Infor, IFS, Comarch, Sage

ERP-Konzepte im Vergleich

21.10.2011 von Hans-Thomas Hengl
Anwender achten bei der ERP-Auswahl vor allem auf die Funktionen. Doch wie zukunftsfähig sind die Architekturen?

Nach der Architektur fragen Anwender bei Investitionsentscheidungen selten vorrangig. "Die meisten mittelständischen Unternehmen formulieren keine spezifischen Anforderungen an die Technik", beobachtet Norbert Gronau, Professor für Wirtschaftsinformatik und Electronic Government an der Universität Potsdam. Aber: "Wenn die Funktionalität stimmt, wird häufig die Frage nach der Zukunftsfähigkeit gestellt: Wie wandlungsfähig wird das System sein, wenn Anforderungen kommen, die heute noch nicht bekannt sind?" Die Antwort hängt davon ab, wie modern die ERP-Architektur ist.

Das Beratungshaus Pierre Audoin Consultants (PAC) formuliert in einem Whitepaper Anforderungen an die Bauweise betriebswirtschaftlicher Standardsoftware. "Die Basis für eine ERP-Lösung von morgen sollte eine integrierte Internet-Architektur bilden. Technische Rahmenbedingungen wie Plattformunabhängigkeit, Skalierbarkeit, Performance oder Release-Fähigkeit sind dabei ein Muss", heißt es darin. Eine Service-orientierte Architektur könne eine deutliche Flexibilisierung der IT-Geschäftsprozesse ermöglichen. "Ferner wird die Integrationsfähigkeit von Fremdsystemen und Diensten gefordert, da die Einbindung von Partnern, Lieferanten und Kunden auf der Tagesordnung steht", betont PAC.

Anwender wollen Funktionen und Flexibilität.
Foto: Fotolia/akf

Ergebnisse von Umfragen unter IT-Anwendern stützen diese Einschätzungen. Das IT-Beratungsunternehmen Trovarit hat ERP-Anwender nach den Gründen für die Auswahl einer betriebswirtschaftlichen Standardsoftware gefragt. Dabei folgt nach der funktionalen und der Mittelstandseignung die Flexibilität der Software bereits an dritter Stelle. Ein Vergleich mit den Ergebnissen der Jahre 2001 bis 2009 zeigt, dass das Kriterium der Flexibilität immer mehr an Bedeutung gewonnen hat. Auch die Frage nach einer modernen Architektur hat die Kunden mit den Jahren zunehmend beschäftigt. Natürlich stehen die funktio- nale Eignung und das Kosten-Nutzen-Verhältnis immer im Vordergrund, aber gegenüber Flexibilität und Bauart verlieren diese Kriterien an Vorsprung.

Semiramis ist plattformneutral

Die auf mittelständische Anwender ausgerichteten Anbieter von ERP-Systemen haben das Kundeninteresse an der Architektur erkannt. Allerdings beschreiten sie unterschiedliche Wege. Gut gerüstet sieht sich Comarch mit seinem ERP-Sys- tem "Semiramis". Die Software wurde komplett in Java geschrieben. Die Funktionen werden über Application-Server einschließlich Web-Server bereitgestellt. Die ERP-Lösung lässt sich vollständig über den Web-Browser bedienen.

Das Design von Semiramis folgt den Grundsätzen einer Service-orientierten Architektur (SOA): Mit dem Business Integration Service zur Anbindung von Drittsystemen über Standards wie XML (Extensible Markup Language), Corba (Common Object Request Broker Architecture) und Web-Services (Web Services Description Language = WSDL) stellt Semiramis Funktionen als Services im Sinne einer SOA zur Verfügung, stellt PAC fest.

Tipps zur ERP-Auswahl
1. Geschäftsprozesse analysieren:
Identifizieren Sie in einem ersten Schritt nur die unternehmenskritischen Geschäftsprozesse, die das ERP-System abbilden soll. (Foto: olly/Fotolia.com)
2. Spezifika vergleichen:
Erkennen Sie, wo die Spezifika der Branche im Allgemeinen und die Stärken Ihres Unternehmens im Speziellen liegen. (Foto: thoro/Fotolia.com)
3. Alte Zöpfe abschneiden:
Modellieren Sie optimale Arbeitsabläufe und stärken Sie das Zusammenspiel zwischen allen Unternehmensbereichen. (Foto: Inter-Stilist/Fotolia.com)
4. Vorauswahl treffen:
Vergleichen Sie die infrage kommenden Software-Systeme unter Berücksichtigung der zu erwartenden Lizenz- und Wartungskosten. (Foto: 3d kot/Fotolia.com)
5. Professionelle Vergabe:
Formulieren Sie präzise, vollständige und übersichtliche Ausschreibungsunterlagen, die Sie idealerweise direkt in den späteren Vertrag übernehmen können. (Foto: L. Tus/Fotolia.com)
6. Bietergespräche führen:
Lassen Sie berechtigte Ansprüche in den Verhandlungen nicht aufweichen. Fordern Sie aber auch nichts, was der technische Realisationspartner fachlich nicht leisten kann oder möchte. (Foto: endostock/Fotolia.com)
7. Vertrauen aufbauen
Treffen Sie die Wahl des technischen Realisationspartners zügig und betrachten Sie den ERP-Wechsel als Chance, Ihr Unternehmen zu stärken.

Semiramis ist unabhängig von bestimmten Systemplattformen einsetzbar. Auch im Bereich der Datenbanken besteht Wahlfreiheit. Angaben des Herstellers zufolge lassen sich unternehmensübergreifende Szenarien wie die Einbindung von Kunden oder Lieferanten realisieren. Das System könne seine Dienste ohne zusätzlichen Aufwand im Internet bereitstellen, so dass externe Nutzer wie Filialen oder Geschäftspartner direkt dar- auf zugreifen können. Für die Sicherheit sorgen inhaltsbezogene Berechtigungen und verschlüsselte Kommunikation.

Mit dem aktuellen Release 5 stellt Comarch den Semiramis-Anwendern und deren Partnern die Add-on-Infrastruktur zur Verfügung. Dadurch können die User Zusatzapplikation (Apps), zum Beispiel für Vertragsverwaltung, sowie Service und Reparatur, nutzen. Bereitgestellt werden die Apps über Release-unabhängige, so genannte Hook-Schnittstellen.

Infor baut auf Modularität

Offenheit des Systems sowie den Einsatz von Standardprotokollen für die einfache Integration von Komponenten strebt auch Infor an. "Wir entwickeln aufeinander abgestimmte Module, die den klassischen ERP-Kern um mittelstandsrelevante Funktionen aus Bereichen wie SCM (Supply-Chain-Management), PLM (Product- Lifecycle-Management) oder CRM (Customer-Relationship-Management) erweitern", erklärt Stefan Stille, Manager Solution Design bei Infor, den Ansatz seines Unternehmens. Die Komplexität der Bedienung und Wartung der ERP-Lösung werde dadurch reduziert, dass sich modulübergreifende Prozesse definieren ließen.

Zufriedenheitsstudie ERP
Wie zufrieden sind Anwender mit ihrer jeweiligen Business-/ERP-Software?
Welche Systeme setzen "größere Unternehmen" (>500 MA) ein?
Welche Systeme setzen "mittlere Unternehmen" (100 bis 500 MA) ein?
Welche Systeme setzen "kleinere Unternehmen" (<100 MA) ein?
Wie hat sich die Anwenderzufriedenheit insgesamt von 2008 bis heute entwickelt?
Welche Zufriedenheitsaspekte kann man selbst beeinflussen?
Was sind die Auslöser von ERP-Projekten?
Welche Gründe werden bei der Auswahl eines neuen Systems herangezogen?
Welche Hauptprobleme traten bei der Systemeinführung auf?
Die dringlichsten Probleme im ERP-Betrieb aus Sicht der Anwender

Im Sommer 2010 hat Infor seine Technikplattform "ION" vorgestellt, die standardisierte Web-Services unterstützt. Basis von Infor ION sind die Funktionsbereiche Integration, Administration, Workflow- und Event-Management sowie Portalfunktionalität. Infor kooperiert eng mit Microsoft als Technologiepartner, um gerade mittelständischen Unternehmen eine kostengünstige Infrastruktur, also Betriebssystem, Datenbank, Portalfunktionalität und Cloud-Deployment, über MS Azure zur Verfügung zu stellen.

In Verbindung mit verschiedenen ERP- und Add-on-Modulen soll Infor ION im Lauf des ersten Quartals 2011 verfügbar sein, so das Unternehmen. Später seien noch weitere Releases dieser Technik geplant.

IFS arbeitet an der Flexibilität

Auf eine Service-orientierte Komponentenarchitektur setzt der schwedische ERP-Anbieter IFS. Sie erlaubt laut Hersteller eine schrittweise Implementierung. IFS verspricht bei wachsendem Bedarf ein unkompliziertes Upgrade. Die Integration mit anderen Anwendungen wird über XML, Web-Dienste, Java, Java EE und .NET realisiert. IFS setzt auf offene Standards und unterstützt nach eigener Aussage die Produktwelten von Microsoft, Oracle und IBM ebenso wie Linux, JBoss und andere Open-Source-Technologien.

Warum ERP-Projekte scheitern
Grund 1
Die Geschäftsleitung ist zu wenig involviert.
Grund 2
Eingriffe in die Organisation werden vermieden.
Grund 3
Der Nutzen des Vorhabens ist nicht klar.
Grund 4
Die Vorbereitung des Projektes waren so schlecht, dass sich die Schwerpunkte während ds Projektes ändern.
Grund 5
Die Führung des Implementierungspartners ist mangelhaft.

IFS verspricht eine laufende Verbesserung von Flexibilität, Verfügbarkeit und Skalierbarkeit. Als Beispiel dafür nennt der Hersteller die Oberfläche "IFS Enterprise Explorer". Sie biete einfache Werkzeuge zur Navigation, eine Erinnerungsfunktion mit virtuellen Post-its und die Möglichkeit, den Arbeitsplatz gemäß persönlichen Anforderungen individuell zu gestalten. Auch eine Google-ähnliche Suche für das gesamte ERP-System stehe dem Nutzer zur Verfügung. Der Enterprise Explorer wird über einen Web-Server bereitgestellt. Auf dem Client sind weder Installation noch administrative Arbeiten erforderlich.

Eine andere Weiterentwicklung stellen die "IFS Virtual Maps" dar. Sie sind ein Planungsinstrument unter anderem für Service-Management-Unternehmen. Virtual Maps sind ein Beispiel dafür, dass sich Mashups in die Software von IFS integrieren lassen: Daten aus IFS Applications werden direkt in Microsoft Bing Map visualisiert.

Sage setzt auf Mobility

Etwas andere Akzente setzt Sage bei den Anforderungen an die Architektur von ERP-Lösungen. Hier steht der einfache Zugriff auf unternehmenskritische Kennzahlen unter anderem via mobile Endgeräte im Mittelpunkt des Produktdesigns, so das Unternehmen. Bereits im Jahr 2009 hat Sage eine integrierte Business- Intelligence-Lösung (BI) entwickelt, die in die ERP-Systeme Classic Line und Office Line eingebunden ist. Schnittstellen für einen optimierten Datenzugriff, vordefinierte Datenwürfel und funktionale Schemata sollen eine mehrdimensionale Sicht auf die operativen Daten bieten. In den vergangenen Jahren hat Sage nach eigener Aussage nahezu alle ERP-Lösungen auf aktuelle Technikstandards umgestellt: "Bäurer Industry" und "Bäurer Trade" verfügen seit 2007 über eine SOA-Architektur. Die "Office Line" und einige Bäurer- und Personalwirtschaftsprodukte wurden 2008 und 2009 auf .NET-Technik umgestellt.

2010 wurde schließlich die mehr als 25 Jahre alte "Classic Line" komplett überarbeitet und mit einer MySQL-Datenbank sowie einer nach ergonomischen Gesichtspunkten gestalteten neuen Oberfläche versehen. Um eine Integration zwischen seinen verschiedenen Produkten auf der Basis aktueller Kommunikationsstandards zu ermöglichen, arbeitet Sage an einer eigenen Schnittstellentechnik namens SData.

Der Softwarehersteller baut seine Lösungen zudem unter dem Begriff "Connected Services" um Cloud-basierende Dienste aus. Dahinter verbergen sich Angebote, die die Standardsoftware auf den Rechnern der Anwender (on Premise) durch zusätzliche Dienste aus dem Internet (on Demand) ergänzen. Als Beispiele für Deutschland nennt Sage Inkasso-Services, EDI-Transaktionsplattformen und digitale Signaturdienste.

Mietsoftware geizt mit Funktionen

Karsten Sontow, Trovarit: "SaaS-Angebote sind hochgradig standardisiert. Die individuellen Bedürfnisse der Anwender kommen dabei in vielen Fällen zu kurz."
Foto: Trovarit

Zwar gewinnt Software as a Service (SaaS) für Anwender an Bedeutung. Marktbeobachter sehen jedoch noch Defizite: "SaaS-Angebote sind aus wirtschaftlichen Gründen hochgradig standardisiert, die individuellen Bedürfnisse der Anwender kommen dabei in vielen Fällen zu kurz", betont Trovarit-Vorstand Karsten Sontow. Und PAC-Analyst Frank Niemann fügt hinzu: "Die ERP-SaaS-Angebote sind in puncto Funktionstiefe und Reifegrad noch nicht mit den On-Premise-Lösungen vergleichbar."

Dem widerspricht Lawson, internationaler Softwarehersteller aus den USA: "Wir bieten unsere beiden Standard-ERP-Produkte als Cloud-Lösungen an", wirbt Dieter Roskoni, Director Product Marketing bei Lawson Software Deutschland. "Dabei handelt es sich um ein und dieselbe Software, die wir beim Kunden on Premise installieren, und nicht etwa um eine abgespeckte Cloud-Version." Auch in der Wolke hätten die Kunden die Möglichkeit, die Lösung anzupassen und individuell zu gestalten.

Andere Anbieter, beispielsweise Comarch mit dem ERP-System Semiramis und Infor mit verschiedenen Anwendungen, stellen den Anwendern ihre Lösungen ebenfalls im Mietmodell zur Verfügung. IFS möchte sein Angebot durch die Partnerschaft mit NEC deutlich erweitern: Ab April will man Komponenten von "IFS Applications" für Rechnungswesen, Supply Chain und Produktion als Services bereitstellen.

Dagegen sieht Sage derzeit im deutschen Mittelstand keine wirkliche Nachfrage nach ERP-Lösungen auf SaaS-Basis. Ein entsprechendes Angebot gebe es dementsprechend nicht. In einigen Nicht-ERP-Bereichen wie Lohnabrechnung und Kundenbeziehungs-Management offeriert der Anbieter so genannte Online Business Solutions.

Plex Systems vermietet an Fertiger

Schon seit 2000 setzt Plex Systems ausschließlich auf das On-Demand-Modell für seine ERP-Lösung. "Das System stellt Fertigungsunternehmen alle Funktionen bereit, die sie benötigen, vom Rechnungswesen über CRM und Dokumenten-Management-Systeme bis hin zu QualitätsManagement und Manufacturing Execution System (MES)", sagt Thomas Rosenstiel, Director Europe von Plex Systems. Die technische Basis bildet Microsofts .NET-Plattform.

Anwender sparten sich den Aufwand und die Kosten für den IT-Betrieb. Sie könnten sich stattdessen auf die Gestaltung von Prozessen konzentrieren, argumentiert Rosenstiel. Durch den reinen SaaS-Betrieb nutzten Anbieter die Chance, die vielen guten Ideen der einzelnen Kunden direkt in der Kernsoftware umzusetzen. Rosenstiel: "Das führt zu einer starken Entwicklungsdynamik, von der alle Kunden profitieren."

Ob SaaS oder Lizenzerwerb: Externe Hilfe bei der Auswahl der Betriebsform, erst recht aber bei der Entscheidung für eine bestimmte Softwarearchitektur sei wichtig, meint Gronau von der Universität Potsdam: "Ohne externe Beratung ist eine Bewertung der ERP-Architektur praktisch nicht möglich. Und wenn nach einigen Jahren Betriebsdauer die ersten ernsthaften Probleme auftreten, ist es häufig schon zu spät." (Computerwoche)