Vom Aufstieg des einstigen Staatsunternehmens, waghalsigen Expansionsaktivitäten, tiefen Krisen und zahlreichen Sanierungsplänen handelt die wechselvolle Geschichte der Telekom. Sie ist reich an einschneidenden strategischen und organisatorischen Wendungen, kleinen und großen Skandalen und nicht zuletzt an technischen Innovationen.
Auf den folgenden Seiten schildern wir die wichtigsten Stationen und Meilensteine des bedeutendsten deutschen TK-Unternehmens ausführlich. In unserer Bilderstrecke können Sie zudem die Geschichte der Telekom im Zeitraffer miterleben.
Das Handwerkszeug: Die ersten Telefone
Die Historie der Telekom beginnt eigentlich im Jahr 1860, als Alexander Graham Bell das Telefon erfindet. Das erste der Geräte funktioniert allerdings erst 1877, und zwar in Berlin. Dort befindet sich auch ein Knoten des ersten vermittelten Fernsprechnetzes, zu dem außer Berlin noch Frankfurt/Main, Breslau, Hamburg und Köln gehörten. 1904 entwickelt Wilhelm Quante in Wuppertal die erste Telefonzelle.
Die staatlichen Anfänge
1950 tritt die Deutsche Bundespost, der Vorläufer der Telekom in Staatseigentum, das Erbe der Deutschen Reichspost an. Sie ist damals noch für Post und Telekommunikation zuständig. Dabei sollte es lange bleiben. Dafür geht es technisch voran: Mitte der 50er Jahre beginnt die allmähliche Ablösung des "Fräulein vom Amt"; ersetzt werden die freundlichen Vermittlerinnen durch den Selbstwähldienst, den der Amerikaner Simon Strowger schon 1891 erfunden und in den USA hatte patentieren lassen. Allerdings war es erst 1966 endgültig vorbei damit - in Uetze bei Hannover schloss die letzte Vermittlung.
1958 kommt das erste Mobilfunknetz, das A-Netz, mit seinen gewaltig großen Telefonen. Wer sie benutzt, muss wichtig sein: Handvermittelte Gespräche und ein 16 Kilo schweres Telefon stehen handverlesenen 10000 Teilnehmern zur Verfügung. Erst 1972 startet das B-Netz, in dem Selbstwählen möglich ist - aber nur, wenn man die Ortsvorwahl des anderen Mobilteilnehmers kennt! Ab 1965 kann man von Deutschland aus auch ins Ausland telefonieren. Der Grund: "Early Bird", der erste kommerzielle Nachrichtensatellit, ist im Orbit. Gestartet ist dieser in den USA.
1977 beginnt der Einstieg in das, was man heute Neue Medien nennt: Die Deutsche Bundespost stellt auf der Funkausstellung BTX vor, Bildschirmtext. Entwickelt wurde die Technologie vom späteren T-Online-Manager Eric Danke. Erst 1983 steht der BTX-Dienst allerdings nach Abschluss eines Staatsvertrags offiziell zur Verfügung. Ein Renner wird sie nie - erst Mitte der Neunziger und gekoppelt mit E-Mail und Internetzugang knackt sie die Millionen-Nutzer-Grenze. Und 2001 ist es mit BTX auch schon wieder vorbei. In Frankreich hat ein vergleichbarer Dienst, Minitel, aufgrund einer aggressiven Vermarktungsstrategie dagegen Riesenerfolg: die Terminals dafür stellt France Telekom kostenlos zur Verfügung. Zeitweise nutzt rund die Hälfte der Franzosen Minitel.
1985 nimmt das erste zelluläre Mobilfunknetz seinen Dienst auf. Nutzer sind damit bundesweit unter einer Rufnummer erreichbar. 1989 folgt ISDN, dessen Fähigkeiten weltweit bewundert werden und das Vordringen der IP-Telefonie in Deutschland lange behindern: Was die anfangs können, kann ISDN schon lange, und ganz ohne Aufpreis.
Die Privatisierung
1990 beginnt eine seitdem nicht mehr enden wollende Kette von Umstrukturierungen, deren Ziel die Privatisierung des bis dahin staatlichen Telekommunikationswesens ist - eine hürdenreiche Strecke mit vielen Schlaglöchern auch für die Kunden des Unternehmens. Zunächst wird die Deutsche Bundespost im Rahmen der sogenannten Postreform I unter Postminister Christian Schwarz-Schilling in Postbank, Postdienst und Deutsche Bundespost Telekom aufgespaltet. Doch ist dies nur ein erster, kleiner Schritt.
1992 steigt das Unternehmen gleich auf mehreren Ebenen in die telekommunikative Zukunft ein: Erstens beginnt mit dem Start des D1-Netzes der Siegeszug des Handys. Bis dahin nämlich waren Mobiltelefone eher selten, da teuer, umständlich zu benutzen und ziemlich unhandlich. Das auf GSM (Global System for Mobile Communication)-Technologie basierende Netz sorgt für kleinere Geräte und günstigere Tarife. Innerhalb von nur zwei Jahren telefonieren in Deutschland eine halbe Million Menschen über die drahtlose Infrastruktur.
Gleichzeitig werden große Teile Westeuropas mit dem schnellen und multimediatauglichen ATM-Netz (Asynchronous Transfer Mode) verbunden und die erste Glasfaserverbindung in die USA verlegt. Heute sind schnelle Glasfaserverbindungen das kommunikationstechnische Rückgrat der Globalisierung. Auch im eigenen Land rückt 1992 endlich zusammen, was zusammen gehört: Ost- und Westdeutschland telefonieren endlich wieder in einem Netz.
Erste Auslandsaktivitäten und Börsengang
1993 kauft die Telekom Anteile am ungarischen Provider Matav. Diesem ersten Expansionsschritt ins Ausland folgen viele weitere, teilweise mit fast ruinösen Konsequenzen, die letztlich die Telekom aber zum globalen Player machen.
1995 ist wieder Reform, Postreform 2 diesmal. Die Deutsche Bundespost Telekom wird zur Deutschen Telekom AG. An den Eigentumsverhältnissen ändert das vorerst nichts: Alle Aktien liegen beim Bund. Außerdem soll die Marke T-Online das verstaubte Image der Telekom aufpolieren. Zunächst offeriert die Deutsche Telekom AG unter dem neuen Namen den Ladenhüter BTX, aber nun mit Internet-Browser und Mail, was die Nutzerzahlen in den kommenden Jahren deutlich steigert.
Die technischen Voraussetzungen für diesen Erfolg hatten andere geschaffen: Schon 1991 gab Tim Berners-Lee seine Erfindung, die Auszeichnungssprache HTML (Hypertext Markup Language), die Basis der gesamten modernen Web-Technologie, für die allgemeine Nutzung frei. Und als Microsoft 1995 den Internet Explorer 1.0 auf den Markt bringt, entdecken immer mehr Menschen die rapide expandierenden Weiten des World Wide Web.
Ebenfalls 1995 wird Ron Sommer CEO der Deutschen Telekom AG. Der auf internationalem Parkett bekannte Manager will die Telekom international zum führenden TK-Unternehmen aufbauen.
Der erste Börsengang
1996 geht die Telekom zum ersten Mal an die Börse und erlöst - damals noch in D-Mark - 10 Milliarden Euro. Die T-Aktie soll eine Volksaktie werden, deshalb erhalten Privatkunden einen reduzierten Emissionspreis, es wird sogar ein eigenes Informationsforum, das Aktieninformationsforum (AIF) gegründet, einzig und allein mit der Aufgabe, dem bisher eher aktienträgen Volk die Wertpapiere schmackhaft zu machen.
Die Strategie hat Erfolg: 1,8 Millionen Privatanleger, davon mehrere Hunderttausend Erstaktionäre, schlagen zu und bekommen Aktien zum Stückpreis von 28,50 D-Mark (14,57 Euro). Trotz Erhöhung des Ausgabevolumens ist das Papier fünffach überzeichnet. Anleger sehen den Kurs ihrer Aktie schon am ersten Tag um fast 19 Prozent steigen. Doch wer die Aktie zu lange hält, landet später in jedem Fall im Minus.
Für die zweite Charge, die am 28. Juni 1999 unters Volk geworfen wird, müssen Interessenten schon 39,50 Euro und damit mehr als doppelt so viel hinblättern. Ausgegeben werden diesmal knapp 281 Millionen Stück, was zu einem Ausgabevolumen von 10,8 Milliarden Euro führt. Im Jahr 2000, kurz vor dem allgemeinen Crash im Zug der Internet-Blase, emittiert die Deutsche Telekom nochmals 200 Millionen Aktien, diesmal für 64,38 Euro, was 13 Milliarden Euro in die Kasse spült.
Im Juni 2002 steht die Telekom-Aktie dann knapp unter acht Euro - mithin für die Investoren ein Verlust zwischen 60 und fast 90 Prozent. Im Juni 2011 notiert das Papier zwischen 10 und 11 Euro. An den Folgen des Absturzes laboriert die Telekom noch heute, unter anderem in Form langwieriger Prozesse. Anlegern in den USA, die gegen die Angaben im Börsenprospekt geklagt hatten, musste die Telekom beispielsweise 112,5 Millionen Euro zahlen. Derzeit versucht die Telekom, diese Summe von der Bundesregierung und der KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) zurück zu erstreiten.
Volldigitalisierung, Expansion und beginnender Wettbewerb
Zurück zur Technik: Seit 1997 sind alle Vermittlungsstellen im Telekom-Netz digitalisiert, das Land hat nun das modernste TK-Netz der Welt. Doch die Freude währt nicht lange. Denn 1998 öffnet sich der Markt, von nun an muss sich die Telekom anders als bisher der Konkurrenz stellen. Die neuen Player werden bei der Eroberung von Marktanteilen durch die Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation unterstützt, die das alte Bundespostministerium ablöst. Allerdings besitzt die Telekom noch immer das Netz. Niemand kommt vorläufig auf dem Weg zu den Endkunden an ihr vorbei.
Am 1. Juni 1999 startet die Telekom die Breitbandvernetzung mit T-DSL. Die Bandbreite damals: 768 kbit/s im Downstream und 128 kbit/s im Upstream. Im Einstiegsjahr entschließen sich ganze 2900 Kunden, den Dienst zu nutzen. Als erstes gib es die Technologie in Berlin, Bonn, Köln, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, München und Stuttgart. Zunächst ist DSL nur zusammen mit ISDN erhältlich.
Ab Mitte 2000 können auch Analogtelefonierer via DSL ins Internet. Bezahlen müssen sie aber genau so viel. Die Bandbreite steigt in den folgenden Jahren stetig, doch für Landbewohner mancher Gegenden bleibt der Breitbandanschluss noch lange ein Traum - für manche bis heute.
Außerdem expandiert die Telekom nach Großbritannien. Sie kauft den Provider One 2 One mit rund 16 Prozent Anteil am britischen TK-Markt für rund 20 Milliarden Mark.
Gleichzeitig verkündet Sommer die Vier-Säulen-Strategie, rückblickend ein Kind der Internet-Blase: Die Geschäftsfelder werden stärker verselbständigt und teilweise an die Börse gebracht, T-Online in eine selbständige AG ausgelagert. Das Mobilfunkgeschäft heißt nun T-Mobile AG, das Privat- und Mittelstandsgeschäft im Festnetz T-Com. Das Systemgeschäft wird durch den Ankauf der Mehrheit der Anteile am Systemhaus Debis von Daimler-Chrysler erheblich ausgedehnt und landet Anfang 2001 in der T-Systems GmbH. Über allem thront als Holding die DTAG.
Weitere Schritte folgen rasch. Am 17. April 2000 geht T-Online an die Börse. 20fach überzeichnet, wird das Papier für 27 Euro emittiert. T-Mobile kauft just vor dem Platzen der Internet-Blase den US-Mobilfunker Voicestream für 53 Milliarden Dollar und Powertel für 5,89 Milliarden Dollar. Das scheint vielen stark überteuert. Als könnte er selbst Geldscheine drucken, ersteigert Telekom-Chef Sommer zum Ergötzen der staatlichen Kassenwarte auch noch zwei UMTS-Lizenzen. Preis: 16,58 Milliarden Mark. Folge der ungehemmten Expansion: Der Konzern versinkt in Schulden. Der damalige Finanzminister Eichel witzelte: "UMTS steht für Unerwartete Mehreinnahme zur Tilgung von Staatsschulden".
Die große Krise und die Folgen
Dann platzt die Internet-Blase, und nicht nur der Kurs der Telekom verfällt - bis Sommer 2002 auf Werte unter zehn Euro. Auf Druck des Aufsichtsrats muss Sommer seinen Hut nehmen. Wer sein gesamtes Geld in die vermeintliche Rentneraktie gesteckt hat, ist jetzt neun Zehntel davon los. Als schwachen Ausgleich gibt es Neues im technischen Bereich: Die Deutsche Telekom präsentiert ihr erstes UMTS-Testfahrzeug. T-Systems übernimmt den Rest der Debis-Anteile.
Im November 2002 übernimmt nach einer Übergangsphase von einigen Monaten Kai-Uwe Ricke das Ruder. Das Amt kommt damit sozusagen zurück in die Familie: Rickes Vater, Helmut Ricke, ist der ehemalige Chef der DBP-Telekom Helmut Ricke. Wichtigste Aufgaben von Ricke junior: Die Schulden senken und Marktanteile gewinnen. Dafür muss er entlassen: Bis zu 50000 Telekom-Mitarbeiter sollen gehen, was sofort Auseinandersetzungen mit der Gewerkschaft zur Folge hat.
Im ersten Quartal 2003 zeigt der Sanierungskurs erste Erfolge: Die Telekom erwirtschaftet wieder einen Quartalsgewinn von 650 Millionen Euro - doch diesem stehen mehr als 50 Milliarden Schulden gegenüber. Bezüglich des Gesamtjahres spricht CEO Ricke später trotz eines Schuldenstands von immerhin noch 49 Milliarden Euro - mehr als so mancher Staatshaushalt - vom Turnaround. Das Gesamtunternehmen gibt sich das schöne Leitbild: "Qualität, Effizienz und Innovation".
Gleichzeitig werden Call Center zusammengelegt und der Service an externe Dienstleister ausgelagert. Wer in die Mühlen der Service-Warteschleifen gerät oder als Landbewohner um einen DSL-Anschluss barmt, fragt sich, ob das Motto als Utopie gemeint ist. Die Konzerntochter T-Online gerät wegen des unbefugten Speicherns von Kundendaten ins Gerede und erhält den Big Brother Award.
Noch eine neue Strategie
2004 wird schon wieder eine neue Strategie verkündet: Wegen der finanziellen Erfolglosigkeit von T-Online soll sich das Geschäft fortan auf nur noch drei Säulen stützen: Breitband/Festnetz, Mobilfunk und Geschäftskunden. Warum, erklärt Kai-Uwe Ricke in der Computerwoche. Ersteren Bereich verantwortet der ehemalige IBM-Deutschland-Chef Walter Raitzner. Neue Umsätze soll das UMTS-Netz bringen, das T-Mobile als zweiter Anbieter deutschlandweit im März freischaltet.
Gleichzeitig verstärkt die Regulierungsbehörde gezielt den Wettbewerb: Ab 2004 muss die Telekom ihre DSL-Zuleitungen für den Resale durch andere Anbieter öffnen. Unabhängige DSL-Angebote, vorläufig noch gekoppelt an einen Telekom-Hauptanschluss, schießen aus dem Boden. Folgen hat die neue Linie 2005 zunächst für die damals bei zirka acht Euro an der Börse notierende T-Online: Im April kauft die Telekom 20,4 Prozent des Unternehmens zurück.
Auf der jährlichen Hauptversammlung beschließen die Telekom-Aktionäre, T-Online wieder ganz ins Mutterhaus zu holen. Aktionäre von T-Online sollen für ein Papier 0,52 Telekom-Aktien erhalten. Sie meutern und klagen vor Gericht, weil sie sich angesichts des hohen Emissionspreises übers Ohr gehauen fühlen. Erst 2006 genehmigt der Bundesgerichtshof die Verschmelzung. 2010 erhalten ehemalige T-Online-Aktionäre als Draufgabe eine einmalige Zuzahlung von 1,15 Euro pro T-Online-Aktie diese Regelung wird vom Bundesverfassungsgericht erst im laufenden Jahr 2011 abgesegnet.
Im November 2005 verkündet Ricke, weitere 32000 Mitarbeiter im Telekom-Konzern müssten gehen. Die Gewerkschaft protestiert und kann im Rahmen eines Beschäftigungspaketes 14000 Arbeitsplätze bis 2008 sichern. Gleichzeitig werden fürs Geschäftsjahr 2004 52 Cent Dividende ausgeschüttet.
Tragisches gibt es von T-Systems zu vermelden: Vollkommen unerwartet verstirbt Konrad F. Reiss, der Vorstand von T-Systems. Im Verlauf des Jahres übernimmt Lothar Pauly das Geschäft mit den 160000 Geschäftskunden. Er lenkte zuvor die Geschicke des Siemens-Kommunikationstechnikbereichs und verschlief dabei den rechtzeitigen Einstieg in die IP-Telefonie. Gegen Jahresende übernimmt Pauly die VW-IT-Sparte Gedas für rund 450 Millionen Euro -abgewickelt wird dieser Kauf aber erst 2006.
Lichtblick Technik
Die Technik sorgt mal wieder für Lichtblicke: Die LKW-Maut, an deren Umsetzungskonsortium Toll Collect die Telekom mit 45 Prozent beteiligt ist, startet. In Berlin eröffnet die Deutsche Telekom eine neue Forschungs- und Entwicklungsstätte, die Deutsche Telekom Laboratories. Hier soll in Kooperation mit der TU Berlin zukünftige IuK-Technik entstehen. T-Mobile demonstriert als einer der ersten Provider HSDPA (Highspeed Downlink Packet Access). Damit können Daten mit bis zu 7,2 MBit/s auf mobile Geräte heruntergeladen werden.
2006 gibt es 72 Cent Dividende: Die Telekom ist aus dem Tal und hat 2005 das beste Geschäftsjahr in finanzieller Hinsicht hinter sich gebracht. T-Online wird nach viel rechtlichem Geplänkel zur Organisationseinheit "Products & Innovation" im strategischen Geschäftsfeld Breitband/Festnetz der Deutschen Telekom. Der Bund verkauft 4,5 Prozent der Telekom an die Blackstone-Gruppe und erlöst dafür 2,3 Milliarden Euro.
Der Dienstleister T-Systems mit seinen vielen Tochterunternehmen, darunter die für 160000 KMUs zuständige T-Systems Business Services, hängt weiter in den Seilen: Die Zahlen stimmen nicht. Deshalb sollen die Mitarbeiter sich nun vor allem in höherwertigen Tätigkeiten wie Projektmanagement üben; die Programmierung wird künftig verstärkt im Billig-Ausland abgewickelt.
Immerhin gibt es technische Highlights. Schon im Mai 2006 ist die HSDPA-Technologie im gesamten UMTS-Netz verfügbar, für GSM stellt T-Mobile EDGE (Enhanced Datarates for GSM Evolution) zur Verfügung, was immerhin 220 KBit/s im Down- und 110 KBit/s im Upload bedeutet. Während es im eigenen Unternehmen viele Baustellen und auf dem flachen Lande gewaltige Lücken im DSL-Netz gibt, drängt es die Deutsche Telekom in die Zukunft: Gesucht wird die T-City, eine Stadt zwischen 25.000 und 10.0000 Einwohnern, die hochmoderne Breitbandtechnik erhalten soll. Gewinner, so verkündet das Unternehmen im Februar 2007, ist Friedrichshafen am Bodensee.
Die Ära Obermann
Und schon ist wieder Zeit für einen neuen Mann an der Spitze: Am 13. November 2006 übernimmt René Obermann den Chefposten bei der Deutschen Telekom. Timotheus Höttges übernimmt den Vorstand der T-Com sowie Vertrieb und Service in Deutschland. Hamid Akhavan leitet T-Mobile sowie Produktentwicklung und Innovation.
"Konzentrieren und gezielt wachsen" heißt das Motto des neuen Steuermanns. Doch zunächst beweist Obermann 2007 vor allem Mut zum Konflikt, denn von einem dauerhaften Abschied aus dem wirtschaftlichen Jammertal kann bei der Telekom keine Rede sein: Auf eine Gewinnwarnung folgt wieder mal ein Kurssturz.
Einschneidende Maßnahmen sollen es richten: Wegen des Plans, 50000 Telekom-Mitarbeiter ab 1. Juli 2007 in drei tariflich schlechter gestellte Servicegesellschaften, nämlich DT Technischer Service GmbH, DT Netzproduktion GmbH und DT Kundenservice GmbH auszulagern, gibt es wieder mal Krach mit der Gewerkschaft. Ende Juni stimmen aber die bei ver.di organisierten Gewerkschaftler mehrheitlich einem Kompromiss zu.
T-Systems-Chef Lothar Pauly erweist sich als unglückliche Wahl: Er muss Ende Mai gehen. Vermutet wird, dass er in die Siemens-Korruptionsaffäre verstrickt ist, außerdem agiert T-Systems nicht sonderlich erfolgreich. Nun soll es die Zusammenarbeit mit einem strategischen Partner richten, der ab März gesucht wird. Am 1. Dezember übernimmt Reinhard Clemens den Vorstandsposten für Geschäftskunden und damit T-Systems, zuvor hatte Finanzvorstand Karl-Gerhard Eick diese Aufgabe kommissarisch inne.
T-Home wird geboren
Da er gerade am Aufräumen ist, tut Obermann dies auch mit dem Markensalat der Telekom: T-Com und T-Online verschmelzen im Juni zu T-Home, T-Online bezeichnet fortan nur noch das Internetportal. Zwei Tochterunternehmen von T-Online in Frankreich und Spanien stößt Obermann ab. Die Zweitmarke Congstar bietet nun günstige Mobilfunkleistungen an.
Die zirka 800 Läden der Deutschen Telekom heißen nicht mehr T-Punkt sondern Telekom Shop. Für den Mobilbereich kauft Obermann Ende September Orange Netherlands für rund 1,3 Milliarden Euro und gewinnt so 4,8 Millionen Kunden. In den USA erwirbt er für 1,6 Milliarden Dollar Suncom und damit Infrastruktur und Kunden im Süden der Vereinigten Staaten und in der Karibik.
Das Privatleben ihres Chefs bringt die Telekom mehr als irgendetwas sonst in die Medien: Obermann tut sich mit Nachrichtensprecherin und Talkshow-Moderatorin Maybrit Illner zusammen, wie in sämtlichen Presseorganen gemeldet wird. Spiegel Online titelt am 5.11.2007: "Illner mit Obermann: Königspaar aus Berlin-Mitte".
Steuerhinterziehung und Big Brother Telekom
Wahrscheinlich war der Telekom-Chef 2008 sehr froh über die private PR-Beratung der News-Frontfrau im Hause. Denn 2008 wird ein schwarzes Jahr für das Image der Deutschen Telekom. Am 14. Februar stürmt ein Rollkommando der Bochumer Staatsanwaltschaft durch Klaus Zumwinkels privates Anwesen, andere Beamte filzen gleichzeitig das Büro des Deutsche-Post-Chefs im Bonner Post-Tower.
Die Anklage: Steuerhinterziehung in Millionenhöhe. Zumwinkel tritt von seinen Ämtern zurück, darunter auch von seinem Aufsichtsratsposten bei der Deutschen Telekom.
Auf der Hauptversammlung der Telekom im Mai ist man trotzdem fröhlich: Die Aktionäre bekommen 0,78 Euro Dividende. Obermann verkündet, die Deutsche Telekom wolle einer der Marktführer für Produkte um "das vernetzte Leben und Arbeiten weltweit" werden. Weil das Tochterunternehmen dafür nicht nötig ist, verkauft Obermann im Herbst DeTe Immobilien nach Österreich.
Dann wird das Unternehmen erstmal wegen Spitzeleien an den Pranger gestellt: Weil Medien zu oft Unliebsames über Konflikte innerhalb des Telekom-Vorstands berichtet haben, hatte der damalige Aufsichtsratsvorsitzende Zumwinkel zusammen mit dem Vorstandsvorsitzenden Ricke angeordnet, durch Untersuchungen herauszufinden, wie diese Informationen an die Medien kamen. 2005 und 2006 wurden dann mehrere Dutzend Menschen im Auftrag der Deutschen Telekom gezielt bespitzelt, darunter mehrere Journalisten und auch der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Frank Bsirske. Die Dreckarbeit erledigte nicht die Telekom selbst, sondern externe Sicherheitsdienstleister.
Der Spiegel deckt durch einen Artikel Ende Mai 2008 die Affäre auf. Der Ruf der Telekom ist ruiniert. Immerhin bleibt der neue Chef Obermann aus der Schusslinie. "Telekom-Aufsichtsrat stellt sich hinter Obermann", berichtete die Computerwoche am 29.5.2008. Der Manager konnte deshalb später besser aufräumen.
Die Folgen des Prozesses
In der Folgezeit müssen sich unter anderem der damalige Vorstandsvorsitzende Ricke, Aufsichtsratschef Zumwinkel und der Abteilungsleiter der Ermittlungseinheit der Konzernsicherheit, Klaus Trzeschan, juristisch verantworten. Der Prozess schädigt das ohnehin ramponierte Image der Telekom weiter. Spiegel online spricht am 3.9.2010 vom "Psychogramm eines zeitweise paranoiden Konzerns".
Verurteilt wird im November 2010 jedoch einzig Trzeschan, den anderen Beschuldigten kann kein juristisch relevantes Fehlverhalten nachgewiesen werden. Obermann gelobt Besserung und macht Manfred Balz am 22. Oktober 2009 zum Vorstand für das neugeschaffene Ressort Datenschutz, Recht und Compliance.
Geschäftlich verschärft sich 2008 die Konkurrenz im DSL-Geschäft: Die Telekom muss nun ihre Anschlüsse als Standalone-Bitstream, sprich für Endkunden ohne Festnetzanschluss der DTAG, freigeben. Während in den Städten bereits das Zeitalter der VDSL-Glasfaserkommunikation verkündet wird, klaffen auf dem Land noch immer Lücken, wo nur das viel zu schmale ISDN zugänglich ist.
T-Mobile zeigt im Oktober die erste Demonstration eines LTE (Long Term Evolution)-Handover. LTE ist die breitbandige Nachfolgearchitektur für den Mobilstandard UMTS. Außerdem wird T-Mobile deutscher Exklusiv-Vertriebspartner für Apples iPhone und präsentiert mit dem T-Mobile G1 das erste Handy mit dem Google-Betriebssystem Android.
Schon im Oktober titelt die Computerwoche online: "Android-Phone T-Mobile G1 ausverkauft." 1,5 Millionen Geräte sind bis dahin über den Ladentisch gegangen. Auch finanziell läuft es 2008 mit einem Konzernüberschuss von 3,4 Milliarden Euro gut für die Telekom.
Ende der Säulenstrategie
2009 verabschiedet sich die Telekom endgültig von der Mehrsäulen-Strategie. Stattdessen strafft Obermann weiter: Er führt das Festnetzgeschäft von T-Home und das Mobilfunk-Business von T-Mobile zusammen und holt den Löwenanteil von T-Systems, nämlich die für den Mittelstand zuständigen Business Services, zurück in den Mutterkonzern. Nur Großkunden bleiben bei T-Systems International.
Ende des Jahres stimmen die Aktionäre bei einer außerordentlichen Hauptversammlung der Gründung der Telekom Deutschland GmbH zu, die das gesamte deutsche Geschäft der Telekom umfasst.
Obermann bündelt außerdem Produktentwicklung, IT und Technik für ganz Europa und wertet neue Märkte in Südosteuropa auf. Hinsichtlich T-Mobile entschließt sich Obermann im Oktober, ein Joint Venture mit France Telecom einzugehen. Zudem sollen T-Mobile UK und Orange UK zu einem neuen Unternehmen zusammengeführt werden, das dann knapp 35 Prozent des britischen Mobilmarktes bedient.
In Zukunft sollen Telekom-Kunden, egal, von welchem Endgerät aus, auf alle Services zugreifen können. Wie das (nicht) geht, können sie im April erforschen, als wegen technischer Probleme auf den Servern, die die Kenndaten der Nutzer speichern und auf die SIM-Karten zugreifen, nichts mehr geht.
Eine Quote für die Telekom
2010 verkündet René Obermann wieder mal ein neues Telekom-Motto: "Verbessern, verändern, erneuern", als ob es in den letzten Jahren nicht schon genug Veränderung gegeben hätte. Am 1. April kommt T-Mobile ins Stammhaus zurück. Das operative Geschäft liegt nun bei Telekom Deutschland GmbH, T-Systems International GmbH und T-Mobile International GmbH, über denen die Deutsche Telekom AG als Holding thront.
Außerdem verordnet sich die Telekom als erstes DAX-Unternehmen eine Frauenquote: Bis 2015 soll ein Drittel der mittleren und oberen Führungspositionen mit Frauen besetzt werden. Der ehemalige Cisco-Manager Edward Kozel übernimmt den Job des Cheftechnologen der Telekom. Im April ersteigert das Unternehmen auf der LTE-Auktion 95 MHz Bandbreite oder zehn Blöcke. Die Konkurrenten O2 (elf Blöcke) und Vodafone (zwölf Blöcke) haben mehr.
Die LTE-Frequenzversteigerungen spülen mehr als vier Milliarden Euro in die klammen Staatskassen, die Telekom investiert 1,3 Milliarden Euro. Außerdem startet die Telekom Videoload, ein 3D-Videoservice über DSL. Nötig ist nur ein 3D-fähiger Bildschirm respektive ein entsprechendes Fernsehgerät. Doch wer hat im Jahr 2010 schon so etwas?
Die Telekom wird zum Stromhändler
Am 7. September 2010 verkündet die Telekom, man wolle zukünftig viel Geld mit intelligenten Netzen für Gesundheit, Mobilität und Energie verdienen. Bis 2015 sollen so mehr als eine Milliarde Euro in die Kasse fließen. Im Dezember 2010 bahnt sich eine enge Kooperation zwischen dem konventionellen Energieanbieter Eon und der Telekom an, denn Eon vergibt Großaufträge an T-Systems. Zudem kooperiert die Telekom mit der Stadt Duisburg, wo Smart-Grid-Pilotprojekte aufgebaut werden.
2011 intensiviert der Konzern das Engagement auf dem Strommarkt: Auf der Energiemesse E-World präsentiert die Telekom unter anderem eine Energieverbrauchsberatung für Unternehmen. Im Mai verkündet das Management, dass die Telekom-Läden künftig auch Eon-Strom verkaufen.
Webciety
Die Cloud gehört 2011 unter dem Stichwort "Webciety" zu den wichtigsten CeBIT-Themen der Telekom. Das "DeutschlandLAN" bündelt als Cloud-Angebot zum Monatsfestpreis die gesamte Firmenkommunikation. Auch in der Cloud gibt es bei der Telekom übrigens spezielle Software-Dienstleistungen für die Energiewirtschaft.
Außerdem verkauft das Unternehmen eine Lösung für die Maschine-zu-Maschine-Kommunikation mit speziellen SIM-Karten über sein Mobilnetz an das erfolgreiche Mietautomodell car2go der Daimler AG. Es schafft damit den Einstieg in den Markt der Elektromobiliät. Hier will man auch beim Billing aktiv werden, schließlich weiß die Telekom, wie man mit Millionen Kleinrechnungen umgeht.
Schnell geht es auch sonst im Mobilfunk voran: Der erste LTE-Stick kommt auf den Markt. Eine europaweite Mobil-Datenflatrate soll am 1. Juli eingeführt werden, auch ein Handy-Portemonnaie ist für 2011 geplant. Die Vorvermarktung von LTE beginnt. Wireless-Verbindungen gibt es jetzt auch auf ausgewählten Langstreckenflügen. Nutzer von E-Readern oder Tablets können sich digitale Inhalte aus der Online-Bibiliothek PagePlace herunterladen.
Ausblick
Im Januar gelingt es der Telekom nach vielem hin und her, Eigentümer des polnischen Telekom-Providers PTC zu werden. Im März verkauft sie ihr mobiles US-Geschäft für 25 Milliarden Dollar in bar und 14 Milliarden Dollar in AT & T-Aktien - die Voicestream-Übernahme hatte 39,4 Milliarden Euro inklusive übernommener Schulden gekostet. Außerdem will die Telekom 2011 für fünf Milliarden Euro Aktien zurückkaufen, wohl um dem noch immer dümpelnden Kurs aufzuhelfen. Im Juni übernimmt das Unternehmen weitere zehn Prozent am griechischen Provider OTE und bringt so 400 Millionen Euro in die leeren Kassen des griechischen Staates.
Das erste Quartal 2011 läuft finanziell wieder einmal schlecht: der Konzernumsatz sinkt um 9,8 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal, der Auslandsumsatz fällt sogar um knapp 20 Prozent, was hauptsächlich auf das Einbringen von T-Mobile UK in das Joint Venture Everything Everywhere! mit France Telecom zurückzuführen ist. Aber auch sonst hätte das Minus immerhin bei 3,7 Prozent betragen.
Trotz aller Probleme ist die Telekom unterm Strich heute einer der wichtigsten Player auf den internationalen TK-Providermärkten: Mit 246.000 Mitarbeitern erzielt sie einen Jahresumsatz von 64 Milliarden Euro (2010). Sie versorgt 35,5 Millionen Festnetzkunden, 127,9 Millionen Mobilfunkkunden und 16,6 Millionen Breitbandanschlüsse. (Computerwoche)