Die Medienbranche weiß heute mehr über ihre Kunden als alle Unternehmen anderer Branchen. Warum und was sie daraus macht, berichtet der CIO von Axel Springer SE.
Die Axel Springer SE hat mittlerweile alle ihre Geschäftsmodelle digital transformiert, drei Viertel der Werbeerlöse des Unternehmens entstehen im digitalen Bereich.
Wobei Advertising nur ein Thema ist von vieren, bei denen sich Springer die Digitalisierung zunutze macht. Die anderen heißen Product Offering, Content und Produktentwicklung.
Wichtigster Zweck aller digitalen Verbreitung von Inhalten ist nicht das Senden einer "Botschaft", wie es früher bei der gedruckten Zeitung der Fall war, sondern die Kommunikation mit dem Empfänger. Um möglichst viel über dessen Gewohnheiten, Vorlieben und Eigenschaften zu erfahren.
Streuverluste vermeiden
Denn digitale Angebote zu machen, das bedeutet im Mediengeschäft, Streuverluste von Werbung vermeiden zu können. Jeder kriegt (idealerweise) nur das angeboten, was für ihn passt und was ihn wirklich interessiert. Customer Driven, so lautet das Zauberwort.
Yahoo orientiert sich daran, Google, Facebook sowieso. Und genau mit diesen Playern "wollen wir mithalten", wie CIO Daniel Keller sagt.
Die Top-CIOs der Medien-Unternehmen
Sven Rathjen, Spiegel-Verlag Sven Rathjen ist seit Januar 2016 Leiter der IT des Spiegel-Verlags. Er übernahm die Aufgabe von Jesper Doub. Rathjen kommt von der Dumont Systems GmbH & Co. KG, wo er zuletzt als Geschäftsführer die IT der Dumont Mediengruppe verantwortete.
Patrick Sturm, Sky Patrick Sturm ist seit Juli 2018 CIO beim Pay-TV-Fernsehsender Sky in Unterföhring bei München. Sein genauer Titel lautet Senior Vice President Information Technology. Sturm kommt aus dem eigenen Haus, zuletzt war er seit Januar 2017 bei Sky Senior Vice President Product Development & Innovation. Vor seiner Zeit bei Sky führte Sturm als Gründungspartner ein technologie- und umsetzungsorientiertes Beratungsunternehmen.
Wolfgang Wagner, WDR Im April 2013 hat Wolfgang Wagner (53) den Posten des Direktors Produktion und Technik beim Westdeutschen Rundfunk (WDR) übernommen. In dieser Position verantwortet er unter anderem auch den produktionsnahen IT-Bereich des WDR. Dazu gehören allein 200 Mitarbeiter. Insgesamt führt der neue Produktionsdirektor 1800 Mitarbeiter. Der Elektroingenieur mit Fachrichtung Nachrichtensysteme wechselte vom ZDF, wo er den Geschäftsbereichs Informations- und Systemtechnologie in der Produktionsdirektion des ZDF leitete. Zu seinen wichtigsten anstehenden Aufgaben beim WDR gehört das Projekt "tv 20:15", womit die die Vernetzung der digitalen Fernsehproduktion vorangetrieben werden soll. Außerdem will er ein neues Dispositionssystem einführen sowie das Rechenzentrum der Direktion neu strukturieren und konsolidieren.
Pietro Tomasino, Gruner + Jahr Pietro Tomasino ist seit Januar 2010 der Leiter der Informationstechnologie beim Druck- und Verlagshaus Gruner+Jahr. In dieser Funktion ist Tomasino verantwortlich für die IT-Landschaft des deutschen Geschäftsbereiches. Seine Position kommt damit dem eines klassischen CIOs am nächsten, auch wenn es diese Bezeichnung im Unternehmen Gruner+Jahr nicht gibt. Tomasino ist auch verantwortlich für die Entwicklung und den Betrieb der Redaktionssysteme Print und Online, der Vertriebs- und Anzeigensysteme sowie ERP-Systeme. Außerdem soll die Webentwicklung konsolidieren und neu ausrichten. Daneben steht die Einführung neuer Content Management Systeme zur Unterstützung der digitalen Transformation in den Redaktionen sowie die Modernisierung der Office- und Rechenzentrums-Infrastruktur. Gruner + Jahr hat in insgesamt mehr als 30 Ländern mehr als 11.800 Mitarbeiter.
Reinhard Görtner, RTL II Reinhard Görtner ist seit 2004 Leiter der Abteilung „IT & Services“ beim Münchener TV-Sender RTL II. Ab Januar 2018 trägt er den Titel CIO. Dazu kommen neue Kompetenzen über die Abteilungen „Application Development“, „Technology Operations“ sowie „Media Asset Support“. Seit 2015 ist Görtner als Leiter IT & Broadcast zusätzlich für die technische Ausstrahlung von RTL II verantwortlich.
Boris Radke, ProSiebenSat.1 Boris Radke ist neuer CIO bei der Sendergruppe ProSiebenSat.1. Radke kam im Juli 2017 vom Online-Modehändler Zalando zum Medienkonzern in Unterföhring (München) und übernahm eine Stabsstelle als Director CFO Projects beim neuen Finanzvorstand Jan Kemper. Davor war er unter anderem Leiter der Unternehmenskommunikation beim Online-Händler Zalando.
Frank Penning, RTL Group Frank Penning übernimmt als Bereichsleiter den neu geschaffenen CBC-Bereich Technik/IT und wird damit gleichzeitig CIO der Mediengruppe RTL. Vor seinem Wechsel zu CBC (Cologne Broadcasting Center GmbH) führte der Diplom-Informatiker für Burda den Technologiedienstleister Tomorrow Focus Technologies, gründete für Holtzbrinck mehrere Startups, betreute dort das Internet-Beteiligungsportfolio als CTO und war bei ProSiebenSat.1 Media AG für Software-Entwicklung verantwortlich. Als CTO war er in der von ihm mitgegründeten Exaring AG aktiv.
Dennis Gruschka, Zeit Verlagsgruppe Seit Oktober 2024 verantwortet Dennis Gruschka die IT der Zeit Verlagsgruppe. Er folgt auf Jonas Rohwer.
Marcus Dauck, Ringier Marcus Dauck ist seit Januar 2014 neuer Chief Information Officer des Züricher Medienkonzerns Ringier AG. Zuvor arbeitete er als CIO bei der Ringier Axel Springer Media AG, ein Joint Venture zwischen Ringier und der Axel Springer AG in Mittel- und Osteuropa mit Sitz in Zürich. Dauck war ab 1988 Mitarbeiter der Axel Springer IT in Hamburg, von 2000 bis 2003 als Management Consultant International Media bei Siemens und von 2003 bis 2011 wiederum bei der Axel Springer AG in mehreren Funktionen tätig: als Bereichsleiter IT Anzeigen- und Marketingsysteme sowie Bereichsleiter IT Zeitungssysteme, Redaktion und Online/Print-Produktion.
Sebastian Hentzschel, BMG Sebastian Hentzschel ist seit Oktober 2017 neuer CTO des Musikunternehmens BMG mit Sitz in Berlin. Die Stelle wurde neu geschaffen, einen CIO gibt es nicht. Er ist für Global Infrastructure, Application Development und Data Analytics zuständig. Hentzschel war zuvor SVP Group Technology bei BMG.
Johannes Claes, ZDF Seit November 2013 leitet Johannes Claes den Geschäftsbereich Informations- und Systemtechnologie in der Produktionsdirektion des ZDF. Der 49-jährige hat in den zurückliegenden Jahren den Geschäftsbereich Außenstudios im ZDF geleitet. Der Diplom-Ingenieur Claes arbeitet schon seit 1993 in verschiedenen Funktionen für das ZDF. Von 2007 bis 2009 war er Hauptabteilungsleiter Technik beim deutsch-französischen Sender ARTE G.E.I.E in Straßburg. Bei seiner Rückkehr zum ZDF übernahm er zunächst die Leitung des Geschäftsfeldes Berlin und 2011 zusätzlich die Leitung des Geschäftsbereichs Außenstudios. Auf der Agenda von Claes steht die Weiterentwicklung der IT-Infrastruktur. MINT, die Medien-Integrierende-Netzwerk-Technologie, ist eines der Großprojekte.
Andreas Bossecker, NZZ Der Verwaltungsrat der NZZ-Mediengruppe hat im Juni 2014 Andreas Bossecker (52) zum Leiter Digital und IT berufen. Außerdem wurde er Mitglied der Unternehmensleitung. Er verfügt über langjährige IT- und digitale Produktentwicklungserfahrung im Verlagswesen – unter anderem als CIO und CTO bei der Verlagsgruppe Handelsblatt, wo er neben den Prozessen auch für alle Online-Aktivitäten zuständig war. Anschließend war er maßgeblich als Geschäftsführer am Aufbau und der Entwicklung der circ IT GmbH beteiligt, eine der großen IT-Serviceeinheiten für Verlage im deutschsprachigen Raum.
Markus Hüßmann, Bauer Media Group Im Hamburger Medienunternehmen Bauer Media Group ist seit Anfang Juli 2018 Markus Hüßmann Chief Technology and Information Officer (CTIO). Der neue CTIO trat dem Unternehmen 2013 zunächst als COO der Digitalsparte Bauer Xcel Media bei, er war dort für die Entwicklung einer internationalen Digitalstrategie verantwortlich. 2015 übernahm Hüßmann das digitale Publishing-Geschäft in Deutschland.
Annette Bittmann, rbb Annette Bittmann leitet ab Januar 2019 die neu geschaffene Hauptabteilung "Mediensysteme und IT" beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb). In der rund 160 Mitarbeiter starken Einheit bündelt der Sender alle IT-basierten Betriebs- und Serviceaufgaben des Senders.
Norbert Schmidt-Banasch, dpa Norbert Schmidt-Banasch ist ab Dezember 2018 CIO der dpa-Gruppe. Die Stelle wurde neu geschaffen. Der studierte Informatiker ist und bleibt Geschäftsführer der Hamburger mecom Medien-Communikations-Gesellschaft mbH (Datenlogistik und technische Dienstleistungen), an der die dpa-Gruppe mit 60 Prozent beteiligt ist.
Matthias Moeller, Bertelsmann Matthias Moeller, CEO der Bertelsmann-Tochter Arvato Systems, ist ab Januar 2019 zusätzlich zu seinen bisherigen Aufgaben für die Corporate IT von Bertelsmann verantwortlich. Moeller arbeitet seit 1995 bei Bertelsmann. Nachdem er bereits als Geschäftsführer von Arvato Systems Perdata Mitglied der Geschäftsleitung von Arvato Systems gewesen war, hatte er im April 2016 das Amt des CEO von Arvato Systems übernommen.
Jens Kessler, SWMH Die Südwestdeutschen Medienholding (SWMH) hat Mitte Januar 2019 mit Jens Kessler (47) einen Chief Technology Officer (CTO) eingestellt. Die Position wurde neu geschaffen. Kessler ist von der Universal Music Group aus Santa Monica, USA, zur SWMH nach Stuttgart gewechselt. Dort hat er seit 2012 als Group CIO die digitale Transformation der Universal Music Group umgesetzt.
Nutzerdaten sollen konzernweit verwendbar sein; es gilt, Merkmale wie Alter, Gehaltsklasse oder die präferierte Automarke zu kennen und mit diesem Wissen individuelle Angebote zu erstellen.
Solche Daten spielen auch auf dem zweiten Digitalisierungsschauplatz von Axel Springer die Hauptrolle: den "Product Offerings". Schließlich verdient das Unternehmen nicht nur mit Anzeigen Geld, sondern auch mit Online-Rubrikenmärkten für Jobs (Stepstone) oder Immobilien.
Auch dabei ist es notwendig, viel über die Nutzer zu wissen. Erst recht gilt das für das "Reichweitenmarketing", auch ein Geschäftsfeld von Springer. Zum Beispiel gehört die Preis- und Shopsuchmaschine Idealo zum Konzern, eine Webseite, bei der immer dann die Kasse klingelt, wenn sie den angeschlossenen Online-Händlern Deals vermittelt.
Alles lagert im zentralen Content Pool
Kommunikation mit dem Kunden über Online-Plattformen hilft auch dabei, den richtigen Preis für ein bestimmtes Angebot zu ermitteln. Die Marke BILD zum Beispiel nutzte eine Online-Umfrage, um herauszufinden, wie viel potentielle Leser für das Bezahl-Angebot Bild Plus zu berappen bereit sind. Das Produkt hat heute etwa 250.000 Abonnenten.
Drittes Spielfeld der Digitalisierungsstrategie von Axel Springer: der Content, also die medialen Inhalte und ihre Verbreitung. Die Prozesse dazu, sagt Daniel Keller, waren noch vor relativ kurzer Zeit ganz auf Printmedien abgestellt.
Heute lagern alle Inhalte in einem zentralen Content Pool sprich einem Content Management System und nicht mehreren.
Ihre Herstellung und Verbreitung ist jetzt ein sequentieller Prozess, sagt Daniel Keller. Die dabei verwendeten Daten sind unstrukturiert, aber für Maschinen lesbar.
Unterschiedliche Kanäle machen einen kontextbasierten Zugriff möglich, das heißt jeder bekommt etwas anderes, auf ihn Zugeschnittenes zu sehen.
Software-Entwicklung bisher nicht Customer Driven
Viertes Digitalisierungsthema bei der Axel Springer SE: die Software-Entwicklung. "Dieser Bereich ist bisher ganz und gar nicht Customer Driven", sagt Daniel Keller. "Zuerst ein halbes Jahr spezifizieren und anschließend ein halbes Jahr bauen, das funktioniert heute einfach nicht mehr."
Stattdessen lässt Springer - das vieles selbst entwickelt - erstmal eine kleine, abgespeckte Version jeder neuen Softwarelösung online gehen, holt Feedback ein, verbessert, feilt.
Durch die Verwendung eigener, zentraler Softwareplattformen können Entwickler zudem schnell und unkompliziert Verbesserungen in der Praxis testen.
Die IT ist das Produkt
Zusammenfassend, so der Axel Springer-CIO, unterscheidet sich die Medienbranche von anderen vor allem dadurch, dass hier nicht IT-Lösungen verwendet werden, um Produkte zu verkaufen, sondern "die IT ist das Produkt."
Kern der Strategie seines Arbeitgebers: Nutzerdaten in Echtzeit verarbeiten, dann passende Werbung ausspielen bzw. passende Produkte anbieten. Und die gesamte Produkte-Entwicklung an dieser Wertschöpfungskette orientieren.
In der Diskussionsrunde nach dem Vortrag gab es spannende Fragen - und nicht vollständig zufriedenstellende Antworten.
Erste Frage: "Warum wird mir im Internet noch Wochenlang nach dem Kauf eines Rollkoffers Rollkofferwerbung angezeigt?"
Antwort: "Die Technologien werden immer besser, aber wir sind hier noch in den Anfängen."