Machiavellis Glaubenssätze, die der Politiker und Philosoph Anfang des 16. Jahrhunderts in seinem Standardwerk "Der Fürst" niederschrieb, wurden schon höchst unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen in Buchform anempfohlen. Es gibt Machiavelli für Manager, Machiavelli für Aufsichtsräte, Machiavelli für Forscher, natürlich Machiavelli für Frauen und sogar Machiavelli für Mädchen.
Da wurde es vielleicht einfach Zeit, dass auch CIOs ihren eigenen Machiavelli-Werkzeugkasten bekamen. Zusammengestellt hat ihn Gartner-Analystin Tina Nunno unter dem schönen Titel: "The Wolf in CIO's Clothing: A Machiavellian Strategy for Successful IT-Leadership".
Die Empfehlungen der Autorin basieren, wie Gartner im Pressetext schreibt, auf Nunnos Arbeit mit CIOs und auf ihrer Bewunderung für Niccolo Machiavelli. Der Philosoph, Diplomat und Politiker aus Florenz arbeitete jahrelang als Staatssekretär und Diplomat, er verhandelte mit Königen und Päbsten (zu seinen Lebzeiten gab es nacheinander neun davon), führte eine Heeresreform durch, feierte militärische Erfolge.
Was in Machiavellis Buch "Vom Fürsten" steht
Bis heute berühmt ist er aber wegen seines bekanntesten Buches "Il Principe", zu Deutsch "Der Fürst" von 1513. Vereinfacht gesagt handelt es sich dabei um eine Anleitung für nach Macht und Erfolg strebende Politiker. Nach Ansicht von Machiavelli müssen ihnen alle Mittel recht sein, wenn es darum geht, Ruhe und Frieden in ihrem Land herzustellen. Dabei sollte ein Fürst zwar bemüht sein, als barmherzig zu gelten und nicht als grausam. Wenn das aber - warum auch immer - nicht geht, so ist es nach Ansicht des Florentiners immer noch besser, ein Image des Grausamen zu haben als eines des Schwächlings, der verachtet wird.
Machiavelli war fest davon überzeugt, dass die Menschen im Allgemeinen falsch, undankbar, wankelmütig und feige sind: In guten, erfolgreichen Zeiten solidarisch mit ihrem Herrscher inklusive glühender Treueschwüre, würden sie ihm in schlechten Zeiten schnell den Rücken zuwenden. Abhalten ließen sie sich von solcher Treulosigkeit nur durch die Angst vor seinen Grausamkeiten.
m Falle eines Aufstands rät Machiavelli dazu, schnell und konsequent die Rädelsführer zu opfern. Das sei allemal besser, als dass alles im Chaos versinke. Machiavelli, der sich auch intensiv mit PR-Strategien beschäftigte - auch wenn es diesen Begriff im 16. Jahrhundert natürlich nicht gab - rät aber auch, bei Gewaltanwendung immer einen triftigen Grund mitzuliefern.
Ein Missverständnis
Die Auseinandersetzungen über und die Kritik an seinen Thesen sind fast so alt wie Machiavellis Buch selbst. Fast alle, die sich auf ihn beriefen, lasen "Il Principe" als eine Art Anleitung zu Grausamkeit, Egoismus und Rücksichtslosigkeit. Dabei schrieb der deutsche Politiker und Staatsrechtler Carlo Schmidt schon 1956: "Wer glaubt, Machiavelli sage, Politik könne man nur mit Gift und Dolch, Lüge und Verbrechen machen, hat ihn gründlich missverstanden."
Der Wolf als Vorbild für CIOs
Tina Nunno von Gartner beschäftigt sich vor allem intensiv mit den von Machiavelli geliebten Mensch-Tier-Vergleichen, um zu erläutern, wie genau sich CIOs den Autor zum Vorbild nehmen sollten. "Sie sind entweder Jäger oder Beute, und das Tier, dem Sie am meisten gleichen, definiert ihre Position innerhalb der Nahrungskette." Ein gutes Vorbild für CIOs ist ihrer Meinung nach der Wolf, "ein soziales Wesen mit starkem Jagdinstinkt."
Tina Nunno glaubt, dass IT-Verantwortliche sowohl die Fähigkeit haben müssen, mit Machtspielen und Manipulation zu jonglieren, als auch die Kriegskunst beherrschen sollten, zum Beispiel indem sie Kampagnen entwickeln, die sich sämtlicher Waffen in ihrem Arsenal bedienen mit dem Ziel, große Gruppen von Kollegen hinter sich zu bringen." Nach Ansicht der Gartner-Analystin sollten sich CIOs unbedingt daran gewöhnen, Machtpolitik zu betreiben, denn Macht sei, weise eingesetzt, ein unabdingbares Führungsinstrument.
Eine Zusammenfassung der Lehren ihres Buches liefert Tina Nunno selbst: "Die Gedanken Machiavellis waren zwar schon immer aktuell, aber heute sind sie es vielleicht noch ein bisschen mehr als sonst. Der Druck, der auf CIOs lastet, ist enorm, ständig gibt es Bedrohungen, aber auch Chancen, die aus ganz unterschiedlichen Teilen des Unternehmens kommen. Anhänger Machiavellis wissen, dass es in punkto Führung keinen sicheren Mittelweg gibt. Indem er auch für Extreme offen ist, kann ein Wolf-CIO dazu beitragen, ein dunkles Geschäft auf die Licht-Seite zu führen." ("....can help bring a dark enterprise to the light side.")
Gewagte Thesen der Autorin
Abgesehen von der Tatsache, dass sich dem Autor dieser Zeilen der Sinngehalt des letzten Satzes auch nach wiederholtem Lesen nicht erschließen will, hält er die gartnerschen Gleichsetzung zwischen Machiavellis Fürst und einem CIO für mehr als gewagt.
Erstens leben wir nicht an der Schwelle zwischen 15. und 16. Jahrhundert, sondern in Zeiten des www und der Netzwerke. Gefolgschaft und Macht entsteht heute zum Glück nicht mehr nur durch Intrigen und andere Ritterspiele, sondern durch Reputation.
Zudem muss die Frage erlaubt sein, ob wir es nicht genau jenem von Gartner empfohlenen Wolfsverhalten verdanken, dass die Frustration und Gleichgültigkeit in Deutschlands unternehmen immer neue Höchststände erreicht. Nur noch 15 Prozent der Arbeitnehmer, so das Ergebnis einer breit angelegten Gallup-Studie, identifizieren sich mit den Zielen ihres Arbeitgebers.
Im Gegenteil: Machiavelli überlebte durch Anpassung
Auch ein Blick auf Machiavellis Biografie macht die Sache nicht überzeugender, im Gegenteil. "Il Principe" schrieb er zu einem Zeitpunkt, als er alle Macht und Geld verloren hatte und zutiefst verbittert über seine Ausbootung im Exil lebte. Jene klugen Ratschläge also, die heute ständig wiederentdeckt werden, halfen ihrem Schöpfer selbst nicht dabei, seine Macht zu erhalten.
Dass er die Krise überstand und am Ende seines Lebens sogar wieder ein Amt in Florenz bekleiden durfte, verdankte er statt dessen schlichter Anpassung: Schon "Der Fürst" war nach Ansicht von Experten gewissermaßen ein Bewerbungsschreiben auf einen neuen Job bei den von Machiavelli jahrelang bekämpften, an die Macht in Florenz zurückgekehrten Medici gewesen.
Nachdem die von seinen politischen Ratschlägen nichts wissen wollten, Machiavelli aber als Vater von sechs Kindern dringend Geld brauchte, schrieb er im Auftrag von Kardinal Giulio de’ Medici gegen Honorar die Geschichte seiner und ihrer Heimatstadt auf.
Dass zu jeder Führungsaufgabe auch ein gewisses Machtbewusst gehört sowie die Fähigkeit, bei Bedarf andere zu manipulieren, steht außer Frage. Das gilt aber nicht exklusiv für CIOs, sondern für sämtliche Manager. Die Mensch-Tier-Vergleiche mit Wölfen, Löwen oder Füchsen sind sicher gut für reißerische Schlagzeilen und ein bisserl Erregung, gehören aber doch eher ins 16. Jahrhundert.
"Schmeichler muss man meiden"
Wer sich die Bewertungen des E-Books bei Amazon ansieht, den beschleicht zudem der leise Verdacht, dass Gartner selbst nicht restlos von seiner Wirkung auf Externe überzeugt ist. Warum sonst versucht das Unternehmen, dem Erfolg auf etwas ungelenke Weise nachzuhelfen? Von den sechs durchweg positiven Rezensionen stammen drei von aktuellen und eine von einem ehemaligen Gartner-Kollegen Tina Nunnos. Lediglich einer von ihnen bekennt sich offen dazu. Wie lautete doch der Titel des 23. Kapitels von Machiavellis "Il Principe": "Schmeichler muss man meiden."