder nicht in der gewünschten Tiefe - enthalten und erweitern auf diese Weise lokal installierte ERP Systeme.
Eckpfeiler der künftigen Cloud-Strategie von SAP
Und hier zeichnet sich ein Eckpfeiler der zukünftigen Cloud-Strategie von SAP ab, die das zunehmende Engagement im Cloud-Markt mit der gleichzeitigen Beibehaltung ihrer bisheriger Domäne – On-Premise-ERP-Systeme – verbindet: „Die Erfahrung, die SAP ihren Kunden mit dem Cloud- und On-Premise Produktangebot bietet, passt hervorragend zur Kompetenz von SuccessFactors, leistungsfähige und kostengünstige Cloud-Applikationen anzubieten“, sagt Jim Hagemann Snabe, Vorstandssprecher der SAP, „gemeinsam werden durchgängige Lösungen anbieten, die sowohl On-Premise, in der Cloud oder auf mobilen Endgeräten verfügbar sind.“
Die Analysten von IDC sehen jedenfalls eine gute Übereinstimmung zwischen der Business-Suite von SAP und der HCM-Software: „SAP wird sicher in die Entwicklung von SuccessFactors investieren. Für die Anwender wird es dadurch einfacher, die beiden Anwendungen zu integrieren und Daten zwischen ihnen auszutauschen“, heißt es in IDC’s European ICT Advisory.
Denn inhaltlich passt die Akquisition zur SAP-Business-Suite: „Schon jetzt gibt es eine Vielzahl von großen Unternehmen, die ihre On-Premise SAP-Systeme mit der Human Capital Management Software von SuccessFactors aufgerüstet haben“, sagt Gartner-Experte Otter. Das läge auch daran, dass die SAP-Software zwar im HR-Bereich einen soliden Leistungsumfang biete, der es aber an weitergehenden Funktionen für Recruitment, Personalentwicklung, und -weiterbildung sowie Personal-Performance-Management fehle. „Ohne Zweifel gehört SuccesFactors zu den weltweit führenden Anbietern in diesem Segment“, sagt Otter.
Mehr als 400.000 Nutzer bei Siemens
In Deutschland gehört etwa Siemens mit mehr als 400.000 Nutzern zu den Anwendern der SuccessFactors-Applikation. Nach Angaben des Analystenhauses PAC soll ein nicht genanntes amerikanisches Unternehmen die HCM-Software sogar für mehr als zwei Millionen User einsetzen. Insgesamt führt der HCM-Spezialist gut 3.500 Firmen mit über 15 Millionen Mitarbeitern auf seiner Kundenliste und gehört damit zu den weltweit größten SaaS-Anbietern. Im Vergleich: Der Cloud-Primus Salesforce.com hat zwar 87.000 Kunden, kommt aber insgesamt nur auf rund zwei Millionen Nutzer.
Aber SAP geht eben nicht nur um Personalmanagement: Mit der Übernahme kauft der Walldorfer Software-Gigant nicht nur einen großen Player im stark wachsenden HCM-Markt, sondern gleichzeitig die Technologie einer der weltweit erfolgreichsten Cloud-Anbieter. Abgesehen von den zu erwartenden Schwierigkeiten der bevorstehenden technologischen Integration, gehen die Absichten von SAP wohl noch darüber hinaus: „Da geht es auch um die Unternehmenskultur - SuccessFactors ist ein durch und durch von der Cloud-Philosophie getriebenes Unternehmen“, sagt Gartner-Analyst Otter.
Erfahrung mit Cloud-Software bei SAP sehr begrenzt
Auf der anderen Seite sei die Erfahrung mit Cloud-Software bei SAP sehr begrenzt, und dass nicht nur im Bereich der Technologie. „SAP weiß, wie man einem CEO oder CIO Lizenz-Software verkauft. Wie man aber eine Marketing- oder HR-Abteilung anspricht, ist für den SAP-Vertrieb Neuland.“ Auch auf dieser Ebene bringe die Akquisition des Cloud-Spezialisten frischen Wind in das von traditionellem Lizenz-Geschäft geprägte, eher konservative Gefüge des Walldorfer ERP-Marktführers.
Für diese These spricht, dass Lars Dalgaard, der Gründer und CEO von SuccessFactors, zusätzlich zu seiner Aufgabe als Vorstandsvorsitzender von SuccessFactors das gesamte Cloud-Geschäft der SAP verantworten soll. Der Aufstieg in den SAP-Vorstand ist dann wohl nur noch eine Frage der Zeit: Der SAP-Aufsichtsratsvorsitzende Hasso Plattner hat die Berufung des als ausgesprochen ehrgeizig geltenden Lars Dalgaard in den SAP-Vorstand bereits vorgeschlagen. Nach dem für das erste Quartal 2012 geplanten Abschluss der Übernahme wird SuccessFactors unabhängig bleiben und unter dem Namen „SuccessFactors, ein SAP Unternehmen“ geführt werden.
SuccessFactors mit Hauptsitz in San Mateo, Kalifornien, hat mehr als 1.450 Mitarbeitern. Den Großteil der Cloud-Technologie hat das Unternehmen selbst entwickelt. In jüngster Zeit hatte sich der Cloud-Spezialist mit der Übernahme von Plateau, Inform und Cubetree in den Bereichen Weiterbildungs-Management, Einsatzplanung und -analyse sowie Social Collaboration verstärkt. Das Unternehmen macht 80 Prozent des neuen Umsatzes mit Applikationen, die vor fünf Jahren noch nicht existierten.
3,4 Milliarden Dollar nicht gerade ein Schnäppchen
Einig sind sich die Analysten, dass es sich bei einem Kaufpreis von 3,4 Milliarden US-Dollar nicht gerade um ein Schnäppchen handelt. Bei einem geschätzten SuccessFactors-Umsatz von etwa 330 Millionen Dollar in 2011 legt SAP den zehnfachen Jahresumsatz auf den Tisch. Dennoch könnte sich der teure Deal für die Walldorfer auszahlen, vor allem auch im Hinblick auf den ERP-Erzfeind Oracle: “SAP stärkt seine Position im Cloud-Markt damit erheblich. Und es ist ein klarer Schuss vor den Bug von Oracle, das vor kurzem seine neue Cloud-Strategie verkündet hat und jetzt auch die Fusion-Applikationen aus der eigenen Cloud anbietet“, kommentieren die Analysten von PAC.
Vor wenigen Wochen erst hatte Oracle den auf CRM spezialisierten SaaS-Anbieter RightNow für 1,5 Milliarden Dollar übernommen. Oracle, bekannt für seinen Übernahmehunger, hätte möglicherweise auch Interesse an SuccessFactors gefunden, vermutet Gartner-Mann Otter: „Wenn SAP den Deal nicht gemacht hätte, wäre SuccessFactors sicher auch ein geeigneter Übernahmekandidat für Oracle gewesen.“
Fast religiös gelebte Cloud-Philosophie
Auf jeden Fall aber bedeute die SuccesFactors-Übernahme für SAP einen entscheidenden Schritt in Richtung Cloud und ein Bekenntnis, das deutlicher kaum ausfallen könnte: „SAP gibt sehr viel Geld für ein Unternehmen aus, in der die Cloud-Philosophie fast religiös gelebt wird. Das weiß man natürlich auch bei SAP. Und drei Milliarden Dollar kann man nicht einfach abschreiben – das muss jetzt funktionieren“, sagt Otter.