In der Welt des Fußballs spricht man seit einigen Jahren - durchaus unscharf - von "Philosophie". Den Begriff im Munde führen innovative oder sich lediglich als Neuerer darstellende Trainer und Manager. Und sie ernten Gegenwind aus dem hemdsärmeligen und konservativen Teil der Branche, der die Wahrheit auf dem Platz sieht und den Nutzwert jahrzehntealter Rezepte guten Gewissens in die Ewigkeit fortschreiben möchte.
Man könnte es vor diesem Hintergrund zur philosophischen Frage aufblasen, ob im Ballsport Platz für eine "Philosophie" ist und was das dann sein könnte. Und wie ist es in der IT? Kann man dem CIO, der sich ständig verändernde technologische Systeme steuern und dabei harte Geschäftszahlen im Blick haben muss, mit einer Philosophie kommen? Nicht mit Plato, Kant oder Heidegger selbstverständlich, aber vielleicht mit DevOps?
Schlüsselfaktor kulturelle Transformation
DevOps - das ist einer der IT-Begriffe, die derzeit in jedem Fall Konjunktur haben. Und doch ist er für viele Praktiker bislang unscharf geblieben. Folgt man den Analysten von Freeform Dynamics, mag das daran liegen, dass DevOps eben eine "Philosophie" ist. Das heißt: Anders als die meisten anderen IT-Konzepte kreise DevOps nicht um eine bestimmte Technologie und könne auch nicht als Methode klassifiziert werden. Deshalb stelle man sich DevOps am besten als eine Philosophie vor: eine Lebensweise für diejenigen, die in Softwareentwicklung, Delivery und Wartung involviert sind. Ein Schlüsselfaktor für den Erfolg sei dabei die kulturelle Transformation zur Schaffung von Verzahnung und Harmonie über Abteilungsgrenzen hinweg.
Eine Philosophie also, sagt Freeform Dynamics. Bleibt die Frage, ob man CIOs damit kommen kann. Ja, sagt Joachim Hackmann, Analyst bei Pierre Audoin Consultants (PAC): "IT-Leiter, CIOs, Betriebsverantwortliche und auch Entwicklungsleiter sind sehr aufgeschlossen, werden häufig aber auch von der Last des Tagesgeschäfts gebremst."
Umfragen zur DevOps-Nutzung in Unternehmen
Jenseits des Philosophischen legen Freeform Dynamics und PAC jeweils eine aktuelle Studie zum Thema vor, und das mit durchaus handfestem Inhalt. Beide Studien sind im Kern DevOps-Bestandsaufnahmen - mit unterschiedlichen Herangehensweisen. Freeform Dynamics befragte mehr als 1400 IT- und Business-Verantwortliche aus 16 Ländern, darunter Deutschland.
PAC hat demgegenüber alleine die deutschen Anwender im Blick und hakte bei 82 IT-Managern aus Firmen mit mehr als 500 Mitarbeitern nach. Während das PAC-Sample durchaus repräsentativen Charakter hat, wählte Freeform Dynamics gezielt eine anteilig besonders hohe Zahl an DevOps-Anwendern aus. Sponsoren haben beide Studien: IBM, Atos und ConSol bei PAC, CA Technologies bei Freeform Dynamics.
PAC liefert in seiner Studie zunächst eine Definition des Begriffs: "Unter 'DevOps' versteht PAC schließlich das Konzept einer prozess- oder Tool-gestützten engen Zusammenarbeit zwischen der Softwareentwicklung (Development) und dem IT-Betrieb (Operations)."
DevOps in Deutschland noch nicht weit verbreitet
"Der praktische DevOps-Einsatz ist aktuell nicht stark verbreitet", heißt es in der PAC-Studie. Nur für 8 Prozent der Befragten ist DevOps fester Bestandteil in allen Softwareentwicklungsprojekten, in weiteren 24 Prozent der Firmen gilt das für einzelne Projekte. 9 Prozent haben DevOps in der Pilotierungsphase, für 37 Prozent ist es schlichtweg kein Thema.
Ziele von DevOps
"Unternehmensspezifische Applikationen sind das bevorzugte Ziel von DevOps-Initiativen, wie 88 Prozent der Befragten angeben", führt PAC weiter aus. Ferner sollen oftmals Web- und SAP-Anwendungen durch DevOps schneller in Betrieb genommen werden können. In zukunftsweisenden Bereichen wie Big Data und Internet of Things (IoT) kommt DevOps laut Studie hierzulande noch selten zum Einsatz.
"Die Ziele der IT-Verantwortlichen bei der DevOps-Umsetzung sind im Wesentlichen mehr Effizienz, mehr Innovation und mehr Qualität, wobei meistens der CIO auf die Umsetzung des Konzeptes drängt", konstatiert PAC. Mehr als die Hälfte der DevOps-Anwender investieren in absehbarer Zeit in die Schulung ihres IT-Personals, 39 Prozent in die Unterstützung durch Tools und Plattformen. Hindernisse auf dem Weg zu DevOps sind fehlendes Know-how und ein Mangel an Zeit und Ressourcen - jeweils von mehr als zwei Dritteln der Befragten genannt.
Probleme bei DevOps
Als Herausforderungen nennen 85 Prozent die Einbindung neuer Technologien in die Softwareentwicklung und 82 Prozent eine verbesserte Benutzerfreundlichkeit. "Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass deutsche Unternehmen oft von Altlasten gebremst werden", so PAC. Dies sei bedenklich, weil der IT in zukünftigen Geschäftsmodellen eine tragende Rolle zufalle.
9 Puzzlezteile für DevOps
Dass es sich lohnt, die DevOps-Philosophie umfassend zu leben, belegt die Studie von Freeform Dynamics. Halbherzigkeit führt demgegenüber nur zu überschaubaren Erfolgen. Um zu verstehen, was das konkret bedeutet, muss man sich zunächst den Studientitel vergegenwärtigen: "Assembling the DevOps Jigsaw". Die Analysten betrachten DevOps als neunteiliges Puzzle, dass es zusammenzusetzen gilt. Die neun Teile gehören jeweils in eine von drei Reihen (siehe auch die Bildergalerie unten):
1. Ein Business-getriebener Ansatz
A. Klar definierte Strategie und Ziele
B. Schulung der Business-Stakeholder
C. Verzahnung der Prioritäten zwischen IT und Business
2. Eine versierte und kollaborative IT
D. Relevantes IT-Wissen und Skills
E. Funktionsübergreifende IT-Prozesse
F. Kulturelle Harmonie innerhalb der IT
3. Schlüssel-Enabler und Kontrollen
G. Richtige Infrastruktur und Tools
H. Richtige Zulieferer samt Support
I. Messungen von Sicherheit und Compliance
Erst das Paket dieser neun Elemente führt nach Einschätzung von Freeform Dynamics dazu, die Vorzüge von DevOps in Gänze ausschöpfen zu können. In der Wirklichkeit geschieht das aber noch sehr selten. Größtenteils ordnen die Befragten die jeweiligen Puzzleteile als Baustellen ein. Jeweils um die 30 Prozent der Befragten haben die einzelnen Teile schon abgearbeitet. Mehrheitlich ist das nur bei der Definition von Strategie und Zielen der Fall. Die Umsetzung befindet sich demnach also weithin in einem frühen Stadium.
Nur wenige haben schon viele DevOps-Teile umgesetzt
Es sei daran erinnert, dass Freeform Dynamics - bewusst und gewollt - nach einem hohen Anteil an DevOps-Anwendern für seine Studie gesucht hat. Konkret sind es über 1000 der insgesamt über 1400 Befragten. Lediglich ein Fünftel dieser Anwender hat mindestens sechs der Puzzleteile bereits implementiert und ist an den fehlenden Stücken aktiv. Diese kleine Gruppe umfasst also die fortgeschrittenen Anwender. Das Gros der Anwender - die frühen oder limitierten Anwender - hat jeweils einen deutlich kleineren Teil des Puzzles zusammengesetzt.
Erfolge bei Business Scorecard-Resultaten
Freeform Dynamics analysiert nun den messbaren Erfolg der Anwendergruppen anhand einer Vielzahl von Indikatoren. Bei den Business Scorecard-Resultaten haben demnach jeweils um die 70 Prozent der Fortgeschrittenen bereits messbare Ergebnisse erzielt, die sie ihren digitalen Initiativen auf DevOps-Grundlage zuschreiben. Das gilt für Umsatz und Gewinn ebenso wie für Kundengewinnung und Kundenbindung.
Erfolgsquoten bei der Marktperformance
Hinsichtlich der Marktperformance fallen die Erfolge einen Tick kleiner aus. Die Erfolgsquote in Feldern wie Handlungsschnelligkeit bei sich eröffnenden Chancen, Öffnung neuer Märkte und Entwicklung neuer Geschäftsmodelle liegt zwischen 51 und 63 Prozent. Aufschlussreich ist nun, dass die limitierten Anwender in den genannten Bereichen jeweils Erfolgsquoten von einem Drittel bis zu zwei Fünftel aufweisen, sich damit aber nur in begrenztem Maße von den Nichtanwendern abheben.
Agile Methoden und Portfolio Management wichtig für DevOps
"Begrenzte Umsetzung führt klar zu begrenzten Resultaten, aber die wirkliche Amortisation ergibt sich aus einem ganzheitlichen Ansatz", schlussfolgert Freeform Dynamics. In jedem Fall lasse sich von den Vorreitern einiges lernen, so die Analysten. Wichtig bei der der DevOps-Umsetzung seien etwa agile Methoden und Portfolio Management.
Bei der Softwareentwicklung seien viele gebräuchliche Tools und Techniken auch in einem DevOps-Umfeld anwendbar. "Allerdings liegt ein stärkerer Akzent auf Automatisierung und Collaboration, um schnelle Wiederholung und reibungslosere Aktivität innerhalb von und zwischen Teams zu meistern", so die Analysten. "Eine gute Release Automation-Lösung erlaubt die Orchestrierung von Hunderten paralleler Work Streams."
Die nächste große Welle nach ITIL und Scrum? Ja!
Aus operativer Perspektive benötigten die Anwender Automatisierungs-Werkzeuge für die physische Allokation von Server- und Storage-Kapazitäten. Nötig sei außerdem eine angemessen konfigurierte Schicht der Platform-Software. Tools für ein effektives Monitoring und Management der Produktions- und Vorproduktionsumwelten schließlich seien kritisch für das dauerhafte Halten von Service Levels und das Schließen der Feedback-Schleife.
Bleibt die Frage, ob DevOps wie dereinst ITIL oder Scrum die nächste große Welle in der IT wird. "Das könnte so kommen, denn je mehr Applikationen und eingebettete Software Eingang in die Produkte, Services, Lösungen und Geschäftsmodelle finden, desto schneller müssen Softwareneuerungen in den Betrieb überführt werden", meint PAC-Analyst Hackmann. "Der Innovationsdruck der kommenden Jahre kanalisiert sich in Softwareentwicklung und Deployment."