Heute fließt bereits rund ein Drittel der gesamten IT-Ausgaben in die IT im Fahrzeug, beispielsweise ins Infotainment beziehungsweise in die IT im Umfeld des Fahrzeugs. Dieses Verhältnis wird sich zukünftig noch weiter verschieben. Sieht man sich Toyotas ConceptCar Fun-Vii an, bei dem die Karosserie und selbst Teile der Fahrzeuginnenflächen als Bildschirm verwendet werden können, erhält man einen Vorgeschmack auf dass, was wir zukünftig im Bereich der Personalisierung erwarten dürfen.
Der Fun-Vii, auf der Tokio Motorshow 2011 vorgestellt, zeigte im Rahmen des Diji Konzepts auf, wie zukünftig Fahrzeuge, Menschen und Gesellschaft verbunden werden können. Wer die diesjährige CES in Las Vegas beobachten konnte, der hat gesehen, dass nahezu jeder Monitor-Hersteller papierdünne, biegsame Displays im Angebot hat. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Kosten für diese Form der Karosserie-Oberflächen günstiger werden als die klassische Lackierung.
Bereits heute kommen erste Serienmodelle auf den Markt, die sich anstelle vieler Instrumente mit einem Touchscreen in der Mittelkonsole begnügen. Die Software-gesteuerten Bedienelemente können sich jederzeit der aktuellen Fahrsituation anpassen; so werden beispielsweise bei kritischen Verkehrssituationen Komfort- und Unterhaltungselemente zugunsten von Sicherheitsanzeigen ausgeblendet.
Einbinden von Cloud-Diensten
Mobilität wird eine neue Dimension erreichen. Erste Hersteller binden in die Routenplanung auch alternative Verkehrsmittel ein. Dazu gehören ÖNV-Angebote genauso wie konzerneigene Car-Sharing-Angebote. Die biometrischen Daten des Fahrers, seine Kommunikationsparameter, Designeinstellungen der Head Unit und die persönlichen Mediadaten werden in der OEM-eigenen Cloud abgelegt. So ist es leicht vorstellbar, dass ein Mietwagen, insofern er aus dem gleiche Konzern kommt, auf Knopfdruck das persönliche Environment des eigenen Fahrzeuges bietet.
Auch an der Bedienung des Autos über eine Smartwatch am Handgelenk arbeiten viele OEMs. Die Uhr kann genutzt werden, um zum Beispiel die Navigation nach der Fahrt für den Fußweg zu nutzen, um den Status des Fahrzeuges von überall aus abzurufen oder um es zukünftig in einem Parkhaus, in dem Autos ihren Parkplatz selbständig anfahren und autonom vorfahren zu lassen.
Was so fantastisch klingt, stellt für die IT des OEM unter Umständen eine große Herausforderung dar. Die heutigen Datencenter sind in der Regel auf die kommenden Anforderungen nicht gut genug vorbereitet. Sie sind nicht dafür konzipiert, das viele tausende von Endkunden 24/7 gleichzeitig darauf zugreifen. Dazu sind die Infrastrukturen in der Regel zu komplex und somit nicht flexibel und skalierbar genug.
Kommt beispielweise ein neues Fahrzeugmodell auf den Markt und plötzlich erzeugen und senden tausende von zusätzlichen Nutzern ständig Daten, benötigt man für eine angemessene Betreuung eine Support-Infrastruktur mit Service Hotlines, Ticket Systemen etc. Auch das permanent wachsende Datenvolumen, das unter Umständen an mehreren Standorten parallel vorgehalten werden muss, ist eine nicht zu unterschätzende Komponente. Nicht zu vergessen ist das Konfigurationsmanagement, denn die Software-Stände von Fahrzeugen müssen über viele Jahre vorgehalten werden.
Kompetenzen der IT-Organisation
Natürlich haben die zentralen IT-Organisationen auch etwas in die Waagschale zu werfen: Kenntnisse von Hardware- und Software-Architekturen, Software-Entwicklungskenntnisse und die notwendigen Qualitätssicherungsprozesse. Auch das Identity-Management gehört zu den Kompetenzen der IT-Organisation und wird in der Fahrzeug-IT benötigt, um beispielsweise zu klären, wer gerade am Steuer sitzt - der Eigentümer, ein Leasingnehmer, derjenige auf den das Fahrzeug zugelassen ist oder irgendjemand anderes. Daraus ergibt sich wiederum die Frage, was darf diese Person jeweils herunterladen, nachkaufen oder anpassen?
Ebenfalls zum Standardportfolio einer IT-Organisation gehören heute der Aufbau und Betrieb einer privaten Infrastruktur sowie Erfahrungen im Umgang mit Public-Cloud-Angeboten. Und zu guter Letzt gehört auch das Vendor Management - der Umgang mit Anbietern von Hardware, Software und Dienstleistungen wie Outsourcing - zu den Kernkompetenzen einer IT-Organisation. Unter dem Begriff "THE NEW TECHNOLOGY STACK" hat Prof. Michel E. Porter von der Harvard Business School in der Ausgabe 12/2014 des Harvard Business Manager Magazins eine Musterarchitektur für Smart Connected Devices - zu denen auch ein Auto gehört - veröffentlicht. Neben dem Smart Produkt selber (Hardware und Embedded Software), der Kommunikation, Schnittstellen zu externen und internen Datenquellen sowie einem ganzheitlichen Identity- und Security-Management zeichnet sich die Architektur durch eine sogenannte "Product Cloud", in diesem Fall einer "Vehicle Cloud", aus.
Vehicle Cloud und Data Lake
Die Vehicle Cloud besteht aus mehreren Komponenten, dazu gehört zum Beispiel eine Product Data Base. In dieser Data Base werden alle Daten gesammelt, die die Fahrzeuge erzeugen und senden. Ergänzend dazu werden Daten aus externen und OEM-internen Quellen hinzugezogen.
Das wir hier nicht über eine klassische Datenbank sprechen ist offenkundig. Es geht hier vielmehr um einen Data Lake, das heißt, eine Kombination aus Werkzeugen für die Speicherung und Auswertung von historischen Daten, wie zum Beispiel den gefahrenen Strecken sowie von Realtime-Daten, wie zum Beispiel der aktuellen Verkehrssituation. Im "Application Layer" findet man alle Komponenten, auf deren Basis agile Cloud-Anwendungen entwickelt und betrieben werden können.
Insbesondere Angebote aus dem Bereich Open Source sind hier zu nennen, denn die Lizensierungs- und Supportkonditionen von kommerziellen Produkten würden die Entwicklungs- und Betriebskosten um ein vielfaches übersteigen. Im "Rules & Analytics Engine Layer" findet man die Algorithmen, mit denen Datenbestände analysiert werden. Im "Smart Product Application Layer" sind die zugehörigen Anwendungen.
Hybrid Cloud für die Vehicle Cloud
Empfehlenswert ist der Aufbau der Vehicle Cloud als sogenannte Hybrid Cloud. Das Charakteristikum der Hybrid Cloud ist, dass sie sowohl Public als auch Privat Cloud-Komponenten enthält. Ressourcen können beliebig geteilt und Anwendungen beliebig verschoben werden. Die IT-Abteilung des OEM kann mit einem kleinen Privat Cloud-Anteil beginnen und Ressourcen und Anwendungen, die beim Public Cloud Betreiber liegen, schrittweise "insourcen".
Umgekehrt können zur Bewältigung von Spitzenlasten, wenn beispielsweise eine neue Modellreihe auf den Markt gebracht wird, Ressourcen aus der Public Cloud mit eingebunden werden. Auch ein permanenter Mixbetrieb ist denkbar. In diesem Fall würden fahrzeugnahe Anwendungen und Daten in der Privat Cloud liegen und mehr auf Komfort oder Unterhaltung ausgerichtete Anwendungen und Daten in der Public Cloud.
Flankiert wird die Vehicle Cloud durch OEM-interne Datenquellen wie zum Beispiel dem CRM, aus dem unter anderem zu entnehmen ist, wofür sich der Kunden interessiert. Zu nennen sind auch Datenbanken für die Fahrzeugkonfiguration, aus denen hervorgeht, was in dem produzierten Fahrzeug tatsächlich verbaut wurde sowie Aftersales-Anwendungen mit der detaillierten Liste von Fahrzeugmängeln und vorgenommen Wartungsarbeiten.
Die externen Datenquellen sind nahezu unendlich. Sie reichen von Wetterdaten, über detaillierte Verkehrsinformationen bis hin zu Daten, die der Fahrer via Social Media preisgibt und die zum Beispiel Hinweise auf dessen anstehenden Freizeitaktivitäten geben.
Identity- und Security-Management
Sehr wichtig ist das durchgängige Identity- und Security-Management. Jede Schnittstelle ist aus Security-Gesichtspunkten betrachtet eine mögliche Schwachstelle und muss spezifisch abgesichert werden. Wie kann verhindert werden, dass ein Fahrzeug unerlaubt genutzt wird? Wie kann verhindert werden, dass jemand unerlaubt eine Identität nutzt und sich in der Vehicle Cloud anmeldet? Wie kann verhindert werden, dass Anwendungen korrumpiert werden? Wie kann die Kommunikation zwischen dem Fahrzeug und der Vehicle Cloud abgesichert werden? Das sind nur einige der kritischen Fragen, die sich stellen und mit denen sich die Security-Bereiche der IT-Organisationen bereits durch den BYOD-Trend auseinandersetzen.
Wie keine andere Architektur versetzt die Hybrid Cloud die IT-Organisation eines OEM in die Lage, selbst zum Betreiber des Vehicle Backends zu werden. Das Management der Fahrzeugdaten wird in naher Zukunft die gleiche Bedeutung haben wie die Entwicklung eines verbrauchsarmen und leistungsstarken Motors. Die Aktivitäten von Apple, Google und neuerdings auch Uber können als Indiz dafür gesehen werden.
Die Unternehmens-IT wird zum elementaren Teil des Produkts, als die Organisation, die die Daten sicher sammelt, verwaltet, analysiert und anderen Organisationen zum Zwecke der Produkt- und Prozessverbesserung sowie den Kunden in Form von neuen mehrwertigen Services zur Verfügung stellt. (cvi)