Kein Jahr in der IT vergeht, ohne dass schwergewichtige ERP-Projekte gegen die Wand fahren - Projekte, die haufenweise Geld verbrennen, den Betrieb lähmen, schlechte Presse nach sich ziehen und Karrieren beenden. Dass sich das in Bälde ändern wird, ist nicht abzusehen. "Es gibt kein Allheilmittel", sagt Michael Kringsman, Geschäftsführer beim amerikanischen Beratungshaus Asuret. "Ein Allheilmittel wäre allenfalls, das Wesen der Menschheit zu ändern, uns weise und allwissend zu machen."
Kringsman bemüht das Bild eines "teuflischen Dreiecks", um die Dynamik in IT-Projekten zu beschreiben. Es gibt für ihn nicht den einen Grund, warum Projekte aus der Spur laufen. Ähnlich einem dreibeinigen Stuhl klappen große Vorhaben nur, wenn alle Beteiligten ihre Hausaufgaben machen. Der Kunde muss solide planen, genug Geld für Schulungen veranschlagen und seine Arbeitsweise anpassen. Der Anbieter muss funktionsfähige Software liefern, die sich in die Geschäftsprozesse des Kunden einfügt. Und die für die Implementierung zuständigen Mitarbeiter dürfen keine falschen Erwartungen schüren und müssen die in dem Projekt gesetzten Meilensteine erreichen.
Betrug bei neuem Lohnabrechnungssystem
Ein besonders krasses Beispiel für ein aus dem Ruder gelaufenes ERP-Projekt wurde erst vor wenigen Wochen aus New York City bekannt. Unter dem Titel "City Time" sollte die Lohnabrechnung modernisiert werden. Ursprünglich auf 60 Millionen US-Dollar angelegt, verschlang das Vorhaben mittlerweile zusätzlich weitere 700 Millionen, wie die New York Daily News berichten. Bürgermeister Michael Bloomberg spricht angesichts des schon 1998 angelaufenen Projekts von einer "Katastrophe".
Mitte Dezember erhoben die Behörden Anklage gegen eine Reihe Projektmitarbeiter, die als Rädelsführer in einem Betrugssystem gelten, das allein um die 80 Millionen an Steuergeld kostete. Bilanzprüfer John Liu suspendierte Joel Bondy, den Leiter der städtischen Lohnbuchhaltung, und fror bis auf weiteres alle Zahlungen an das Beratungsunternehmen Spherion ein. Bürgermeister Bloomberg gab in einem Radiointerview zu, man habe die Komplexität des Vorhabens unterschätzt. Gleichzeitig betonte er, die Stadt brauche das neue System nach wie vor dringend. Einmal im Einsatz, spare es viel Geld. Bis Juni will Bloomberg das Projekt abgeschlossen wissen.
318 Millionen britische Pfund Entschädigung erhielt der Pay-TV-Kanal BSkyB im Juni von Hewlett Packard/EDS. Eigentlich ging es dabei um eine CRM-Implementierung, nicht um ERP. Als Mahnung haben wir den Fall dennoch in unsere Übersicht aufgenommen, weil er Grundsätzliches über das Outsourcing-Geschäft sagt.
Ein Gericht stellte fest, dass HPs Sparte EDS falsche Angaben darüber gemacht hatte, wie lang es dauern würde, das Projekt abzuschließen. Im Jahr 2000 war es angelaufen und sollte eigentlich 48 Millionen Pfund kosten. 2002 entzog BSkyB EDS den Auftrag und schloss das Projekt im eigenen Haus ab. Dennoch kostete es letztlich fünf Mal so viel wie anfangs veranschlagt. Das Gerichtsurteil sollte Verkäufern auf Anbieterseite eine Lehre sein, wenn sie am Verhandlungstisch konkrete Zusagen machen.
Neue SAP-Software verursachte mehr Probleme als Vorgänger
Ein Lehrbuchbeispiel dafür, wie man ein ERP-System nicht ersetzen sollte, ließ sich dieses Jahr in der kalifornischen Region Marin County beobachten. Im August entschied die Verwaltung, das kränkelnde ERP-System von SAP auszutauschen. Man hatte ausgerechnet, das würde billiger kommen als all die Probleme mit der installierten Software zu beheben.
Kurz zuvor hatte die Verwaltung Systemintegrator Deloitte wegen der Probleme mit der SAP-Software verklagt. Der Vorwurf: Das Beratungsunternehmen habe das Projekt als Testumgebung für unerfahrene Mitarbeiter benutzt mit der Folge, dass ein teures System installiert wurde, das viel mehr Probleme verursachte als die Vorgänger-Software.
Das mit Hilfe von Deloitte installierte SAP-System im Status Quo weiterlaufen zu lassen, hätte nach Berechnungen der Regionalverwaltung 34,7 Millionen US-Dollar in zehn Jahren gekostet. Alle Fehler zu beheben, hätte zusätzliche Mitarbeiter erfordert und 49,8 Millionen gekostet. Man entschied sich, die Software einfach wieder auszutauschen: Das komme mit 26,2 Millionen Dollar in zehn Jahren weitaus billiger.
Ärger mit ERP-Software von SAP hatte auch der texanische Müll-Spediteur Waste Management. Im März 2008 hatte Waste Management SAP verklagt wegen einer angeblich fehlgeschlagenen Implementierung seiner ERP-Software. Geltend machen wollte das Abfallunternehmen nicht nur die 100 Millionen US-Dollar, die das Projekt gekostet hatte, sondern auch weitere 350 Millionen für Erträge, die man sich aus dem Einsatz der Software erhofft hatte.
Schlammschlacht wegen angeblich getürkter SAP-Präsentation
Im Mai wurde das Verfahren eingestellt. SAP leistete eine einmalige Zahlung, deren Höhe nicht veröffentlicht wurde. Zuvor war eine regelrechte Schlammschlacht ausgefochten worden. Waste Management behauptete, SAP habe die angeblichen Vorteile seiner Software mit einer getürkten Präsentation dargelegt. Außerdem habe SAP eine weiter entwickelte Version der Software vorgeschlagen als die, die der Hersteller zuletzt lieferte. SAP auf der anderen Seite warf Waste Management vor, seine Anforderungen weder pünktlich noch detailliert genug vorgelegt zu haben.
Parketthersteller Lumber Liquidators versuchte, sein schwaches drittes Quartal ebenfalls SAP ERP in die Schuhe zu schieben. Das ERP-Projekt habe die Produktivität der Mitarbeiter merklich gesenkt, behauptete das Unternehmen. Allerdings stellte sich heraus, dass das nicht an der Software lag sondern daran, dass die Mitarbeiter damit nicht umgehen konnten.
Das gab schließlich auch CEO Jeffrey Griffiths zu. Die Software, mit der Lumber Liquidators zuvor gearbeitet habe, sei sehr flexibel zu handhaben gewesen. SAP erforderte neuerdings strukturiertes Vorgehen und vorgegebene Schritte. Vor der SAP-Einführung hätten die Mitarbeiter oft umständliche händische Prozesse abwickeln müssen. "Wir sind zuversichtlich, dass SAP deutliche Verbesserungen bringt", sagt Griffiths heute.
Eine Entschädigung von 61 Millionen US-Dollar sprach ein Gericht in Alabama im Dezember dem Tiernahrungshersteller Sunshine Mills zu. Zahlen muss die Summe ERP-Anbieter Ross Systems, eine Tochter von CDC Software. Das Software-Haus habe Sunshine Mills hinters Licht geführt, erklärte einer der Anwälte des Tierfutterproduzenten. Versprochen worden sei eine Software, die ohne weiteres Zutun funktioniere. Tatsächlich aber habe gar nichts funktioniert.
Ross Systems will gegen die Gerichtsentscheidung in Berufung gehen. Sunshine habe "wissentlich eine Beta-Version der Software gekauft", teilte das Software-Haus mit. Aus dem Vertrag sei ersichtlich gewesen, dass es in der Anwendung mehrere Beschränkungen gebe.
Panne mit Oracle-Software kürzt Gehälter
Polizeibeamte im texanischen Fort Worth gehen derzeit auf die Barrikaden, weil Probleme mit der kürzlich implementierten Software Peoplesoft von Oracle dazu führen, dass sie weniger oder gar kein Gehalt bekommen. "Es ist nicht hinnehmbar, dass seit Einführung der Software vor acht Wochen einige Kollegen gar keinen Gehaltsscheck bekommen haben, andere einen mit viel zu wenig Gehalt", klagt die Polizeigewerkschaft.
Die Software sei offenbar überfordert damit, die wechselnden Schichtzeiten der Polizisten zu erfassen, sagte ein Gewerkschafter gegenüber einer örtlichen Zeitung. Laut der Stadtverwaltung ist "menschliches Versagen" Grund für die Probleme.
Wieder einmal menschliches Versagen - Berater Michael Krigsman äußert leise Hoffnungen, dass der schrittweise Übergang zu Software aus der Cloud ERP-Projekte weniger komplex macht. Es werde künftig mehr Services zu festen Preisen und mit erprobten Prozessen geben, ist er überzeugt. Krigsman schlägt außerdem vor, einen Teil der Provision der Verkäufer bei ERP-Anbietern vom Erfolg eines Projekts abhängig zu machen. Das würde sie davon abbringen, dem Kunden lauter Extras zu verkaufen, die kaum zusätzliche Vorteile bringen, das Projekt aber unhandlich machen, meint der ERP-Experte.