Dienst nach Vorschrift

Ein Viertel hat innerlich gekündigt

28.03.2013 von Christiane Pütter
Die Folge sind Produktivitätseinbußen, die mit bis zu 138 Milliarden Euro zu Buche schlagen. Das behauptet der Meinungsforscher Gallup.

"Engagement Index" nennt das Meinungsforschungsinstitut Gallup seine jährliche Umfrage zur Mitarbeiterzufriedenheit in Deutschland. Die Studie soll über den Grad der emotionalen Bindung an den Arbeitgeber sowie über Engagement und Motivation der Mitarbeiter aufklären. Gallup versteht sich als "Schnittstelle zwischen Ökonomie und Psychologie".

Gallup zählt nur 15 Prozent der Deutschen zu hochengagierten Mitarbeitern.
Foto: Gallup

Für die diesjährige Ausgabe des Engagement Index haben die Berliner Angaben von fast 2200 Arbeitnehmern ausgewertet. Die Ergebnisse seien alarmierend, schreibt Gallup.

Konkret: Knapp jeder Vierte (24 Prozent) hat innerlich bereits gekündigt. Eine Mehrheit von 61 Prozent schiebt bloß Dienst nach Vorschrift und lediglich 15 Prozent der Beschäftigten in Deutschland haben eine hohe emotionale Bindung an ihren Arbeitgeber.

Berater Marco Nink kommentiert: "Die Folgen mangelnder Mitarbeiterbindung für die Leistungsfähigkeit der Unternehmen sind erheblich." Arbeitnehmer ohne viel Engagement zeigten weniger Eigeninitiative, Leistungsbereitschaft und Verantwortungsbewusstsein. Außerdem seien sie häufiger krank, nämlich rund drei Tage mehr.

26,4 Prozent bieten ...
... ihren Mitarbeitern an, ihre Führungskräfte zu analysieren.
37,1 Prozent analysieren ...
... Mitarbeiterpotenziale.
51,8 Prozent haben ...
... ein Qualitätsmanagement.
51,9 Prozent bilden ...
... innerbetriebliche Arbeitskreise.
53,5 Prozent fragen ...
... Mitarbeiterzufriedenheit regelmäßig ab.
54,0 Prozent ermöglichen ...
... eine hierarchieübergreifende Teilnahme an Vorstandssitzungen.
63,3 Prozent binden ...
... Mitarbeiter und helfen diesen bei der Weiterentwicklung.
65,4 Prozent vergüten ...
... leistungsorientiert.
66,2 Prozent unterstützen ...
... Arbeitszufriedenheit.
69,9 Prozent fördern ...
... Ideen von Mitarbeitern.
72,3 Prozent berücksichtigen Bedürfnisse von Familien
Befragt wurden 1853 Personalverantwortliche von erfolgreichen (gemessen an Umsatz und Beschäftigungsentwicklung 2007-2012) Unternehmen. (Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft Köln)
Die Zahl derer, die innerlich bereits gekündigt haben, steigt nach den Zahlen von Gallup.
Foto: Gallup

Gallup nennt Zahlen im Zusammenhang mit der mangelnden Mitarbeiterbindung. Die Kosten durch Produktivitätseinbußen belaufen sich demnach auf 112 bis 138 Milliarden Euro pro Jahr.

Das Problem scheint sich zu verschärfen. Gallup hat den Engagement Index erstmals 2001 durchgeführt und damals lediglich 15 Prozent der Teilnehmer zu "emotional nicht gebundenen Mitarbeitern" gezählt. 2007 waren es 20 Prozent und jetzt eben 24 Prozent.

Babyboomer: Die vergessene Generation am Arbeitsplatz

Einen Faktor dafür sieht Nink im demografischen Wandel. Er betrachtet die sogenannten Babyboomer (Arbeitnehmer im Alter von 50 Jahren und mehr) als "vergessene Generation". Laut der Umfrage beklagen sie sich überdurchschnittlich oft über ihre Vorgesetzten. Sie vermissen Unterstützung und Förderung oder haben das Gefühl, als Mensch nicht gesehen zu werden.

Weil der Anteil der Babyboomer zwischen 2001 und 2012 von 21 Prozent auf 29 Prozent gestiegen ist, fallen die Zahlen bei den inneren Kündigungen so hoch aus. Nink: "Die ältere Arbeitnehmergeneration fühlt sich vernachlässigt. Die Babyboomer stellen einen nicht unerheblichen Teil der Arbeitnehmer, verschwinden aber durch die nachfolgenden Generationen zunehmend vom Aufmerksamkeits-Radar."

Gallup präzisiert die Konsequenzen mangelnder Mitarbeiterbindung anhand einiger Zahlen. So sollten die Befragten angeben, wie viele Ideen sie ihrem Chef im vergangenen halben Jahr unterbreitet haben. Die Mitarbeiter mit hoher Bindung nannten im Schnitt 6,1 Ideen. Die mit geringerer Bindung sprachen von 4,8 Ideen und die ohne Bindung von 4,1. Dabei hätten die engagierten Angestellten aber nicht nur mehr, sondern auch bessere Ideen. Gallup hat gefragt, ob die eingebrachten Ideen vom Unternehmen umgesetzt wurden - unter den Hochengagierten bejahten das 51 Prozent. Unter den Mitarbeitern ohne Bindung an den Arbeitgeber waren es nur 27 Prozent.

Schatzjäger
Hier handelt es sich in erster Linie um die jüngsten Mitarbeiter eines Unternehmens. Für Schatzjäger steht das Geld am stärksten im Vordergrund. 64 Prozent von ihnen sind bereit, länger zu arbeiten, um ihr Einkommen zu steigern. Fast ein Viertel (23 Prozent) sehen sich in drei Jahren in einem anderen Karrierestatus.
Lebensgenießer
Wie der Name bereits vorwegnimmt, sind Lebensgenießer vor allem an einer ausgewogenen Work-Life-Balance interessiert. Dabei ist ihnen Flexibilität genauso wichtig wie Geld. Allerdings spielt für jeden fünften in dieser Gruppe die eigene Karriere trotzdem eine große Rolle: 21 Prozent sehen sich in drei bis fünf Jahren in einer höheren Position.

Auch Mitarbeiter mit hoher emotionaler Bindung sind nicht gegen Burnout gefeit.
Foto: Gallup

Die Meinungsforscher leiten daraus Aussagen über die Innovationskraft eines Unternehmens ab: Mit dem Engagement der Beschäftigten schwindet auch die Innovationskraft. Nink führt aus: "Dabei geht es nicht darum, dass Mitarbeiter jeden Tag bahnbrechende Innovationen hervorbringen." Entscheidend seien auch "die vielen vermeintlich kleinen Ideen der Beschäftigten, etwa zur Optimierung von Arbeitsabläufen und Prozessen".

Ein weiteres Ergebnis der Studie bezieht sich auf das Thema Fluktuation. 93 Prozent der Hochengagierten gibt an, auch in zwölf Monaten noch beim jetzigen Unternehmen zu arbeiten, 81 Prozent dehnen dies sogar auf die kommenden drei Jahre aus.

Von denen, die innerlich bereits gekündigt haben, wollen nur 58 Prozent binnen Jahresfrist beim jetzigen Arbeitgeber bleiben. Dieser Prozentsatz sinkt bei der "Drei-Jahres-Frage" auf 44 Prozent. "Die Folgen ungewollter Fluktuation reichen vom Aufwand für Neuausschreibung, Auswahlverfahren und Einarbeitung bis hin zum Knowhow-Verlust und Kundenabwanderung", gibt Gallup-Mitarbeiter Nink zu bedenken.

Die Studienautoren wollten außerdem wissen, wie sich die Mitarbeiter-Bindung auf die Einstellung gegenüber den Produkten des Unternehmens auswirkt. Demnach erklären 85 Prozent der Hochzufriedenen, dass sie Artikel und Dienstleistungen im Freundeskreis weiterempfehlen. Unter den Angestellten ohne Bindung sind es lediglich 30 Prozent.

Zufriedenheit schützt nicht vor Burnout

Doch auch die sehr zufriedenen Mitarbeiter sind nicht vor Stress und Erschöpfung geschützt. Ob sie in den vergangenen 30 Tagen das Gefühl hatten, vor dem Burnout zu stehen, wurden die Studienteilnehmer gefragt. Immerhin rund jeder Siebte (15 Prozent) der Hochengagierten bejahte. Unter den Nicht-Engagierten ist es sogar jeder zweite.

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Immer schön fleißig sein!
Ineffektiv verbrachte Arbeitszeit kompensieren Sie mit Mehrarbeit. Das vertreibt auch die Langeweile am Wochenende und im Urlaub. Sind Sie Freiberufler, verzichten Sie ganz auf Urlaub. Sie müssen die Aufträge abarbeiten, oder das Geld reicht nicht. Machen Sie möglichst mehrere Dinge gleichzeitig, um Zeit zu sparen. Sagen Sie "Ja" zu jeder neuen Aufgabe.
Verzweifelt? Sie doch nicht!
Machen Sie sich unentbehrlich. Auch wenn es unmöglich ist und Sie der Verzweiflung nah sind, versuchen Sie, möglichst alle Erwartungen von Teamkollegen, Auftraggebern, internen und externen Projektmitarbeitern, Vorgesetzten und Ihrer Familie und Freunde zu erfüllen. Am besten übertreffen Sie noch deren Erwartungen.
Warnsignale?
Verwerfen Sie sämtliche Warnungen, Vorhaltungen, Vorwürfe, Bitten und Sorgen von Ihrer/m Partner/in, Angehörigen oder Kollegen. Ihre Ausreden sollten wasserdicht sein: "Nach diesem Projekt wird alles besser" oder "nur noch dieser Fall". Oder: "Die Umstände/der Vorgesetzte/der Auftraggeber zwingen mich dazu, ich habe keine Wahl."
Im Hamsterrad
Hämmern Sie sich und anderen ein, es geht nicht anders, in Ihrem Job jedenfalls nicht. Wenden Sie sich dennoch auf Drängen anderer an eine professionelle Beratung, werden Sie es sicher verstehen, die Sinnlosigkeit dieser Maßnahme unter Beweis zu stellen.
Nur nicht drüber reden!
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Jede Minute zählt - zum Arbeiten.
Streichen Sie sämtliche Hobbys einschließlich sportlicher Betätigungen. Falls Sie doch noch ein Privatleben haben, gestalten Sie die Terminplanung zwischen ihm und dem Job noch engmaschiger, nutzen Sie jede freie Minute.
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Gesundes Essen wird als Zeitkiller abgeschafft zugunsten von Fast Food und belegten Semmeln. Damit Sie überhaupt entspannen und von Ängsten und anderen unangenehmen Gefühlen abschalten können, gönnen Sie sich regelmäßig abends etwas Alkoholisches.
Perfektion, Perfektion, Perfektion
Seien Sie nie zufrieden mit Ihren Ergebnissen, auch wenn andere begeistert sind. Sie sind Ihr strengster Kritiker. Weniger als perfekt kommt für Sie nicht in Frage. Stecken Sie sich zusätzliche Ziele. Erlernen Sie eine Fremdsprache, machen Sie eine berufsbegleitende Ausbildung und laufen Sie Marathon.
Probleme? Ach was!
Lösen Sie keine Konflikte und Probleme grundlegend. Schieben Sie alles vor sich her, damit der Berg von Unerledigtem immer höher wird.
Ein Ausstieg ist möglich!
Falls Sie sich in unserem Text zu stark wiedererkennen, steiegen Sie aus! Je früher, desto besser. Gehen Sie zum Arzt, ändern Sie Ihre Lebensweise, solange es noch früh genug ist. Das raten Ihnen Ruth Hellmich, Rechtsanwältin und Geschäftsführerin von CoachingTraining.

Gallup hat die drei Kategorien von Mitarbeitern nach der Verteilung in Ost- und Westdeutschland aufgeschlüsselt. Demnach ist die Unzufriedenheit in den neuen Bundesländern höher. Hier gelten 28 Prozent der Befragten als Mitarbeiter ohne emotionale Bindung, in den alten Bundesländern sind es 23 Prozent.

Unterschiede zwischen neuen und alten Bundesländern

Der Anteil von Angestellten mit hoher emotionaler Bindung liegt aber Deutschlandweit bei 15 Prozent. Diejenigen mit moderater Bindung stellen also in Ostdeutschland 57 Prozent, in Westdeutschland 62 Prozent.