Wieso eigentlich Infrastruktur 3.0, Herr Ewald? - "1.0 stand für Infrastrukturinformationen auf Zettelbasis", stellt der CIO klar; "in der Version 2.0 wurde dann jede Abteilung, also beispielsweise Fahrplan, Instandhaltung, Disposition, mit einem separaten Silo als Informations- und IT-Struktur ausgestattet; in der Ausführung 3.0 werden alle Systeme vernetzt sein und dieselben digitalen Bausteine und Informationen verwenden."
Wie sinnvoll es ist, die Infrastruktursilos aufzulösen, leuchtet unmittelbar ein: "Das Schienennetz, also die Basis unseres Geschäfts, spielt doch in jedem dieser Bereiche eine Rolle", so Ewald, "wenn auch der Blick darauf jeweils etwas anders sein mag." Das Rad immer wieder neu zu erfinden, kostet also Aufwand, der an anderer Stelle besser investiert wäre. Darüber hinaus waren die vorhandenen Systeme dem CIO zufolge "in die Jahre gekommen" und nicht mehr erweiterbar. Und last, but not least ließ sich die Komplexität des Geschäfts damit nicht mehr managen.
Deshalb hat Ewald den radikalen Umbau der gesamten IT-Struktur mit Nachdruck vorangetrieben. Das Vorhaben läuft unter der Überschrift "IT-Masterplan" und lässt sich technisch mit zwei Schlagworten beschreiben: Objektmodell und Serviceorientierung. Oder wie Ewald es auf höherer Abstraktionsebene formuliert: "von monolithisch zu modular".
Das Objektmodell umfasst rund 900 geschäftsrelevante Objekte (Züge, Gleisabschnitte, Baustellen etc.), die von der Verarbeitungslogik getrennt gehalten werden. Auf diese Weise sind sowohl die Objekte als auch die Logikbestandteile wie Benutzer-, Kundendaten- oder Auftragsverwaltung mehrfach verwendbar. Um alles zu integrieren, hat das Masterplan-Team eine Service-orientierte Architektur, kurz: SOA, aufgebaut.
Standardplattformen, wo möglich
Im Rahmen der Umsetzung führte das IT-Team, dem neben den 130 eigenen Mitarbeitern zeitweilig auch Infrastrukturexperten des hauseigenen IT-Dienstleisters DB Systel sowie diverse externe Berater angehören, eine Reihe von Standardprodukten ein: angefangen von der "Aris"-Plattform zur Geschäftsprozessmodellierung und dem Business-Process-Management-Tool "Webmethods" (beide von der Software AG) über das Master-Data-Management (für mehr als zehn Millionen Elemente) und den Enterprise-Service-Bus von Tibco bis zur SOA-Governance-Plattform "Centrasite", ebenfalls von der Software AG. Daneben wurde die ERP-Plattform SAP R/3 ausgebaut und zugleich um SAP BI als zentrales Data Warehouse erweitert. Von Intergraph stammt das Geo-Informationssystem, von Microsoft die "Sharepoint"-Plattform.
Ewald hält nicht viel davon, Lösungen komplett selbst zu entwickeln, die am Markt bereits in hinreichender Qualität verfügbar sind: "Wenn man die technischen Plattformen selbst baut, muss man neben den fachlichen Innovationszyklen zur Sicherung der geschäftlichen Erneuerungskraft auch noch die technischen berücksichtigen", lautet seine Begründung. Und doch bleibt man zwangsläufig immer hinten dran, so möchte man ergänzen. Statt zu entwickeln wird also von der Stange gekauft: "Und was dann noch zur geschäftlichen Innovation fehlt, bauen wir individuell."
Mitten in der Finanzkrise
Der Zeitpunkt für den großen Umbau hätte allerdings kaum ungünstiger sein können: Im September 2008, als sich Ewald gerade die ersten konkreten Gedanken über die neue IT-In-frastruktur der DB Netz AG machte, meldete die Investment-Bank Lehman Brothers Insolvenz an - und damit wurde die weltweite Finanzkrise evident. Kein gutes Klima für Innovationen!
Zum Glück stand es für die DB Netz AG - auf allen Hierarchieebenen - außer Frage, dass die IT-Infrastruktur zur Sicherung der Geschäftsfähigkeit dringend notwendig war. "Mein Projektbudget hat sich in den vergangenen sechs Jahren daher schon stark vergrößert", bekennt der CIO, "insgesamt wohl um durchschnittlich 30 Prozent pro Jahr."
Finanzierung über Leuchtturmprojekte
Die für die neue Infrastruktur notwendigen Investitionen wurden auf ein knappes Dutzend "Leuchtturmprojekte" verteilt. Dabei handelt es sich durchweg um Ersatzinvestitionen, die ohnehin anstanden: "Damit konnten wir Aufbau und Betrieb des IT-Baukastens finanzieren", berichtet der CIO. Zur Industrialisierung der Fahrplanprozesse beispielsweise ist eine neue, integrierte Infrastruktur unabdingbar. Daher ist es langfristig wohl richtig, gleich Strukturen zu schaffen, die sich auch für andere Anwendungen nutzen lassen.
Selbstredend erfordert ein solches Vorgehen sorgfältige und langfristige Investitionsplanung. Auch das dafür unerlässliche Vertrauen musste sich Ewald erst einmal verschaffen. Das tat er, indem er die Leistungsfähigkeit seiner Organisation auf den Prüfstand stellte und nachwies, dass er das höhere Budget nicht etwa benötigte, um eventuelle Ineffizienzen zu überdecken.
Hinzu kam, dass sich der IT-Chef traute, ein "Wertversprechen" abzugeben: "Wenn die neue Infrastruktur steht und die vorgesehenen Prozesse eingehalten werden (beispielsweise eine Aris-konforme Modellierung der abzubildenden Geschäftsabläufe), werden die neuen Anwendungsprojekte nicht nur viel zügiger fertiggestellt, sondern auch noch deutlich preisgünstiger ausfallen."
Mittlerweile ist ein Großteil des IT-Masterplans abgeschlossen: Das Domänenmodell wurde 2010 fertiggestellt, 2011 folgte der Bebauungsplan, und seit Ende 2012 verfügt die DB Netz AG über einen IT-Baukasten, der digitale Bausteine für die Projekte bereitstellt - bereits für viele der mehr als 20 Inbetriebnahmen im Jahr, wie Ewald verrät. Erste Anwendungsprojekte wurden also auf dieser Basis bereits abgeschlossen. Im übernächsten Jahr soll der IT-Masterplan dann nahezu komplett stehen.
Dass sein Wertversprechen keine Worthülse ist, konnte Ewald auch schon nachweisen - anhand des Projekts zur "Anbindung der Trassenbestellung an die europäischen Nachbarländer". Nach Angaben des CIO verkürzte sich die Projektlaufzeit dank der neuen Struktur auf fast die Hälfte der sonst üblichen Zeit; die Entwicklungskosten betrugen letztlich nur 60 Prozent der früher zu veranschlagenden Aufwände; der Projektumfang ließ sich gleichzeitig um 40 Prozent erweitern; die Reaktionszeit im Änderungsfall war ebenfalls deutlich kürzer als in vorangegangen Projekten. Damit wäre wohl der Nachweis erbracht, dass der IT-Masterplan beziehungsweise die darauf aufbauende Infrastruktur eine tragfähige Grundlage für die Digitalisierung des Geschäfts bildet.