Bruno Schwelling ist auf die Minute pünktlich. Die Uhr im Mannheimer Hauptbahnhof schlägt sechs, als er am vereinbarten Treffpunkt erscheint. Auf den ersten Blick unterscheidet er sich kaum von den Bahnangestellten. Schwellings dunkelblauer Blazer, seine graue Hose und der rot-blau-weiß gestreifte Schlips passen sich nahtlos in die Farbgebung der Eisenbahner ein. Nach einer freundlichen, aber kurzen Begrüßung schreitet der kleine Mann mit der großen Brille voran. Wo sich hier in der runderneuerten Bahnhofspassage ein Interview führen lässt, weiß auch er noch nicht. Doch nach etwa 20 Metern steuert er zielstrebig nach links in eine italienische Kaffeebar. Harte Bistrostühle und ein kleiner, quadratischer Tisch. Platz genug für einen Espresso und seine Visitenkarte, die ihn kurz als "Vorstand Finanzen und Verwaltung" präsentiert.
Dahinter verstecken sich erheblich mehr Aufgaben, als sie andere Verstände verantworten. Neben den Finanzen ist Schwelling für Informationstechnologie, Controlling, Materialwirtschaft, Einkauf, Organisation, Personal- und Sozialwesen zuständig, seit er zu Jahresbeginn an die Spitze der Papierfabrik August Koehler AG im badischen Oberkirch rückte. Nach 33 Jahren im Unternehmen und 16 Jahren in leitender Position hat er damit eines seiner großen Ziele erreicht. "Ich kann mit meinen 56 Jahren noch einmal so richtig was bewegen", erklärt er mit Stolz in der Stimme. Er, der als kleiner Kaufmann begann, dann ein Betriebswirtschaftsstudium absolvierte, sich zum Steuerberater und Wirtschaftsprüfer weiterbildete, um dann bei Koehler Karriere zu machen, darf in einem Alter, in dem andere bereits in Rente gehen, an vorderster Linie noch einmal richtig ran. Vor allem der Masterplan 2005 beflügelt seine Phantasie. "Wenn der Ende 2005 umgesetzt sein wird, wird Koehler, was die IT betrifft, so runderneuert sein, dass wir uns als mittelständische Firma in puncto Kosten mit großen Industrieunternehmen wie BASF messen können." Eine kurze Pause. Dann fügt er hinzu. "Wir werden sogar besser sein."
Der CIO will moderieren und motivieren
"Wir" - damit meint der CIO ein fast 200 Jahre altes Unternehmen. 1807 als Handschöpfbetrieb von Otto Koehler gegründet, zählt die August Koehler AG, die sich in siebter Generation in Familienbesitz befindet, heute zu den führenden Produzenten von Spezialpapieren wie Thermo- und Selbstdurchschreibepapieren. Als einer von drei deutschen Herstellern hat es die Konsolidierung der Branche nicht nur überlebt, sondern ist dabei gewachsen. 530 Millionen Euro setzte es 2003 um. 2008 sollen es 700 Millionen Euro sein.
Um diese Marke zu überspringen, wirkt Schwelling in vielen Rollen. Als Moderator, der den Generationenwechsel an der Führungsspitze über die Bühne bringen soll. Als Motivator, der mehr als 1800 Mitarbeiter zu neuen Ufern bringen soll. "Frischer Wind bei Koehler" hat er sein Programm genannt - ein Titel wie ein Werbeslogan. Schließlich als Innovator, der die Effizienz der Geschäftsprozesse als neues Maß definiert: "Schnell und schlank wollen wir werden. Und der Spezialpapier-Vorstand des Familienunternehmens fügt selbstbewusst hinzu: "Schon jetzt kann uns hier kein Konkurrent das Wasser reichen".
Als CIO fällt ihm eine entscheidende Rolle zu. 1994 übernahm er dieses Amt, obwohl er damals von Bits und Bytes nach eigenem Bekunden nur wenig Ahnung hatte. Dennoch meisterte er gleich sein erstes Großprojekt. SAP verlieh ihm für die Einführung von SAP R/3 sogar den "SAP Award". "Meine größte Leistung damals war sicherlich, nicht SAP an die Organisation von Koehler anzupassen, sondern die Organisation an SAP", erinnert sich Schwelling. Nur 15 IT-Experten hat er den Organisationsspezialisten entgegengestellt. Getreu dem Credo: Wenn die SAP-Experten den geraden Weg für einen Auftragsdurchlauf oder eine Materialbeschaffung in einer Grundversion bereits sauber beschildert haben, warum sollen wir dann einen anderen Weg beschreiten? Anpassungen der IT an die bestehende Organisationsstruktur erlaubt er nur im äußersten Notfall. Schwelling schwört auf Standards.
Das gilt auch für den Masterplan 2005, der alle IT-Systeme der Koehler-Gruppe auf einen Nenner bringen soll. Eine Million Euro fließen in dieses Projekt, in dessen Mittelpunkt SAP R/3 Enterprise steht. Diese Lösung wird andere Branchenlösungen ersetzen, die derzeit noch in Betrieb sind. Von der Anfrage bis zur Abrechnung und von der Lagerverwaltung bis zur Kundenanalyse will Schwelling alle Anwendungen auf diesen Standard hieven. Schon wenn der Lkw vom Hof fährt, so seine Vision, soll das System Auskunft darüber geben können, welcher Erlös in welcher Sparte mit welchem Kunden erzielt wird. Auch ein vollautomatisiertes Zwischenlager für Papierrollen hat er vor dem Hintergrund neuer, technischer Möglichkeiten bereits angedacht, um die Auslieferungsfrist von mehreren Tagen auf 48 Stunden zu verringern.
Hinzu kommt das neue Dokumenten-Management-System, das die Verwaltung von geschäftskritischen Papieren erheblich beschleunigt. Ebenso der Biztalk-Server, der Koehler mit seinen Lieferanten und Kunden elektronisch vernetzt, ihnen beispielsweise Einblick in freie Produktionskapazitäten gewährt und die Auftragsabwicklung durchgängig digitalisiert. Vier von zehn Kundenberatern sollen sich daher schon bald anderen Aufgaben widmen können. Schließlich das Business-Warehouse, das die Effizienz der eigenen Geschäftstätigkeit auf Knopfdruck tabellarisch oder grafisch zum Ausdruck bringt. "Koehler wird in Zukunft noch umfassender durch Kennzahlen gesteuert", sagt Schwelling. "Durch das Business-Warehouse werden wir diese nicht nur dem Vorstand, sondern auch jedem Mitarbeiter direkt zugänglich machen."
"Moderne IT schafft Wir-Gefühl"
Denn Zahlen, beispielsweise in Form von Zielvereinbarungen für Führungskräfte, disziplinieren und motivieren. Schwelling, inzwischen ja auch Personalchef, liebt beides. Disziplin bedeutet für ihn, seine gesamte Konzentration dem einen wohl definierten Ziel unterzuordnen. Das hat er von der Pike auf gelernt. Fast sein ganzes Leben lang arbeitete er Wochenenden und Feiertage durch, um beruflich weiterzukommen.
Motivieren, Vorbild sein, auch das ist ihm eigen. Nicht zuletzt deshalb macht ihm der Masterplan so viel Freude. Schließlich werde hier Neues entwickelt, und Innovation fordere die Menschen heraus, biete die Chance auf ein Erfolgerlebnis. "Eine moderne IT", sagt Schwelling, "schafft selbst in schwierigen Zeiten ein positives Wir-Gefühl." Daher achtet der CIO auch darauf, dass seine Spezialisten bei jedem Projekt die Hauptrolle spielen. Mindestens zwei Drittel der Arbeit schustert er ihnen zu. Externe Berater dagegen hält er an der kurze Leine. "Auch wenn es insgesamt dann manchmal etwas länger dauert."
Die Zeit sieht Schwelling als seinen Verbündeten. 250 000 Euro jährlich will er bei Personal- und Wartungskosten sparen. Der erste Teil des Masterplans würde sich damit innerhalb von vier Jahren amortisieren. Mit dieser Kalkulation im Rücken hat der CIO Anfang Juni Teil zwei gestartet: die Einführung einer neuen Planungssoftware, die insgesamt etwa 1,5 Millionen Euro kosten soll. Und warum die eigenen Erfahrungen nicht auch an andere Unternehmen weitergeben? "Ich kann mir vorstellen, dass es irgendwann eine IT-Tochter von Koehler geben wird, die dieses Know-how anderen Firmen zur Verfügung stellt", blickt Schwelling zum Abschluss des Gesprächs nach vorn. "Aber natürlich erst, wenn wir den Masterplan im eigenen Haus beendet haben."
Frank Grünberg [redaktion@cio.de]