Donnerstag, 18.05 Uhr, am Frankfurter Fernbahnhof. Anzugträger mit Business-Rollkoffern und reiselustige Rentner drängeln sich in drückender Schwüle an Gleis 7, als eine krächzende Stimme aus dem Lautsprecher die Wartenden auffordert, zu Gleis 4 zu pilgern, wo - ausnahmsweise - der ICE nach Dortmund einfährt.
Samuel Maier (Name von der Redaktion geändert), IT-Ingenieur aus Köln, hetzt von Gleisabschnitt D nach A, hastet hinüber zum Bahnsteig und kämpft sich dann ins Zweite-Klasse-Abteil vor. Mittlerweile völlig verschwitzt, hält er Waggon für Waggon Ausschau nach einem freien Sitzplatz. Vergebens. Maier flüchtet ins Bistro - der ultimative Treffpunkt aller Stehgäste. Das Fassbier ist längst aus, und eifrige Professionals blockieren mit ihren Note- und Netbooks die wenigen Tische im Gourmetzentrum der "Wir wollen, dass Sie erholt ankommen"-Company. So sehen Geschäftsreisen in Zeiten der Krise aus.
Viele Unternehmen haben sich einen harten Sparkurs verordnet - und der trifft als einen der ersten Posten die Budgets für Geschäftsreisen. "Je größer das Unternehmen ist, desto deutlicher sind die Auswirkungen der Finanzkrise auf die Geschäftsreisetätigkeit", sagt Dirk Gerdom, Präsident des Verbands Deutsches Reisemanagement (VDR) und Travelmanager beim Softwarekonzern SAP.
Die Sparwelle rollt überall nach dem gleichen Muster. Manager, die überhaupt noch verreisen dürfen, müssen sich beim Fliegen, Fahren und Übernachten auf ein allgemeines Downgrading einstellen. Economy statt Business, drei Sterne statt vier, Golf statt E-Klasse, Trambahn statt Taxi. Sicher, es gibt Schlimmeres - aber genießen können die neue Kargheit wohl nur masochistisch veranlagte Persönlichkeiten.
Mancher Topmanager geht mit gutem Beispiel voran. Telekom-Chef René Obermann wurde unlängst bei einem Flug von Köln nach Berlin in der Holzklasse gesichtet. Wer seinen Mitarbeitern, wie etwa Obermann bei der Telekom, jahrelang "Save for Growth" einhämmert, muss seine Vorgaben nun auch selbst aussitzen.
Business-Trips sind kein Vergnügen mehr. Upgrade war gestern. Die einst verhätschelten Mehrleister und Freizeitverzichter finden sich heute in engen Flugsitzen, schäbigen Polstern, kleinen Mietwagen und ruckelnden U-Bahnen wieder.
Und das ist erst der Anfang. Ein Drittel der deutschen Unternehmen wird auch im laufenden Jahr weiter an der Reisekostenschraube drehen, ermittelte der VDR in einer aktuellen Umfrage. Bereits im vergangenen Jahr sank die Zahl der Geschäftsreisen in Deutschland um 2,1 Prozent auf 163 Millionen (siehe Grafik rechts). Die Ausgaben schrumpften laut VDR um 4,3 Prozent auf 47 Milliarden Euro. Allein für die Verpflegung gaben die Unternehmen 2008 1,1 Milliarden Euro weniger aus.
Videokonferenz statt Barcelona-Meeting
Bei den Anbietern zählen die großen Fluggesellschaften, Mietwagenfirmen und Hotels zu den Verlierern. Die Lufthansa etwa hat schon 30 ihrer 545 Flugzeuge stillgelegt, einige Direktverbindungen in die USA gestrichen und verringert in ihren Jumbojets die Anzahl der Business-Class-Sitze. So finden 22 zusätzliche Economy-Passagiere in der Maschine Platz. Um die hochklassige Kundschaft zu halten, bietet Deutschlands erste Airline Meilenschnäppchen und Upgrade-Promotionen an.
Eine Offerte, die nicht jeder statusbewusste Kunde nutzen kann. Bei Siemens, so ein Insider, wird der Vorgesetzte automatisch per Mail informiert, wenn ein Mitarbeiter die verschärften Reiserichtlinien ignoriert und sich selbst per Meileneinsatz aus der Economy in die vertraute Business-Class befördert.
Travel-Manager suchen die billigsten Hotels und Flüge raus
Die Krise rückt plötzlich einen Managertypus ins Rampenlicht, von dessen Existenz die meisten Mitarbeiter bislang gar nichts ahnten: den Travelmanager. Das sind jene Experten, die in jedem Konzern und auch bei manch großem Mittelständler die Firmenraten mit Fluggesellschaften, Hotelketten und Autovermietern aushandeln. Die Reisekostenbudgets der Travelmanager zählen meist zu den größeren Kostenblocks eines Unternehmens, deshalb wird hier besonders rigoros gespart.
VDR-Präsident Gerdom verteidigt das allgemeine Downgrading als nötigen Beitrag jedes einzelnen Mitarbeiters zur Bewältigung der Krise: "Wir müssen jetzt alle zusammenstehen." Um die Sparziele zu erreichen, kommt es laut Gerdom auf zwei Dinge an: Zum einen müsse man bei den Mitarbeitern eine Akzeptanz für die Sparmaßnahmen schaffen, indem man alle Manager über sämtliche Hierarchiestufen hinweg gleich behandle. Wirklich alle? Nun ja, die Vorstandsmitglieder, räumt Gerdom ein, könnten sich in der Regel aussuchen, auf welchen Strecken sie sich mit einem Economy-Platz begnügten.
Zum anderen gelte es aber auch, klare Vorgaben zu machen. Selbst das heiße Eisen mit den Meilenkonten der Mitarbeiter haben mittlerweile viele Travelmanager angefasst. Oft ist es zwar erlaubt, mit den geschäftlich erflogenen Meilen privat zu verreisen, allerdings gibt es nun auch einen klaren Appell, die Meilen für dienstliche Flüge einzusetzen.
Individuelle Auskünfte dürfen die Travelmanager aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht von den Mitarbeitern verlangen, da die Flüge aber über die Firma gebucht werden, lässt sich dennoch problemlos ausrechnen, wie viele Dienstmeilen einer auf dem Konto hat.
Bei SAP wie in den meisten anderen Unternehmen gilt inzwischen: Wer verreisen will, braucht dafür einen triftigen Grund. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Spontane Kundenbesuche und interne Meetings, zu denen ein Bereichsleiter die Kollegen aus aller Herren Länder mal eben nach Barcelona einfliegen lässt, sind passé. Interne Besprechungen werden nun vorzugsweise per Videokonferenz abgehalten. Sogar Verhandlungen mit Lieferanten führen SAP-Manager neuerdings via Flatscreen.
"Rasenmähermethode" sorgt für Frust
Auch beim Schweizer Technologiekonzern ABB setzt Reisemanager Michael Flück auf elektronische Kommunikation. Mit weltweit 200 Fabriken und 120 000 Mitarbeitern, die oft in globalen Teams arbeiten, fallen bei ABB besonders hohe Reisekosten an.
Enorme Sparpotenziale ergaben sich vor allem in den USA, wo sich die Mitarbeiter besonders häufig zu Ost- und Westküsten-Treffen einfanden. Nunmehr hat ABB in Nordamerika drei neue Videokonferenzräume eingerichtet, die das interne US-Jetten nachhaltig reduziert haben. So konnte Flück in den vergangenen fünf Monaten die Reisekosten um 20 Prozent senken.
Reduktion des Reisevolumens |
70 Prozent |
Alternativen zur Geschäftsreise |
57 Prozent |
Verschärfung der Reiserichtlinien |
49 Prozent |
Einschränkungen im Veranstaltungsbereich |
33 Prozent |
Mehrfachnennungen möglich
Quelle: VDR Geschäftsreiseanalyse
Um ihre Vielflieger jedoch nicht aller Annehmlichkeiten zu berauben, kooperiert ABB mit der britischen Firma Priority Pass, die ihren Kunden gegen Gebühr weltweit den Zugang zu ihren 600 Lounges erlaubt. Auch bei SAS-Flügen dürfen die ABBler in die Airline-Lounge. Lufthansa und Swiss hingegen zieren sich noch, den Schweizer Economisten Zutritt zu ihren Relax-Zonen zu gewähren.
Bei Langstrecken dürfen die ABB-Mitarbeiter weiterhin Business fliegen, müssen für dieses Privileg aber Nachteile in Kauf nehmen. Nicht der schnellste Nonstop-Flug darf gebucht werden, sondern nur das günstigste Angebot. Und das kostet oft mehr Zeit, weil es meist ein Umsteigerflug ist.
Die Nachtruhe, für Spitzenkräfte ohnehin ein knappes Gut, wird noch weiter verkürzt. Denn der Zwang zum Billigfliegen führt häufig dazu, dass Manager frühmorgens oder spätabends am Flughafen eintreffen, weil viele Airlines ihre günstigen Tickets zu Randzeiten anbieten. "Das reduziert meine Freizeit natürlich noch weiter", sagt etwa Europcar-Geschäftsführer Roland Keppler. "Aber das ist eben der Preis, den man persönlich zahlen muss, um die Sparziele zu erreichen."
Doch wo liegt die Schmerzgrenze? Welche Weck- und Wartezeiten können Unternehmen ihren Angestellten auferlegen?
Am besten sollten Unternehmen schwerpunktmäßig die Reisekosten dort zu senken versuchen, wo es "nicht wirklich wehtut", findet Peter Schmid, Geschäftsreisespezialist beim Beratungsunternehmen BrainNet. Die "Rasenmähermethode" - pauschal in sämtlichen Bereichen 20 Prozent runter - hingegen sorge bei den Mitarbeitern doch nur für Frust und unnötige Härten.
Führungskräfte leiden in der Touristen-Klasse
Ein Rat, den mancher Travelmanager geflissentlich ignoriert. Jutta Ziegler (Name von der Redaktion geändert), Marketingmanagerin einer weltweit tätigen Consulting-Company, leidet wirklich. Wie Lieschen Müller muss sie neuerdings mit lärmenden Touristen am Abflug-Gate sitzen und kann allenfalls ihren Blackberry benutzen, um ihre Mails zu lesen. Aus Gründen der Vertraulichkeit darf sie weder in der Wartehalle noch im Flugzeug ihren Laptop anschalten - zu nah sitzen potenzielle Mitgucker.
Die Produktivität sinkt. Umso größer wird der Stress - denn die Arbeit ist ja durch die Krise nicht weniger geworden. Im Gegenteil.
Vergeudete Arbeitszeit, Prestigeverlust, mangelnder Komfort - viele Manager führen anonym Beschwerde über die drastischen Sparprogramme ihrer Unternehmen. Offen klagen sie selten, könnten doch ihr Image und das der Firma leiden. Übernachten in Zwei-Sterne-Hotels und Geschäftsessen in Allerweltsrestaurants passen eben nicht ins gehobene Selbstbild der viel beschäftigen Business Traveller.
Abschied von Privilegien fällt schwer
Kaum ein Konzern gibt bereitwillig bekannt, welche Einschränkungen seine Mitarbeiter hinnehmen müssen. Beim Berliner 3-D-Grafik-Spezialisten Mental Images gibt man offen zu, dass bei Reisen noch mehr gespart wird, seit die Automobilbranche in der Krise steckt und auch andere Kunden knauseriger sind. Sparsam war die Softwarefirma schon immer, alle flogen Economy.
"Keiner drängt auf einen schnellen Termin, weil ja alle sparen müssen und jeder irgendwelche Zusatzaufgaben bekommen hat." |
Stefan Teuchert, Chef des Großkundenvertriebs von BMW |
Jetzt stellt sich die Frage: Wer darf noch Economy? Ein gutes Dutzend Mitarbeiter müsse im laufenden Jahr auf die Teilnahme an Messen und Kongressen verzichten, um die Reisekosten um mindestens 20 Prozent zu senken, sagt COO Ludwig von Reiche.
Auch wenn das Gros der Mitarbeiter den Sinn der Einsparungen einsieht: Der Abschied von Privilegien fällt schwer.
Vielleicht gehen die Edelconsultants deshalb besonders behutsam vor bei der Durchsetzung eines neuen Kostenbewusstseins. Bei ihren Klienten sind etwa die McKinsey-Berater zwar für konsequentes Costcutting berühmt, ihren eigenen Leuten hat die Geschäftsleitung jedoch lediglich empfohlen, Economy zu fliegen, zumindest auf innerdeutschen Strecken. Wer das nicht mit seinem Status- und Selbstwertgefühl vereinbaren kann, darf weiter Business buchen.
Restriktiver geht das Unternehmen mit seinen zahlreichen München-Reisenden um, die oft im selben Flugzeug sitzen. Statt sich per Taxi-Kolonne einzeln in die City chauffieren zu lassen, sind die Berater nun angehalten, Fahrgemeinschaften zu bilden.
Ähnlich moderat sparen die Consultants bei Roland Berger. Um seine Leute trotz Sparprogramm bei Laune zu halten, vereinbarte das Unternehmen mit Air Berlin per Firmenkontrakt eine bevorzugte Beförderung. Alle Berger-Berater erhielten die "topbonus Gold Card", die lieb gewonnene Privilegien wie Fast Lane beim Sicherheitscheck und Priority Boarding bietet.
Alles Annehmlichkeiten, auf die Stefan Teuchert, Chef des Großkundenvertriebs bei BMW, verzichten muss. Denn in der Industrie, wo die Umsatzrückgänge derzeit brutal ins Kontor schlagen, geht es deutlich härter zu. Erstaunlicherweise mag der Mann darüber gar nicht jammern. Wie viele andere Manager reagiert Teuchert auf die Krise, indem er seine Arbeitsweise den veränderten Bedingungen anpasst - und einfach weniger verreist. "Früher sind wir schon mal kurzfristig nach Frankfurt geflogen, um einen Kunden zu treffen, heute überlegen wir uns zweimal, ob das Treffen wirklich nötig ist", sagt er.
Seinen Terminkalender belegt der Automanager heute sechs bis acht Wochen im Voraus und damit doppelt so lange wie vor der Krise. Bei seinen Kunden, den Fuhrparkleitern der Unternehmen und den Experten der Leasinggesellschaften, stößt der neue Arbeitsstil auf volles Verständnis. "Da drängt keiner auf einen schnellen Termin, weil ja alle sparen müssen und jeder irgendwelche Zusatzaufgaben bekommen hat."
"Persönlicher CO2-Verbrauch hat sich halbiert"
Teuchert kann den neuen Zeiten durchaus auch positive Seiten abgewinnen: "Ich arbeite jetzt viel prozessorientierter und reise dadurch nur noch halb so viel durch die Gegend. Im Schnitt bin ich nun nur noch einen Tag pro Woche unterwegs."
Dass die konzernweiten Sparprogramme einen Wandel zum Besseren bewirken können, glaubt auch Guido Häring, Chef der Sparte Customer Service & Support bei Microsoft.
Bis Herbst vergangenen Jahres düste Häring zwei- bis dreimal pro Woche zwischen München und Dublin, Paris und Mailand hin und her. Hinzu kamen zum Teil mehrwöchige Aufenthalte in den USA. Weil die Zuständigkeiten der IT-Experten beim Softwarekonzern funktional und nicht geografisch aufgeteilt sind, stand bislang stets exzessives Reisen auf Härings Agenda.
Allein seine Abteilung mit rund 1400 Mitarbeitern in Europa, Afrika und dem Mittleren Osten brachte es pro Jahr auf 22 500 Flüge. Doch seit Microsoft interne Routinetreffen und Präsentationen weitgehend auf Hightech-Kommunikation via Videokonferenz umgestellt hat, schrumpfte die Anzahl der Flüge um zwei Drittel, die Reisekosten sanken um 3,6 Millionen Euro - und Häring selbst kann nun 54 Abende mehr mit seiner Familie in Ratingen verbringen. Besonders stolz ist Häring auf seine Ökobilanz: "Mein persönlicher CO2-Verbrauch hat sich praktisch halbiert."
Microsoft sparte 152 Millionen Euro Reisekosten
Mit der systematischen Suche nach Alternativen für die aufwendigen Reisen seiner Mitarbeiter hat Microsoft in den vergangenen neun Monaten stolze 152 Millionen Euro eingespart. Die Ausgaben für die selbst entwickelten Konferenztechnologien betrugen hingegen nur 11,8 Millionen Euro.
Weniger Reisen, weniger Stress, eine bessere Work-Life-Balance - manche Managementnomaden wie Häring wollen das Rad nicht mehr zurückdrehen.
Die Krise, so scheint es, löst nachhaltige Verhaltensänderungen aus. Die Mobilitätsexzesse der vergangenen Jahre, in denen sich die Unternehmen rasch internationalisierten und die Reisebelastung für viele Mitarbeiter oftmals die Schmerzgrenze überschritt, werden unter dem Diktat der Kostenkürzungen eingedämmt.
So gesehen, hat die Krise auch ihre guten Seiten. Und wenn die Deutsche Bahn erst mal gemerkt hat, dass auch sie zu den Profiteuren des flächendeckenden Sparens bei den Reiseetats gehört, hängen ihre Zugplaner vielleicht mal den einen oder anderen Waggon mehr an die Züge. Oder sie disponieren zumindest ein zusätzliches Fass Bier fürs Bordbistro.