Digitale Innovationen sind keine Spielereien mehr. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie "Konzerne auf den Spuren von Startups 2019" der Strategie- und Managementberatung Infront Consulting & Management und des Wirtschaftsmagazins Capital. Gegenstand der Untersuchung waren knapp 50 Innovationseinheiten, die von Unternehmen gegründet und betrieben werden, aber außerhalb bestehender Strukturen agieren.
Der Studie zufolge gehören die Audi Denkwerkstatt, EnBW Innovation, QIAGEN Digital Accelerator, ProSiebenSat.1 Accelerator, SAP Innovation Center Network und Viessmann WATTx zu den besten. Bewertet wurde in den drei Phasen des Innovationsprozesses: Innovation Discovery, Innovation Development und Innovation Scaling.
Näher am Kerngeschäft
Das Fazit der Studienautoren: Die Zeit der kleinen, oft beliebig wirkenden Experimente ist vorbei. Erfolgreiche Einheiten zeichneten sich vor allem durch strategisch geleitetes, kreatives sowie strukturiertes Entdecken, Testen, Prototypisieren und rigides Skalieren aus.
Dies falle leichter, wenn sich die Innovationsvorhaben enger am Geschäft des Mutterkonzerns orientierten. Gerade bei der Innovation Discovery sei deshalb ein konservativer Trend zu entdecken - die Stärken, Fähigkeiten und Ressourcen des Unternehmens würden vermehrt berücksichtigt.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Eigene Innovationseinheiten zu betreiben, bewahre nicht vor der digitalen Disruption des Stammgeschäfts. Doch die Talente, die in den Digital Labs ausgebildet werden, könnten im Fall der Fälle Teil einer schnellen Eingreiftruppe sein.
Detailergebnisse: Innovation Discovery
In der Ideenfindung ist laut den Studienautoren die richtige Balance zwischen einer "verlängerten Werkbank", also Themen, die sehr nah am Kerngeschäft angesiedelt sind, und dem anderen Extrem "Satellit im Weltall" die zentrale Herausforderung. Zum Erfolg führten wenige strategisch ausgewählte Suchfelder für digitale und digital unterstützte Innovationen, auf die sich das Team konzentriert. Die Auswahl der richtigen Mitarbeiter ist ebenfalls ein wichtiger Faktor.
Best Practice Industrie: AUDI Denkwerkstatt
Als beste Innovationseinheit im Industriesektor schneidet die 2017 gegründete AUDI Denkwerkstatt ab, die als Teil einer Gruppe von 10 bis 15 Units im VW-Konzern agiert. Im halbjährlichen Rhythmus absolvieren dort je drei Teams ein sechsmonatiges Programm.
Dabei übernimmt ein dauerhaftes Team aus acht Mitarbeitern vor Ort das Programm-Management. Die Teams selbst sind fünfköpfig, interdisziplinär und ausschließlich aus Mitarbeitern von AUDI zusammengesetzt, die für den gesamten Zeitraum in einer gemeinsamen WG wohnen. Dies ermögliche ein hohes Engagement.
Aus 12 Teams, die das Programm bislang durchlaufen haben, entstanden zwei Ausgründungen, vier erfolgreich in den Konzern transferierte Konzepte sowie eine mit Venture Capital geförderte Gründung.
Best Practice Service: SAP Innovation Center Network
Im SAP Innovation Center Network (ICN) sind über 100 Mitarbeiter an sechs Standorten weltweit tätig. Ihr Ziel ist die Erforschung und Kommerzialisierung transformativer Technologien für die SAP, ihre Kunden und das SAP Ökosystem.
Dabei liegt der Fokus darauf, Kundenprozesse Ende zu Ende durch neue Technologien zu verbessern. Letztere werden identifiziert, bewertet und so schnell wie möglich mit Kunden erprobt.
Das Team arbeitet direkt unter dem CTO und ist in der Zusammensetzung flexibel: Wenn größere Projekte wie beispielweise die Machine-Learning- und IoT-Platform Leonardo in das Kerngeschäft verpflanzt werden, ordnet sich die Struktur neu, was Verkrustungen klein und die Agilität hochhalte.
Detailergebnisse: Innovation Development
Aus dem Lab schnell auf den Markt, zum Kunden oder in die eigene Kernorganisation - das ist das Ziel der Ideenumsetzung. Laut Studie ist hier das Erfolgsrezept "ganz oder gar nicht". Zeitlich und inhaltlich zeigten sich die besten Ergebnisse, wenn Mitarbeiter zu 100 Prozent für die Innovation eingesetzt werden.
Ein guter Ansatz sei außerdem, zuerst das Team aufzustellen und dann die Idee zu entwickeln. Dadurch verlaufe die Umsetzung reibungsloser. KI-Tools sollte man vermeiden, empfehlen die Berater, - einfachere Werkzeuge erfüllten häufig denselben Zweck.
Durchhaltevermögen, Nachdruck, Leidenschaft und Optimismus führten ebenfalls zum Abschluss. Denn erfolgreiche Einheiten entwickeln wöchentlich neue physische wie digitale Prototypen, um schnell Kundenfeedback einholen zu können.
Best Practice Industrie: Viessmann WATTx
Viessmann WATTx ist ein Investment der Viessmann-Gruppe, das digitale Geschäfte für und mit der Industrie entwickelt, prototypisiert, testet und skaliert.
Sowohl wirtschaftlich als auch technologisch anspruchsvolle Initiativen seien hier entstanden, die auch nach dem Minimum Viable Product vom Markt und von Investoren akzeptiert wurden. Den ersten Platz begründen die Studienautoren mit einem starken Zug zum Ziel und unternehmerischem Erfolg, gepaart mit einer klugen Selbstvermarktung.
Best Practice Service: EnBW Innovation
E-Utilities, Energiewende, E-Mobilität, smarte Infrastrukturen und Städte - das sind die Themen der Energieversorger. Die EnBW Innovation orchestriert und perfektioniert ihre Initiativen systematisch mithilfe aller Instrumente der digitalen Innovation. Speziell das Projekt 16 hoch 4 zeige einen erprobten Weg von der Idee bis zur Skalierung, so die Studienautoren.
Sie loben zudem die strategische Fokussierung und die Unterstützung, die interne Teams und externe Startups erhielten, um Ideen schnell und kundenzentriert zu prüfen und im Markt zu testen.
Detailergebnisse: Innovation Scaling
In der Disziplin, die sich damit beschäftigt, inwiefern kommerzieller Mehrwert mit den Innovationen geschaffen wird, dünnt sich das Teilnehmerfeld aus. Die Labs, die es in diese Phase schafften, sind laut den Studienautoren zudem etwas älter als der Durchschnitt.
Gewinnbringend verhielten sich Unternehmen, die naheliegende Lösungen anvisieren, wie zum Beispiel digitale Kundeninteraktionen entlang der Customer Journey sowie digital angereicherte Dienstleistungen. Den Aufwand unterschätzen dürfe man allerdings nicht. Generell sei das Bündeln knapper Ressourcen in eigenen Einheiten vor allem im Mittelstand effizient. Sei das Ziel aber echte Disruption, sollte das Lab außerhalb der Mutterorganisation angesiedelt werden.
Best Practice Industrie: QIAGEN Digital Accelerator
Qiagen aus Hilden ist weltweit führend in der molekularen Diagnostik und versorgt Forscher und Labore mit innovativem Equipment, passenden Verbrauchsmaterialien und Expertise.
Die Einheit Digital Accelerator hat es in wenigen Jahren geschafft, dass mehr als 40 Prozent des Geschäfts über digitale Kanäle getätigt würden. Mehr als 40.000 Kunden hätten zudem ein digitales Umfeld mit vielen Interaktionsmöglichkeiten gefunden.
Das 100 Mitarbeiter große Team hat eigene Data Science- und Development-Experten, ist in allen drei Innovationsphasen aktiv und eingebettet in ein Partner-Ökosystem.
Besonders überzeugt sind die Studienautoren von der konsequenten Umsetzung der technischen Basis, zum Beispiel in Form eines Company Data Lake oder der Cloudifizierung der Instrumente.
Best Practice Service: ProSiebenSat.1 Accelerator
Der Accelerator von ProSiebenSat.1 besteht aus einem relativ kleinen Team, das etwas reifere B2C-Startups anspricht und in diese investiert. Nach Meinung der Studienautoren vermittelt das Team dabei sehr effizient zwischen den Startups und der Unternehmenslinie. Die Startups würden dadurch in der Skalierung unterstützt und frühzeitig an die Kernorganisation angebunden.
Den Vorteil der eigenen Medienreichweite und -kompetenz spielten die Mitarbeiter perfekt und kreativ aus. Seit geraumer Zeit erwirtschafte die Einheit zudem Gewinn.