Vehicle Cloud

Die IT-Strategien erfolgreicher Automobilhersteller

10.04.2015 von Daniel Pelke
Die Zeit in der ein Fahrzeug nur aus mechanischen Komponenten bestand liegt noch nicht so lange zurück. Das gilt auch für die im Verhältnis spärlichen IT-Budgets, die ausschließlich in zentrale Business-IT-Anwendungen investiert wurden. Es gibt allerdings einen rapiden Wandel.

Heute fließt bereits rund ein Drittel der gesamten IT-Ausgaben in die IT im Fahrzeug, beispielsweise ins Infotainment beziehungsweise in die IT im Umfeld des Fahrzeugs. Dieses Verhältnis wird sich zukünftig noch weiter verschieben. Sieht man sich Toyotas ConceptCar Fun-Vii an, bei dem die Karosserie und selbst Teile der Fahrzeuginnenflächen als Bildschirm verwendet werden können, erhält man einen Vorgeschmack auf dass, was wir zukünftig im Bereich der Personalisierung erwarten dürfen.

Der Fun-Vii, auf der Tokio Motorshow 2011 vorgestellt, zeigte im Rahmen des Diji Konzepts auf, wie zukünftig Fahrzeuge, Menschen und Gesellschaft verbunden werden können. Wer die diesjährige CES in Las Vegas beobachten konnte, der hat gesehen, dass nahezu jeder Monitor-Hersteller papierdünne, biegsame Displays im Angebot hat. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Kosten für diese Form der Karosserie-Oberflächen günstiger werden als die klassische Lackierung.

Bereits heute kommen erste Serienmodelle auf den Markt, die sich anstelle vieler Instrumente mit einem Touchscreen in der Mittelkonsole begnügen. Die Software-gesteuerten Bedienelemente können sich jederzeit der aktuellen Fahrsituation anpassen; so werden beispielsweise bei kritischen Verkehrssituationen Komfort- und Unterhaltungselemente zugunsten von Sicherheitsanzeigen ausgeblendet.

Einbinden von Cloud-Diensten

Mobilität wird eine neue Dimension erreichen. Erste Hersteller binden in die Routenplanung auch alternative Verkehrsmittel ein. Dazu gehören ÖNV-Angebote genauso wie konzerneigene Car-Sharing-Angebote. Die biometrischen Daten des Fahrers, seine Kommunikationsparameter, Designeinstellungen der Head Unit und die persönlichen Mediadaten werden in der OEM-eigenen Cloud abgelegt. So ist es leicht vorstellbar, dass ein Mietwagen, insofern er aus dem gleiche Konzern kommt, auf Knopfdruck das persönliche Environment des eigenen Fahrzeuges bietet.

Neues IT-Zeitalter in Fahrzeugen
Toyota Fun Vii Concept Car
Der Toyota Fun-Vii zeigte bereits auf der Tokio Motorshow 2011, wie zukünftig Fahrzeuge, Menschen und Gesellschaft verbunden werden können.
Tesla mit Display als Bedienzentrale
Das Elektrofahrzeug Tesla Model S nutzt einen großen 17-Zoll-Touchscreen als Kommandozentrale.
Virtuelle Instrumente
Immer mehr Hersteller nutzen Displays anstatt klassischer Instrumente. Im Bild sehen Sie den neuen Jaguar XF.
Steuerung per Smartwatch
Hersteller wie BMW binden auch moderne Wearables für die Steuerung von Fahrzeug-Funktionen ein.
Apple Watch zeigt Fahrzeugstatus
Auch die neue Apple Watch wird künftig verstärkt in die Fahrzeug-IT eingebunden.

Auch an der Bedienung des Autos über eine Smartwatch am Handgelenk arbeiten viele OEMs. Die Uhr kann genutzt werden, um zum Beispiel die Navigation nach der Fahrt für den Fußweg zu nutzen, um den Status des Fahrzeuges von überall aus abzurufen oder um es zukünftig in einem Parkhaus, in dem Autos ihren Parkplatz selbständig anfahren und autonom vorfahren zu lassen.

Was so fantastisch klingt, stellt für die IT des OEM unter Umständen eine große Herausforderung dar. Die heutigen Datencenter sind in der Regel auf die kommenden Anforderungen nicht gut genug vorbereitet. Sie sind nicht dafür konzipiert, das viele tausende von Endkunden 24/7 gleichzeitig darauf zugreifen. Dazu sind die Infrastrukturen in der Regel zu komplex und somit nicht flexibel und skalierbar genug.

Kommt beispielweise ein neues Fahrzeugmodell auf den Markt und plötzlich erzeugen und senden tausende von zusätzlichen Nutzern ständig Daten, benötigt man für eine angemessene Betreuung eine Support-Infrastruktur mit Service Hotlines, Ticket Systemen etc. Auch das permanent wachsende Datenvolumen, das unter Umständen an mehreren Standorten parallel vorgehalten werden muss, ist eine nicht zu unterschätzende Komponente. Nicht zu vergessen ist das Konfigurationsmanagement, denn die Software-Stände von Fahrzeugen müssen über viele Jahre vorgehalten werden.

Hersteller wie BMW binden auch moderne Wearables für die Steuerung von Fahrzeug-Funktionen ein.
Foto: BMW

Kompetenzen der IT-Organisation

Natürlich haben die zentralen IT-Organisationen auch etwas in die Waagschale zu werfen: Kenntnisse von Hardware- und Software-Architekturen, Software-Entwicklungskenntnisse und die notwendigen Qualitätssicherungsprozesse. Auch das Identity-Management gehört zu den Kompetenzen der IT-Organisation und wird in der Fahrzeug-IT benötigt, um beispielsweise zu klären, wer gerade am Steuer sitzt - der Eigentümer, ein Leasingnehmer, derjenige auf den das Fahrzeug zugelassen ist oder irgendjemand anderes. Daraus ergibt sich wiederum die Frage, was darf diese Person jeweils herunterladen, nachkaufen oder anpassen?

Ebenfalls zum Standardportfolio einer IT-Organisation gehören heute der Aufbau und Betrieb einer privaten Infrastruktur sowie Erfahrungen im Umgang mit Public-Cloud-Angeboten. Und zu guter Letzt gehört auch das Vendor Management - der Umgang mit Anbietern von Hardware, Software und Dienstleistungen wie Outsourcing - zu den Kernkompetenzen einer IT-Organisation. Unter dem Begriff "THE NEW TECHNOLOGY STACK" hat Prof. Michel E. Porter von der Harvard Business School in der Ausgabe 12/2014 des Harvard Business Manager Magazins eine Musterarchitektur für Smart Connected Devices - zu denen auch ein Auto gehört - veröffentlicht. Neben dem Smart Produkt selber (Hardware und Embedded Software), der Kommunikation, Schnittstellen zu externen und internen Datenquellen sowie einem ganzheitlichen Identity- und Security-Management zeichnet sich die Architektur durch eine sogenannte "Product Cloud", in diesem Fall einer "Vehicle Cloud", aus.

Vehicle Cloud und Data Lake

Die Vehicle Cloud besteht aus mehreren Komponenten, dazu gehört zum Beispiel eine Product Data Base. In dieser Data Base werden alle Daten gesammelt, die die Fahrzeuge erzeugen und senden. Ergänzend dazu werden Daten aus externen und OEM-internen Quellen hinzugezogen.

Das wir hier nicht über eine klassische Datenbank sprechen ist offenkundig. Es geht hier vielmehr um einen Data Lake, das heißt, eine Kombination aus Werkzeugen für die Speicherung und Auswertung von historischen Daten, wie zum Beispiel den gefahrenen Strecken sowie von Realtime-Daten, wie zum Beispiel der aktuellen Verkehrssituation. Im "Application Layer" findet man alle Komponenten, auf deren Basis agile Cloud-Anwendungen entwickelt und betrieben werden können.

Insbesondere Angebote aus dem Bereich Open Source sind hier zu nennen, denn die Lizensierungs- und Supportkonditionen von kommerziellen Produkten würden die Entwicklungs- und Betriebskosten um ein vielfaches übersteigen. Im "Rules & Analytics Engine Layer" findet man die Algorithmen, mit denen Datenbestände analysiert werden. Im "Smart Product Application Layer" sind die zugehörigen Anwendungen.

Volvo Connected Cars kommunizieren über die Cloud
Volvo Connected Cars kommunizieren über die Cloud
Volvo präsentiert auf der MWC in Barcelona die Technologie "Slippery Road Alert ".
Volvo Connected Cars kommunizieren über die Cloud
Das Fahrzeug erkennt eine glatte Fahrbahn und meldet es in die Volvo-Cloud.
Volvo Connected Cars kommunizieren über die Cloud
Die Technologie zum Reagieren auf Glatteis ist schon in aktuellen Fahrzeugen mit ASR und ESP vorhanden. Durchdrehende Räder oder ein Ausbrechen des Autos soll so verhindert werden.
Volvo Connected Cars kommunizieren über die Cloud
Der "Slippery Road Alert" meldet dieses Ereignis nun eben der Volvo-Cloud.
Volvo Connected Cars kommunizieren über die Cloud
Kommen andere Volvos mit Cloud-Anbindung an der glatten Stelle vorbei, so erhalten sie eine Warnung.

Hybrid Cloud für die Vehicle Cloud

Empfehlenswert ist der Aufbau der Vehicle Cloud als sogenannte Hybrid Cloud. Das Charakteristikum der Hybrid Cloud ist, dass sie sowohl Public als auch Privat Cloud-Komponenten enthält. Ressourcen können beliebig geteilt und Anwendungen beliebig verschoben werden. Die IT-Abteilung des OEM kann mit einem kleinen Privat Cloud-Anteil beginnen und Ressourcen und Anwendungen, die beim Public Cloud Betreiber liegen, schrittweise "insourcen".

Umgekehrt können zur Bewältigung von Spitzenlasten, wenn beispielsweise eine neue Modellreihe auf den Markt gebracht wird, Ressourcen aus der Public Cloud mit eingebunden werden. Auch ein permanenter Mixbetrieb ist denkbar. In diesem Fall würden fahrzeugnahe Anwendungen und Daten in der Privat Cloud liegen und mehr auf Komfort oder Unterhaltung ausgerichtete Anwendungen und Daten in der Public Cloud.

Flankiert wird die Vehicle Cloud durch OEM-interne Datenquellen wie zum Beispiel dem CRM, aus dem unter anderem zu entnehmen ist, wofür sich der Kunden interessiert. Zu nennen sind auch Datenbanken für die Fahrzeugkonfiguration, aus denen hervorgeht, was in dem produzierten Fahrzeug tatsächlich verbaut wurde sowie Aftersales-Anwendungen mit der detaillierten Liste von Fahrzeugmängeln und vorgenommen Wartungsarbeiten.

Die externen Datenquellen sind nahezu unendlich. Sie reichen von Wetterdaten, über detaillierte Verkehrsinformationen bis hin zu Daten, die der Fahrer via Social Media preisgibt und die zum Beispiel Hinweise auf dessen anstehenden Freizeitaktivitäten geben.

Luxus-Autos: Car-Configurator-Tools im Überblick
Car-Configurator-Tools im Überblick
Porsche hat nach eigenen Angaben als erster Autohersteller einen Car Configurator im "responsive design" verwirklicht. Das haben wir zum Anlass genommen, um uns die Konfigurator-Angebote verschiedener Hersteller von Luxus-Autos anzusehen.
Porsche
Der überarbeitete Porsche-Konfigurator passt sich dem jeweiligen Endgerät der Kunden an.
Porsche
So kommen Porsche-Kunden in den Genuß einer für Tablets, Smartphones und PCs optimierten Darstellung.
Porsche
Die Porsche-Modelle lassen sich online bis ins kleinste Detail konfigurieren.
Porsche
Ist der Wunsch-Porsche "fertig", kann er über den sogenannten "Porsche Code" sowohl mit Freunden, Familie und Kollegen geteilt werden, als auch direkt beim Porsche Händler als Grundlage für den Kauf verwendet werden.
Aston Martin
Der traditionsreiche, britische Sportwagen-Bauer Aston Martin bietet auf seiner Homepage ebenfalls einen Konfigurator an. Leider landeten wir beim Versuch ein individuelles Luxus-Coupe zu erstellen, in einer Endlos-Ladeschleife.
Audi
Auch bei VW-Premium-Tochter Audi darf man sein Wunschauto selbst zusammenstellen. Design und Optionsvielfalt lassen keine Wünsche offen. Für Smartphones und Tablets mit Android oder iOS bietet Audi eine eigene App an.
Bentley
Auch in der Superluxus-Klasse kann man online konfigurieren. Design und Bedienbarkeit des Car Configurators von VW-Tochter Bentley gehen zwar in Ordnung, "State of the art" ist das Ganze beileibe nicht.
BMW
Auch BMW-Kunden dürfen Autos (und Motorräder) individuell konfigurieren. Allerdings lässt die Performance der Website des Öfteren zu Wünschen übrig. Auf dem Smartphone verweigerte der Auto-Konfigurator des Münchner Premium-Autobauers im Test den Dienst.
Ferrari
Wer einen Ferrari online zusammenstellen will, muss sich gedulden. "Coming soon" heißt die Devise beim italienischen Traditionskonzern. Bis dahin muss man sich online mit vielen Infos, hübschen Bildern und Videos begnügen.
Jaguar
Wer sein Auto "auf die feine englische Art" möchte, ist bei Jaguar ganz gut aufgehoben. Sämtliche Modelle sind online konfigurierbar, das Tool läuft relativ flott und funktioniert zuverlässig. Die Bedienung könnte intuitiver ablaufen. Eine App für Mobilgeräte existiert nicht, dafür eine vergleichsweise schicke mobile Website.
Lamborghini
Wer eine Luxus-Flunder der Marke Lamborghini online zusammenstellen möchte wird zunächst enttäuscht. Denn einen Konfigurator sucht man hier vergeblich. Stattdessen wartet unter dem Menüpunkt "Explore" ein Tool, das von der Außen- bis zur Bremssattel-Farbe alle Design-Möglichkeiten aufzeigt. Dazu lassen sich zahlreiche Informationen zu Modell-Features abrufen. Eine Website für Mobilgeräte bietet Lamborghini ebenfalls. Minuspunkte gibt es für die umständliche Menüführung.
Maserati
Edel geht es bekanntlich auch bei Maserati zu. Die Italiener bieten auf ihrer Web-Präsenz einen Car Configurator der keinerlei Wünsche offen lässt: schnell, gut bedienbar und vielschichtig lassen sich die Luxus-Boliden mit dem Dreizack zusammenstellen. Der Online-Konfigurator für Mobilgeräte steht dem in nichts nach.
Mercedes
Auch der Modell-Konfigurator von Mercedes-Benz funktioniert im Test gut. Nur die "old school"-Darstellung mit vielen kleinen Bildern und die leichte Trägheit des Tools trüben das Bild. Die mobile Version des Konfigurators ist zwar nur unwesentlicher flotter, macht designtechnisch aber weit mehr her.
McLaren
Supersportwagen mit Straßenzulassung - das ist das Metier der britischen Speed-Institution McLaren Automotive. Was Design und Benutzerführung angeht, bietet McLaren auf PCs und mobilen Geräten einen der schönsten und besten Konfiguratoren. Leider ist das Ganze beizeiten leicht träge. Abgeschlossene Konfigurationen lassen sich über soziale Netzwerke verbreiten oder als .pdf-File herunterladen.
Range Rover / Land Rover
Wer luxuriöse Wuchtbrummen britischer Herkunft sucht, wird bei Range Rover fündig. Der Online-Konfigurator des Jaguar Land Rover-Konzerns ist mit sichtbarer Mühe möglichst interaktiv gestaltet und lässt bei den Konfigurationsmöglichkeiten kaum Wünsche offen. Die Benutzerführung ist intuitiv gestaltet, nur in punkto Geschwindigkeit besteht Verbesserungsbedarf. Fertige Konfigurationen können geteilt oder direkt zum Händler gesendet werden.
Rolls-Royce
Sichtbar viel Mühe hat man sich auch beim Online-Konfigurator von BMWs Super-Luxus-Tochter Rolls-Royce gegeben. Benutzerführung und Design sind modern gestaltet. Im Gegensatz zum wankelmütigen Pendant des Münchner Mutterkonzerns läuft die Fahrzeugerstellung auf dem Rolls-Royce-Webauftritt zuverlässig und flüssig - egal auf welchem Endgerät. Die Möglichkeiten sind dabei zahlreich - egal ob es Kühlerfigur "Emily" in Gold-Ausführung, eine farblich abgesetzte Motorhaube oder ein Fußmatten-Set aus Lammfell sein soll.

Identity- und Security-Management

Sehr wichtig ist das durchgängige Identity- und Security-Management. Jede Schnittstelle ist aus Security-Gesichtspunkten betrachtet eine mögliche Schwachstelle und muss spezifisch abgesichert werden. Wie kann verhindert werden, dass ein Fahrzeug unerlaubt genutzt wird? Wie kann verhindert werden, dass jemand unerlaubt eine Identität nutzt und sich in der Vehicle Cloud anmeldet? Wie kann verhindert werden, dass Anwendungen korrumpiert werden? Wie kann die Kommunikation zwischen dem Fahrzeug und der Vehicle Cloud abgesichert werden? Das sind nur einige der kritischen Fragen, die sich stellen und mit denen sich die Security-Bereiche der IT-Organisationen bereits durch den BYOD-Trend auseinandersetzen.

Wie keine andere Architektur versetzt die Hybrid Cloud die IT-Organisation eines OEM in die Lage, selbst zum Betreiber des Vehicle Backends zu werden. Das Management der Fahrzeugdaten wird in naher Zukunft die gleiche Bedeutung haben wie die Entwicklung eines verbrauchsarmen und leistungsstarken Motors. Die Aktivitäten von Apple, Google und neuerdings auch Uber können als Indiz dafür gesehen werden.

Die Unternehmens-IT wird zum elementaren Teil des Produkts, als die Organisation, die die Daten sicher sammelt, verwaltet, analysiert und anderen Organisationen zum Zwecke der Produkt- und Prozessverbesserung sowie den Kunden in Form von neuen mehrwertigen Services zur Verfügung stellt. (cvi)