Im Dezember 1835 zuckelte die erste Lokomotive von Nürnberg nach Fürth. Seitdem legen Generationen von Eisenbahnern ihre Gleise. Technische Revolutionen verlaufen in der IT-Welt zwar etwas schneller - aber ganz ohne Inkubationszeit geht es immer noch nicht. Das wird deutlich, wenn man sich die eher drögen Prognosen der Analysten für 2013 vor Augen führt. Vor einem Jahr schon machten die IT-Experten in größter Einmütigkeit vier Mega-Trends aus, die die Richtung vorgeben: Cloud Computing, Mobile IT, Social Media und Big Data. Und weil dieser Wandel so fundamental ist, beherrschen diese Großtrends auch die Vorhersagen für das kommende Jahr. Mit äußerster Konsequenz reflektiert Forrester Research diese Lage. Vor einem Jahr veröffentlichten die Analysten eine Liste mit jeweils zehn Technologie- und Business-Trends bis 2014. Weil diese immer noch Gültigkeit hätten, spart sich Forrester dieses Jahr den Blick in die Glaskugel.
Auch IDC kramt erneut seine These hervor, dass sich auf Basis von Mobile Computing, Cloud-Diensten, Social Networking und Big-Data-Analytics eine "dritte Plattform" entwickle. Für 2013 erwartet IDC, dass beim Übergang einen Gang hochgeschaltet wird. "Von 2013 bis 2020 werden diese Technologien für rund 90 Prozent des gesamten Wachstums am IT-Markt verantwortlich sein", sagt IDC-Analyst Frank Gens. "Unternehmen, die nicht 80 Prozent oder mehr ihrer Wettbewerbskraft in diesen neuen Markt einbringen, werden im Legacy-Bereich des Marktes hängen bleiben und sogar langsamer wachsen als das weltweite BIP."
Wachstum von 5,7 Prozent in der IT
Gens sagt für 2013 ein vor allem von neuen Märkten getragenes Wachstum des IT-Weltmarktes um 5,7 Prozent auf 2,1 Billiarden US-Dollar voraus. Wichtigster Treiber seien Smartphones, Tablets und eReader. Weil immer mehr Menschen Smartphones oder Tablets als primären Internet-Zugang nutzten, werde sich die Akzeptanz von "Mini-Tablets" mit weniger als acht Zoll weiter verstärken. IDC erwartet, dass dieses Segment bis zu 60 Prozent aller im Jahr 2013 ausgelieferten Tablets stellen wird. Microsoft und RIM prophezeit Gens ein kritisches Jahr. Beide Anbieter müssten bei den Entwicklern mobiler Apps mehr Interesse wecken, um die Zahl der Apps für die Geräte mit ihrem jeweiligen Betriebssystem zu vergrößern. "Schaffen sie das nicht bis Ende 2013, wird das vermutlich ihren Niedergang in diesem Markt einläuten", so IDC. Währenddessen würden Hardware-Hersteller wie Samsung zum Schutz vor der Android-Marktdominanz Betriebssystemoptionen unter anderem mit Linux/Tizen ausloten.
Von einem harten Kampf auf dem Mobile-Device-Markt geht auch Gartner aus. Microsoft werde mit Windows 8 voraussichtlich den dritten Platz hinter Google Android und Apple iOS erobern. Die Konsumerisierung bedeute für die IT-Abteilung, dass sie weder den Gebrauch von iPhones unterbinden noch den Einstieg der User in Windows 8 verhindern könne. "Firmen werden eine größere Vielfalt an Formfaktoren unterstützen müssen, was die Möglichkeit zur Standardisierung von PC- und Tablet-Hardware vermindert", so Gartner-Analyst David Cearley.
Collaboration wird zum wichtigsten Mobility-Trend
Die Ära mit Windows als alleine dominierendem Betriebssystem neige sich dem Ende zu. Nach Einschätzung von Stephan Kaiser, Analyst bei PAC, ist Mobile Collaboration der wichtigste Mobility-Trend im kommenden Jahr. "Das Ziel ist eine bruchstellenlose und Device-unabhängige Kommunikation", erläutert Kaiser. "Die Kür ist die vollständige Integration der unterschiedlichen Plattformen und Endgeräte."
Bei der Entwicklung von Mobile Apps geht Gartner davon aus, dass weiterhin ein halbes Dutzend Tools zum Einsatz kommen wird. "Langfristig wird es eine Verschiebung von nativen Apps hin zu Web Apps geben - in dem Maße, in dem HTML5 leistungsfähiger wird", sagt Cearley. „Dennoch werden die nativen Apps nicht verschwinden, und sie werden immer das beste User-Erlebnis und die ausgereiftesten Features bieten.“ Entwickler müssten sich im kommenden Jahr darauf einstellen, Touch-optimierte mobile Apps möglichst geräteunabhängig zu liefern.
Einig sind sich Gartner und PAC darin, dass App Stores ein bestimmender Trend für 2013 sind. Weil immer mehr Anbieter ihre Stores auf ausgewählte Geräte und Apps beschränkten, bauen laut Gartner Unternehmen eigene Stores für die Versorgung ihrer Mitarbeiter mit Apps auf. "Mit den Enterprise App Stores wandelt sich die Rolle der IT vom zentralen Planer zum Markt-Manager, der Governance- und Brokerage-Dienste für die User erbringt und möglichst ein ganzes Ökosystem zur Unterstützung von App-Neuentwicklungen vorhält", so Cearley. Stephan Kaiser von PAC zählt die Entwicklung von B2B-App Stores in Kombination mit einer eigenen Cloud Infrastruktur zu den aktuell gewichtigsten Innovationen. "Der Clou ist dabei, in einer zentralen Unternehmens-Cloud sowohl Standard-SaaS-Lösungen als auch Eigenentwicklungen vorzuhalten", erläutert Kaiser das Konzept.
Der B2B-Marktplatz für Apps ist einer von mehreren Top-Trends, die direkt das Cloud Computing betreffen. Im Feld der SaaS-basierten Software-Betankung wachsen nach Ansicht von PAC demnach traditionelle Einsatzgebiete wie Collaboration, Unified Communications oder CRM bis hin zu ganzen ERP-Systemen. "Außerdem erleben wir eine Transformation des klassischen Outsourcing-Geschäftes, das immer mehr in der Hosted Private Cloud aufgeht", so Kaiser. "Das ist eine ganz logische Entwicklung, weil der Kunde so größere Flexibilität erhält." Die Experton Group nennt als wichtigste Aufgabe der kommenden Jahre die Verbesserung des Process-Know-hows sowie Innovationsthemen. Als Gegenstück müsse der CIO die Sourcing-Strategie unter Berücksichtigung von Trends wie Cloud, SaaS, BPO und Commodisation komplett neu überarbeiten und eine längerfristige Roadmap dazu entwickeln, erläutert Experton-Analyst Andreas Zilch.
IDC erwartet für die kommenden 20 Monate im Segment Cloud Computing Übernahmen im Wert von mehr als 25 Milliarden Dollar, da die Dienste aus der Wolke ins Zentrum von immer mehr Herstellerangeboten rücken. "Die Anbieter von paketierten Applikationen wie IBM, Microsoft oder Oracle werden selbst zu SaaS-Providern", erläutert Frank Gens. "Damit treten sie zunehmend in Konkurrenz zu den reinen SaaS-Dienstleistern wie Salesforce.com oder Workday."
Zudem erwartet IDC eine regelrechte Explosion der PaaS-Angebote. Der Markt bewege sich innerhalb des Software-Stacks nach oben, "horizontale" PaaS würde durch Plattformen auf der Grundlage von Open-Source-basierten Infrastrukturen zum Massenprodukt. "Im Bereich der branchenspezifischen PaaS werden auf Cloud basierende Shared-Service-Umgebungen entsprechend den Anforderungen einzelner Branchen angepasst", so IDC. "Zusätzlich werden auf einzelne Wirtschaftszweige spezialisierte Lösungsentwickler eine Reihe von Mehrwertdiensten und -lösungen auf diesen Plattformen entwickeln und ausrollen."
Beispiele für die aufstrebenden branchenspezifischen PaaS seien unter anderem die NYSE-Capital-Markets- Community-Plattform bei Finanzdienstleistungen, verschiedene Plattformen zum Austausch von Gesundheitsinformationen oder der Panoptix App Marketplace von Johnson Controls für smarte Energie. Diesem PaaS-Optimismus von IDC steht übrigens nicht wirklich entgegen, dass Forrester-Analyst James Staten kürzlich im hauseigenen Blog deftig den "Tod" von PaaS ankündigte. Sterben sieht Staten das herkömmliche PaaS, die Zukunft gehöre hingegen einem um Infrastruktur-Komponenten erweitertem PaaS+ - das passt also durchaus zur IDC-Deutung.
Social Media im Business
Social Media ist laut PAC 2013 vor allem im B2B-Kontext als Social Business relevant. Analyst Kaiser berichtet, dass insbesondere die Möglichkeiten der Social Collaboration durch interne Wikis, Blogs und andere Kommunikations-Tools ausgelotet werden. Eine Reihe von Anbietern versuche, diese Entwicklung in Richtung Zero E-Mail - also interner Abschaffung der elektronischen Post - zu drängen.
IDC prognostiziert, dass die Anbieter von Unternehmenssoftware ihre App-Transformation durch Zukäufe bei Social-Technologien weiter verfolgen werden. "Man kann darauf warten, dass Microsoft seine Angebote für CRM/Kundenzufriedenheit durch den Zukauf einer Social-Management-Plattform wie GetSatisfaction oder Lithium aufwertet", vermutet Gens. Ebenso stehe zu erwarten, dass Oracle seine Bemühungen beim Aufbau eines Social Networks für Unternehmen einstellt und stattdessen ein robusteres Tool mit bereits bestehender Kundenbasis dazukauft. "Gleichzeitig werden die Unternehmen beim Übergang von der Experimentierphase zur Integration mit einem Wildwuchs bei den Enterprise Social Networks zu kämpfen haben", so IDC.
Obwohl eine CIO.de-Umfrage kürzlich eine weitreichende Zurückhaltung auf Anwenderseite beim Hype-Thema Big Data zutage förderte, haben die Analysten den Trend zur Analyse großer Mengen auch unstrukturierter Daten weiter auf der Liste. PAC-Analyst Kaiser gibt zu bedenken, dass das Thema aktuell vor allem in Großunternehmen virulent sei, im Mittelstand aber weithin noch nicht. Big Data sei außerdem in Zusammenhang mit dem großen Interesse an In-Memory-Technologien wie der HochgeschwindigkeitsdatenbanktechnologieSAP HANA zu sehen.
Neben Big Data gebe es - diesmal tatsächlich vom Interesse vieler Kunden getrieben - aktuell einen großen Bedarf, die geschäftlichen Möglichkeiten von Business Intelligence und Business Analytics endlich auszuschöpfen. Gartner führt strategisches Big Data, Actionable Analystics und In Memory Computing jeweils separat in seinen Top Ten. IDC erwartet bei Big Data, dass Vorhersageanalysen in den kommenden Monaten zu einem besonders heißen Thema werden. Die Investitionen in Big-Data-Technologien und -Services werden laut IDC 2013 auf fast zehn Milliarden Dollar steigen.
PAC hat auch weniger sexy klingende Themen auf seiner Trendliste, Application Management Services oder Standardisierung beispielsweise. "Der Wildwuchs aus Legacy-Silos ist noch keineswegs überall beseitigt", sagt Analyst Kaiser. Beim Dauerbrenner IT-Sicherheit liege der Fokus aktuell auf Cyber-Security. Während inzwischen schon Abgesänge aufBYODformuliert werden, bringt IDC die Karte bei der Sicherheit ins Spiel: "Bring Your Own Identity" (BYOID) heißt der neueTrend. "Die Anbieter von Security-Software und IT-Abteilungen werden damit beginnen, Facebook, Google sowie andere Identitätsdienste in sozialen Netzen und Endkunden-Clouds als Kernstücke ihrer Umgebungen zum Identitäts-Management zu nutzen", erläutert Frank Gens. "So erhalten sie die Möglichkeit, das Identitäts-Management über die Unternehmensgrenzen hinweg auch auf Kunden, Partner und potenzielle Neukunden auszuweiten."
Konvergente Systeme werden immer mehr Wirklichkeit
Dass alle Trends miteinander verwoben sind, hatten die Analysten vor einem Jahr schon betont. In IDC-Diktion heißt das, dass die "dritte Plattform" - also konvergente Systeme ausServer, Storage, Netzwerksystemen und der entsprechenden Management-Software - immer mehr Wirklichkeit werden. "Anwendungsszenarien für Rechenzentren und für Cloud-Anbieter kommen an den Markt und werden umgesetzt", so die Analysten. Der zunehmende Einsatz mobiler Geräte und Apps sowie die Migration in Richtung SaaS und branchenspezifischer PaaS brächten tief greifende Änderungen in den Rechenzentren und IT-Organisationen mit sich. Und das wird sicherlich rasanter abgehen als damals die erste Dampflokomotive.