"Ich bin kein Insurance-Guy", sagt CIO Tomasz Smaczny vom Versicherungskonzern Ergo Group. Er habe nicht den typischen Stallgeruch, den der Aufstieg nur innerhalb der Versicherungsbranche mit sich bringt. Doch dem neuen Ergo-CEO und Munich Re-Vorstandsmitglied Markus Rieß war seine weltweite Erfahrung offenbar genauso wichtig wie seine Erfolgsbilanz in der IT.
Kein Insurance-Guy?
Ist er wirklich kein Insurance-Guy? Um die Jahrtausendwende war Smaczny für die IT der Vertriebskanäle im Versicherungsgeschäft bei ING Australia in Sydney verantwortlich. Im Anschluss arbeitete er sieben Jahre bei der Australia and New Zealand Banking Group im Finanzdienstleistungssektor. Als CIO Neuseeland begleitete er dort das Unternehmen in die digitale Transformation.
Vor seiner Berufung zum Ergo-CIO war Smaczny als Senior Advisor BTO Practice bei McKinsey in London im Bereich Organisationstransformation tätig. Zu seinen weiteren Stationen gehörten der englische Tourismuskonzern Thomas Cook (Group CTO) und die Fluglinie Cathay Pacific aus Hong Kong (CIO). Seit Anfang 2016 konnte er schließlich bei Ergo an seine gesammelten Erfahrungen anknüpfen.
Globalisierung und Transformation
Gleich zu Beginn des CIO.de-Gesprächs via Skype gibt Smaczny einen Steckbrief über sich: Am 1. Januar 2016 hatte Tomasz Smaczny sein Amt übernommen. Er ist bei Ergo (DAS, DKV, Ergo, Ergo Direkt, ERV) seitdem nicht nur Global Chief Information Officer, sondern auch Vorsitzender der Geschäftsführung der IT Ergo Informationstechnologie GmbH, dem zentralen IT-Dienstleister.
Auch sein Lebenslauf steht symbolisch für Globalisierung und Transformation: Geboren wurde er in Warschau, aufgewachsen ist der CIO jedoch in Australien. Smaczny besitzt einen MBA der Monash University Melbourne, und verheiratet ist er mit einer Hongkong-Chinesin.
Arbeitsschwerpunkt: Deutschland
Während er unter der Woche in Düsseldorf lebt und arbeitet, reist er am Wochenende nach London, wo der Familienwohnsitz ist. Ein Sohn studiert noch in England. "Mein Arbeitsschwerpunkt ist aber klar in Deutschland, meine Aufgabe bei Ergo ist langfristig ausgerichtet", sagt Smaczny.
"Mit Smaczny konnten wir einen Fachmann für Ergo gewinnen, der nicht nur über exzellente IT-, sondern auch über große internationale Erfahrung verfügt", lobte denn auch der Ex-Allianz Deutschland-Chef Rieß den neuen Mann bei seinem Amtsantritt. Der Ergo-CEO will den Kampf gegen die angreifenden Insurtechs auf jeden Fall gewinnen. IT und Digitalisierung spielen eine Hauptrolle in der anstehenden, dem Mutterkonzern versprochenen, Transformation. Und Tomasz Smaczny ist seine IT-Speerspitze.
Hohe Investitionen in die IT
Mitte 2016 hatte CEO Rieß das "Ergo Strategieprogramm" vorgelegt, das vor allem hohe Investitionen in die IT enthält. Insgesamt geht es um eine Milliarde Euro netto bis 2020, die zu einem großen Teil, mit mindestens 400 Millionen, in die Modernisierung der IT der Gruppe fließen sollen. Insgesamt sollen durch das Strategieprogramm rund 1.800 Arbeitsplätze in Deutschland wegfallen.
Smaczny leitet nun das größte Transformationsprogramm, das es bei Ergo je gegeben hat: "Wir transformieren die IT selbst", sagt er. Dazu bedürfe es einer IT der zwei Geschwindigkeiten, mit der tägliche Releases und schnelle Veränderungen möglich werden. Dazu gehörten auch eine neue Sourcing-Strategie und verbesserte Testverfahren
Bei der Ergo laufen 154 IT-Projekte
Zu dem Transformationsprogramm gehören derzeit insgesamt 154 IT-Projekte. 34 davon sind bereits abgeschlossen, 48 sind Entwicklungsprojekte in agilen Prozessen.
Außerdem sollen bei Ergo eine Data Analytics Einheit, Cloud Services, verbesserte Portale für Kunden und Vertrieb und ein neues CRM-System eingeführt, Automatisierung und Self Services sollen forciert werden. Ergo Direkt in Nürnberg wird zum neuen Online-Kompetenz-Zentrum für die gesamte Gruppe ausgebaut. Und das ist noch nicht alles. "Wir haben mit unseren Herstellern ein Ökosystem aufgebaut. Dazu haben wir alle Fähigkeiten unserer Organisation mit Kompetenzen von externen Dritten zusammengebracht."
Das neue Ergo-Customer-Portal
Eines der letzten Projekte der Ergo ist das Customer-Portal, mit dem die Ergo-Vertreter ihre Kunden auch online und mobil erreichen können, und zwar per Webseite, Telefon, App und Video-Chat. Die Kunden können so auf ihre Daten zugreifen, Angebote und Verträge einsehen und bearbeiten.
Smaczny sagt: "Unsere Kunden kennen das Internet ja nicht nur von Versicherungskonzernen, sie haben ihre Erfahrungen durch das Internet generell gemacht. Sie shoppen digital, buchen Reisen und nutzen digitale Services." Es solle für die Kunden auch bei Ergo eine "nahtlose Online- und Offline-Erfahrung" geben.
Größtes Portfolio in der Geschichte
"Wir wollten, dass die IT ein Stück weit anders funktioniert als bisher. In meinem ersten halben Jahr habe ich mich vorwiegend mit der Strategie beschäftigt", sagt der CIO. Neben dem Business as usual setzt Ergo aktuell das größte Portfolio in der Geschichte der Versicherung um.
"Unserer Mannschaft in der IT bei Ergo gebührt mein Respekt und mein Dank, nur gemeinsam konnten wir die ambitionierten Projekte der ersten 18 Monate stemmen und gleichzeitig die intensive Transformation der IT vorantreiben", betont Smaczny.
Bei den Digitalisierungsthemen arbeitet der Ergo-CIO eng mit Mark Klein zusammen. Klein ist seit September 2016 Chief Digital Officer (CDO) der Ergo Digital Ventures AG, der neuen Digitalsparte der Gruppe. Zuvor war er Vorsitzender der Geschäftsführung bei T-Mobile Netherlands.
Management-Fokus aufs Digitale
Die neue Gesellschaft soll der Treiber für Innovation und digitale Transformation werden. Unter ihrem Dach agieren auch das Tochterunternehmen Ergo Direkt als Direktversicherer und das Geschäftsfeld Mobility Solutions. Die Trennung vom traditionellen Geschäft und der Management-Fokus auf das digitale Geschäft sollen es leichter machen, die neuen Ideen schnell umzusetzen.
Es gehe darum "den Mitarbeitern dabei zu helfen, Dinge zu tun, die sie noch nie vorher getan haben", sagt Smaczny. "Wir strukturieren alles um: Unsere Architektur, unsere Plattformen, unsere Services und unsere Prozesse."
Forschen im Ergo Digital Lab in Berlin
Mit neuen Betriebsmodellen und IT-Entwicklungsmethoden experimentieren und forschen auch die Mitarbeiter des Berliner Ergo Digital Lab, das 2013 als Ergo Direkt Mobile Lab gegründet wurde. Erst saßen sie im Berliner Betahaus, seit kurzem arbeiten sie in der Factory Berlin am ehemaligen Berliner Mauerstreifen. Hier ist Platz für 30 Leute. Die Teams der ITler sind international. Die Mitarbeiter stammen aus Polen, Großbritannien, USA, Indien und Deutschland.
Die erste digitale Ergo-Direktversicherungs-Lösung ist eine Kfz-Versicherung. Mitte Juli 2017 ging "nexible" als reiner Digitalversicherer von Ergo in die Betaphase. Seit Oktober ist das Angebot online. Das Motto der agilen Entwickler: "Den Nutzern genau zuhören, schnell lernen und die Lösung immer weiter optimieren."
Neu: Die Ergo Digital IT
Neu ist auch die Ergo Digital IT, Ende 2016 gegründet. Anfang 2017 wurde der Betrieb mit Standorten in Berlin und in Warschau aufgenommen. Die Mitarbeiter dort beschäftigen sich stärker mit der Umsetzung digitaler IT-Projekte, während die Kollegen im Digital Lab vor allem eine Innovationsschmiede sein sollen.
Nahtlose Customer Journey
"Wenn wir über Digitalisierung sprechen, reden wir von unseren Kunden, den Verbrauchern. Wir wollen eine nahtlose Customer Journey ermöglichen", sagt Smaczny. "Wir dürfen aber auch nicht unsere Vertriebsmitarbeiter vergessen, die für uns sehr wichtig sind. Deswegen fragen wir auch, wie wir ihnen bei ihrer Arbeit helfen können."
Keine Angst vor Google, Amazon und Co.
Welche Schwierigkeiten gibt es auf dem Weg, sich selbst digital neu zu erfinden? Smaczny findet, dass es für alle Firmen in allen Branchen und weltweit ähnlich sei wie bei Ergo - eine Herausforderung. "Wir müssen alle lernen, wie wir zusammenarbeiten können, um die Prozesse zu verändern und die Dinge anders als bisher zu sehen." Allerdings sei die IT bei Versicherungen wie auch bei Banken halt immer auch ein Teil des der Kerngeschäfts.
"Wir können von vielen lernen"
Und: Die Versicherungsbranche hinke verglichen mit anderen immer noch ein wenig hinterher. Reisen, Handel und Industrie und Banken seien schon stärker digitalisiert als die Versicherungen. "Wir können deswegen von vielen anderen lernen", findet Smaczny.
Hat er Angst vor Google, Amazon und Co.? "Ich wäre ein reicher Mann, wenn ich die Frage beantworten könnte, was sie vorhaben", sagt er. Aber auch sie studiert er natürlich sorgfältig. Und er verweist hier zum zweiten Mal auf die bei Ergo neu eingeführte Two-Speed-IT. "Wir sind nicht perfekt, aber auch nicht beunruhigter über den Wettbewerb als andere Branchen", sagt er, der neue Insurance-Guy.