Digitalisierung und Führung

Die Mitarbeiter machen einfach

14.07.2016 von Christiane Pütter
Was hat Digitalisierung mit Unternehmenskultur zu tun – diese Frage beantworten ein traditionsreicher Konzern wie die Deutsche Bahn, ein digital-affines Unternehmen wie T-Systems Multimedia Solutions und der mittelständische Familienbetrieb Hettich ganz unterschiedlich.
  • Die Deutsche Bahn setzt auf Startups
  • Peter Klingenburg von T-Systems Multimedia Solutions sieht sich als Erzieher gefragt
  • Bei Hettich kann jeder Mitarbeiter über eine digitale Plattform den Chef selbst ansprechen
Wer seinen Mitarbeitern die gewünschten Technologien nicht bereitstellt, riskiert, dass sie "einfach machen".
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"Digitalisierung der Produkte betrifft das eine Unternehmen mehr, das andere weniger. Aber Digitalisierung und Führung betrifft alle", sagt Peter Klingenburg, Managing Director bei T-Systems Multimedia Solutions. Jeder stelle Mitarbeiter ein, die Facebook nutzen. Zum Zusammenhang zwischen digitaler Transformation und Firmenkultur haben wir beispielhaft drei Unternehmen befragt, die jeweils für einen bestimmten Typus stehen. Da sind der alteingesessene Konzern, das digital-affine Unternehmen und der Mittelständler.

"Jeder kann sich an Dr. Hettich wenden"

Ein lustig "Kuckuck" war in den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts der letzte Schrei. Wer auf sich hielt, hängte eine Schwarzwälder Kuckucksuhr ins Biedermeier-Wohnzimmer. Karl Hettich hörte den Ruf - und die Kassen klingeln. Mit einer selbst entwickelten Maschine mechanisierte er 1888 die Produktion von Ankerhaken für den tickenden Wandschmuck. Heute zählt die Hettich Holding zu den weltweit führenden Herstellern von Technik für Möbel, produziert also Scharniere, Schubkastensysteme und Ähnliches.

Fragt man Norbert Günther, CIO bei Hettich, rund 130 Jahre später nach seiner Visitenkarte, muss er erst einmal suchen. "Von uns finden Sie nichts auf Papier", entschuldigt er sich. Das Unternehmen aus Kirchlengern (25 Kilometer nördlich von Bielefeld) geht mit der Zeit. Rund 6.000 Menschen arbeiten in 100 Ländern für den Familienbetrieb, den heute der junge Andreas Hettich führt. Er weiß Digitalisierung zu nutzen.

"Anfang 2016 haben wir flächendeckend eine Kollaborationsplattform eingeführt", berichtet Günther, "jeder Mitarbeiter kann sich an Dr. Hettich wenden." Das funktioniert, sagt der CIO. Damit ist der Familienbetrieb ein praktisches Beispiel für das theoretische Paradigma von der Vorbildfunktion des Vorstands.

Digitalisierung kann auch Angst machen

Günther selbst hat bei der Organisation seines Teams freie Hand. Die Präsenzpflicht für seine IT-Mitarbeiter hat er abgeschafft. Dabei gab es intern durchaus Hürden zu überwinden. Die Kommunikation mit dem Firmenchef ist das Eine, der eigene Arbeitsalltag das Andere. Nicht jedem Mitarbeiter fällt die Umstellung auf Collaboration leicht.

Die Leute hatten eben ihre Ablagesysteme entwickelt und müssen nun lernen, Informationen und Dokumente auf einer virtuellen Plattform abzulegen. "Digitalisierung kann auch erstmal Ängste auslösen", erinnert sich Günther, "vor allem dann, wenn es den eigenen Arbeitsplatz betrifft." Geholfen hat wiederum Kommunikation mit den Arbeitnehmervertretern und das starke Commitment des Vorstands.

Handfeste Vorteile bekommen die Service-Techniker bei Hettich. Smart Watches erklären ihnen, welches Werkzeug sie zu welcher Maschine mitnehmen sollen. Günthers Team feilt gerade an Augmented-Reality-Lösungen. Die könnten es sogar möglich machen, dass einige spezialisierte Werker ihre Nachtschicht tatsächlich vom Home Office aus ableisten können.

Der Gleisarbeiter kann nicht im Home Office arbeiten

"Wer glaubt, dass sich ein Unternehmen, das durch Stahl, viele Anlagen und eine 180-jährige Tradition nicht rasch genug ändern kann, um mit digitalen Veränderungen mithalten zu können, den müssen wir enttäuschen.", verkündet selbstbewusst Martin Kaloudis, CIO und verantwortlich für die Digitalisierung der Infrastruktur der Deutschen Bahn AG.

Etwa 37.000 Kilometer Schiene, eigene Telekommunikations- und Energienetze ziehen sich von Kiel bis Kempten und Dresden bis Düsseldorf. Rund 195.000 Menschen in Deutschland "sind bei der Bahn", weitere 112.000 Mitarbeiter beschäftigt der Konzern im Ausland. Digitalisierung und Personalführung? Hanno Harland, Startup-Manager der Bahn, fördert gemeinsam mit Kaloudis und einem Team die Transformation im Digitalisierungszeitalter. "Nicht alles lässt sich vollständig digitalisieren: Gleisarbeiter können nicht im Home Office arbeiten", so Harland lakonisch. Um gleich anzufügen: "Aber digital unterstützt!"

Sein Unternehmen forciert den Change auf andere Weise. In der Kooperation mit Startups nämlich. Im Bahn-eigenen Accelerator in Berlin Mitte, der DB mindbox, arbeiten Startups und DB-Fachleute eng an Digitalisierungsprojekten zusammen. Sensorik und das Internet der Dinge (Internet of Things beziehungsweise IoT) sind derzeit eines der Schwerpunktthemen.

Andere sind Sharing- und Buchungsplattformen. Die DB war nach eigenen Worten eines der ersten Unternehmen, die mit Flinkster und Call-A-Bike mit Sharing-Angeboten ins Rennen gegangen ist. Schließlich sei Bahnfahren "Sharing-Economy in Reinform", wie Harland postuliert. Sein Haus kooperiert auch mit flinc, einer Mitfahr-App, die die Angebote rund um Flinkster Carsharing, Mietwagen und Call-a-Bike ergänzt. Flinc-Chef Michael Hübls Credo: Eine Stärke der Startups ist ihr Tempo, eine Stärke des Konzerns seine Glaubwürdigkeit - diese Kombination führt beide zum Erfolg. Eine These, die Harland unterstützt.

Wenn Digitialisierung die Arbeit erleichtert

Während aber der junge Hübl seine Apps programmiert, kennt der DB-Manager die Diskussion mit eben jenen Leuten, die den Knochenjob an der Basis machen, Gleisarbeitern zum Beispiel. Harlands Erfahrung: In manchen Bereichen sind feste Arbeitszeiten, -orte und -abläufe nun mal erforderlich, in anderen nicht. Wenn aber Digitalisierung die Arbeit erleichtert, steigt die Motivation zum Change.

So kooperiert die Bahn seit vorigem Herbst zum Beispiel mit dem Startup Senvisys. Das Jungunternehmen arbeitet an einer kabellosen Sensorlösung, die die Position von Zügen und Objekten über Kilometer an den Vibrationen der Gleise erkennen kann. Dem Konzern könnte dieses enorm Geld sparen - aber was bringt es dem Gleisarbeiter? "Er müsste nicht mehr mit schwerem Werkzeug lange Strecken zu schadhafter Technik im Gleis gehen", erklärt Harland. "Und das überzeugt auch die Kollegen, die das Produkt später verbauen und warten würden." Übrigens setzt sich der promovierte Ingenieur auch mal selbst ans Gleis und schraubt einen Sensor an. Sozusagen Eisenbahnerromantik 4.0.

Der digital-affine Konzern organisiert sich selbst

Peter Klingenburg, Managing Director bei T-Systems Multimedia Solutions, muss in seinem Konzernteil der Deutschen Telekom niemanden von den Vorteilen des digitalen Wandels überzeugen. "Wir bieten ja Digitalisierung an", sagt er, "unsere Mitarbeiter sind affin."

"Affin" heißt zum Beispiel, dass Klingenburgs Team sich im Web selbst eine Kommunikationsplattform aufbaut, sollte er keine bereitstellen. "Die Mitarbeiter machen einfach", stellt er fest. Verbieten will er das nicht - sieht sich als Führungskraft aber in der Rolle des Erziehers gefragt. Erziehen heißt, die Mitarbeiter auf ihrem Weg im Unternehmen zu begleiten und bei Ideen und Entscheidungen zu unterstützen.

Und so hat Klingenburgs Führungsverhalten mit Vertrauen zu tun. "Kernarbeitszeiten gibt es im Unternehmen offiziell nicht", sagt er. "Die ergeben sich aber anhand der Kunden und deren Anforderungen. Wenn beim Kunden zum Beispiel dreimal pro Woche alle über Mittag im Büro sind, dann sind unsere Mitarbeiter, die am Kundenprojekt beteiligt sind, zu dieser Zeit ebenfalls da." Und wer etwa für Marketingleute arbeitet, weiß, dass er vor zehn Uhr morgens ohnehin niemanden erreicht. Also organisieren sich die Teams selbst.

Digitalisierung verändert das Image

Dass das Ganze funktioniert, ist für Klingenburg neben der Technologienutzung vor allem eine Frage der Kommunikation. Hier holt auch der Mutterkonzern auf, betont der Director. Ihm gefällt es, dass die Bonner die Plattform "Telekom hilft" eingerichtet haben, auf der Kunden ihren Frust loswerden können oder Antworten auf Fragen und Unklarheiten bekommen. "Viele Verbraucher haben gesagt, so etwas hätten sie der Telekom gar nicht zugetraut", lacht Klingenburg. Positiver Effekt: das Image des Konzerns wandelt sich.