"We went from being the Flintstones to the Jetsons in 9 months."
Dieses Zitat von Dan Schulman, CEO von Paypal, beschreibt die rasante Entwicklung der Digitalisierung unserer Gesellschaft. Etablierte Verfahrens- und Vorgehensweisen reichen für Unternehmen und deren Führungskräfte längst nicht mehr aus um, die disruptiven Veränderungen in der digitalen Welt zu begleiten.
Klassische Geschäftsmodelle können von einem auf den anderen Tag keine Gültigkeit mehr besitzen. Diese strukturellen Änderungen wirken sich auf Leistungserstellungsprozesse, Leistungsangebote und Kundenbeziehungen aus und erzwingen demnach eine Erweiterung der Führungsperspektive
Auswirkungen auf die Unternehmenskultur werden unterschätzt
Diese neue Art des Denkens und Leitens beschränkt sich dabei nicht nur auf die oberste Management-Ebene, sondern verpflichtet alle Bereiche und Führungskräfte zur Meisterung der digitalen Transformation.
Dabei investieren heutzutage viele Unternehmen große Teile ihrer Ressourcen in Maßnahmen zur Digitalisierung und unterschätzen dabei die Auswirkungen auf die Unternehmenskultur der Organisation. Eine Etablierung solcher Veränderungsprozesse setzt neue Anforderungen an die Führung voraus.
Führungsstil macht Unternehmen erfolgreicher
Dadurch hat sich die neue Rolle der Führungskultur, die des "Digital Leader" herauskristallisiert. Dabei bestätigt auch die Studie "Leaders 2020" von Oxford Economics, dass vor allem der Führungsstil im digitalen Zeitalter der Faktor ist, welcher umsatzstarke Unternehmen am Ende von anderen abgrenzt.
Einige der erfolgreichsten Unternehmen haben die Methoden des Digital Leadership bereits fest in den eigenen Strukturen implementiert und sich ideal an die digitale Transformation angepasst:
Amazon ist der weltweit größte Buchhändler ohne einen Buchladen. Der Erfolg basiert dabei unter anderem auf der maximalen Ausrichtung auf den Kunden, der Verleihung von "Fehler-Awards" für bemerkenswerte Versuche, auch wenn diese gescheitert sind sowie der kompletten Digitalisierung aller Geschäftsprozesse.
Airbnb ermöglicht täglich zwei Millionen Übernachtungen am Tag, ohne ein einziges Hotel zu besitzen. In den gleichen 24 Stunden bringt Uber 14 Millionen Menschen an ihr Ziel und besitzt dabei nicht einen eigenen Fahrer. Das Zusammenbringen von Angebot und Nachfrage in einer App und die Abwicklung dessen über eine digitale Plattform hat sowohl die Hotel- als auch die Taxibranche über Nacht in Zugzwang gebracht.
Pixar Animation Studios gewann 16 Academy Awards, zehn Golden Globes und elf Grammys ohne einen Schauspieler zu zeigen. Der Gründer Ed Catmull argumentiert den Erfolg durch einen tiefgreifenden, gemeinschaftlichen Feedback-Prozess und Vertrauen zwischen den Mitarbeitern und Führungskräften.
Dies führt zwangsweise zu der Frage wie andere Unternehmen nachziehen können, beziehungsweise welche Anforderungen es an Führungskräfte gibt und wie deren Kompetenzen aussehen müssen, um auch in Zukunft am Markt bestehen zu können.
Management vs. Leadership
Um die Anforderungen an einen Digital Leader zu beschreiben, ist es wichtig sich vom Bild des klassischen Managers zu lösen. Dessen Hauptaufgabe ist die (wirtschaftliche) Unternehmensverwaltung und Sicherstellung des laufenden Betriebs. Die täglichen Aufgaben sind dabei geprägt durch einen starken operativen Bezug wie die Delegation von Aufgaben, Verwalten von Ressourcen und treffen von Entscheidungen.
Leadership hingegen setzt dabei den Fokus weniger auf das operative Geschäft als vielmehr auf den Menschen, um den Wandel der digitalen Transformation zu begleiten.
Die Unterschiede lassen sich dabei folgendermaßen darstellen:
Verantwortung:
Traditionelles Management: Dauerhafte, Hierarchie-orientierte Position
Leadership: Vernetzung von Menschen über hierarchische Ebenen hinweg
Entscheidungen:
Traditionelles Management: Prägung durch Position und Hierarchie
Leadership: Antrieb erfolgt durch Prinzipien und Prozesse
Ergebnisse:
Traditionelles Management: Fokussierung auf Delegation und Kontrolle
Leadership: Bewertung von Abstimmung und Reflexion
Fehler und Konflikte:
Traditionelles Management: Regeln und Konsequenzen
Leadership: Lernfortschritte und Unterstützung
Veränderung:
Traditionelles Management: Effizienz und Optimierung von bereits vorhandenem
Leadership: Innovation und Wachstum, Schaffung von Neuem
Zu den klaren Unterschieden zwischen dem traditionellen Management und dem Leadership gesellen sich außerdem externe Faktoren wie der Wandel der wirtschaftlichen Umgebung, welche es Führungskräfte schwierig machen sich anzupassen.
Führen in der VUCA-Welt: die vierte industrielle Revolution
Hierbei sind es vor allem zwei Veränderungen, die Unternehmen bei der Veränderung Ihrer Führungsstile herausfordern.
Die erste ist die vierte industrielle Revolution, welche sich unter anderem durch folgende Merkmale kennzeichnet:
Erhöhte Geschwindigkeit von Innovationen (Exponentiell statt linear)
Steigende Tragweite von Veränderungen (unbekannte Unternehmen wachsen und erhöhen den Druck auf alle Branchen)
Transparenz von Informationen (zum Beispiel durch soziale Netzwerke)
Verschmelzung von physikalischer und digitaler Welt (Stichwort: IoT)
Die Unsicherheit bereitet Mitarbeitern Sorgen
Die zweite Veränderung ist das Umfeld der VUCA-Umwelt. Die Bezeichnung VUCA ist ein Akronym - gebildet aus den Worten volatility (Unbeständigkeit), uncertainty (Unsicherheit), complexity (Komplexität) und ambiguity (Uneindeutigkeit).
Das aktuelle Zeitalter lässt keine klaren Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirken mehr erkennen, da die Welt stark an Komplexität und Unbeständigkeit zugenommen hat. Mitarbeiter erwarten von ihren Führungskräften Orientierung im digitalen Wandel, aber bestehen gleichermaßen darauf, dass sie bei der Mitgestaltung der neuen Arbeitswelt aktiv teilhaben können. Dabei ist vor allem die Unsicherheit über die Beständigkeit des eigenen Arbeitsplatzes für den Mitarbeiter ein wichtiger Punkt.
Hierbei ist es neben der Angst des Verlustes auch die Unsicherheit hinsichtlich neuer Anforderungen. Eine Studie im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums ergab, dass lediglich zwölf Prozent der Arbeitsplätze innerhalb der nächsten zehn bis 20 Jahre vollständig automatisiert werden könnten. Allerdings steigen die Anforderungen an Arbeitnehmer und bringen ein stetiges Lernen und Nutzen der neuen Technologie mit sich.
Anforderungen an Digital Leader
Die große Schwierigkeit für Führungskräfte ist nun die Ableitung der Anforderungen, die durch das geänderte Umfeld entstanden sind in konkrete Maßnahmen umzusetzen. Digital Leadership ist dabei ein tiefgreifender Vorgang der nicht durch die Digitalisierung von Prozessen oder der Einführung agiler Methoden abgeschlossen wird. Der Schwerpunkt liegt im Verständnis und Verhältnis zwischen Management und Mitarbeitern. Dabei darf im Rahmen der Priorisierung kein Unterschied zwischen Kunden und eigenen Angestellten gemacht werden.
So sieht auch Sebastian Berg, Vorstand der Buhr & Team AG und Experte für Führungskräftetraining, die aktuelle Problematik vieler Unternehmen in dem Verkennen vom Thema Führungskräfteentwicklung und dem inkonsequenten Umsetzen von Unternehmenswerten durch das Management. Seiner Ansicht nach wird mit "New Work" häufig versucht, Probleme zu lösen, die gar nicht bestehen, Methoden einzuführen, die sich niemand gewünscht hat, und die Mitarbeiter nicht abzuholen. Diese Projekte sind zum Scheitern verurteilt.
Daher ist es als Digital Leader wichtig in den einzelnen Bereichen Soft-Skills, also der inneren Einstellung und der praktischen Umsetzung im Alltag zu unterscheiden.
VOPA+ als Lösungsansatz
Als Orientierungshilfe für Führungskräfte hat sich das VOPA+ Modell von Dr. Willms Buhse herauskristallisiert. Das Kürzel VOPA setzt sich aus den Kompetenzen Vernetzung, Offenheit, Partizipation und Agilität zusammen. Ergänzt werden sie durch die Kompetenz des Vertrauens, die später hinzugefügt wurde. Diese Kompetenzen stehen in direktem Bezug zu den Anforderungen der VUCA-Umwelt.
Schaffen es Führungskräfte dieses Modell im Unternehmen zu etablieren und die Kompetenzen ihren Mitarbeitern vorzuleben, so können die negativen Einflussfaktoren der neuen Anforderungen, wie die Unsicherheit und das Festhalten an alten Strukturen, in ihrer Wirkung reduziert werden.
Umsetzung im operativen Tagesgeschäft
Hat die Führungskraft die neuen Bedingungen der Umwelt akzeptiert ist der nächste Schritt das eigene Verhalten im Tagesgeschäft zu verändern und somit eine Position als Vorreiter einzunehmen.
Dazu zählen vor allem die folgenden Kompetenzfelder:
1. Aufbau von Fachwissen rund um digitale Trends
Das Verinnerlichen von Führungsprinzipien schafft eine solide Grundlage, dennoch sollte der Digital Leader auch die Möglichkeit haben, auf Augenhöhe mit Kollegen und Fachexperten über die neusten Entwicklungen diskutieren zu können. Dies bedingt ein intrinsisches Interesse für die Themen der Branchen wie z.B.:
Diese Liste kann noch lange weitergeführt werden und soll lediglich einen Ausschnitt darstellen, zeigt aber auch, dass sich der Markt in 2021 kontinuierlich verändern wird. Demnach müssen auch Führungskräfte sowie Mitarbeiter permanent geschult werden.
2. Transparente Kommunikation im Team und Unterstützung bei der Vernetzung
Inzwischen ist es nicht mehr selbstverständlich, dass alle Mitarbeiter eines Teams zeitlich und regional zusammenarbeiten. Daher hat die Führungskraft die Aufgabe für ein "Wir-Gefühl" im Team zu sorgen und die sozialen Strukturen zu stärken. Dabei wird die Kommunikation zwischen Führungskraft und Mitarbeiter auf einen medienbasierten Austausch beschränkt. Dies stellt aus der zwischenmenschlichen Sicht neue Anforderungen an die Vorgesetzten. Um dies auch über die Distanz und virtuell zu ermöglichen bietet der Markt diverse Anwendungen an.
Der Einsatz von Videokonferenz-Anwendungen wie Skype, WebEx oder Teams kann allerdings die realen Kontakte nicht ersetzen. Der Plausch an der Kaffeemaschine, der abteilungsübergreifende Austausch in der Kantine - alles das bleibt beim mobilen Arbeiten auf der Strecke.
Daher ist es wichtig als Führungskraft die vorhandenen Mittel auch zur Teambildung zu nutzen. Getrieben durch die Corona-Pandemie und damit verbundene Digitalisierung der Teams hat sich eine Vielzahl an Möglichkeiten ergeben: Virtuelle Live Escape Rooms, digitale Kochevents bei denen alle Kollegen zusammen in ihrer jeweiligen Küche stehen, gemeinsames quizzen oder basteln mit Legosteinen bringen die Kollegen zusammen, ohne den beruflichen Kontext in den Mittelpunkt zu stellen.
3. Akzeptanz von Diversity
Der demografische Wandel sorgt dafür, dass in den kommenden Jahren bis zu fünf unterschiedliche Generationen am Arbeitsmarkt teilnehmen werden. Die Herausforderung ist hierbei ein Umfeld zu schaffen, in dem alle Generationen als Arbeitnehmer Funktionieren können. Dabei müssen Menschen mit unterschiedlichen Ideen, Hintergründen, Werten und Arbeitsweisen miteinander arbeiten. Daneben fordert auch die Gesetzgebung neue strategische Ausrichtungen.
Unterstützen können hierbei folgenden Vorgehensweisen:
Outing ermöglichen
5-10 Prozent der Mitarbeiter sind homosexuell. Dabei ist es für Unternehmen teilweise noch ein Tabu-Thema. Große Konzerne wie Bosch, BMW, Vodafone und Bayer stehen offen für das die Vielfalt ein und zeigen dies durch die Teilnahme an Paraden wie dem Christopher Street Day.
Förderung der Inklusion
Die Schaffung von barrierefreien Bewerbungskanälen und entsprechend geschulten Mitarbeitern in der Personalabteilung sowie bei den Führungskräften senkt die Einstiegshürde. Siemens beispielsweise wirbt dabei gezielt um Mitarbeiter mit Handicap.
Ausübung der Religionsfreiheit
Neben den christlichen Feiertagen sind in interkulturellen Teams auch weitere Tage für die Mitarbeiter von Bedeutung. Diese in einem separaten Kalender aufzuführen, wie beispielsweise bei der Deutschen Bahn ermöglicht dem Mitarbeiter individuell und frei seinen Glauben auszuüben.
Vereinbarkeit von Arbeit und Familie
Selbst heutzutage ist es nicht einfach, die Karriere- und Familienplanung miteinander zu vereinbaren. Unternehmen die hier eine Job-Sicherheit gewährleisten binden die Mitarbeiter langfristig an sich.
Die Führungskraft hat demnach die Aufgabe die einzelnen Anforderungen ihrer Teammitglieder zu identifizieren, zu organisieren und die beste Zusammensetzung zu erstellen.
4. Flexibilität, Agilität und Dynamik
Die Märkte befinden sich in einem schnellen Wandel. Wie die Vergangenheit gezeigt hat, können gesamte Branchen von einem auf den anderen Tag ins Ungleichgewicht kippen. Wichtig ist demnach nicht zu sehr an starren Strukturen festzuhalten, sondern flexibel und schnell auf Veränderungen reagieren zu können. Dazu gehören neben einer offenen Fehlerkorrektur auch die Möglichkeit, aus unterschiedlichen Ansätzen Lernerfolge zu kreieren. Dazu zählen Ansätze wie
Design Thinking, also die Nutzung von interdisziplinären Teams um möglichst viele unterschiedliche Sichtweisen zu erhalten.
Rapid Prototyping, welches es ermöglicht schon während der Planungsphase einen ersten Prototyp zu Analyse- und Testzwecken zu bauen.
Minimum Viable Product, also die Schaffung eines minimalen Produktes um erstes Kundenfeedback zu erhalten. Dies reduziert das Risiko, vorbei am Kundenwunsch zu agieren.
Ziel ist es das Credo "Das haben wir immer schon so gemacht" aus dem Unternehmen zu verbannen.
Fazit und Ausblick
Digital Leadership steckt teilweise noch in den Kinderschuhen und stellt Unternehmen vor große Herausforderungen. Dabei wird Digital Leadership in den kommenden Jahren zur neuen Normalität heranwachsen. Unternehmen müssen sich dabei der Anforderungen ihrer Kunden und der Gesellschaft annehmen. Nicht nur um eine wettbewerbsfähige Position am Markt zu etablieren, sondern auch um sich als attraktiver Arbeitgeber für die Generation der Digital Natives darzustellen.
Der Digital Leadership Führungsstil basiert auf speziellen Führungskompetenzen, um die Herausforderungen der digitalen Transformation zu bewältigen und ist dabei nicht an Hierarchien gebunden, sondern beruht auf dem kollektiven Verständnis der digitalen Ziele der Organisation und agiler Arbeitsmethoden.
Der digitale Wandel darf dabei nicht nur als Summe aus Technologie, Software oder organisatorischer Veränderung verstanden werden, sondern als ganzheitlicher Ansatz. Und hierzu zählen neben einer klaren Strategie, verteilte und selbstgesteuerte Führungssysteme, das Nutzen von kollektiven Fähigkeiten sowie der persönlichen Veränderung der Führungskraft. Und dazu können dann auch Sneakers ohne Socken zum Anzug gehören.