Das Dilemma bei der Personalführung

"Die volle Kontrolle hat man nie"

21.01.2008 von Michael Freitag und Dietmar Student
Deutschlands Firmenlenker werden immer schneller gefeuert, immer rücksichtsloser aus den Chefetagen gedrängt. CEO-Coach Manfred Kets de Vries spricht im Interview über die Ängste der Manager und erklärt, warum das Hire & Fire nicht nur den Abservierten, sondern auch den Unternehmen schadet.

Herr Kets de Vries, in Ihren Seminaren arbeiten Sie mit Vorstandschefs und anderen Top-Managern. Fühlen diese sich gestresster als früher?

Kets de Vries: Ja, eindeutig. Ihr Leben ist hart. Sie schlafen sehr wenig, sie werden mit Informationen überschüttet. Dafür verdienen sie sehr viel Geld. Der ständige Kampf ums Prestige erhöht den Stress. Es ist auch ein großes Spiel: Was interessiert die Manager auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos? Die Frage, wer es ins erste Hotel am Platz schafft: das "Belvédère", wo auch die Minister und Popstars übernachten.

Was passiert, wenn das Spiel verloren geht und die Vorstandschefs ihren Posten räumen müssen?

Viele machen ungerührt weiter und finden schnell den nächsten Job. Andere, ich habe etliche von ihnen kennengelernt, leiden unter ernsten Depressionen. Die haben ihrem Aufstieg oft alles geopfert. Sie waren nie zu Hause, sie haben ihre Freunde aufgegeben und die Beziehung zu ihren Kindern vernachlässigt. Wenn sie dann auch noch ihren Job verlieren, ist das die totale Katastrophe für sie. Diese Manager versuchen alles, um ihr Amt zu behalten.

Vielleicht hätten sie es besser gar nicht erst angetreten.

Dieses Interview erscheint mit freundlicher Genehmigung von manager-magazin.de.
Foto: manager-magazin.de

Oh, Sie wären überrascht, wenn Sie in einem meiner CEO-Seminare säßen. Etliche Topleute wollen dort herausfinden, ob sie für die Aufgabe überhaupt geeignet sind. Viele haben tatsächlich Angst davor, Nummer eins zu sein. Ich bezeichne das als "Nobelpreis-Syndrom". Diese Manager sind so lange gut, bis sie an die Spitze müssen. Im Hintergrund arbeiten? Super. Nummer zwei oder drei zu sein? Auch gut. Aber Nummer eins? Furchteinflößend.

Warum trauen sich diese überaus sensiblen Manager an die Spitze, wenn sie schon vorher an sich zweifeln?

Sie kennen das doch: Was möchtest du werden, wenn du erwachsen bist? Präsident, Papst, Vorstandschef. Der Ehrgeiz ist fast immer größer als die Angst. Dabei wäre es für manche wirklich besser, Nein zu sagen. Ihnen droht sonst womöglich das "Impostor-Syndrom".

Was ist denn das bitte?

Manche Manager sind nach einer gewissen Zeit an der Unternehmensspitze derart verunsichert und desillusioniert, dass sie unbewusst das Desaster suchen. Sie haben eine Affäre im Unternehmen und riskieren so einen Skandal, sie kaufen Firmen ohne vernünftige Prüfung der Bilanz, sie fordern das Schicksal heraus.

Das sind Extremfälle. Oft sind Top-Manager schlicht Gefangene ihres Umfelds. Kann der Chef einen Konzern mit Zehntausenden Mitarbeitern in zig Ländern überhaupt noch kontrollieren?

Die volle Kontrolle haben Sie nie. Das war früher nicht anders als heute. Aber die Vorstandschefs machen heute immer seltener den Eindruck, als hätten sie ihren Laden im Griff. Sicher hat das auch mit veränderten Rahmenbedingungen zu tun. Die institutionellen Investoren werden aggressiver, die Analysten stören, die Medien schauen genauer hin als früher; und nicht zuletzt: Es wird schneller gefeuert.

Wie reagieren die CEOs darauf?

Sie werden vorsichtiger, meiden Risiken, sortieren mutige Manager aus. Den Schaden hat das Unternehmen. Denn ein Konzern, der keine Risiken eingeht, verspielt seine Zukunft.

Herr Kets de Vries, Sie zeichnen ein sehr tristes, um nicht zu sagen krankhaftes Bild des Manager-Daseins. Wie sieht denn aus Ihrer Sicht die ideale, gesunde Führungskraft aus?

Die blendet Gefühle nicht aus, besitzt ein hohes Maß an emotionaler Intelligenz und kann deshalb auch mit ihren Ängsten und Depressionen umgehen. Sie hat die Fähigkeit zur Selbstkritik und sucht sich gute Nebenleute. Eine Führungspersönlichkeit muss beides können: energisch handeln und genauso energisch über sich selbst nachdenken.