Hell werfen Wunderkerzen ihre Funken auf die Geburtstagstorte. Eine Gruppe junger Menschen singt lauthals Happy Birthday, die Blicke auf die Displays ihrer Smartphones gerichtet. Mit der Kamera halten sie diesen besonderen Moment im Film fest. Auch das Geburtstagskind. Die Tortenträgerin hingegen schaut irritiert in die Runde.
Die Frau mit dem Kuchen ist Charlene deGuzmann, und die beschriebene Szene stammt aus ihrem Kurzfilm "I Forgot My Phone". Darin ist sie über zwei Minuten lang ohne Smartphone zu sehen - beim Kaffee trinken mit Freundinnen, beim Konzertbesuch, beim Bowling. Die Menschen um sie herum hingegen starren auf ihr Telefon. Von Interaktion keine Spur. Mit ihrem kleinen Film hat die eher unbekannte amerikanische Schauspielerin und Tänzerin einen Nerv getroffen. Inzwischen wurde der Film über 50 Millionen Mal auf YouTube angeklickt.
Das Video zeigt Smartphone-Besitzer, die nicht mehr in der Lage sind, ihr Gerät aus der Hand zu legen. Ständig fotografieren sie, surfen im Internet oder telefonieren lauthals mit Freunden. Dieses Verhalten hat inzwischen sogar schon einen Oberbegriff: "Phubbing". Das Wort setzt sich aus "Phone" und "Snubbing" zusammen. Wobei letzterer Begriff nicht weniger bedeutet, als "vor den Kopf stoßen". Macht das ständige Checken von E-Mails, das Lesen von Nachrichten, das Schreiben von Texten, das Surfen im Internet oder das Telefonieren uns unhöflich? Der Student Alex Heigh aus Melbourne glaubt das. Er hat die Initiative "Stop Phubbing" ins Leben gerufen.
Die Forschungslandschaft zu diesem noch recht jungen Phänomen ist relativ dünn besiedelt. Dennoch haben erste Arbeiten gezeigt, dass es vor allem zwei Auswirkungen hat: Zum einen setzen sich die Smartphone-Nutzer selbst immer stärker unter Druck. Und das, ohne es zu bemerken. Zum anderen fühlen sich Menschen im Umfeld von exzessiven Smartphone-Nutzern zurückgewiesen, ignoriert und uninteressant. "Immer öfter werden im Alltag Gespräche, Berührungen und Augenkontakt von der Spielerei mit dem Smartphone abgelöst", sagt auch der Düsseldorfer Psychologe Manfred Schack. "Dabei brauchen wir eine echte Face-to-Face-Kommunikation. Isolation ist für den Menschen keine Option."
Gleichzeitig ist das Smartphone Bestandteil unseres modernen Lebens. Über 40 Prozent der Deutschen besitzen inzwischen so einen Minicomputer. Unter den Jugendlichen sind es inzwischen deutlich über 50 Prozent. Genauso wenig wie Ex-Kanzler Helmut Schmidt Ende der 70er Jahre fernsehfreie Tage einführen konnte, werden die Menschen heute das Smartphone aus unserem Alltag verdrängen können oder wollen.
Was wir also brauchen, sind klare Regeln im Umgang mit dem Smartphone. "Als das Mobiltelefon aufkam, wurde überall laut telefoniert. Mit der Zeit haben wir gelernt, uns etwas abseits hinzustellen und Rücksicht zu nehmen", sagt Wissenschaftler Joachim Höflich, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt. Seit Jahren forscht er zur Interaktion von Mensch und Mobiltelefon. Beim Smartphone müssten erst noch neue Regeln etabliert werden. Wie diese aussehen könnten, erklärt sich am besten anhand konkreter Alltagssituationen:
6.30 Uhr: Der Wecker klingelt. Es ist für die meisten der erste Griff des Tages zum Smartphone. Noch leicht verschlafen einen Blick auf die Wetter-App werfen. 12 Grad, Regen. Heute also eine lange Hose anziehen und den Regenmantel nicht vergessen.
In so einer Situation ist das Smartphone überaus praktisch. Zumindest für den Nutzer. In einer Partnerschaft kann das schon zum ersten Nervfaktor des Tages werden. "Früher hätte man sich zum Start in den Tag vielleicht zuerst seinem Partner zugewandt. Nun bekommt das Smartphone die ganze Aufmerksamkeit", sagt Agnes Jarosch, Leiterin des Deutschen Knigge-Rates. Gleichzeitig erhellt der Schein des Bildschirms das ganze Zimmer. "Für jemanden, der noch schlafen möchte, ist das sehr störend", sagt sie.
Jarosch empfiehlt daher, das Smartphone gar nicht mehr mit in das Schlafzimmer zu nehmen. "Natürlich gibt es Berufsgruppen, für die ist es wichtig immer Up-to-Date zu sein", sagt sie. "Doch im Großen und Ganzen muss man sich fragen, wie sinnhaft die Benutzung des Smartphones spät am Abend oder früh am Morgen ist."
Wie das Smartphone unseren Alltag beeinflusst
8.00 Uhr: In der Straßenbahn schaut fast niemand mehr auf. Der Blick ist auf das Smartphone gesenkt. Langeweile hat so gut wie niemand auf der Fahrt.
"Wartezeiten lassen sich wunderbar mit dem Smartphone überbrücken", sagt Agnes Jarosch. Aus Knigge-Sicht spreche auch nichts dagegen, solange niemand direkt ignoriert wird. Anders sieht es mit lauten Telefonaten im öffentlichen Raum aus.
Wie fürchterlich diese nerven können, weiß wohl jeder, der schon einmal neben einem Dauertelefonierer in der Bahn gesessen hat. Inzwischen haben Forscher der amerikanischen Cornell Universität herausgefunden, woran das liegt: Während das Gehirn Monologe oder Gespräche zwischen zwei Personen problemlos ausblenden kann, funktioniert das bei "Halbgesprächen" nicht.
10.00 Uhr: Das Team kommt zum Meeting zusammen. Der Chef gibt einen Überblick über die Aktivitäten der kommenden Tage. Als er in die Runde schaut, bemerkt er, wie die Kollegen auf das Smartphone schielen. Im Wechsel nicken sie ihm zustimmend zu und vertiefen sich dann wieder in ihre E-Mails.
Für Chefs sind solche Situationen schwierig. Einerseits ist es gut, wenn die Kollegen ihr Arbeitsfeld kontinuierlich im Griff haben und Anfragen schnell beantworten. Andererseits wird ihm und seinem Vortrag nicht die Aufmerksamkeit geschenkt, die er gerne hätte. "Wir haben nur eine Aufmerksamkeit", sagt Joachim Höflich. Wer sich mit dem Smartphone beschäftigt, kann nicht gleichzeitig zuhören. "Multitasking ist ein Mythos", so Höflich.
Um seine Aussage zu untermauern, führt er ein Experiment der Psychologen Simons und Chabris aus dem Jahr 1999 an:
Davon abgesehen ist das Verhalten der Kollegen gegenüber dem Chef einfach unhöflich, findet Agnes Jarosch. Der Deutsche Knigge-Rat hat für den Umgang mit dem Smartphone eine einfache allgemeingültige Regel: Grundsätzlich sind Nicht-Anwesende zugunsten der Anwesenden zu vernachlässigen. Entsprechend hat das Smartphone im Meeting nichts verloren.
13.00 Uhr: In der Mittagspause treffen sich Mutter und Tochter in einem Bistro zum Mittagessen. Beide legen das Smartphone auf den Tisch - die Mutter hat den E-Mail-Posteingang im Blick, die 13-Jährige den WhatsApp-Chat mit den Freundinnen.
"Eltern haben eine Vorbildfunktion für Kinder und Jugendliche", sagt Iren Schulz. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bremen hat für ihre Dissertation erforscht, wie sich die Sozialisation von Jugendlichen unter dem Einfluss des Smartphones verändert. Wenn vorgelebt wird, dass das Smartphone am Tisch einen Platz hat, wird das Kind es ebenso machen. Entsprechend wichtig sind hier klare Regeln, wie Johnny und Tanja Haeusler in ihrem Ratgeber "Netzgemüse" schreiben. Sie geben klare Anweisungen, wie: Am Tisch bleibt das Smartphone aus. Oder: Im Schlafzimmer hat das Gerät nichts verloren. Stattdessen gibt es eine Docking-Station im Flur, wo alle Mobiltelefone und Tablets der Familie über Nacht aufladen.
"In der Pubertät haben Kinder schon immer viel kommuniziert", erklärt Schulz. "Durch die neue Technik hat sich das noch verstärkt." Das Telefon gebe den Jugendlichen das Gefühl, eingebunden zu sein und dazuzugehören. Dafür sei die Angst, ausgeschlossen zu werden oder etwas zu verpassen, entsprechend höher. Entsprechend müssten Kinder heute vor allem lernen, das Alleine sein auszuhalten.
Eltern, die sich deswegen Sorgen machen, kann Schulz beruhigen: "In der Regel kommunizieren Kinder zwischen 13 und 14 Jahren übermäßig viel. Das wird mit den Jahren wieder weniger."
Jugendliche im Kommunikationswahn
16.00 Uhr: Eine Kollegin fragt: "Könntest du mir nochmal den Ablauf der Veranstaltung erklären?" "Gerne, also..." Dann klingelt das Telefon. Die Kollegin nimmt ohne eine Erklärung ab.
"Seine Mitmenschen nicht in die konkrete Situation mit einzubeziehen, ist sehr unhöflich", sagt Agnes Jarosch vom Deutschen Knigge-Rat. Höflich sei, wer genau erklärt, warum es so wichtig ist, das Gespräch anzunehmen oder eine Nachricht zu lesen. Außerdem sei es angebracht, um Erlaubnis zu bitten, ob man rangehen darf.
Wer diese Regel beachtet hinterfragt automatisch, wie wichtig der Griff zum iPhone, Galaxy, Lumia oder HTC in diesem Moment wirklich ist. "Dadurch entsteht ein bewusster Umgang mit dem Smartphone", sagt Jarosch. Es ginge wie in der Burnout-Prävention darum, wieder mehr auf das zu achten, was man eigentlich macht und Gewohnheiten nicht überhand nehmen zu lassen. Das steigere am Ende auch die Konzentrationsfähigkeit.
"Wir merken oft erst rückwirkend, wie viel unnötigen Stress wir uns durch eine Dauererreichbarkeit gemacht haben", sagt Wissenschaftler Höflich. Er betont das Moment der Gelassenheit. "Manche Dinge können warten. Nicht alles, was wir tun, ist wichtig", sagt er. "Wir machen aus der Benutzung des Smartphones ein rituelles Ding. Dadurch bekommt die Aktivität einen Selbstwert, den sie eigentlich gar nicht hat." Wer das zulasse, gebe Autonomie ab.
19.00 Uhr: Ein Paar ist in einem italienischen Restaurant verabredet. Das Smartphone landet wieder auf dem Tisch. Als die beiden mit einem Glas Rotwein anstoßen wollen, blinkt eine Nachricht auf.
Hier hat die Frau dem Absender der Nachricht mehr Aufmerksamkeit geschenkt als ihrem eigenen Partner - und damit gegen die Anwesende-vor-Nichtanwesende-Regel verstoßen. Gerade wenn man gezielt miteinander Zeit verbringen möchte, ist das besonders unhöflich.
Daher gibt der Deutsche Knigge-Rat für das Verhalten im Restaurant klare Regeln vor. Wie im Kino oder Theater hat das Telefon hier nichts zu suchen. Sowohl das Licht als auch das Klingeln, Piepen oder Brummen würden andere Menschen in diesen Situationen stören. "Ausnahmen gestattet Knigge, wenn ein Gastgeber noch auf Gäste wartet", sagt Agnes Jarosch. "Hier wäre es unhöflich das Telefon auszustellen, so dass der Gastgeber nicht mehr erreichbar ist."
Danach gehöre das Telefon ausgeschaltet. Natürlich müssten viele Menschen aus beruflichen Gründen erreichbar sein, schränkt Jarosch ein. Doch wie erreichbar, habe der Einzelne oft selbst in der Hand. "Ich schüre natürlich eine Erwartungshaltung, wenn man mich immer erreichen kann", sagt Jarosch. Wer klar macht, dass er ab einer gewissen Uhrzeit dem Unternehmen nicht mehr zur Verfügung steht, werde in der Regel auch nicht kontaktiert. "Man verliert nicht gleich seinen Job, nur weil man eine E-Mail nicht sofort beantwortet", sagt Jarosch.
Schalten Sie das Smartphone öfter aus
22.00 Uhr: Ein Paar sitzt vor dem Fernseher und schaut eine Talkshow. Er schaut konstant auf sein Smartphone und fängt an aus ihrer Sicht unpassenden Stellen an zu lachen.
"Der Partner fühlt sich in so einer Situation wie ein Statist", sagt Agnes Jarosch. Höflich ist nur, wer den anderen in diesen Diskurs mit einbezieht. Sonst verschwinde das Gemeinschaftsgefühl. Sie empfiehlt Second Screen auf einem Tablet statt dem Smartphone, damit der andere bequemer mithineinschauen kann - sofern er das möchte. Falls nicht, sollte das Smartphone einfach ausgeschaltet bleiben, oder der Abend eben nicht als eine gemeinschaftliche Aktion definiert werden. Dann hat der andere die Chance, sich selbst zu beschäftigen, anstatt sich wie das fünfte Rad am Wagen vorzukommen.
Das Phänomen des Second Screen: Dabei diskutieren Menschen im Internet über Netzwerke wie Twitter oder Facebook über eine Sendung im Fernsehen. Die unterschiedlichen Meinungen können dabei durchaus unterhaltsam sein. Für einen Außenstehenden ergibt sich jedoch nur das bizarre Bild einer Person, die lieber mit anderen Personen lacht, als mit ihm selbst.
24.00 Uhr Das Licht im Schlafzimmer ist gerade aus, da leuchtet der Raum auch schon wieder blass. Er kann nicht schlafen und liest noch ein paar Zeilen. Sie liegt hellwach daneben.
Das ist die letzte Szene in dem Video von Charlene deGuzmann. Ihr Video gibt ebenso zu denken, wie die vielen kleinen Situationen, die unseren Alltag ausmachen. Wer ein Smartphone besitzt, dem liegt es oft am Herzen. Es enthält Nachrichten, Fotos, Erinnerungen. "Es ist wie unser ganz persönliches Schatzkästchen", sagt Iren Schulz aus Bremen. Ihre Studien haben gezeigt, dass es viele Menschen schon beruhigt, es einfach in der Hand zu halten.
Doch auch, wenn sich das Smartphone so persönlich anfühlt wenn wir damit hantieren, betrifft es in gewissen Fällen eben auch andere. Daher sollte sich jeder ein paar grundlegende Fragen stellen, ehe er mit dem Finger von einer App zur nächsten wandert:
Wo befinde ich mich gerade?
Könnte andere mein Handeln stören?
Wie wichtig ist das, was ich mit dem Smartphone tun möchte, gerade?
"Wer das nicht berücksichtigt, lässt sich allzu schnell von einem Gerät instrumentalisieren", sagt Joachim Höflich.
(Quelle: Wirtschaftswoche)