Wie die Policy funktioniert

Die BYOD-Strategie von Adidas

17.04.2012 von Alexander Freimark
Es rechnet sich nicht, ist viel zu komplex und kann nicht klappen. Bedenken gab es viele. Doch der Adidas-CIO begann einfach mit Bring your own Device. Es funktioniert.
Jan Brecht CIO von Adidas: "Niemand konnte schlüssig darlegen, dass eine Integration privater Geräte in die Konzern-IT nicht funktioniert."
Foto: Adidas AG

Mitarbeiter wollen sie, die Zielgruppen nutzen sie, und konkrete Business Cases für ihren Einsatz im Unternehmen gab es auch: Es geht um Tablets und Smartphones aus der Consumer-Welt. "Wir müssen mehr Vielfalt zulassen und weniger strikte Vorgaben zum Arbeitsumfeld machen", ist CIO Jan Brecht vom Herzogenauracher Sportartikelhersteller Adidas überzeugt.

Das Umdenken hatte Folgen, nämlich eine umfassende Mobilitätsstrategie des Konzerns, die nicht nur liebgewonnene IT-Traditionen durchrüttelt, sondern auch ein Schlaglicht auf die Zukunft der Client-IT im Unternehmen wirft. "Wenn Sie eine Entwicklung nicht verhindern können, sollten sie versuchen, die Dynamik und den Fortschritt für sich zu nutzen", fordert Brecht.

Wenn die IT zum ‚Dr. No’ wird ...

Doch grau war alle Theorie, und groß waren die Vorbehalte in Technik und Datenschutz. Die üblichen Bedenken wurden vorgetragen: Es rechnet sich nicht, es ist viel zu komplex, das kann ja gar nicht klappen. Doch der Druck kam von beiden Seiten: "Wenn die IT zum ‚Dr. No’ wird, hilft das weder der Kreativität der Mitarbeiter noch der eigenen Position", warnt der CIO.

Zwar hielt Brecht die Fragen für berechtigt, doch er wollte endlich starten. Schließlich besteht die Belegschaft in den Adidas-Büros mit einem Durchschnittsalter von 29,8 Jahren vielfach aus der Generation Y, den ungeduldigen Millennials mit hohen Ansprüchen.

Beweislast umgekehrt

Mit dem dialektischen Trick der umgekehrten Beweislast nahm der CIO den Bewahrern den Wind aus den Segeln: "Niemand konnte schlüssig darlegen, dass eine Integration privater Geräte in die Konzern-IT nicht funktioniert." Die umgedrehte Sicht auf den Fall habe den Durchbruch für das Mobility-Projekt gebracht, berichtet Brecht: "Auf einmal lief es."

Plakativ geht es um den Hype "ByoD - Bring your own Device", also den Einsatz privater Geräte auch in geschäftlichen Prozessen. Dabei ist ByoD nur eine kleine Facette des gesamten Vorhabens (siehe Kasten "Drei Use Cases"). Und keinesfalls interpretierte Adidas ByoD dahingehend, dass alle Mitarbeiter nach Lust und Laune hübsche Geräte beschaffen können, die der Konzern freigiebig subventioniert - im Gegenteil.

Policy - Drei Use Cases für das Projekt

1. Bring your own Device (BYOD): Prinzipiell können alle Mitarbeiter der Adidas Group ihre privaten Smartphones und iPads für die Arbeit nutzen. Allerdings kann jeder Fachbereich Nutzergruppen ausschließen, etwa im Einzelhandelsverkauf oder im Lager. Adidas spielt eine Software auf jedes Gerät, über die sich E-Mails und der Kalender mobil nutzen lassen. Jedes Smartphone braucht dafür die Freigabe durch einen Fachvorgesetzten. Unterstützt werden alle gängigen Mobilplattformen.

2. Unternehmenseigene Geräte: Die IT bewertet anhand des Use Cases, ob die Ausstattung einer Abteilung mit Mobilgeräten geschäftlich sinnvoll ist. Es geht hierbei nicht um die Versorgung einzelner Nutzer, sondern um Organisationseinheiten. Beispielsweise wird der Vertrieb für Golfprodukte mit iPads von Apple ausgestattet, um Bestände abzugleichen, Aufträge einzugeben und Produktinformationen beim Kunden zu präsentieren.

3. Offizielle Smartphones: Früher waren Blackberrys die offiziellen Mobiltelefone des Konzerns, heute können berechtigte Nutzer zwischen RIM und Apple iPhone wählen. Um einen effizienten Support zu gewährleisten, wurde die Anzahl der verfügbaren Plattformen begrenzt und nicht auf Windows und Android ausgeweitet.

"Die interne Entscheidungsfindung war eine Herausforderung. Wenn man aber von dem Ziel ausgeht, ein derartiges Projekt auf jeden Fall umzusetzen, lassen sich alle Probleme nacheinander ausräumen", sagt Thomas Eichhorn, IT-Verantwortlicher bei Adidas für globale Infrastruktur, Betrieb und Enterprise Architecture.
Foto: Adidas AG

"Wenn Sie unser ByoD mit anderen Nebenleistungen vergleichen, die ein Unternehmen seinen Mitarbeitern anbietet, erhalten Sie hier einen interessanten Effekt für wenig Geld", bilanziert CIO Brecht. Schließlich sind Mitarbeiter, die kein offizielles Gerät des Unternehmens bekommen, selbst für alle anfallenden Kosten verantwortlich. "Wir zahlen beim ByoD nur die App - das ist bewusst so gewählt."

Nach der Freigabe des Projekts im Frühjahr 2011 sei alles ganz schnell gegangen, erinnert sich Thomas Eichhorn, IT-Verantwortlicher bei Adidas für globale Infrastruktur, Betrieb und Enterprise Architecture: "Der Vorlauf nach der Entscheidung dauerte keine sechs Monate." Bereits im Herbst 2011 startete der sukzessive Roll-out in einigen Märkten. Das Projekt war eine Zusammenarbeit der verantwortlichen Gruppe im Hauptquartier mit dem asiatischen Shared-Service-Center - "hier sind Nachfrage, Penetrationsrate und Erfahrungen im Mobilbereich noch höher als in Europa", argumentiert Eichhorn.

Use Cases analysieren und Policy definieren

Der schwierigste Teil des Unterfangens sei es gewesen, die Use Cases zu analysieren und die Richtlinien, die Policy, zu definieren: Für welche Aufgaben wollen wir die Geräte einsetzen, wie wird dies im Unternehmen gesteuert, wer bekommt welche Geräte? Eichhorn: "Die interne Entscheidungsfindung war eine Herausforderung. Wenn man aber von dem Ziel ausgeht, ein derartiges Projekt auf jeden Fall umzusetzen, lassen sich alle Probleme nacheinander ausräumen."

Unternehmenszahlen

Unternehmen

Adidas

Hauptsitz

Herzogenaurach

Umsatz 2011

13,344 Milliarden Euro

Mitarbeiter

46.824

IT-Kennzahlen

IT-Mitarbeiter

1000

Wichtigste Dienstleister

HP, Infosys, SAP

Wichtigste Anwendungen

SAP-AFS (Apparel and Footwear Solutions), PTC-Product-Lifecycle-Management-Lösung

Datenschützer und Betriebsräte wurden an einen Tisch geholt, um die Grundlagen zu besprechen. Danach absolvierte eine Gruppe von 100 Mitarbeitern aus den Fachbereichen ein zwei Monate dauerndes Pilotprojekt. Anfängliche Bedenken, der Support-Bedarf werde massiv zunehmen, haben sich nicht bestätigt: "In der Regel hören Sie nie wieder von den Geräten", berichtet Eichhorn aus der Praxis, weil die Mitarbeiter Verantwortung übernehmen und den Support selbst leisten.

Und unter dem Strich? "Wir sind als gesamtes Unternehmen, und nicht aus der engen IT-Sicht, davon überzeugt, dass der Business Case und der Produktivitätszuwachs bei Weitem den Aufwand übersteigen", sagt CIO Brecht. Die Prozesskosten seien relativ klar und überschaubar, doch der Produktivitätsanstieg lasse sich nur schwerlich bewerten. "Das bessere Design für einen Schuh können Sie nicht messen."

Was zählt, ist die Überzeugung: "The smartphone is the remote control for life" - das zentrale Medium, um sich auszutauschen, zu verabreden, um Informationen zu beschaffen und andere am Leben teilhaben zu lassen. "Wir wollen den ‚Empowered Employee’, der im unternehmerischen Sinne selbstständig Entscheidungen trifft, wie er seine Arbeitskraft am produktivsten einsetzen möchte“, fordert Brecht.

Durch das mobile Endgerät sei es möglich, ungenutztes Potenzial der Mitarbeiter und ihre Kreativität zu heben. Der traditionelle IT-Ansatz der umfassenden Kontrolle und der industriellen Prozesse ist Brecht zufolge zumindest in der Client-IT nicht mehr zeitgemäß: "Dank der Consumer-Smartphones wissen die Nutzer plötzlich besser als die IT, wie sie mit dem Gerät in ihrer Position produktiv arbeiten können."

Daher plädiert der Adidas-CIO auch für ein neues Verständnis der Rolle der IT-Organisation: "Wir sehen es als unsere Aufgabe an, für eine sichere und stabile Anbindung der privaten Smartphones zu sorgen und der Entwicklung nicht im Weg zu stehen."

Das Projekt - Lessons learned

1. Warm-up: Bei der Planung sollte man nicht alle Eventualitäten durchdenken und klären wollen – lieber starten und machen.

2. Pace: Nach dem Startschuss lief das Projekt sehr schnell ab.

3. Anforderungen: Die wahre Leistung steckt in der Policy, nicht in der Technik.

4. Terrain: Länderspezifische Regelungen zur Haftung und zum Datenschutz müssen unbedingt beachtet werden.

5. Konzentration: Die offiziell unterstützten Mobil-Plattformen sollten eingegrenzt werden.

6. Unterstützung: Der Support-Bedarf wurde im Vorfeld deutlich überschätzt, die User kümmern sich selbst darum.

7. Schiedsrichter: Mit dem Approval-Prozess des Fachbereichs für jedes private ByoD-Gerät wird die Ausbreitung des Modells anfänglich gebremst.

Score: Wir würden es auf jeden Fall wieder machen.