Bizerba setzt auf Service-Lifecycle-Management

Die Rendite liegt im Service

04.11.2008 von Johannes Klostermeier
Es reicht nicht mehr, gute Produkte anzubieten: Services sind gefragt. Beim Hersteller von Waagen- und Industriewägesystemen setzt CIO Andreas Rebetzky deshalb auf Service-Lifecyle-Management-Lösungen.

Wenn bei Bizerba eine Waage immer wieder an derselben Stelle kaputtgeht, gibt es nach einer 360-Grad-Betrachtung viele Besprechungen in der Qualitätssicherungsabteilung. "Wir werten alles aus und berücksichtigen die Erkenntnisse in der Produktion", verspricht CIO Andreas Rebetzky. "Hier können wir uns klar von den Wettbewerbern differenzieren."

Immerhin 30.000 bis 40.000 Ersatzteile stehen beim Hersteller von Ladenwaagen, Kassen sowie Food-Service-Maschinen und Warenwirtschaftssystemen in der Supply Chain bereit. Dieser Variantenreichtum fordert das Unternehmen und seine IT heraus. "Auf die unterschiedlichsten Kundenwünsche eingehen können wir nur durch den effizienten Mitteleinsatz in der IT", betont Rebetzky. "Zurzeit sind wir noch nicht die Service-Company, die wir werden wollen. Wir sind aber mit Nachdruck dabei, den Servicegedanken zu forcieren."

Von einem Leitstand in der Zentrale in Balingen koordinieren Mitarbeiter die Rund-um-die-Uhr-Einsätze von 200 Servicetechnikern in Deutschland; die heute erst teilweise aufgebauten Leitstände in anderen Ländern betreuen die 300 im Ausland tätigen Techniker. Neben dem Hauptsitz in Balingen bestehen Fertigungsstätten in Meßkirch, Bochum und Shanghai. In der Regel sind die Produkte zehn bis 15 Jahre im Einsatz.

Geht es nach PLM-Anbietern, dann soll Service plus IT bald den neuen Bereich SLM ergeben: Service-Lifecycle-Management. Ein Begriff, den Siemens kreiert hat und nun versucht, ihn als eigenständigen Bereich zu forcieren. "Denn im Maschinenbau werden 80 Prozent aller Instandhaltungsaufwendungen bereits durch das Produktdesign bestimmt", sagt Reinhard Hübner, Business Development Manager bei Siemens PLM Software. "Deshalb fragen wir immer als Erstes, wie sich die Serviceaufgaben im Engineering niederschlagen."

Rückmeldungen werden bei Unternehmen mit dieser Servicedenkweise direkt ins System eingestellt und fließen sofort in die Weiterentwicklung ein. Sie sind auch immer informiert, was in ihrer Maschine in Indien eingebaut ist, und haben überall die komplette Service-Dokumentation zur Verfügung.

Services sind aber heute mehr als Wartungsarbeiten nach der Auslieferung. "Sie stehen generell für eine kundenorientierte Arbeitsweise zwischen dem Unternehmen und seinen Kunden und beginnen deswegen bei der Bearbeitung der ersten Anfrage", sagt Klaus Bruchhagen, Solution Consultant beim PLM-Anbieter Dassault Systèmes.

Andreas Rebetzky, Director Global IT, Bizerba: "Wir werden vom Maschinenbauer immer mehr zu einem Software- und Dienstleistungsanbieter. Unsere Waagen sind heute schon Rechner."

Auch wenn Bizerba seine Bemühungen, den Service mit IT zu verbessern, nicht explizit SLM nennt, gehen seine Bemühungen in dieselbe Richtung: menschlichen Service mit automatisierter Informationstechnik zu veredeln. "Wovon wir bei uns ausgehen, ist PLM", sagt Rebetzky, der bei Bizerba jetzt nicht mehr CIO heißt, sondern sich nach einer Reorganisation Director Global Information Technology nennt.

Leitstände versorgen Techniker

Schon heute sind alle Bizerba-Mitarbeiter im Außendienst mittels Windows-Mobile-Pocket-PCs und der inhouse bei Bizerba entwickelten Software "Service Informations System" (SIS) ausgerüstet, zu der der Leitstand die aktuellen Störungsmeldungen der Kunden sendet. Die Techniker können damit vor Ort Ersatzteile bestellen und auf einem beliebigen Fax eine Bestätigung für den Kunden ausdrucken lassen. "Was vor 15 Uhr bestellt wird, wird noch in der folgenden Nacht ausgeliefert und am nächsten Tag eingebaut", verspricht der IT-Chef.

Bei Bizerba trägt bereits jedes verkaufte Gerät eine individuelle Seriennummer. In Zukunft, wenn IT und Service miteinander verzahnt werden, kann der Servicetechniker damit auf dem Laptop das Gerät bereits vom Schreibtisch aus sehen und hat so schon vorab eine genaue Dokumentation in 3-D vor Augen - und auch eine Liste aller bisherigen Störungsmeldungen. Doch noch fehlt Bizerba das passende Front-End dafür.

Stücklisten noch nicht im Griff

Die dafür passende durchgängige Service-Standard-Software für Anlagenbauer möchte Siemens bald liefern. Doch noch sind deren Vorstellungen Zukunftsmusik. Denn es gibt noch keine SLM-Software, sie wird erst entwickelt. Deswegen gibt es auch noch keinen Anwender. Doch SLM-Verkünder Hübner vermutet nach Gesprächen mit Maschinenbauern einen riesigen Markt.

Im Moment, in der alten Zeit sozusagen, müssen die Verantwortlichen bei Bizerba die Servicefälle noch teilautomatisiert auswerten. Doch hofft Rebetzky, seine Statistiken bald automatisieren zu können, "wenn wir das Thema Stücklisten besser im Griff haben". Das soll spätestens 2010 der Fall sein. Dann will die IT im Schlepptau eines weltweiten SAP-Roll-outs das "Service Informations System" mit dem ERP-System verzahnen und damit das PLM-System bis zum Techniker bringen. "Derzeit müssen wir, wenn der Techniker ein Ersatzteil bestellt, dieses erst im gedruckten Ersatzteilekatalog identifizieren. Dadurch, dass das System nicht durchgängig ist, haben wir nicht immer die korrekte Stückliste", berichtet Rebetzky. Auch der Anschluss an das CRM von Microsoft als Ticket-System soll demnächst kommen. Zwischen SIS und CRM soll es dann ebenfalls ein passendes Interface geben.

Der Ruf nach mehr Service auf Kundenseite bei immer komplexer werdenden Produkten führt bei den bisher stark auf ihr Produkt fokussierten Maschinenbauern gerade zu einem Paradigmenwechsel. Das Thema Services wird wegen des steigenden Wettbewerbsdrucks immer wichtiger, weil sich damit neue Einnahmepotenziale ergeben. Hinzu kommt das Argument für alle Controller: "Die Rendite ist im Service höher als im Produktabsatz", sagt Hübner von Siemens. Bei Bizerba beträgt der Serviceumsatz schon heute rund 20 Prozent des Gesamtumsatzes - Tendenz steigend.

Bernd Bienzeisler, Dienstleistungsexperte am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO), überlegt, wie IT und Services zusammenpassen können, denn Services seien halt oft das Gegenteil von Automatisierung. "Service-Lifecycle-Management-Systeme sind auch deshalb eine Forschungsherausforderung, weil es bislang nur schlecht gelingt, Dienstleistungen in Daten abzubilden und in Systemen zu hinterlegen", sagt er. Anders als bei 3-D-Geometrieproduktdaten müssten Unternehmen ihre Serviceleistungen für die Anwendungen erst einmal beschreiben und kategorisieren.

Bei Dienstleistungen im Maschinen- und Anlagenbau geht es aber nicht nur um neue produktbegleitende Services, sondern auch um neue Organisations- und Geschäftsmodelle. "Die Zusammenführung von Services und Produkten führt zu hybriden Wertschöpfungsformen", so Bienzeisler von Fraunhofer. Viele Unternehmen seien auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen mit "Lösungen", um näher an den Kunden zu sein. Das führt oftmals zu völlig neuen Geschäftsbeziehungen zwischen Anbietern und Kunden.

Fernwartung greift in Prozesse ein

Bei neuen Services wie Fernwartungsmodellen wird tief in den Prozess der Leistungserstellung des Kunden eingegriffen. "Sie müssen genau verstehen, was der Kunde macht, und deswegen Informationsschnittstellen zum Kunden schaffen", sagt der Fraunhofer-Experte. Zunehmend werden auch Services zum Produktivitäts-Management angeboten, bei denen Hersteller sich darum kümmern, dass Kunden die gekauften Maschinen optimal einsetzen. Bei Betreibermodellen hingegen kaufen sie keine Maschinen mehr, sondern zahlen nur noch für das Leistungsergebnis. "Das Unternehmen schraubt sich so im Wertschöpfungsprozess nach oben und gibt eine andere Funktion nach unten ab."

Auch bei Bizerba ist so ein Prozess in Gang gekommen: Schritt für Schritt ist das Unternehmen dabei, sich zu wandeln. "Wir werden vom Maschinenbauer immer mehr zu einem Software- und Dienstleistungsanbieter", sagt Rebetzky. "Unsere Waagen sind heute schon Rechner. Es gibt dafür SLAs wie in der IT. Sie können per WLAN angesteuert werden. Wenn die Zentrale merkt, dass Äpfel schlecht laufen, kann sie den Preis aus der Ferne senken. Die miteinander verbundenen Waagen teilen sich dann den neuen Preis gegenseitig mit." Auch die IT steht vor neuen Herausforderungen. "Wir hatten schon Anfragen von Händlern, die wissen wollten, wie sie ihre Waagen vor Viren schützen können", berichtet der CIO. Und wenn es erste SLM-Lösungen geben wird, dann ist Bizerbas IT-Chef, der dann wohl nicht mehr bei einem Maschinenbauer, sondern bei einem Technologieunternehmen arbeitet, sehr interessiert daran, sie auszuprobieren.

Unternehmen | Bizerba GmbH & Co. KG

Sitz

Balingen (bei Stuttgart)

Umsatz

410 Millionen Euro

Mitarbeiter

2800

Geschäfts- felder

21 Gesellschaften in 20 Ländern und 58 Länder-vertretungen; Technologieunternehmen für Systemlösungen der Wäge-, Informations- und Food-Service-Technik

IT-Kennzahlen

CIO

Andreas Rebetzky, Director Global Information Technology

IT-Mitarbeiter

in Balingen 35, weltweit 70

Projekte

weltweiter SAP-Roll-out, weltweite Anbindung SIS (Service Informations System) an SAP, Verbindung SIS-CRM, Einführung integriertes PDM

Anwendungen

SAP, MS CRM, SIS, PDM-System Teamcenter, CAS, 3-D-CAx-System NX, 3-D-Suchmaschine Geolus Search